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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Bacon: Vermittelung zw. Demokrit und Platon.
überstelle und zu ihrer Einfachheit nicht hindurchdringe; da-
gegen hemmen und schwächen Betrachtungen der Natur in
ihrer Einfachheit allein das Verständnis, wie man an der Schule
des Leukipp und Demokrit sehe; diese verweilten soviel bei
dem Einzelnen der Dinge, daß sie ihren wirkenden Zusammen-
hang (fabricam) vernachlässigten. Deshalb müsse man mit
diesen Betrachtungsweisen wechseln und eine neben der andern
gebrauchen, damit der Verstand zugleich durchdringend und
empfänglich werde.1 Wenn Demokrit und Epikur für die
Atome eintreten, so werden sie bis dahin wohl von einigen
feineren Köpfen geduldet; sie werden aber nur mit allgemeinem
Gelächter empfangen, wenn sie aus dem zufälligen Zusammen-
stoß der Atome ohne Hilfe einer Vernunft (mens) das Welt-
getriebe zusammenwachsen lassen.2

Was also Bacon an der Atomistik vermißt, ist die Mög-
lichkeit, aus ihren Prinzipien die innere Gesetzmäßigkeit, den
bestimmenden Zusammenhang in der Wechselwirkung der
Dinge abzuleiten. Zu diesem Zwecke glaubt er eine immanente
Gesetzlichkeit als eine ursprüngliche Anlage in den Dingen
voraussetzen zu müssen, nicht als zweckbestimmend im aristo-
telischen Sinne, sondern als die Wirkungsart selbst repräsen-
tierend. Diese nennt er die Form. Es ist dies ein auf plato-
nischem Grunde wurzelnder Versuch, die in der Materie sich
entfaltenden Wirkungen durch einen Begriff zu fixieren,
welcher das Gesetz ihrer Wirksamkeit ausdrückt. Die vom
göttlichen Geiste seinen Geschöpfen eingeprägten wahren Stem-
pel (signacula) bestimmen das gesetzmäßige Geschehen, aber
nicht als von der Materie gänzlich abgetrennte, sondern als
in ihr selbst begrenzte und in wahren Linien umschriebene.3
Gelingt es diese "Formen" zu erkennen, so ist damit der Ein-
gang in die innere Werkstatt der Natur selbst gewonnen. Des-
halb stellt Bacon die Metaphysik über die Physik als die
Wissenschaft, welche die Arbeit der Physik zu vollenden hat.

In dieser Forderung Bacons liegt die geniale Ahnung einer
Wahrheit, aber nicht mehr. Es handelt sich in der That dar-
um, die Realität des Naturgeschehens zu konstituieren als

1 N. O. I, 57. T. II p. 44.
2 De augm. scient. III, 5. T. I p. 200.
3 N. O. I, 124. T. II p. 123. De augm. scient. II, 4. T. I p. 193.

Bacon: Vermittelung zw. Demokrit und Platon.
überstelle und zu ihrer Einfachheit nicht hindurchdringe; da-
gegen hemmen und schwächen Betrachtungen der Natur in
ihrer Einfachheit allein das Verständnis, wie man an der Schule
des Leukipp und Demokrit sehe; diese verweilten soviel bei
dem Einzelnen der Dinge, daß sie ihren wirkenden Zusammen-
hang (fabricam) vernachlässigten. Deshalb müsse man mit
diesen Betrachtungsweisen wechseln und eine neben der andern
gebrauchen, damit der Verstand zugleich durchdringend und
empfänglich werde.1 Wenn Demokrit und Epikur für die
Atome eintreten, so werden sie bis dahin wohl von einigen
feineren Köpfen geduldet; sie werden aber nur mit allgemeinem
Gelächter empfangen, wenn sie aus dem zufälligen Zusammen-
stoß der Atome ohne Hilfe einer Vernunft (mens) das Welt-
getriebe zusammenwachsen lassen.2

