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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Neuplatonismus. Plotin.
einfaches Urwesen, wie das absolute Sein Eins bleiben und
doch in der Vielheit der Erscheinung auftreten kann, das wird
durch das schöne Bild vom Lichte erörtert, welches, von einer
einzigen Quelle ausgehend, in der Einheit seines Wesens ver-
harrt und doch in zahllosen Spiegelbildern ein Vielfaches wird.1
Je öfter die Strahlen gebrochen und reflektiert werden, um
so mehr verblaßt ihr Schimmer. Von dem reinen Lichte der
absoluten Realität des Ur-Einen bis zu dem mangelhaften Sein
der Körperwelt und dem Nicht-Sein der Materie ist eine ununter-
brochene Stufenfolge von Abschattungen. Aber was in der
Sinnenwelt räumlich und zeitlich auseinanderliegt in Vielheit,
Mannigfaltigkeit und Veränderung, das ist in der intelligiblen
Welt, im Reiche der Ideen, in vollkommener Wirklichkeit Eins,
ohne Gegensatz von Einheit und Vielheit, von Ruhe und Be-
wegung, in zeit- und raumlosem Ineinander, in absoluter Har-
monie und Vollkommenheit. Im Unendlichen verschwinden
die Gegensätze des Endlichen. Ist nun damit auch der Zu-
sammenhang aller Dinge in der Einheit der intelligiblen Welt
gesichert, so fehlt es doch an einem Prinzip, welches von der
Ruhe und Unveränderlichkeit der Ideen zur Bewegung und
zum Wechsel der Schattenwelt der Sinne hinüberleite und
zwischen Geist und Natur vermittle.

Bei Platon war die Materie im Sinne des # die
extensive und intensive Größe; Plotin geht zwar von dieser
Bestimmung aus, aber unter Anschluß an die von Aristoteles
überlieferte Form der platonischen Lehre und unter Verschmel-
zung mit dem im Timäus vorausgesetzten Substrat der Körper-
welt macht er die Materie zum direkten Gegensatz der Idee.
Sie wird zum Nicht-Sein, zum Schatten und Mangel des Seins,
das jeder Realität entbehrt, nicht bloß zur unbestimmten Sub-
stanz, sondern zur reinen Bestimmungslosigkeit und Privation,
zu einem Begriff, von dem man nur eine dunkle und unbe-
stimmte Vorstellung haben kann, weil das Denken bei dem
Gestaltlosen nicht lange zu verweilen vermag.2 Ja, Plotin
erklärt die Materie weiterhin und unter neupythagoreischem
Einfluß geradezu für das Böse, das absolut Schlechte und

1 Plotin, Enn. I, 1. 1. c. 8.
2 Vgl. Plotin, Ennead. II, 4, 10.

Neuplatonismus. Plotin.
einfaches Urwesen, wie das absolute Sein Eins bleiben und
doch in der Vielheit der Erscheinung auftreten kann, das wird
durch das schöne Bild vom Lichte erörtert, welches, von einer
einzigen Quelle ausgehend, in der Einheit seines Wesens ver-
harrt und doch in zahllosen Spiegelbildern ein Vielfaches wird.1
Je öfter die Strahlen gebrochen und reflektiert werden, um
so mehr verblaßt ihr Schimmer. Von dem reinen Lichte der
absoluten Realität des Ur-Einen bis zu dem mangelhaften Sein
der Körperwelt und dem Nicht-Sein der Materie ist eine ununter-
brochene Stufenfolge von Abschattungen. Aber was in der
Sinnenwelt räumlich und zeitlich auseinanderliegt in Vielheit,
Mannigfaltigkeit und Veränderung, das ist in der intelligiblen
Welt, im Reiche der Ideen, in vollkommener Wirklichkeit Eins,
ohne Gegensatz von Einheit und Vielheit, von Ruhe und Be-
wegung, in zeit- und raumlosem Ineinander, in absoluter Har-
monie und Vollkommenheit. Im Unendlichen verschwinden
die Gegensätze des Endlichen. Ist nun damit auch der Zu-
sammenhang aller Dinge in der Einheit der intelligiblen Welt
gesichert, so fehlt es doch an einem Prinzip, welches von der
Ruhe und Unveränderlichkeit der Ideen zur Bewegung und
zum Wechsel der Schattenwelt der Sinne hinüberleite und
zwischen Geist und Natur vermittle.

