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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Roger Baco: Ausfüllung des Raumes.
doch von einem selbständigen Zuge nach mathematischer
Betrachtungsart der Dinge gehoben wird, hat sich die Frage
vorgelegt, welche regelmäßigen Körper den Raum lücken-
los auszufüllen vermögen. Er thut sich bei diesem Anlaß
nicht wenig auf seine mathematischen Kenntnisse zu gute und
beschuldigt andre der Ignoranz, zeigt sich aber selbst voll-
ständig im Irrtum.1 Er glaubt nämlich die Frage nach der
lückenlosen Ausfüllung des Raumes durch eine Untersuchung
der Kantenwinkel in den Oberflächen der Körper (an den
Ecken) entscheiden zu können, und statt auf die körperlichen
Winkel der Ecke Rücksicht zu nehmen, hält er sich allein an
die Seiten. Da acht Würfel, mit ihren Ecken vereinigt, den
Raum erfüllen, und da die Summe der Seiten in jeder Würfel-
ecke drei Rechte beträgt, so glaubt er, daß 8 mal 3 oder
24 Rechte, als Kantenwinkel auf den Oberflächen der Körper
verteilt, die Bedingung dazu sind, daß diese Körper den Raum
lückenlos ausfüllen. Nun beträgt im regulären Tetraeder jeder
Kantenwinkel 2/3 R, die Summe derselben an einer Ecke 2/3 x 3
= 2 R, also ergeben 12 Tetraeder 24 R, d. h. 12 Tetraeder
sollen den Raum ausfüllen. Ebenso schließt er, daß 9 Okta-
eder dieser Bedingung genügen, weil 2/3 x 4 x 9 = 24. Er
glaubt also, daß nicht nur die Hexaeder, sondern auch Tetra-
eder und Oktaeder den Raum lückenlos erfüllen, eine Ent-
deckung, welche, wenn sie nicht eben unrichtig wäre, der
platonischen Vorstellungsweise von der Gestaltung der Ele-
mentarteile zu gute kommen würde, so aber kein glänzendes
Licht auf Bacos Selbstschätzung und die Stereometrie seiner
Zeit wirft. Obgleich außer den kubischen Erdteilchen auch
die Teilchen der Luft (oktaedrisch) und des Feuers (tetra-
edrisch) nach dieser Annahme den Raum ausfüllen würden, so
müßte man doch immer noch für das Wasser (ikosaedrisch) und
den dodekaedrischen Himmel die Existenz eines leeren Raumes
annehmen. Daher verwirft Baco die platonische Hypothese;
denn einen leeren Raum hält er für unmöglich.2

Daß die Existenz eines Vacuums unmöglich sei, darüber
herrscht bei allen Scholastikern vollständige Übereinstimmung.
Sie unterscheiden im allgemeinen drei Arten des leeren Raumes,

1 Opus tertium c. 40, p. 137.
2 A. a. O. p. 140.

Roger Baco: Ausfüllung des Raumes.
doch von einem selbständigen Zuge nach mathematischer
Betrachtungsart der Dinge gehoben wird, hat sich die Frage
vorgelegt, welche regelmäßigen Körper den Raum lücken-
los auszufüllen vermögen. Er thut sich bei diesem Anlaß
nicht wenig auf seine mathematischen Kenntnisse zu gute und
beschuldigt andre der Ignoranz, zeigt sich aber selbst voll-
ständig im Irrtum.1 Er glaubt nämlich die Frage nach der
lückenlosen Ausfüllung des Raumes durch eine Untersuchung
der Kantenwinkel in den Oberflächen der Körper (an den
Ecken) entscheiden zu können, und statt auf die körperlichen
Winkel der Ecke Rücksicht zu nehmen, hält er sich allein an
die Seiten. Da acht Würfel, mit ihren Ecken vereinigt, den
Raum erfüllen, und da die Summe der Seiten in jeder Würfel-
ecke drei Rechte beträgt, so glaubt er, daß 8 mal 3 oder
24 Rechte, als Kantenwinkel auf den Oberflächen der Körper
verteilt, die Bedingung dazu sind, daß diese Körper den Raum
lückenlos ausfüllen. Nun beträgt im regulären Tetraeder jeder
Kantenwinkel ⅔ R, die Summe derselben an einer Ecke ⅔ × 3
= 2 R, also ergeben 12 Tetraeder 24 R, d. h. 12 Tetraeder
sollen den Raum ausfüllen. Ebenso schließt er, daß 9 Okta-
eder dieser Bedingung genügen, weil ⅔ × 4 × 9 = 24. Er
glaubt also, daß nicht nur die Hexaeder, sondern auch Tetra-
eder und Oktaeder den Raum lückenlos erfüllen, eine Ent-
deckung, welche, wenn sie nicht eben unrichtig wäre, der
platonischen Vorstellungsweise von der Gestaltung der Ele-
mentarteile zu gute kommen würde, so aber kein glänzendes
Licht auf Bacos Selbstschätzung und die Stereometrie seiner
Zeit wirft. Obgleich außer den kubischen Erdteilchen auch
die Teilchen der Luft (oktaedrisch) und des Feuers (tetra-
edrisch) nach dieser Annahme den Raum ausfüllen würden, so
müßte man doch immer noch für das Wasser (ikosaedrisch) und
den dodekaedrischen Himmel die Existenz eines leeren Raumes
annehmen. Daher verwirft Baco die platonische Hypothese;
denn einen leeren Raum hält er für unmöglich.2