Was also Bacon an der Atomistik vermißt, ist die Mög-
lichkeit, aus ihren Prinzipien die innere Gesetzmäßigkeit, den
bestimmenden Zusammenhang in der Wechselwirkung der
Dinge abzuleiten. Zu diesem Zwecke glaubt er eine immanente
Gesetzlichkeit als eine ursprüngliche Anlage in den Dingen
voraussetzen zu müssen, nicht als zweckbestimmend im aristo-
telischen Sinne, sondern als die Wirkungsart selbst repräsen-
tierend. Diese nennt er die Form. Es ist dies ein auf plato-
nischem Grunde wurzelnder Versuch, die in der Materie sich
entfaltenden Wirkungen durch einen Begriff zu fixieren,
welcher das Gesetz ihrer Wirksamkeit ausdrückt. Die vom
göttlichen Geiste seinen Geschöpfen eingeprägten wahren Stem-
pel (signacula) bestimmen das gesetzmäßige Geschehen, aber
nicht als von der Materie gänzlich abgetrennte, sondern als
in ihr selbst begrenzte und in wahren Linien umschriebene.3
Gelingt es diese „Formen‟ zu erkennen, so ist damit der Ein-
gang in die innere Werkstatt der Natur selbst gewonnen. Des-
halb stellt Bacon die Metaphysik über die Physik als die
Wissenschaft, welche die Arbeit der Physik zu vollenden hat.

In dieser Forderung Bacons liegt die geniale Ahnung einer
Wahrheit, aber nicht mehr. Es handelt sich in der That dar-
um, die Realität des Naturgeschehens zu konstituieren als

1 N. O. I, 57. T. II p. 44.
2 De augm. scient. III, 5. T. I p. 200.
3 N. O. I, 124. T. II p. 123. De augm. scient. II, 4. T. I p. 193.
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[418/0436] Bacon: Vermittelung zw. Demokrit und Platon. überstelle und zu ihrer Einfachheit nicht hindurchdringe; da- gegen hemmen und schwächen Betrachtungen der Natur in ihrer Einfachheit allein das Verständnis, wie man an der Schule des Leukipp und Demokrit sehe; diese verweilten soviel bei dem Einzelnen der Dinge, daß sie ihren wirkenden Zusammen- hang (fabricam) vernachlässigten. Deshalb müsse man mit diesen Betrachtungsweisen wechseln und eine neben der andern gebrauchen, damit der Verstand zugleich durchdringend und empfänglich werde. 1 Wenn Demokrit und Epikur für die Atome eintreten, so werden sie bis dahin wohl von einigen feineren Köpfen geduldet; sie werden aber nur mit allgemeinem Gelächter empfangen, wenn sie aus dem zufälligen Zusammen- stoß der Atome ohne Hilfe einer Vernunft (mens) das Welt- getriebe zusammenwachsen lassen. 2 Was also Bacon an der Atomistik vermißt, ist die Mög- lichkeit, aus ihren Prinzipien die innere Gesetzmäßigkeit, den bestimmenden Zusammenhang in der Wechselwirkung der Dinge abzuleiten. Zu diesem Zwecke glaubt er eine immanente Gesetzlichkeit als eine ursprüngliche Anlage in den Dingen voraussetzen zu müssen, nicht als zweckbestimmend im aristo- telischen Sinne, sondern als die Wirkungsart selbst repräsen- tierend. Diese nennt er die Form. Es ist dies ein auf plato- nischem Grunde wurzelnder Versuch, die in der Materie sich entfaltenden Wirkungen durch einen Begriff zu fixieren, welcher das Gesetz ihrer Wirksamkeit ausdrückt. Die vom göttlichen Geiste seinen Geschöpfen eingeprägten wahren Stem- pel (signacula) bestimmen das gesetzmäßige Geschehen, aber nicht als von der Materie gänzlich abgetrennte, sondern als in ihr selbst begrenzte und in wahren Linien umschriebene. 3 Gelingt es diese „Formen‟ zu erkennen, so ist damit der Ein- gang in die innere Werkstatt der Natur selbst gewonnen. Des- halb stellt Bacon die Metaphysik über die Physik als die Wissenschaft, welche die Arbeit der Physik zu vollenden hat. In dieser Forderung Bacons liegt die geniale Ahnung einer Wahrheit, aber nicht mehr. Es handelt sich in der That dar- um, die Realität des Naturgeschehens zu konstituieren als 1 N. O. I, 57. T. II p. 44. 2 De augm. scient. III, 5. T. I p. 200. 3 N. O. I, 124. T. II p. 123. De augm. scient. II, 4. T. I p. 193.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/436>, abgerufen am 22.11.2024.