Bei Platon war die Materie im Sinne des # die
extensive und intensive Größe; Plotin geht zwar von dieser
Bestimmung aus, aber unter Anschluß an die von Aristoteles
überlieferte Form der platonischen Lehre und unter Verschmel-
zung mit dem im Timäus vorausgesetzten Substrat der Körper-
welt macht er die Materie zum direkten Gegensatz der Idee.
Sie wird zum Nicht-Sein, zum Schatten und Mangel des Seins,
das jeder Realität entbehrt, nicht bloß zur unbestimmten Sub-
stanz, sondern zur reinen Bestimmungslosigkeit und Privation,
zu einem Begriff, von dem man nur eine dunkle und unbe-
stimmte Vorstellung haben kann, weil das Denken bei dem
Gestaltlosen nicht lange zu verweilen vermag.2 Ja, Plotin
erklärt die Materie weiterhin und unter neupythagoreischem
Einfluß geradezu für das Böse, das absolut Schlechte und

1 Plotin, Enn. I, 1. 1. c. 8.
2 Vgl. Plotin, Ennead. II, 4, 10.
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[265/0283] Neuplatonismus. Plotin. einfaches Urwesen, wie das absolute Sein Eins bleiben und doch in der Vielheit der Erscheinung auftreten kann, das wird durch das schöne Bild vom Lichte erörtert, welches, von einer einzigen Quelle ausgehend, in der Einheit seines Wesens ver- harrt und doch in zahllosen Spiegelbildern ein Vielfaches wird. 1 Je öfter die Strahlen gebrochen und reflektiert werden, um so mehr verblaßt ihr Schimmer. Von dem reinen Lichte der absoluten Realität des Ur-Einen bis zu dem mangelhaften Sein der Körperwelt und dem Nicht-Sein der Materie ist eine ununter- brochene Stufenfolge von Abschattungen. Aber was in der Sinnenwelt räumlich und zeitlich auseinanderliegt in Vielheit, Mannigfaltigkeit und Veränderung, das ist in der intelligiblen Welt, im Reiche der Ideen, in vollkommener Wirklichkeit Eins, ohne Gegensatz von Einheit und Vielheit, von Ruhe und Be- wegung, in zeit- und raumlosem Ineinander, in absoluter Har- monie und Vollkommenheit. Im Unendlichen verschwinden die Gegensätze des Endlichen. Ist nun damit auch der Zu- sammenhang aller Dinge in der Einheit der intelligiblen Welt gesichert, so fehlt es doch an einem Prinzip, welches von der Ruhe und Unveränderlichkeit der Ideen zur Bewegung und zum Wechsel der Schattenwelt der Sinne hinüberleite und zwischen Geist und Natur vermittle. Bei Platon war die Materie im Sinne des # die extensive und intensive Größe; Plotin geht zwar von dieser Bestimmung aus, aber unter Anschluß an die von Aristoteles überlieferte Form der platonischen Lehre und unter Verschmel- zung mit dem im Timäus vorausgesetzten Substrat der Körper- welt macht er die Materie zum direkten Gegensatz der Idee. Sie wird zum Nicht-Sein, zum Schatten und Mangel des Seins, das jeder Realität entbehrt, nicht bloß zur unbestimmten Sub- stanz, sondern zur reinen Bestimmungslosigkeit und Privation, zu einem Begriff, von dem man nur eine dunkle und unbe- stimmte Vorstellung haben kann, weil das Denken bei dem Gestaltlosen nicht lange zu verweilen vermag. 2 Ja, Plotin erklärt die Materie weiterhin und unter neupythagoreischem Einfluß geradezu für das Böse, das absolut Schlechte und 1 Plotin, Enn. I, 1. 1. c. 8. 2 Vgl. Plotin, Ennead. II, 4, 10.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/283>, abgerufen am 24.11.2024.