physik und die metaphysische Dichtung für Wissenschaft hält, rückschreitend zu verwischen. Der Fortschritt besteht in der Differenzierung der Begriffe, nicht in der Verschmelzung von Verstandes- und Gefühlselementen, wie sie bei Bruno vorliegt; selbst seine Kosmologie wäre nichts anderes geblieben, als eine geistvolle Phantasie, wenn nicht Kepler, Galilei und Newton die Weltkörperseelen in prosaische Zahlenbeziehungen aufgelöst hätten.
Wohl aber hat sich Bruno um jenen Fortschritt durch seine Diskussion der theoretischen Grundbegriffe verdient ge- macht, wenn er auch ihre erkenntniskritische Trennung weder vollziehen, noch ihre naturwissenschaftliche Anwendung lehren konnte. Daher steht er mit Recht neben Cusanus an der Spitze der neueren Philosophie durch seinen überraschenden Reichtum an Ideen, so daß von allen später hervorgetretenen Gedankenkreisen Spuren bei ihm gefunden werden können, wo sie in seinem lebhaften Geiste gewissermaßen in jener Keim- form liegen, wie er sich die Dinge der Wirklichkeit in der Einheit der göttlichen Substanz angelegt dachte.
Es ist daher nicht schwer, in seiner Monadenlehre Spuren derjenigen Formen aufzusuchen, welche späterhin in der Ent- wickelung der Atomistik auseinandertraten. Seine physika- lischen Atome, als trockene Stäubchen, d. h. als starre Körper- chen gedacht, können als Vorbilder der physikalischen Korpus- kulartheorie angesehen werden. Andrerseits ist sein Minimum dasjenige, was keine Teile gleicher Art mehr enthält, und be- deutet, physisch genommen, dasselbe, wie die Molekeln der neueren Chemie. Insofern die Monaden auf einander wirken können (was bei Bruno bekanntlich im Gegensatz zu Leibniz der Fall ist) und innere Kräfte besitzen, weisen sie auf die dynamische Atomistik hin. In Wahrheit repräsentieren sie allerdings nur die hylozoistische Atomistik, die seit Bruno niemals ganz ausgestorben ist. Der Zusammenhang aller Einzel- wesen in der Einheit der göttlichen Substanz kann auf Spinoza, die Vielheit der sich selbst entfaltenden Substanzen auf Leibniz gedeutet werden. Man kann aber auch noch weiter bemerken, daß die beiden fundamentalen Gedanken, welche das Zusammen der Atome zu begründen suchen, bei Bruno in noch ungesich- teter Form zu finden sind; daß sie bei ihm noch nicht ge-
G. Bruno: Verdienste. Nachwirkung.
physik und die metaphysische Dichtung für Wissenschaft hält, rückschreitend zu verwischen. Der Fortschritt besteht in der Differenzierung der Begriffe, nicht in der Verschmelzung von Verstandes- und Gefühlselementen, wie sie bei Bruno vorliegt; selbst seine Kosmologie wäre nichts anderes geblieben, als eine geistvolle Phantasie, wenn nicht Kepler, Galilei und Newton die Weltkörperseelen in prosaische Zahlenbeziehungen aufgelöst hätten.
Wohl aber hat sich Bruno um jenen Fortschritt durch seine Diskussion der theoretischen Grundbegriffe verdient ge- macht, wenn er auch ihre erkenntniskritische Trennung weder vollziehen, noch ihre naturwissenschaftliche Anwendung lehren konnte. Daher steht er mit Recht neben Cusanus an der Spitze der neueren Philosophie durch seinen überraschenden Reichtum an Ideen, so daß von allen später hervorgetretenen Gedankenkreisen Spuren bei ihm gefunden werden können, wo sie in seinem lebhaften Geiste gewissermaßen in jener Keim- form liegen, wie er sich die Dinge der Wirklichkeit in der Einheit der göttlichen Substanz angelegt dachte.
