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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Cusanus: Das Atom.
zu bringen, erzeugt der Geist den Punkt als Grenze der Linie,
die Linie als Grenze der Fläche, die Fläche als Grenze des
Körpers und schafft dadurch die Möglichkeit, alles zu
messen. Der Punkt selbst, als Grenze der Linie, ist unteilbar.
Aus unteilbaren, größenlosen Punkten kann nun freilich keine
Größe entstehen, aber obwohl in Wahrheit in der Linie sich
nichts findet als der Punkt, so entsteht doch in ihr eine Aus-
dehnung infolge der Variabilität der Materie. Seine
Annahme von der Unmöglichkeit absolut gleicher Dinge setzt
Nicolaus in den Stand, von dem unausgedehnten Punkte zur
ausgedehnten Linie zu kommen. Wie aus mehreren Einheiten --
obwohl es (begrifflich) doch nur eine Einheit gibt -- sich
wegen der Verschiedenheit der Gegenstände die Zahl zusammen-
setzt, so auch die Raumgröße aus Punkten wegen der Ver-
schiedenheit des materiellen Substrats. Die Linie ist daher
die Evolution des Punktes. Mit dem Punkte fällt alle
Größe, wie alle Vielheit mit der Zahl. Evolution aber heißt
Entfaltung, explicatio; sie ist das Sein ein und desselben Punktes
in mehreren Atomen. So wie in den verschiedenen weißen
Dingen dieselbe Weiße ist, so ist in den verschiedenen Atomen
der Punkt ein und derselbe.1 Hierdurch wird aus dem Begriff
des mathematischen Punktes der Übergang zu der Menge der
wirklichen physikalischen Atome gewonnen. Dies wird weiter
folgendermaßen erläutert. Gemäß der Betrachtung durch den
Geist wird das Kontinuum in immer wieder teilbare Teile zer-
legt und die Vielheit wächst ins Unendliche, aber beim wirk-
lichen
Teilen gelangt man zu einem aktuell Unteilbaren,
welches Cusanus Atom nennt. Er versteht darunter eine end-
liche Größe (Quantität), welche ihrer Kleinheit wegen actu
nicht mehr teilbar ist.2 So hat auch die Vielheit zwar für
die Betrachtung des Geistes kein Ende, aktuell aber ist sie
begrenzt, wenn auch die Zahl, welche die Vielheit der Dinge
angibt, uns unbekannt bleibt. Ebenso, wie die Linie als Expli-
kation des Punktes, die Zahl als Explikation der Einheit, so

1 A. a. O. -- Dasselbe De ludo globi 1. I. p. 211.
2 A. a. O. Secundum mentis considerationem continuum dividitur in semper
divisibile et multitudo crescit in infinitum, sed actu dividendo ad partem actu
indivisibilem devenitur, quam atomum appello. Est enim atomus quantitas,
ob sui parvitatem actu indivisibilis. Vgl. De ludo globi 1. I. p. 211.

Cusanus: Das Atom.
zu bringen, erzeugt der Geist den Punkt als Grenze der Linie,
die Linie als Grenze der Fläche, die Fläche als Grenze des
Körpers und schafft dadurch die Möglichkeit, alles zu
messen. Der Punkt selbst, als Grenze der Linie, ist unteilbar.
Aus unteilbaren, größenlosen Punkten kann nun freilich keine
Größe entstehen, aber obwohl in Wahrheit in der Linie sich
nichts findet als der Punkt, so entsteht doch in ihr eine Aus-
dehnung infolge der Variabilität der Materie. Seine
Annahme von der Unmöglichkeit absolut gleicher Dinge setzt
Nicolaus in den Stand, von dem unausgedehnten Punkte zur
ausgedehnten Linie zu kommen. Wie aus mehreren Einheiten —
obwohl es (begrifflich) doch nur eine Einheit gibt — sich
wegen der Verschiedenheit der Gegenstände die Zahl zusammen-
setzt, so auch die Raumgröße aus Punkten wegen der Ver-
schiedenheit des materiellen Substrats. Die Linie ist daher
die Evolution des Punktes. Mit dem Punkte fällt alle
Größe, wie alle Vielheit mit der Zahl. Evolution aber heißt
Entfaltung, explicatio; sie ist das Sein ein und desselben Punktes
in mehreren Atomen. So wie in den verschiedenen weißen
Dingen dieselbe Weiße ist, so ist in den verschiedenen Atomen
der Punkt ein und derselbe.1 Hierdurch wird aus dem Begriff
des mathematischen Punktes der Übergang zu der Menge der
wirklichen physikalischen Atome gewonnen. Dies wird weiter
folgendermaßen erläutert. Gemäß der Betrachtung durch den
Geist wird das Kontinuum in immer wieder teilbare Teile zer-
legt und die Vielheit wächst ins Unendliche, aber beim wirk-
lichen
Teilen gelangt man zu einem aktuell Unteilbaren,
welches Cusanus Atom nennt. Er versteht darunter eine end-
liche Größe (Quantität), welche ihrer Kleinheit wegen actu
nicht mehr teilbar ist.2 So hat auch die Vielheit zwar für
die Betrachtung des Geistes kein Ende, aktuell aber ist sie
begrenzt, wenn auch die Zahl, welche die Vielheit der Dinge
angibt, uns unbekannt bleibt. Ebenso, wie die Linie als Expli-
kation des Punktes, die Zahl als Explikation der Einheit, so

