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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Fracastoro: Die Ausströmungen.
zu erklären, greift er auf die Lehre des Empedokles zurück,
daß von den Körpern unmerklich kleine Teilchen sich loslösen
und in die Öffnungen andrer Körper einströmen. Da Fracastoro
nur eine Wirkung durch Berührung kennt, so nimmt er zur
Erklärung der Distanzwirkung körperliche Auströmungen an.
Dieselben seien jedoch in andrer Weise zu fassen, als die
Atome des Demokrit, Epikur und Lucrez. Die Art und Weise
der Lehren dieser Atomiker sei roh und unpassend genug
gewesen; sie zu widerlegen verzichtet Fracastoro unter Be-
rufung auf Alexander Aphrodisiensis und Galenus. Aber
wohl sei es richtig, daß unmerkliche Körperchen von den
Dingen ausströmen: diese werden von einem zum andern
Körper hin- und hergetrieben, so daß durch dieselben aus
den Teilen, obwohl diese von verschiedener Form sind, doch
gewissermaßen ein Ganzes und Einziges entsteht.1 Es ist das
gegenseitige Einströmen der Teilchen und die lebhafte Bewe-
gung derselben im Ganzen, was die Einheit desselben aus-
macht und die Sympathie und Antipathie der Körper erklärt.

Es sind demnach wirklich korpuskulartheoretische Vor-
stellungen, welche Fracastoro zur Erklärung der Wirkungen
in der Körperwelt dienen. Spielen auch noch psychische
Kräfte die Rolle der Bewegungsursache, so wird doch der
sinnliche Vorgang selbst mechanisch zu deuten versucht. Seine
Theorie der Distanzwirkung hat anregend auf D. Sennert
gewirkt. Wie in der Lehre des Empedokles die Atomistik
bereits in ausgeprägtem Keime lag, so regen sich auch jetzt
im Anschluß an die erneuerte griechische Philosophie vor
einer eigentlichen Wiedererweckung der Atomistik verwandte
und vorbereitende Gedanken.

1 Fracastorius. Opera omnia. Venet. 1555. 4. p. 82. De sympathia et
antipathia
cap. 5: Quum nulla actio fieri potest nisi per contactum, similia
autem haec non sese tangunt, nec per naturam moventur unum ad aliud,
necesse est, si applicari invicem debent, demitti aliquid ab uno ad aliud, quod
proxime tangat, et ejus applicationis principium sit: hoc autem aut corpus
erit, aut forma aliqua simplex materialis vel spiritualis ... Verummodo
receptis Athomorum effluxionibus nos modum alium tradere posse videmur,
quo attractio similium fiat ... Supposito igitur, quod a rebus effluant insen-
sibilia corpora, dicimus, ab uno ad aliud reciproce transmitti ea corpuscula,
e quibus totum quoddam sit atque unum, verum difforme in partibus. -- Cap.
2 verwirft Fracastoro die Existenz eines Vacuums.
20*

Fracastoro: Die Ausströmungen.
zu erklären, greift er auf die Lehre des Empedokles zurück,
daß von den Körpern unmerklich kleine Teilchen sich loslösen
und in die Öffnungen andrer Körper einströmen. Da Fracastoro
nur eine Wirkung durch Berührung kennt, so nimmt er zur
Erklärung der Distanzwirkung körperliche Auströmungen an.
Dieselben seien jedoch in andrer Weise zu fassen, als die
Atome des Demokrit, Epikur und Lucrez. Die Art und Weise
der Lehren dieser Atomiker sei roh und unpassend genug
gewesen; sie zu widerlegen verzichtet Fracastoro unter Be-
rufung auf Alexander Aphrodisiensis und Galenus. Aber
wohl sei es richtig, daß unmerkliche Körperchen von den
Dingen ausströmen: diese werden von einem zum andern
Körper hin- und hergetrieben, so daß durch dieselben aus
den Teilen, obwohl diese von verschiedener Form sind, doch
gewissermaßen ein Ganzes und Einziges entsteht.1 Es ist das
gegenseitige Einströmen der Teilchen und die lebhafte Bewe-
gung derselben im Ganzen, was die Einheit desselben aus-
macht und die Sympathie und Antipathie der Körper erklärt.

