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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Van Helmont: Urflüssigkeit und Urferment.
rien der Materie in eine neue Epoche treten, bilden die Meister
der chemischen Schule, unter ihnen als bedeutenster Joh. Bapt.
van Helmont
(1577--1644).

4. Van Helmont.

Van Helmont verwirft die Physik des Aristoteles, sowie die
Arzneikunst des Galenus und die Grundsubstanzen des Paracelsus.
Er will sich, nachdem er vergeblich nach Erkenntnis in Büchern
gesucht, allein auf die Natur verlassen. Was die chemische Ana-
lyse ihn lehrt, das glaubt er in der heiligen Schrift bestätigt
zu finden; und während er sich in der experimentierenden Phy-
sik und Chemie große Verdienste erwirbt, verliert sich seine
Philosophie in Mysticismus. Der Grundzug von Helmonts
Lehre ist der Satz, daß die Werke der Natur niemals durch
äussere Ursachen, welche höchstens anregend (als causa excitans)
wirken, sondern allein durch innere Ursachen zustande kommen,
daß also die ganze Welt von einem inneren Leben getragen,
von einem inneren Verstande geleitet werde. Dieser inneren
Ursachen sind zwei, der Stoff oder die äußere Materie und
das innere Lebensprinzip.1 Der äußere Stoff ist eine Flüssig-
keit, fluor generativus, sie ist die Substanz aller Dinge; das ge-
staltende Prinzip ist das samenerzeugende Urferment, eine ur-
sprünglich vom Schöpfer in die Natur gelegte Kraft. Als jene
Flüssigkeit kann man das Wasser ansehen, denn dieses ist das
ursprünglichste Element, in welches die übrigen Körper über-
geführt werden können. Jenes innere Lebensprinzip aber darf
nicht verwechselt werden mit dem Samen, welcher mit den
Dingen, in denen er liegt, vergeht; sondern es ist die unver-
tilgbare Zeugungskraft der Elemente, das Urferment. Aus
diesem selbst erst entwickelt sich der Lebenshauch, die aura
seminalis
, welche allen Dingen, sie mögen noch so hart und
dicht sein, innewohnt und in ihrer Verbindung mit der inneren
Bildungskraft (imago seminalis) den Archeus, den Bildner und
Werkmeister aller Naturerzeugnisse, vorstellt.2 Demnach sind

1 Ich citiere nach: Ortus medicinae id est Initia physicae inaudita etc.
Amsterodami 1652. 4. (Erste Ed. 1648.) Causae et initia naturalium p. 27, 28.
2 Archeus faber § 4. p. 33.

Van Helmont: Urflüssigkeit und Urferment.
rien der Materie in eine neue Epoche treten, bilden die Meister
der chemischen Schule, unter ihnen als bedeutenster Joh. Bapt.
van Helmont
(1577—1644).

4. Van Helmont.

Van Helmont verwirft die Physik des Aristoteles, sowie die
Arzneikunst des Galenus und die Grundsubstanzen des Paracelsus.
Er will sich, nachdem er vergeblich nach Erkenntnis in Büchern
gesucht, allein auf die Natur verlassen. Was die chemische Ana-
lyse ihn lehrt, das glaubt er in der heiligen Schrift bestätigt
zu finden; und während er sich in der experimentierenden Phy-
sik und Chemie große Verdienste erwirbt, verliert sich seine
Philosophie in Mysticismus. Der Grundzug von Helmonts
Lehre ist der Satz, daß die Werke der Natur niemals durch
äussere Ursachen, welche höchstens anregend (als causa excitans)
wirken, sondern allein durch innere Ursachen zustande kommen,
daß also die ganze Welt von einem inneren Leben getragen,
von einem inneren Verstande geleitet werde. Dieser inneren
Ursachen sind zwei, der Stoff oder die äußere Materie und
das innere Lebensprinzip.1 Der äußere Stoff ist eine Flüssig-
keit, fluor generativus, sie ist die Substanz aller Dinge; das ge-
staltende Prinzip ist das samenerzeugende Urferment, eine ur-
sprünglich vom Schöpfer in die Natur gelegte Kraft. Als jene
Flüssigkeit kann man das Wasser ansehen, denn dieses ist das
ursprünglichste Element, in welches die übrigen Körper über-
geführt werden können. Jenes innere Lebensprinzip aber darf
nicht verwechselt werden mit dem Samen, welcher mit den
Dingen, in denen er liegt, vergeht; sondern es ist die unver-
tilgbare Zeugungskraft der Elemente, das Urferment. Aus
diesem selbst erst entwickelt sich der Lebenshauch, die aura
seminalis
, welche allen Dingen, sie mögen noch so hart und
dicht sein, innewohnt und in ihrer Verbindung mit der inneren
Bildungskraft (imago seminalis) den Archëus, den Bildner und
Werkmeister aller Naturerzeugnisse, vorstellt.2 Demnach sind

1 Ich citiere nach: Ortus medicinae id est Initia physicae inaudita etc.
Amsterodami 1652. 4. (Erste Ed. 1648.) Causae et initia naturalium p. 27, 28.
2 Archeus faber § 4. p. 33.
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[343/0361] Van Helmont: Urflüssigkeit und Urferment. rien der Materie in eine neue Epoche treten, bilden die Meister der chemischen Schule, unter ihnen als bedeutenster Joh. Bapt. van Helmont (1577—1644). 4. Van Helmont. Van Helmont verwirft die Physik des Aristoteles, sowie die Arzneikunst des Galenus und die Grundsubstanzen des Paracelsus. Er will sich, nachdem er vergeblich nach Erkenntnis in Büchern gesucht, allein auf die Natur verlassen. Was die chemische Ana- lyse ihn lehrt, das glaubt er in der heiligen Schrift bestätigt zu finden; und während er sich in der experimentierenden Phy- sik und Chemie große Verdienste erwirbt, verliert sich seine Philosophie in Mysticismus. Der Grundzug von Helmonts Lehre ist der Satz, daß die Werke der Natur niemals durch äussere Ursachen, welche höchstens anregend (als causa excitans) wirken, sondern allein durch innere Ursachen zustande kommen, daß also die ganze Welt von einem inneren Leben getragen, von einem inneren Verstande geleitet werde. Dieser inneren Ursachen sind zwei, der Stoff oder die äußere Materie und das innere Lebensprinzip. 1 Der äußere Stoff ist eine Flüssig- keit, fluor generativus, sie ist die Substanz aller Dinge; das ge- staltende Prinzip ist das samenerzeugende Urferment, eine ur- sprünglich vom Schöpfer in die Natur gelegte Kraft. Als jene Flüssigkeit kann man das Wasser ansehen, denn dieses ist das ursprünglichste Element, in welches die übrigen Körper über- geführt werden können. Jenes innere Lebensprinzip aber darf nicht verwechselt werden mit dem Samen, welcher mit den Dingen, in denen er liegt, vergeht; sondern es ist die unver- tilgbare Zeugungskraft der Elemente, das Urferment. Aus diesem selbst erst entwickelt sich der Lebenshauch, die aura seminalis, welche allen Dingen, sie mögen noch so hart und dicht sein, innewohnt und in ihrer Verbindung mit der inneren Bildungskraft (imago seminalis) den Archëus, den Bildner und Werkmeister aller Naturerzeugnisse, vorstellt. 2 Demnach sind 1 Ich citiere nach: Ortus medicinae id est Initia physicae inaudita etc. Amsterodami 1652. 4. (Erste Ed. 1648.) Causae et initia naturalium p. 27, 28. 2 Archeus faber § 4. p. 33.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/361>, abgerufen am 18.05.2024.