1 A. a. O. — Dasselbe De ludo globi 1. I. p. 211.
2 A. a. O. Secundum mentis considerationem continuum dividitur in semper
divisibile et multitudo crescit in infinitum, sed actu dividendo ad partem actu
indivisibilem devenitur, quam atomum appello. Est enim atomus quantitas,
ob sui parvitatem actu indivisibilis. Vgl. De ludo globi 1. I. p. 211.
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[277/0295] Cusanus: Das Atom. zu bringen, erzeugt der Geist den Punkt als Grenze der Linie, die Linie als Grenze der Fläche, die Fläche als Grenze des Körpers und schafft dadurch die Möglichkeit, alles zu messen. Der Punkt selbst, als Grenze der Linie, ist unteilbar. Aus unteilbaren, größenlosen Punkten kann nun freilich keine Größe entstehen, aber obwohl in Wahrheit in der Linie sich nichts findet als der Punkt, so entsteht doch in ihr eine Aus- dehnung infolge der Variabilität der Materie. Seine Annahme von der Unmöglichkeit absolut gleicher Dinge setzt Nicolaus in den Stand, von dem unausgedehnten Punkte zur ausgedehnten Linie zu kommen. Wie aus mehreren Einheiten — obwohl es (begrifflich) doch nur eine Einheit gibt — sich wegen der Verschiedenheit der Gegenstände die Zahl zusammen- setzt, so auch die Raumgröße aus Punkten wegen der Ver- schiedenheit des materiellen Substrats. Die Linie ist daher die Evolution des Punktes. Mit dem Punkte fällt alle Größe, wie alle Vielheit mit der Zahl. Evolution aber heißt Entfaltung, explicatio; sie ist das Sein ein und desselben Punktes in mehreren Atomen. So wie in den verschiedenen weißen Dingen dieselbe Weiße ist, so ist in den verschiedenen Atomen der Punkt ein und derselbe. 1 Hierdurch wird aus dem Begriff des mathematischen Punktes der Übergang zu der Menge der wirklichen physikalischen Atome gewonnen. Dies wird weiter folgendermaßen erläutert. Gemäß der Betrachtung durch den Geist wird das Kontinuum in immer wieder teilbare Teile zer- legt und die Vielheit wächst ins Unendliche, aber beim wirk- lichen Teilen gelangt man zu einem aktuell Unteilbaren, welches Cusanus Atom nennt. Er versteht darunter eine end- liche Größe (Quantität), welche ihrer Kleinheit wegen actu nicht mehr teilbar ist. 2 So hat auch die Vielheit zwar für die Betrachtung des Geistes kein Ende, aktuell aber ist sie begrenzt, wenn auch die Zahl, welche die Vielheit der Dinge angibt, uns unbekannt bleibt. Ebenso, wie die Linie als Expli- kation des Punktes, die Zahl als Explikation der Einheit, so 1 A. a. O. — Dasselbe De ludo globi 1. I. p. 211. 2 A. a. O. Secundum mentis considerationem continuum dividitur in semper divisibile et multitudo crescit in infinitum, sed actu dividendo ad partem actu indivisibilem devenitur, quam atomum appello. Est enim atomus quantitas, ob sui parvitatem actu indivisibilis. Vgl. De ludo globi 1. I. p. 211.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/295>, abgerufen am 23.11.2024.