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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Einleitung: Korpuskulartheorie der Techniker.
Erfahrung überhaupt. Eines der fundamentalen Probleme der
Philosophie eröffnet sich der historischen Erforschung. Die
Einwirkung des physikalischen Interesses auf die Theorie der
Materie muß man in ihrer geschichtlichen Bedingtheit und Ent-
wickelung erkannt haben, um daraus zu schließen auf die
dauernden Bedingungen, welche der naturwissenschaftlichen
Erfahrung zu Grunde liegen.

Im Beginn des menschlichen Nachdenkens ist das theore-
tische Interesse an der Körperwelt metaphysisch, d. h. auf die
Erzeugung einer allgemeinen Weltanschauung gerichtet. Das
physikalische Interesse tritt erst dort auf, wo sich das Bedürfnis
bemerklich macht, das Wesen der Körper einer gesonderten
Betrachtung zu unterziehen. Dieses Bedürfnis ist zunächst ein
rein praktisches. Es handelt sich um die technische Bewälti-
gung der Natur. Die Heilkunde, die gewerbliche Bearbeitung
der Naturkörper, Baukunst und Mechanik wecken das Bestre-
ben, die an den Körpern beobachteten Veränderungen theore-
tisch zu erklären, und fördern Ansichten über die Konstitution
der Körper zu Tage. Die Festsetzungen der metaphysischen
Theorien der Materie genügen diesen Praktikern nicht, oder
vielmehr, sie gehen ihnen zu weit. Sie entnehmen von der
spekulativen Richtung der Philosophen nur, was ihnen für ihre
speziellen Zwecke brauchbar erscheint, um das Übrige beküm-
mern sie sich wenig. Trotzdem stehen sie durchaus unter dem
Einfluß der philosophischen Theorien der Materie, sie schöpfen
aus der Bildung ihrer Zeit und spiegeln die metaphysischen
Lehren der Schulen wieder. Auf diese Weise hat sich bereits
im Altertum aus den strengen Systemen der Metaphysiker eine
Theorie der Techniker über die Materie entwickelt, und diese
Theorie war Korpuskulartheorie. Wir finden sie bei dem Mecha-
niker Hero von Alexandrien, bei dem Arzte Asklepiades von
Bithynien. Diese Korpuskulartheorie war keine Atomistik,
aber sie steht mit der Atomistik eines Demokrit, wenn auch
durch Aufnahme fremdartiger Elemente, in zweifelloser Ver-
bindung. Der Entwickelung jener Korpuskulartheorien aus den
metaphysischen Lehrmeinungen nachzugehen, dürfte wohl beim
Mangel an Quellen kaum möglich, bei der unausgebildeten Form
jener aus technischen Interessen geflossenen Annahmen kaum
lohnend sein.

Einleitung: Korpuskulartheorie der Techniker.
Erfahrung überhaupt. Eines der fundamentalen Probleme der
Philosophie eröffnet sich der historischen Erforschung. Die
Einwirkung des physikalischen Interesses auf die Theorie der
Materie muß man in ihrer geschichtlichen Bedingtheit und Ent-
wickelung erkannt haben, um daraus zu schließen auf die
dauernden Bedingungen, welche der naturwissenschaftlichen
Erfahrung zu Grunde liegen.