Es ist daher nicht schwer, in seiner Monadenlehre Spuren derjenigen Formen aufzusuchen, welche späterhin in der Ent- wickelung der Atomistik auseinandertraten. Seine physika- lischen Atome, als trockene Stäubchen, d. h. als starre Körper- chen gedacht, können als Vorbilder der physikalischen Korpus- kulartheorie angesehen werden. Andrerseits ist sein Minimum dasjenige, was keine Teile gleicher Art mehr enthält, und be- deutet, physisch genommen, dasselbe, wie die Molekeln der neueren Chemie. Insofern die Monaden auf einander wirken können (was bei Bruno bekanntlich im Gegensatz zu Leibniz der Fall ist) und innere Kräfte besitzen, weisen sie auf die dynamische Atomistik hin. In Wahrheit repräsentieren sie allerdings nur die hylozoistische Atomistik, die seit Bruno niemals ganz ausgestorben ist. Der Zusammenhang aller Einzel- wesen in der Einheit der göttlichen Substanz kann auf Spinoza, die Vielheit der sich selbst entfaltenden Substanzen auf Leibniz gedeutet werden. Man kann aber auch noch weiter bemerken, daß die beiden fundamentalen Gedanken, welche das Zusammen der Atome zu begründen suchen, bei Bruno in noch ungesich- teter Form zu finden sind; daß sie bei ihm noch nicht ge-
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G. Bruno: Verdienste. Nachwirkung.
physik und die metaphysische Dichtung für Wissenschaft hält,
rückschreitend zu verwischen. Der Fortschritt besteht in der
Differenzierung der Begriffe, nicht in der Verschmelzung von
Verstandes- und Gefühlselementen, wie sie bei Bruno vorliegt;
selbst seine Kosmologie wäre nichts anderes geblieben, als eine
geistvolle Phantasie, wenn nicht Kepler, Galilei und Newton
die Weltkörperseelen in prosaische Zahlenbeziehungen aufgelöst
hätten.
Wohl aber hat sich Bruno um jenen Fortschritt durch
seine Diskussion der theoretischen Grundbegriffe verdient ge-
macht, wenn er auch ihre erkenntniskritische Trennung weder
vollziehen, noch ihre naturwissenschaftliche Anwendung lehren
konnte. Daher steht er mit Recht neben Cusanus an der
Spitze der neueren Philosophie durch seinen überraschenden
Reichtum an Ideen, so daß von allen später hervorgetretenen
Gedankenkreisen Spuren bei ihm gefunden werden können, wo
sie in seinem lebhaften Geiste gewissermaßen in jener Keim-
form liegen, wie er sich die Dinge der Wirklichkeit in der
Einheit der göttlichen Substanz angelegt dachte.
Es ist daher nicht schwer, in seiner Monadenlehre Spuren
derjenigen Formen aufzusuchen, welche späterhin in der Ent-
wickelung der Atomistik auseinandertraten. Seine physika-
lischen Atome, als trockene Stäubchen, d. h. als starre Körper-
chen gedacht, können als Vorbilder der physikalischen Korpus-
kulartheorie angesehen werden. Andrerseits ist sein Minimum
dasjenige, was keine Teile gleicher Art mehr enthält, und be-
deutet, physisch genommen, dasselbe, wie die Molekeln der
neueren Chemie. Insofern die Monaden auf einander wirken
können (was bei Bruno bekanntlich im Gegensatz zu Leibniz
der Fall ist) und innere Kräfte besitzen, weisen sie auf die
dynamische Atomistik hin. In Wahrheit repräsentieren sie
allerdings nur die hylozoistische Atomistik, die seit Bruno
niemals ganz ausgestorben ist. Der Zusammenhang aller Einzel-
wesen in der Einheit der göttlichen Substanz kann auf Spinoza,
die Vielheit der sich selbst entfaltenden Substanzen auf Leibniz
gedeutet werden. Man kann aber auch noch weiter bemerken,
daß die beiden fundamentalen Gedanken, welche das Zusammen
der Atome zu begründen suchen, bei Bruno in noch ungesich-
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/417>, abgerufen am 22.11.2024.
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