lischen Vorgänge unmöglich mache und eine Weltbildung aus Atomen überhaupt nicht denkbar sei; auch würde, wenn es nur den Stoß der Atome als Prinzip des Weltprozesses gäbe, keine Ordnung der Welt, demnach auch keine bestimmte Bewegung vorhanden sein und jede Vorausverkündigung aufhören.
In direkter Beziehung ist also die Erneuerung des Plato- nismus der Atomistik nicht günstig, sie scheint vielmehr durch Beförderung der poetisch-phantastischen Weltauffassung der mit der Atomistik zusammenhängenden Lehre vom Natur- mechanismus gerade entgegengesetzt. Dennoch ist aus dem platonisch gefärbten Gedankenkreise eine wesentliche Förderung der Probleme der neuen Physik hervorgegangen durch eine eigentümliche Wendung des Begriffs der Entwickelung aus der Einheit und durch die mit dem Platonismus verbundene Be- tonung der Mathematik. Dadurch wurde der Starrheit der sub- stanzialen Form zu Gunsten eines Prinzips der Veränderung entgegengearbeitet.
2. Das Denkmittel der Variabilität.
Es ist der Begriff der Veränderung, welcher einer neuen Bearbeitung bedarf. Das äußerliche Hinzutreten der Formen zu der Materie hatte schon durch Ibn Roschd mehr den Charakter einer inneren Entwickelung erlangt; doch fehlte es an einem Mittel, diese Veränderlichkeit des Seienden begrifflich zu er- fassen, der bloß empirischen Thatsache des Flusses der sinn- lichen Erscheinung die rationale Legitimation zu verleihen. Daß die Veränderung durch das Denkmittel der Substanzialität nicht erkannt werden könne, war bereits durch die Eleaten nachgewiesen, es zeigte sich ebenso in allen Systemen, welche in der Substanzialisirung der Allgemeinbegriffe gipfelten. Aristoteles hatte sich durch die Begriffe von Materie und Form, Potenzialität und Aktualität darüber hinweggesetzt, da- mit jedoch den Weg zu kausalmechanischen Erklärungen ver- sperrt. Die Zustände der Dinge wechseln. Das ist ein sinn- liches Erlebnis, welches unser Bewußtsein unmittelbar erfüllt. Damit es sich zur Naturgesetzlichkeit erhebe, muß die Ver- änderung begrifflich fixiert werden können.1 Wird aber
1 Vgl. 1. Buch, II, 3. S. 44 f., 50 f u. III, 1. S. 80 f.
Plotin gegen die Atomistik.
lischen Vorgänge unmöglich mache und eine Weltbildung aus Atomen überhaupt nicht denkbar sei; auch würde, wenn es nur den Stoß der Atome als Prinzip des Weltprozesses gäbe, keine Ordnung der Welt, demnach auch keine bestimmte Bewegung vorhanden sein und jede Vorausverkündigung aufhören.
In direkter Beziehung ist also die Erneuerung des Plato- nismus der Atomistik nicht günstig, sie scheint vielmehr durch Beförderung der poetisch-phantastischen Weltauffassung der mit der Atomistik zusammenhängenden Lehre vom Natur- mechanismus gerade entgegengesetzt. Dennoch ist aus dem platonisch gefärbten Gedankenkreise eine wesentliche Förderung der Probleme der neuen Physik hervorgegangen durch eine eigentümliche Wendung des Begriffs der Entwickelung aus der Einheit und durch die mit dem Platonismus verbundene Be- tonung der Mathematik. Dadurch wurde der Starrheit der sub- stanzialen Form zu Gunsten eines Prinzips der Veränderung entgegengearbeitet.
2. Das Denkmittel der Variabilität.
Es ist der Begriff der Veränderung, welcher einer neuen Bearbeitung bedarf. Das äußerliche Hinzutreten der Formen zu der Materie hatte schon durch Ibn Roschd mehr den Charakter einer inneren Entwickelung erlangt; doch fehlte es an einem Mittel, diese Veränderlichkeit des Seienden begrifflich zu er- fassen, der bloß empirischen Thatsache des Flusses der sinn- lichen Erscheinung die rationale Legitimation zu verleihen. Daß die Veränderung durch das Denkmittel der Substanzialität nicht erkannt werden könne, war bereits durch die Eleaten nachgewiesen, es zeigte sich ebenso in allen Systemen, welche in der Substanzialisirung der Allgemeinbegriffe gipfelten. Aristoteles hatte sich durch die Begriffe von Materie und Form, Potenzialität und Aktualität darüber hinweggesetzt, da- mit jedoch den Weg zu kausalmechanischen Erklärungen ver- sperrt. Die Zustände der Dinge wechseln. Das ist ein sinn- liches Erlebnis, welches unser Bewußtsein unmittelbar erfüllt. Damit es sich zur Naturgesetzlichkeit erhebe, muß die Ver- änderung begrifflich fixiert werden können.1 Wird aber
1 Vgl. 1. Buch, II, 3. S. 44 f., 50 f u. III, 1. S. 80 f.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0287"n="269"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#k">Plotin</hi> gegen die Atomistik.</fw><lb/>
lischen Vorgänge unmöglich mache und eine Weltbildung aus<lb/>
Atomen überhaupt nicht denkbar sei; auch würde, wenn es nur<lb/>
den Stoß der Atome als Prinzip des Weltprozesses gäbe, keine<lb/>