Im Beginn des menschlichen Nachdenkens ist das theore-
tische Interesse an der Körperwelt metaphysisch, d. h. auf die
Erzeugung einer allgemeinen Weltanschauung gerichtet. Das
physikalische Interesse tritt erst dort auf, wo sich das Bedürfnis
bemerklich macht, das Wesen der Körper einer gesonderten
Betrachtung zu unterziehen. Dieses Bedürfnis ist zunächst ein
rein praktisches. Es handelt sich um die technische Bewälti-
gung der Natur. Die Heilkunde, die gewerbliche Bearbeitung
der Naturkörper, Baukunst und Mechanik wecken das Bestre-
ben, die an den Körpern beobachteten Veränderungen theore-
tisch zu erklären, und fördern Ansichten über die Konstitution
der Körper zu Tage. Die Festsetzungen der metaphysischen
Theorien der Materie genügen diesen Praktikern nicht, oder
vielmehr, sie gehen ihnen zu weit. Sie entnehmen von der
spekulativen Richtung der Philosophen nur, was ihnen für ihre
speziellen Zwecke brauchbar erscheint, um das Übrige beküm-
mern sie sich wenig. Trotzdem stehen sie durchaus unter dem
Einfluß der philosophischen Theorien der Materie, sie schöpfen
aus der Bildung ihrer Zeit und spiegeln die metaphysischen
Lehren der Schulen wieder. Auf diese Weise hat sich bereits
im Altertum aus den strengen Systemen der Metaphysiker eine
Theorie der Techniker über die Materie entwickelt, und diese
Theorie war Korpuskulartheorie. Wir finden sie bei dem Mecha-
niker Hero von Alexandrien, bei dem Arzte Asklepiades von
Bithynien. Diese Korpuskulartheorie war keine Atomistik,
aber sie steht mit der Atomistik eines Demokrit, wenn auch
durch Aufnahme fremdartiger Elemente, in zweifelloser Ver-
bindung. Der Entwickelung jener Korpuskulartheorien aus den
metaphysischen Lehrmeinungen nachzugehen, dürfte wohl beim
Mangel an Quellen kaum möglich, bei der unausgebildeten Form
jener aus technischen Interessen geflossenen Annahmen kaum
lohnend sein.

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[6/0024] Einleitung: Korpuskulartheorie der Techniker. Erfahrung überhaupt. Eines der fundamentalen Probleme der Philosophie eröffnet sich der historischen Erforschung. Die Einwirkung des physikalischen Interesses auf die Theorie der Materie muß man in ihrer geschichtlichen Bedingtheit und Ent- wickelung erkannt haben, um daraus zu schließen auf die dauernden Bedingungen, welche der naturwissenschaftlichen Erfahrung zu Grunde liegen. Im Beginn des menschlichen Nachdenkens ist das theore- tische Interesse an der Körperwelt metaphysisch, d. h. auf die Erzeugung einer allgemeinen Weltanschauung gerichtet. Das physikalische Interesse tritt erst dort auf, wo sich das Bedürfnis bemerklich macht, das Wesen der Körper einer gesonderten Betrachtung zu unterziehen. Dieses Bedürfnis ist zunächst ein rein praktisches. Es handelt sich um die technische Bewälti- gung der Natur. Die Heilkunde, die gewerbliche Bearbeitung der Naturkörper, Baukunst und Mechanik wecken das Bestre- ben, die an den Körpern beobachteten Veränderungen theore- tisch zu erklären, und fördern Ansichten über die Konstitution der Körper zu Tage. Die Festsetzungen der metaphysischen Theorien der Materie genügen diesen Praktikern nicht, oder vielmehr, sie gehen ihnen zu weit. Sie entnehmen von der spekulativen Richtung der Philosophen nur, was ihnen für ihre speziellen Zwecke brauchbar erscheint, um das Übrige beküm- mern sie sich wenig. Trotzdem stehen sie durchaus unter dem Einfluß der philosophischen Theorien der Materie, sie schöpfen aus der Bildung ihrer Zeit und spiegeln die metaphysischen Lehren der Schulen wieder. Auf diese Weise hat sich bereits im Altertum aus den strengen Systemen der Metaphysiker eine Theorie der Techniker über die Materie entwickelt, und diese Theorie war Korpuskulartheorie. Wir finden sie bei dem Mecha- niker Hero von Alexandrien, bei dem Arzte Asklepiades von Bithynien. Diese Korpuskulartheorie war keine Atomistik, aber sie steht mit der Atomistik eines Demokrit, wenn auch durch Aufnahme fremdartiger Elemente, in zweifelloser Ver- bindung. Der Entwickelung jener Korpuskulartheorien aus den metaphysischen Lehrmeinungen nachzugehen, dürfte wohl beim Mangel an Quellen kaum möglich, bei der unausgebildeten Form jener aus technischen Interessen geflossenen Annahmen kaum lohnend sein.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/24>, abgerufen am 26.04.2024.