Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Lactantius: Nichts wird aus Atomen.
aus der Saat Getreide wird. Und wenn denn alles durch das
Zusammentreffen und -ballen der Atome bewirkt wird, könnte
dann nicht auch alles in der Luft entstehen, zumal wenn die
Atome durchs Leere fliegen? Warum kann ohne Erde, ohne
Wurzel, ohne Feuchtigkeit, ohne Samen kein Kraut, kein
Baum, keine Frucht erzeugt werden? Daher ist es klar, daß
nichts aus Atomen sich bilde, insofern jedes Ding seine eigene
bestimmte Natur habe, seinen Samen, sein von Anfang an
gegebenes Gesetz.

Endlich hat sich Lukrez, gleichsam der Atome, die er be-
hauptete, vergessend, zur Widerlegung derjenigen, welche
alles aus nichts werden lassen, folgender gegen ihn selbst
sprechenden Argumente bedient:

Würden die Dinge aus nichts, so könnte aus jedem von ihnen
Jegliche Gattung entstehen, und nichts bedürfte des Samens.

Und weiterhin:

Nichts kann werden aus nichts, dies also muß man bekennen.
Eines Samens bedürfen die Dinge zu ihrer Erzeugung,
Aufzusprießen durch ihn zum milden Hauche der Lüfte.1

Ist es glaublich, daß dieser Mensch ein Gehirn gehabt hat,
als er dergleichen sagte, ohne zu merken, daß es gerade gegen
ihn spricht? Denn daß nichts aus Atomen werde, erhellt eben
aus der Thatsache, daß jedes Ding seinen bestimmten Samen hat.

Sollen wir nun glauben, daß auch das Wesen des Feuers
und des Wassers aus Atomen besteht? Etwa weil sich Feuer
herausschlagen läßt, wenn man Stoffe von großer Härte heftig
zusammenstößt? Sind wohl gar im Eisen oder Kiesel Atome
verborgen? Wer hat sie dort eingeschlossen? Warum springen
sie nicht von selbst hervor, oder wie konnten die Feuerkeime
in jenem äußerst kalten Stoffe verharren? Aber Kiesel und
Eisen mögen auf sich beruhen: Durch eine gläserne, mit Wasser
gefüllte Kugel wird, wenn man sie in die Sonne hält, von
dem Lichte, das von dem Wasser widerstrahlt, Feuer ange-
zündet, selbst in der härtesten Kälte. Soll man etwa auch

1 Lucretius, De natura rerum. l. I, v. 159, 160 und v. 205--207.

Lactantius: Nichts wird aus Atomen.
aus der Saat Getreide wird. Und wenn denn alles durch das
Zusammentreffen und -ballen der Atome bewirkt wird, könnte
dann nicht auch alles in der Luft entstehen, zumal wenn die
Atome durchs Leere fliegen? Warum kann ohne Erde, ohne
Wurzel, ohne Feuchtigkeit, ohne Samen kein Kraut, kein
Baum, keine Frucht erzeugt werden? Daher ist es klar, daß
nichts aus Atomen sich bilde, insofern jedes Ding seine eigene
bestimmte Natur habe, seinen Samen, sein von Anfang an
gegebenes Gesetz.

Endlich hat sich Lukrez, gleichsam der Atome, die er be-
hauptete, vergessend, zur Widerlegung derjenigen, welche
alles aus nichts werden lassen, folgender gegen ihn selbst
sprechenden Argumente bedient:

Würden die Dinge aus nichts, so könnte aus jedem von ihnen
Jegliche Gattung entstehen, und nichts bedürfte des Samens.

Und weiterhin:

Nichts kann werden aus nichts, dies also muß man bekennen.
Eines Samens bedürfen die Dinge zu ihrer Erzeugung,
Aufzusprießen durch ihn zum milden Hauche der Lüfte.1

Ist es glaublich, daß dieser Mensch ein Gehirn gehabt hat,
als er dergleichen sagte, ohne zu merken, daß es gerade gegen
ihn spricht? Denn daß nichts aus Atomen werde, erhellt eben
aus der Thatsache, daß jedes Ding seinen bestimmten Samen hat.

Sollen wir nun glauben, daß auch das Wesen des Feuers
und des Wassers aus Atomen besteht? Etwa weil sich Feuer
herausschlagen läßt, wenn man Stoffe von großer Härte heftig
zusammenstößt? Sind wohl gar im Eisen oder Kiesel Atome
verborgen? Wer hat sie dort eingeschlossen? Warum springen
sie nicht von selbst hervor, oder wie konnten die Feuerkeime
in jenem äußerst kalten Stoffe verharren? Aber Kiesel und
Eisen mögen auf sich beruhen: Durch eine gläserne, mit Wasser
gefüllte Kugel wird, wenn man sie in die Sonne hält, von
dem Lichte, das von dem Wasser widerstrahlt, Feuer ange-
zündet, selbst in der härtesten Kälte. Soll man etwa auch

