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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Bacon gegen Atome und Vacuum.
den "Formen" das innere Band aller materiellen Gestaltung
anerkennt. Jedoch gibt er nicht mehr zu, daß die Materie
nicht bis ins Unendliche teilbar sei. Hier zeigt sich ein ganz
entschiedener Rückgang zur Fluiditätstheorie, die er in den
Cogitationes so entschieden verworfen hat. Über das Vacuum
bleibt er noch unentschieden. Zwar erklärt er es einmal für
eine fälschliche Annahme,1 aber bei seiner Betrachtung der
verschiedenen Arten der Bewegungen läßt er es dahingestellt,
ob es ein Vacuum, sei es ein gehäuftes oder untermischtes, gebe.
Soviel jedoch stehe für ihn fest, daß der Grund, weshalb das
Vacuum von Leukipp und Demokrit eingeführt worden ist,
falsch sei; dieser Grund bestand darin, daß ohne Vacuum die-
selben Körper nicht Räume von verschiedener Größe einneh-
men könnten. Es gibt nämlich eine Schmiegbarkeit und Bieg-
samkeit der Materie, infolge deren sie sich im Raume ohne
Zwischenlagerung eines Vacuums innerhalb bestimmter Grenzen
zusammenziehen und wieder entfalten kann.2

Wenn man annehmen darf, daß sich Bacon wirklich eine
feste Meinung über die Konstitution der Materie im Novum
Organum
gebildet habe, so muß man vermuten, daß er ebenso
wie Leibniz und wahrscheinlich durch ähnliche, wenn auch weniger
klare Motive beeinflußt, ursprünglich von der Atomistik ausge-
gangen, aber, weil ihn dieselbe nicht befriedigte, zu einer inne-
ren, dynamischen Fähigkeit der Materie, sich zusammenzuziehen
und auszudehnen, übergegangen ist, wie dieselbe von den
Stoikern angenommen worden war. Was ihn dabei bewogen

1 N. O. II, 8. T. II. p. 142. Vgl. S. 432 Anm. 2.
2 N. O. II, 48. T. II p. 314. Neque enim pro certo affirmaverimus,
utrum detur Vacuum, sive Coacervatum, sive Permistum. At de illo nobis
constat; Rationem illam, propter quam introductum est Vacuum a Leucippo,
et Democrito (videlicet quod absque eo non possent eadem corpora complecti
et implere majora et minora spatia) falsam esse. Est enim plane Plica Materiae,
complicantis et replicantis se per spatia inter certos fines absque interpositione
Vacui. -- Dasselbe De motu (Amstel. 1662) T. II p. 223. In der Historia Densi
et Rari
finden sich (T. VI p. 126) unter der Überschrift Canones mobiles u. a.
noch folgende Sätze: 3. Copia et paucitas Materiae constituunt notationes Densi
et Rari, recte acceptas. 4. Est Terminus, sive Non Ultra, Densi et Rari, sed
non in Ente nobis noto. 5 Non est Vacuum in Natura, nec congregatum, nec
intermistum. 6. Inter Terminos Densi et Rari est Plica Materiae, per quam se
complicat et replicat absque vacuo. -- Vgl. dagegen oben S. 426.

Bacon gegen Atome und Vacuum.
den „Formen‟ das innere Band aller materiellen Gestaltung
anerkennt. Jedoch gibt er nicht mehr zu, daß die Materie
nicht bis ins Unendliche teilbar sei. Hier zeigt sich ein ganz
entschiedener Rückgang zur Fluiditätstheorie, die er in den
Cogitationes so entschieden verworfen hat. Über das Vacuum
bleibt er noch unentschieden. Zwar erklärt er es einmal für
eine fälschliche Annahme,1 aber bei seiner Betrachtung der
verschiedenen Arten der Bewegungen läßt er es dahingestellt,
ob es ein Vacuum, sei es ein gehäuftes oder untermischtes, gebe.
Soviel jedoch stehe für ihn fest, daß der Grund, weshalb das
Vacuum von Leukipp und Demokrit eingeführt worden ist,
falsch sei; dieser Grund bestand darin, daß ohne Vacuum die-
selben Körper nicht Räume von verschiedener Größe einneh-
men könnten. Es gibt nämlich eine Schmiegbarkeit und Bieg-
samkeit der Materie, infolge deren sie sich im Raume ohne
Zwischenlagerung eines Vacuums innerhalb bestimmter Grenzen
zusammenziehen und wieder entfalten kann.2