Es sind demnach wirklich korpuskulartheoretische Vor-
stellungen, welche Fracastoro zur Erklärung der Wirkungen
in der Körperwelt dienen. Spielen auch noch psychische
Kräfte die Rolle der Bewegungsursache, so wird doch der
sinnliche Vorgang selbst mechanisch zu deuten versucht. Seine
Theorie der Distanzwirkung hat anregend auf D. Sennert
gewirkt. Wie in der Lehre des Empedokles die Atomistik
bereits in ausgeprägtem Keime lag, so regen sich auch jetzt
im Anschluß an die erneuerte griechische Philosophie vor
einer eigentlichen Wiedererweckung der Atomistik verwandte
und vorbereitende Gedanken.

1 Fracastorius. Opera omnia. Venet. 1555. 4. p. 82. De sympathia et
antipathia
cap. 5: Quum nulla actio fieri potest nisi per contactum, similia
autem haec non sese tangunt, nec per naturam moventur unum ad aliud,
necesse est, si applicari invicem debent, demitti aliquid ab uno ad aliud, quod
proxime tangat, et ejus applicationis principium sit: hoc autem aut corpus
erit, aut forma aliqua simplex materialis vel spiritualis … Verummodo
receptis Athomorum effluxionibus nos modum alium tradere posse videmur,
quo attractio similium fiat … Supposito igitur, quod a rebus effluant insen-
sibilia corpora, dicimus, ab uno ad aliud reciproce transmitti ea corpuscula,
e quibus totum quoddam sit atque unum, verum difforme in partibus. — Cap.
2 verwirft Fracastoro die Existenz eines Vacuums.
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[307/0325] Fracastoro: Die Ausströmungen. zu erklären, greift er auf die Lehre des Empedokles zurück, daß von den Körpern unmerklich kleine Teilchen sich loslösen und in die Öffnungen andrer Körper einströmen. Da Fracastoro nur eine Wirkung durch Berührung kennt, so nimmt er zur Erklärung der Distanzwirkung körperliche Auströmungen an. Dieselben seien jedoch in andrer Weise zu fassen, als die Atome des Demokrit, Epikur und Lucrez. Die Art und Weise der Lehren dieser Atomiker sei roh und unpassend genug gewesen; sie zu widerlegen verzichtet Fracastoro unter Be- rufung auf Alexander Aphrodisiensis und Galenus. Aber wohl sei es richtig, daß unmerkliche Körperchen von den Dingen ausströmen: diese werden von einem zum andern Körper hin- und hergetrieben, so daß durch dieselben aus den Teilen, obwohl diese von verschiedener Form sind, doch gewissermaßen ein Ganzes und Einziges entsteht. 1 Es ist das gegenseitige Einströmen der Teilchen und die lebhafte Bewe- gung derselben im Ganzen, was die Einheit desselben aus- macht und die Sympathie und Antipathie der Körper erklärt. Es sind demnach wirklich korpuskulartheoretische Vor- stellungen, welche Fracastoro zur Erklärung der Wirkungen in der Körperwelt dienen. Spielen auch noch psychische Kräfte die Rolle der Bewegungsursache, so wird doch der sinnliche Vorgang selbst mechanisch zu deuten versucht. Seine Theorie der Distanzwirkung hat anregend auf D. Sennert gewirkt. Wie in der Lehre des Empedokles die Atomistik bereits in ausgeprägtem Keime lag, so regen sich auch jetzt im Anschluß an die erneuerte griechische Philosophie vor einer eigentlichen Wiedererweckung der Atomistik verwandte und vorbereitende Gedanken. 1 Fracastorius. Opera omnia. Venet. 1555. 4. p. 82. De sympathia et antipathia cap. 5: Quum nulla actio fieri potest nisi per contactum, similia autem haec non sese tangunt, nec per naturam moventur unum ad aliud, necesse est, si applicari invicem debent, demitti aliquid ab uno ad aliud, quod proxime tangat, et ejus applicationis principium sit: hoc autem aut corpus erit, aut forma aliqua simplex materialis vel spiritualis … Verummodo receptis Athomorum effluxionibus nos modum alium tradere posse videmur, quo attractio similium fiat … Supposito igitur, quod a rebus effluant insen- sibilia corpora, dicimus, ab uno ad aliud reciproce transmitti ea corpuscula, e quibus totum quoddam sit atque unum, verum difforme in partibus. — Cap. 2 verwirft Fracastoro die Existenz eines Vacuums. 20*

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/325>, abgerufen am 22.11.2024.