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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Bacon: Gesetz und Form.
die Bewegung und die natürliche Notwendigkeit voraus. Der
Unterschied zwischen beiden liegt also in der Beschaffenheit der
Ursachen, auf welche sie reflektieren; für die Physik sind es nur
die wirkende Ursache und die Materie, für die Metaphysik die
Zweckursache und die Form. Erstere betrachtet Bacon als
etwas Unbestimmtes, nämlich abhängig von den gegebenen
äußeren Umständen, letztere als das Beständige an den Dingen,
welches ihre Wirkungsweise konstitutiv bedingt.1

Nähere Aufklärung gibt das Novum Organum. Unter jenen
vier Arten von Ursachen scheidet zunächst der Endzweck als
unfruchtbar aus; er stiftet in den Wissenschaften mehr Schaden
als Nutzen und kommt allein für die menschlichen Handlungen
in Betracht. An der Auffindung der "Form" glaubte man
verzweifeln zu müssen. Wirkende Ursache und Materie end-
lich beziehen sich nur auf die Oberfläche der Erscheinungen
und dringen nicht in die wahre Tiefe des Wissens, wenn sie
nicht in ihrer Beziehung zur Form erkannt werden. Denn
wenn auch in Wahrheit in der Natur nichts existiert außer
den Einzelkörpern mit ihren rein aktuellen Einzelwirkungen,
welche aus einem Gesetze fließen, so ist doch für die Er-
kenntnis jenes Gesetz und seine Erforschung, Aufsuchung
und Erklärung das Fundament, auf welchem Wissen wie Wir-
ken beruht. Dieses "Gesetz" und seine "Paragraphen" will
Bacon mit dem Namen der "Formen" bezeichnen.2 Die Form
wäre nur eine Erdichtung des menschlichen Geistes, wenn sie
nicht das Gesetz des Geschehens selbst bedeutete, wenn
sie nicht der Ausdruck wäre für die Bestimmungen des reinen
Actus, welche eine einfache Beschaffenheit, wie die Wärme,
das Licht, die Schwere konstitutiv bedingen in jedem
dafür empfänglichen Stoffe.3 Als diese konstitutiven Bedingun-
gen sind die Formen ewig und unveränderlich; sie zu ent-

1 A. a. O. p. 173.
2 N. O. II, 2. T. II p. 133.
3 N. O. I, 51. Materia potius considerari debet et ejus schematismi et
metaschematismi, atque actus purus, et lex actus, sive motus. Formae enim
commenta animi humani sunt, nisi libeat leges illas actus formas appellare. --
N. O. II, 17. T. II p. 178. Nos enim, quum de formis loquimur, nil aliud
intelligimus, quam leges illas et determinationes actus puri, quae naturam ali-
quam simplicem ordinant et constituunt .... itaque eadem res est forma
calidi aut forma luminis, et lex calidi sive lex luminis.

Bacon: Gesetz und Form.
die Bewegung und die natürliche Notwendigkeit voraus. Der
Unterschied zwischen beiden liegt also in der Beschaffenheit der
Ursachen, auf welche sie reflektieren; für die Physik sind es nur
die wirkende Ursache und die Materie, für die Metaphysik die
Zweckursache und die Form. Erstere betrachtet Bacon als
etwas Unbestimmtes, nämlich abhängig von den gegebenen
äußeren Umständen, letztere als das Beständige an den Dingen,
welches ihre Wirkungsweise konstitutiv bedingt.1

Nähere Aufklärung gibt das Novum Organum. Unter jenen
vier Arten von Ursachen scheidet zunächst der Endzweck als
unfruchtbar aus; er stiftet in den Wissenschaften mehr Schaden
als Nutzen und kommt allein für die menschlichen Handlungen
in Betracht. An der Auffindung der „Form‟ glaubte man
verzweifeln zu müssen. Wirkende Ursache und Materie end-
lich beziehen sich nur auf die Oberfläche der Erscheinungen
und dringen nicht in die wahre Tiefe des Wissens, wenn sie
nicht in ihrer Beziehung zur Form erkannt werden. Denn
wenn auch in Wahrheit in der Natur nichts existiert außer
den Einzelkörpern mit ihren rein aktuellen Einzelwirkungen,
welche aus einem Gesetze fließen, so ist doch für die Er-
kenntnis jenes Gesetz und seine Erforschung, Aufsuchung
und Erklärung das Fundament, auf welchem Wissen wie Wir-
ken beruht. Dieses „Gesetz‟ und seine „Paragraphen‟ will
Bacon mit dem Namen der „Formen‟ bezeichnen.2 Die Form
wäre nur eine Erdichtung des menschlichen Geistes, wenn sie
nicht das Gesetz des Geschehens selbst bedeutete, wenn
sie nicht der Ausdruck wäre für die Bestimmungen des reinen
Actus, welche eine einfache Beschaffenheit, wie die Wärme,
das Licht, die Schwere konstitutiv bedingen in jedem
dafür empfänglichen Stoffe.3 Als diese konstitutiven Bedingun-
gen sind die Formen ewig und unveränderlich; sie zu ent-