Wenn man annehmen darf, daß sich Bacon wirklich eine
feste Meinung über die Konstitution der Materie im Novum
Organum
gebildet habe, so muß man vermuten, daß er ebenso
wie Leibniz und wahrscheinlich durch ähnliche, wenn auch weniger
klare Motive beeinflußt, ursprünglich von der Atomistik ausge-
gangen, aber, weil ihn dieselbe nicht befriedigte, zu einer inne-
ren, dynamischen Fähigkeit der Materie, sich zusammenzuziehen
und auszudehnen, übergegangen ist, wie dieselbe von den
Stoikern angenommen worden war. Was ihn dabei bewogen

1 N. O. II, 8. T. II. p. 142. Vgl. S. 432 Anm. 2.
2 N. O. II, 48. T. II p. 314. Neque enim pro certo affirmaverimus,
utrum detur Vacuum, sive Coacervatum, sive Permistum. At de illo nobis
constat; Rationem illam, propter quam introductum est Vacuum a Leucippo,
et Democrito (videlicet quod absque eo non possent eadem corpora complecti
et implere majora et minora spatia) falsam esse. Est enim plane Plica Materiae,
complicantis et replicantis se per spatia inter certos fines absque interpositione
Vacui. — Dasselbe De motu (Amstel. 1662) T. II p. 223. In der Historia Densi
et Rari
finden sich (T. VI p. 126) unter der Überschrift Canones mobiles u. a.
noch folgende Sätze: 3. Copia et paucitas Materiae constituunt notationes Densi
et Rari, recte acceptas. 4. Est Terminus, sive Non Ultra, Densi et Rari, sed
non in Ente nobis noto. 5 Non est Vacuum in Natura, nec congregatum, nec
intermistum. 6. Inter Terminos Densi et Rari est Plica Materiae, per quam se
complicat et replicat absque vacuo. — Vgl. dagegen oben S. 426.
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[430/0448] Bacon gegen Atome und Vacuum. den „Formen‟ das innere Band aller materiellen Gestaltung anerkennt. Jedoch gibt er nicht mehr zu, daß die Materie nicht bis ins Unendliche teilbar sei. Hier zeigt sich ein ganz entschiedener Rückgang zur Fluiditätstheorie, die er in den Cogitationes so entschieden verworfen hat. Über das Vacuum bleibt er noch unentschieden. Zwar erklärt er es einmal für eine fälschliche Annahme, 1 aber bei seiner Betrachtung der verschiedenen Arten der Bewegungen läßt er es dahingestellt, ob es ein Vacuum, sei es ein gehäuftes oder untermischtes, gebe. Soviel jedoch stehe für ihn fest, daß der Grund, weshalb das Vacuum von Leukipp und Demokrit eingeführt worden ist, falsch sei; dieser Grund bestand darin, daß ohne Vacuum die- selben Körper nicht Räume von verschiedener Größe einneh- men könnten. Es gibt nämlich eine Schmiegbarkeit und Bieg- samkeit der Materie, infolge deren sie sich im Raume ohne Zwischenlagerung eines Vacuums innerhalb bestimmter Grenzen zusammenziehen und wieder entfalten kann. 2 Wenn man annehmen darf, daß sich Bacon wirklich eine feste Meinung über die Konstitution der Materie im Novum Organum gebildet habe, so muß man vermuten, daß er ebenso wie Leibniz und wahrscheinlich durch ähnliche, wenn auch weniger klare Motive beeinflußt, ursprünglich von der Atomistik ausge- gangen, aber, weil ihn dieselbe nicht befriedigte, zu einer inne- ren, dynamischen Fähigkeit der Materie, sich zusammenzuziehen und auszudehnen, übergegangen ist, wie dieselbe von den Stoikern angenommen worden war. Was ihn dabei bewogen 1 N. O. II, 8. T. II. p. 142. Vgl. S. 432 Anm. 2. 2 N. O. II, 48. T. II p. 314. Neque enim pro certo affirmaverimus, utrum detur Vacuum, sive Coacervatum, sive Permistum. At de illo nobis constat; Rationem illam, propter quam introductum est Vacuum a Leucippo, et Democrito (videlicet quod absque eo non possent eadem corpora complecti et implere majora et minora spatia) falsam esse. Est enim plane Plica Materiae, complicantis et replicantis se per spatia inter certos fines absque interpositione Vacui. — Dasselbe De motu (Amstel. 1662) T. II p. 223. In der Historia Densi et Rari finden sich (T. VI p. 126) unter der Überschrift Canones mobiles u. a. noch folgende Sätze: 3. Copia et paucitas Materiae constituunt notationes Densi et Rari, recte acceptas. 4. Est Terminus, sive Non Ultra, Densi et Rari, sed non in Ente nobis noto. 5 Non est Vacuum in Natura, nec congregatum, nec intermistum. 6. Inter Terminos Densi et Rari est Plica Materiae, per quam se complicat et replicat absque vacuo. — Vgl. dagegen oben S. 426.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/448>, abgerufen am 23.05.2024.