Daß die Existenz eines Vacuums unmöglich sei, darüber
herrscht bei allen Scholastikern vollständige Übereinstimmung.
Sie unterscheiden im allgemeinen drei Arten des leeren Raumes,

1 Opus tertium c. 40, p. 137.
2 A. a. O. p. 140.
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[203/0221] Roger Baco: Ausfüllung des Raumes. doch von einem selbständigen Zuge nach mathematischer Betrachtungsart der Dinge gehoben wird, hat sich die Frage vorgelegt, welche regelmäßigen Körper den Raum lücken- los auszufüllen vermögen. Er thut sich bei diesem Anlaß nicht wenig auf seine mathematischen Kenntnisse zu gute und beschuldigt andre der Ignoranz, zeigt sich aber selbst voll- ständig im Irrtum. 1 Er glaubt nämlich die Frage nach der lückenlosen Ausfüllung des Raumes durch eine Untersuchung der Kantenwinkel in den Oberflächen der Körper (an den Ecken) entscheiden zu können, und statt auf die körperlichen Winkel der Ecke Rücksicht zu nehmen, hält er sich allein an die Seiten. Da acht Würfel, mit ihren Ecken vereinigt, den Raum erfüllen, und da die Summe der Seiten in jeder Würfel- ecke drei Rechte beträgt, so glaubt er, daß 8 mal 3 oder 24 Rechte, als Kantenwinkel auf den Oberflächen der Körper verteilt, die Bedingung dazu sind, daß diese Körper den Raum lückenlos ausfüllen. Nun beträgt im regulären Tetraeder jeder Kantenwinkel ⅔ R, die Summe derselben an einer Ecke ⅔ × 3 = 2 R, also ergeben 12 Tetraeder 24 R, d. h. 12 Tetraeder sollen den Raum ausfüllen. Ebenso schließt er, daß 9 Okta- eder dieser Bedingung genügen, weil ⅔ × 4 × 9 = 24. Er glaubt also, daß nicht nur die Hexaeder, sondern auch Tetra- eder und Oktaeder den Raum lückenlos erfüllen, eine Ent- deckung, welche, wenn sie nicht eben unrichtig wäre, der platonischen Vorstellungsweise von der Gestaltung der Ele- mentarteile zu gute kommen würde, so aber kein glänzendes Licht auf Bacos Selbstschätzung und die Stereometrie seiner Zeit wirft. Obgleich außer den kubischen Erdteilchen auch die Teilchen der Luft (oktaedrisch) und des Feuers (tetra- edrisch) nach dieser Annahme den Raum ausfüllen würden, so müßte man doch immer noch für das Wasser (ikosaedrisch) und den dodekaedrischen Himmel die Existenz eines leeren Raumes annehmen. Daher verwirft Baco die platonische Hypothese; denn einen leeren Raum hält er für unmöglich. 2 Daß die Existenz eines Vacuums unmöglich sei, darüber herrscht bei allen Scholastikern vollständige Übereinstimmung. Sie unterscheiden im allgemeinen drei Arten des leeren Raumes, 1 Opus tertium c. 40, p. 137. 2 A. a. O. p. 140.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/221>, abgerufen am 27.11.2024.