1 A. a. O. p. 173.
2 N. O. II, 2. T. II p. 133.
3 N. O. I, 51. Materia potius considerari debet et ejus schematismi et
metaschematismi, atque actus purus, et lex actus, sive motus. Formae enim
commenta animi humani sunt, nisi libeat leges illas actus formas appellare. —
N. O. II, 17. T. II p. 178. Nos enim, quum de formis loquimur, nil aliud
intelligimus, quam leges illas et determinationes actus puri, quae naturam ali-
quam simplicem ordinant et constituunt .... itaque eadem res est forma
calidi aut forma luminis, et lex calidi sive lex luminis.
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[416/0434] Bacon: Gesetz und Form. die Bewegung und die natürliche Notwendigkeit voraus. Der Unterschied zwischen beiden liegt also in der Beschaffenheit der Ursachen, auf welche sie reflektieren; für die Physik sind es nur die wirkende Ursache und die Materie, für die Metaphysik die Zweckursache und die Form. Erstere betrachtet Bacon als etwas Unbestimmtes, nämlich abhängig von den gegebenen äußeren Umständen, letztere als das Beständige an den Dingen, welches ihre Wirkungsweise konstitutiv bedingt. 1 Nähere Aufklärung gibt das Novum Organum. Unter jenen vier Arten von Ursachen scheidet zunächst der Endzweck als unfruchtbar aus; er stiftet in den Wissenschaften mehr Schaden als Nutzen und kommt allein für die menschlichen Handlungen in Betracht. An der Auffindung der „Form‟ glaubte man verzweifeln zu müssen. Wirkende Ursache und Materie end- lich beziehen sich nur auf die Oberfläche der Erscheinungen und dringen nicht in die wahre Tiefe des Wissens, wenn sie nicht in ihrer Beziehung zur Form erkannt werden. Denn wenn auch in Wahrheit in der Natur nichts existiert außer den Einzelkörpern mit ihren rein aktuellen Einzelwirkungen, welche aus einem Gesetze fließen, so ist doch für die Er- kenntnis jenes Gesetz und seine Erforschung, Aufsuchung und Erklärung das Fundament, auf welchem Wissen wie Wir- ken beruht. Dieses „Gesetz‟ und seine „Paragraphen‟ will Bacon mit dem Namen der „Formen‟ bezeichnen. 2 Die Form wäre nur eine Erdichtung des menschlichen Geistes, wenn sie nicht das Gesetz des Geschehens selbst bedeutete, wenn sie nicht der Ausdruck wäre für die Bestimmungen des reinen Actus, welche eine einfache Beschaffenheit, wie die Wärme, das Licht, die Schwere konstitutiv bedingen in jedem dafür empfänglichen Stoffe. 3 Als diese konstitutiven Bedingun- gen sind die Formen ewig und unveränderlich; sie zu ent- 1 A. a. O. p. 173. 2 N. O. II, 2. T. II p. 133. 3 N. O. I, 51. Materia potius considerari debet et ejus schematismi et metaschematismi, atque actus purus, et lex actus, sive motus. Formae enim commenta animi humani sunt, nisi libeat leges illas actus formas appellare. — N. O. II, 17. T. II p. 178. Nos enim, quum de formis loquimur, nil aliud intelligimus, quam leges illas et determinationes actus puri, quae naturam ali- quam simplicem ordinant et constituunt .... itaque eadem res est forma calidi aut forma luminis, et lex calidi sive lex luminis.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/434>, abgerufen am 22.05.2024.