Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.Bedeutung d. Korpuskulartheorie der Techniker. größere Gleichgültigkeit gegen das metaphysische Interessekommt dem physikalischen zu gute. Die Entwickelung der Korpuskulartheorie bedarf zunächst, bevor sie selbst wieder in streng philosophischem Gedankengange begründet werden kann, der Zerstörung und Aufhebung der ihr feindlichen Vorstellungs- weisen, insbesondere der Alleinherrschaft der substanziellen Formen. Ähnlich, wie die Mathematik ihre Fortschritte nur machen konnte, weil die Inder von Anfang an frei waren von der geometrischen Denkart der Griechen, welche die Ent- wickelung der analytischen Arithmetik nicht zuließ, so konnte auch die Physik nur vorwärtskommen durch die Unabhängig- keit der praktischen Empiriker von der Disziplin philosophischer Schulen. Beides geschah zunächst auf Kosten der Wissen- schaftlichkeit; aber das rohe Vorwärtsdrängen fand nach einer Richtung hin statt, wo die Wissenschaft infolge beschränkter Prin- zipien sich ihren Weg selbst vermauert hatte und diese Mauer zunächst durchbrochen werden mußte, um der Empirie und in ihrem Gefolge einer höheren Theorie die Bahn frei zu machen. Daher sind jene eklektischen Hypothesen der Techniker nicht zu unterschätzen. Sie gehen Hand in Hand mit dem Interesse an einer Lösung des Körperproblems mit Hilfe der mecha- nischen Kausalität, und sie leisten inzwischen durch An- schaulichkeit und sinnliche Greifbarkeit, was ihnen an Klar- heit der Begriffe noch abgeht. Für die Physik ist eine Be- merkung von so quantitativer Bestimmtheit, wie die des Vitruv, daß die Kalksteine beim Brennen ein Drittel an Gewicht ver- lieren, viel wichtiger als die scharfsinnigste Spekulation, ob die Form des Kalkes beim Brennen verloren gehe oder nicht. Die physikalische Hypothesenbildung verfährt eklektisch 1 Naturalium quaestionum libri VII. Opera ed. Fr. Haase. Lips. 1852. Vol. I.
Bedeutung d. Korpuskulartheorie der Techniker. größere Gleichgültigkeit gegen das metaphysische Interessekommt dem physikalischen zu gute. Die Entwickelung der Korpuskulartheorie bedarf zunächst, bevor sie selbst wieder in streng philosophischem Gedankengange begründet werden kann, der Zerstörung und Aufhebung der ihr feindlichen Vorstellungs- weisen, insbesondere der Alleinherrschaft der substanziellen Formen. Ähnlich, wie die Mathematik ihre Fortschritte nur machen konnte, weil die Inder von Anfang an frei waren von der geometrischen Denkart der Griechen, welche die Ent- wickelung der analytischen Arithmetik nicht zuließ, so konnte auch die Physik nur vorwärtskommen durch die Unabhängig- keit der praktischen Empiriker von der Disziplin philosophischer Schulen. Beides geschah zunächst auf Kosten der Wissen- schaftlichkeit; aber das rohe Vorwärtsdrängen fand nach einer Richtung hin statt, wo die Wissenschaft infolge beschränkter Prin- zipien sich ihren Weg selbst vermauert hatte und diese Mauer zunächst durchbrochen werden mußte, um der Empirie und in ihrem Gefolge einer höheren Theorie die Bahn frei zu machen. Daher sind jene eklektischen Hypothesen der Techniker nicht zu unterschätzen. Sie gehen Hand in Hand mit dem Interesse an einer Lösung des Körperproblems mit Hilfe der mecha- nischen Kausalität, und sie leisten inzwischen durch An- schaulichkeit und sinnliche Greifbarkeit, was ihnen an Klar- heit der Begriffe noch abgeht. Für die Physik ist eine Be- merkung von so quantitativer Bestimmtheit, wie die des Vitruv, daß die Kalksteine beim Brennen ein Drittel an Gewicht ver- lieren, viel wichtiger als die scharfsinnigste Spekulation, ob die Form des Kalkes beim Brennen verloren gehe oder nicht. Die physikalische Hypothesenbildung verfährt eklektisch 1 Naturalium quaestionum libri VII. Opera ed. Fr. Haase. Lips. 1852. Vol. I.
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Bedeutung d. Korpuskulartheorie der Techniker.
größere Gleichgültigkeit gegen das metaphysische Interesse
kommt dem physikalischen zu gute. Die Entwickelung der
Korpuskulartheorie bedarf zunächst, bevor sie selbst wieder in
streng philosophischem Gedankengange begründet werden kann,
der Zerstörung und Aufhebung der ihr feindlichen Vorstellungs-
weisen, insbesondere der Alleinherrschaft der substanziellen
Formen. Ähnlich, wie die Mathematik ihre Fortschritte nur
machen konnte, weil die Inder von Anfang an frei waren von
der geometrischen Denkart der Griechen, welche die Ent-
wickelung der analytischen Arithmetik nicht zuließ, so konnte
auch die Physik nur vorwärtskommen durch die Unabhängig-
keit der praktischen Empiriker von der Disziplin philosophischer
Schulen. Beides geschah zunächst auf Kosten der Wissen-
schaftlichkeit; aber das rohe Vorwärtsdrängen fand nach einer
Richtung hin statt, wo die Wissenschaft infolge beschränkter Prin-
zipien sich ihren Weg selbst vermauert hatte und diese Mauer
zunächst durchbrochen werden mußte, um der Empirie und
in ihrem Gefolge einer höheren Theorie die Bahn frei zu machen.
Daher sind jene eklektischen Hypothesen der Techniker nicht
zu unterschätzen. Sie gehen Hand in Hand mit dem Interesse
an einer Lösung des Körperproblems mit Hilfe der mecha-
nischen Kausalität, und sie leisten inzwischen durch An-
schaulichkeit und sinnliche Greifbarkeit, was ihnen an Klar-
heit der Begriffe noch abgeht. Für die Physik ist eine Be-
merkung von so quantitativer Bestimmtheit, wie die des Vitruv,
daß die Kalksteine beim Brennen ein Drittel an Gewicht ver-
lieren, viel wichtiger als die scharfsinnigste Spekulation, ob
die Form des Kalkes beim Brennen verloren gehe oder nicht.
Die physikalische Hypothesenbildung verfährt eklektisch
und hält sich gern an vermittelnde Systeme. Daher darf man
denjenigen Autoren, welche indirekt einer Förderung kor-
puskulartheoretischer Ansichten günstig waren, auch L. Annaeus
Seneca 1 zurechnen. Es ist der Materialismus der Stoi-
ker, wodurch ihre Lehren im Gegensatz zur Theorie der sub-
stanziellen Formen der physikalischen Auffassung der Natur
entgegenkommen. Bei ihnen gilt alles als körperlich, die
Eigenschaften werden wie Luftströmungen betrachtet und das
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