Ordnung der Welt, demnach auch keine bestimmte Bewegung<lb/>
vorhanden sein und jede Vorausverkündigung aufhören.</p><lb/><p>In direkter Beziehung ist also die Erneuerung des Plato-<lb/>
nismus der Atomistik nicht günstig, sie scheint vielmehr durch<lb/>
Beförderung der poetisch-phantastischen Weltauffassung der<lb/>
mit der Atomistik zusammenhängenden Lehre vom Natur-<lb/>
mechanismus gerade entgegengesetzt. Dennoch ist aus dem<lb/>
platonisch gefärbten Gedankenkreise eine wesentliche Förderung<lb/>
der Probleme der neuen Physik hervorgegangen durch eine<lb/>
eigentümliche Wendung des Begriffs der Entwickelung aus der<lb/>
Einheit und durch die mit dem Platonismus verbundene Be-<lb/>
tonung der Mathematik. Dadurch wurde der Starrheit der sub-<lb/>
stanzialen Form zu Gunsten eines Prinzips der Veränderung<lb/>
entgegengearbeitet.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">2. Das Denkmittel der Variabilität.</hi></head><lb/><p>Es ist der Begriff der <hirendition="#g">Veränderung,</hi> welcher einer neuen<lb/>
Bearbeitung bedarf. Das äußerliche Hinzutreten der Formen<lb/>
zu der Materie hatte schon durch <hirendition="#k">Ibn Roschd</hi> mehr den Charakter<lb/>
einer inneren Entwickelung erlangt; doch fehlte es an einem<lb/>
Mittel, diese Veränderlichkeit des Seienden begrifflich zu er-<lb/>
fassen, der bloß empirischen Thatsache des Flusses der sinn-<lb/>
lichen Erscheinung die rationale Legitimation zu verleihen.<lb/>
Daß die Veränderung durch das Denkmittel der Substanzialität<lb/>
nicht erkannt werden könne, war bereits durch die Eleaten<lb/>
nachgewiesen, es zeigte sich ebenso in allen Systemen, welche<lb/>
in der Substanzialisirung der Allgemeinbegriffe gipfelten.<lb/><hirendition="#k">Aristoteles</hi> hatte sich durch die Begriffe von Materie und<lb/>
Form, Potenzialität und Aktualität darüber hinweggesetzt, da-<lb/>
mit jedoch den Weg zu kausalmechanischen Erklärungen ver-<lb/>
sperrt. Die Zustände der Dinge wechseln. Das ist ein sinn-<lb/>
liches Erlebnis, welches unser Bewußtsein unmittelbar erfüllt.<lb/>
Damit es sich zur Naturgesetzlichkeit erhebe, muß die Ver-<lb/>
änderung <hirendition="#g">begrifflich fixiert</hi> werden können.<noteplace="foot"n="1">Vgl. 1. Buch, II, 3. S. 44 f., 50 f u. III, 1. S. 80 f.</note> Wird aber<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[269/0287]
Plotin gegen die Atomistik.
lischen Vorgänge unmöglich mache und eine Weltbildung aus
Atomen überhaupt nicht denkbar sei; auch würde, wenn es nur
den Stoß der Atome als Prinzip des Weltprozesses gäbe, keine
Ordnung der Welt, demnach auch keine bestimmte Bewegung
vorhanden sein und jede Vorausverkündigung aufhören.
In direkter Beziehung ist also die Erneuerung des Plato-
nismus der Atomistik nicht günstig, sie scheint vielmehr durch
Beförderung der poetisch-phantastischen Weltauffassung der
mit der Atomistik zusammenhängenden Lehre vom Natur-
mechanismus gerade entgegengesetzt. Dennoch ist aus dem
platonisch gefärbten Gedankenkreise eine wesentliche Förderung
der Probleme der neuen Physik hervorgegangen durch eine
eigentümliche Wendung des Begriffs der Entwickelung aus der
Einheit und durch die mit dem Platonismus verbundene Be-
tonung der Mathematik. Dadurch wurde der Starrheit der sub-
stanzialen Form zu Gunsten eines Prinzips der Veränderung
entgegengearbeitet.
2. Das Denkmittel der Variabilität.
Es ist der Begriff der Veränderung, welcher einer neuen
Bearbeitung bedarf. Das äußerliche Hinzutreten der Formen
zu der Materie hatte schon durch Ibn Roschd mehr den Charakter
einer inneren Entwickelung erlangt; doch fehlte es an einem
Mittel, diese Veränderlichkeit des Seienden begrifflich zu er-
fassen, der bloß empirischen Thatsache des Flusses der sinn-
lichen Erscheinung die rationale Legitimation zu verleihen.
Daß die Veränderung durch das Denkmittel der Substanzialität
nicht erkannt werden könne, war bereits durch die Eleaten
nachgewiesen, es zeigte sich ebenso in allen Systemen, welche
in der Substanzialisirung der Allgemeinbegriffe gipfelten.
Aristoteles hatte sich durch die Begriffe von Materie und
Form, Potenzialität und Aktualität darüber hinweggesetzt, da-
mit jedoch den Weg zu kausalmechanischen Erklärungen ver-
sperrt. Die Zustände der Dinge wechseln. Das ist ein sinn-
liches Erlebnis, welches unser Bewußtsein unmittelbar erfüllt.
Damit es sich zur Naturgesetzlichkeit erhebe, muß die Ver-
änderung begrifflich fixiert werden können. 1 Wird aber
1 Vgl. 1. Buch, II, 3. S. 44 f., 50 f u. III, 1. S. 80 f.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/287>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.