1 Lucretius, De natura rerum. l. I, v. 159, 160 und v. 205—207.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0039" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Lactantius</hi>: Nichts wird aus Atomen.</fw><lb/>
aus der Saat Getreide wird. Und wenn denn alles durch das<lb/>
Zusammentreffen und -ballen der Atome bewirkt wird, könnte<lb/>
dann nicht auch alles in der Luft entstehen, zumal wenn die<lb/>
Atome durchs Leere fliegen? Warum kann ohne Erde, ohne<lb/>
Wurzel, ohne Feuchtigkeit, ohne Samen kein Kraut, kein<lb/>
Baum, keine Frucht erzeugt werden? Daher ist es klar, daß<lb/>
nichts aus Atomen sich bilde, insofern jedes Ding seine eigene<lb/>
bestimmte Natur habe, seinen Samen, sein von Anfang an<lb/>
gegebenes Gesetz.</p><lb/>
            <p>Endlich hat sich <hi rendition="#k">Lukrez</hi>, gleichsam der Atome, die er be-<lb/>
hauptete, vergessend, zur Widerlegung derjenigen, welche<lb/>
alles aus nichts werden lassen, folgender gegen ihn selbst<lb/>
sprechenden Argumente bedient:</p><lb/>
            <cit>
              <quote>Würden die Dinge aus nichts, so könnte aus jedem von ihnen<lb/>
Jegliche Gattung entstehen, und nichts bedürfte des Samens.</quote>
            </cit><lb/>
            <p>Und weiterhin:</p><lb/>
            <cit>
              <quote>Nichts kann werden aus nichts, dies also muß man bekennen.<lb/>
Eines Samens bedürfen die Dinge zu ihrer Erzeugung,<lb/>
Aufzusprießen durch ihn zum milden Hauche der Lüfte.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#k">Lucretius</hi>, <hi rendition="#i">De natura rerum.</hi> l. I, v. 159, 160 und v. 205&#x2014;207.</note></quote>
            </cit><lb/>
            <p>Ist es glaublich, daß dieser Mensch ein Gehirn gehabt hat,<lb/>
als er dergleichen sagte, ohne zu merken, daß es gerade gegen<lb/>
ihn spricht? Denn daß nichts aus Atomen werde, erhellt eben<lb/>
aus der Thatsache, daß jedes Ding seinen bestimmten Samen hat.</p><lb/>
            <p>Sollen wir nun glauben, daß auch das Wesen des Feuers<lb/>
und des Wassers aus Atomen besteht? Etwa weil sich Feuer<lb/>
herausschlagen läßt, wenn man Stoffe von großer Härte heftig<lb/>
zusammenstößt? Sind wohl gar im Eisen oder Kiesel Atome<lb/>
verborgen? Wer hat sie dort eingeschlossen? Warum springen<lb/>
sie nicht von selbst hervor, oder wie konnten die Feuerkeime<lb/>
in jenem äußerst kalten Stoffe verharren? Aber Kiesel und<lb/>
Eisen mögen auf sich beruhen: Durch eine gläserne, mit Wasser<lb/>
gefüllte Kugel wird, wenn man sie in die Sonne hält, von<lb/>
dem Lichte, das von dem Wasser widerstrahlt, Feuer ange-<lb/>
zündet, selbst in der härtesten Kälte. Soll man etwa auch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0039] Lactantius: Nichts wird aus Atomen. aus der Saat Getreide wird. Und wenn denn alles durch das Zusammentreffen und -ballen der Atome bewirkt wird, könnte dann nicht auch alles in der Luft entstehen, zumal wenn die Atome durchs Leere fliegen? Warum kann ohne Erde, ohne Wurzel, ohne Feuchtigkeit, ohne Samen kein Kraut, kein Baum, keine Frucht erzeugt werden? Daher ist es klar, daß nichts aus Atomen sich bilde, insofern jedes Ding seine eigene bestimmte Natur habe, seinen Samen, sein von Anfang an gegebenes Gesetz. Endlich hat sich Lukrez, gleichsam der Atome, die er be- hauptete, vergessend, zur Widerlegung derjenigen, welche alles aus nichts werden lassen, folgender gegen ihn selbst sprechenden Argumente bedient: Würden die Dinge aus nichts, so könnte aus jedem von ihnen Jegliche Gattung entstehen, und nichts bedürfte des Samens. Und weiterhin: Nichts kann werden aus nichts, dies also muß man bekennen. Eines Samens bedürfen die Dinge zu ihrer Erzeugung, Aufzusprießen durch ihn zum milden Hauche der Lüfte. 1 Ist es glaublich, daß dieser Mensch ein Gehirn gehabt hat, als er dergleichen sagte, ohne zu merken, daß es gerade gegen ihn spricht? Denn daß nichts aus Atomen werde, erhellt eben aus der Thatsache, daß jedes Ding seinen bestimmten Samen hat. Sollen wir nun glauben, daß auch das Wesen des Feuers und des Wassers aus Atomen besteht? Etwa weil sich Feuer herausschlagen läßt, wenn man Stoffe von großer Härte heftig zusammenstößt? Sind wohl gar im Eisen oder Kiesel Atome verborgen? Wer hat sie dort eingeschlossen? Warum springen sie nicht von selbst hervor, oder wie konnten die Feuerkeime in jenem äußerst kalten Stoffe verharren? Aber Kiesel und Eisen mögen auf sich beruhen: Durch eine gläserne, mit Wasser gefüllte Kugel wird, wenn man sie in die Sonne hält, von dem Lichte, das von dem Wasser widerstrahlt, Feuer ange- zündet, selbst in der härtesten Kälte. Soll man etwa auch 1 Lucretius, De natura rerum. l. I, v. 159, 160 und v. 205—207.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/39
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/39>, abgerufen am 16.04.2024.