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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Bradwardin: Komposition des Kontinuums.
bundenen noch unverbundenen.1 In letzterem Falle würde
weder die Verdichtung und Verdünnung, noch die Erhaltung
und Wiedergewinnung der Gesundheit möglich, Recht und Un-
recht dasselbe sein (Satz 95, 98, 99, 106, 111). Außer den
von Aristoteles schon gegebenen Einwänden finden sich in
der Zusammenstellung Bradwardins auch die von Scotus hervor-
gehobenen, sogenannten mathematischen Beweise gegen die
Atomistik. Sachlich bringt die Schrift nicht gerade neues, auf
das Historische bezieht sich folgende Stelle. Nachdem die
herrschende Meinung von der Komposition des Kontinuums
aus ins Unendliche teilbaren Teilen angeführt ist, fährt Brad-
wardin
fort: "Andre aber sagen, das Kontinuum werde aus
Unteilbaren zusammengesetzt, indem sie dabei eine zweifache
Unterscheidung machen; Demokrit nimmt nämlich an, daß das
Kontinuum aus unteilbaren Körpern, andre dagegen, daß es
aus Punkten zusammengesetzt werde, und letztere wieder in
doppelter Weise, und zwar behaupten die zu dieser Sekte ge-
hörigen Pythagoras, Plato und Waltherus Modernus die Zu-
sammensetzung aus endlichen Unteilbaren, andre aber aus un-
endlichen Unteilbaren. Die letzteren zerfallen wieder in solche,
welche wie Henricus Modernus die Zusammensetzung aus un-
endlichen Unteilbaren in medietate conjunctis, und andre, welche
wie Lycuf (?) (später lincof geschrieben) sie aus ad invicem
mediatis
annehmen."

In dem entwickelten Zusammenhange der Lehren vom
Kontinuum bei den Scholastikern überhaupt erscheinen die
Betrachtungen Bradwardins nicht mehr in dem Lichte der
Originalität, als sei er einer der ersten, welche Philosophie der
Mathematik getrieben haben.2

Die erwähnten sogenannten mathematischen Beweise, ins-
besondere derjenige, daß alle perspektivisch liegenden Figuren
aus gleich vielen Punkten bestehen müßten, wenn das Konti-

1 Satz 137. Nullum continuum ex indivisibilibus infinitis integrari vel
componi.
138. " " ex infin. indiv. immediatis componi.
139. " " ex indiv. mediatis componitur.
140. " " ex athomis integrari.

Schluß: Continuum non continuari nec finitari per talia sed se ipso.
2 So bei S. Günther, Gesch. d. math. Unterr. S. 166.

Bradwardin: Komposition des Kontinuums.
bundenen noch unverbundenen.1 In letzterem Falle würde
weder die Verdichtung und Verdünnung, noch die Erhaltung
und Wiedergewinnung der Gesundheit möglich, Recht und Un-
recht dasselbe sein (Satz 95, 98, 99, 106, 111). Außer den
von Aristoteles schon gegebenen Einwänden finden sich in
der Zusammenstellung Bradwardins auch die von Scotus hervor-
gehobenen, sogenannten mathematischen Beweise gegen die
Atomistik. Sachlich bringt die Schrift nicht gerade neues, auf
das Historische bezieht sich folgende Stelle. Nachdem die
herrschende Meinung von der Komposition des Kontinuums
aus ins Unendliche teilbaren Teilen angeführt ist, fährt Brad-
wardin
fort: „Andre aber sagen, das Kontinuum werde aus
Unteilbaren zusammengesetzt, indem sie dabei eine zweifache
Unterscheidung machen; Demokrit nimmt nämlich an, daß das
Kontinuum aus unteilbaren Körpern, andre dagegen, daß es
aus Punkten zusammengesetzt werde, und letztere wieder in
doppelter Weise, und zwar behaupten die zu dieser Sekte ge-
hörigen Pythagoras, Plato und Waltherus Modernus die Zu-
sammensetzung aus endlichen Unteilbaren, andre aber aus un-
endlichen Unteilbaren. Die letzteren zerfallen wieder in solche,
welche wie Henricus Modernus die Zusammensetzung aus un-
endlichen Unteilbaren in medietate conjunctis, und andre, welche
wie Lycⷭuf (?) (später lincof geschrieben) sie aus ad invicem
mediatis
annehmen.‟

In dem entwickelten Zusammenhange der Lehren vom
Kontinuum bei den Scholastikern überhaupt erscheinen die
Betrachtungen Bradwardins nicht mehr in dem Lichte der
Originalität, als sei er einer der ersten, welche Philosophie der
Mathematik getrieben haben.2

Die erwähnten sogenannten mathematischen Beweise, ins-
besondere derjenige, daß alle perspektivisch liegenden Figuren
aus gleich vielen Punkten bestehen müßten, wenn das Konti-

1 Satz 137. Nullum continuum ex indivisibilibus infinitis integrari vel
componi.
138. „ „ ex infin. indiv. immediatis componi.
139. „ „ ex indiv. mediatis componitur.
140. „ „ ex athomis integrari.

Schluß: Continuum non continuari nec finitari per talia sed se ipso.
2 So bei S. Günther, Gesch. d. math. Unterr. S. 166.
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[198/0216] Bradwardin: Komposition des Kontinuums. bundenen noch unverbundenen. 1 In letzterem Falle würde weder die Verdichtung und Verdünnung, noch die Erhaltung und Wiedergewinnung der Gesundheit möglich, Recht und Un- recht dasselbe sein (Satz 95, 98, 99, 106, 111). Außer den von Aristoteles schon gegebenen Einwänden finden sich in der Zusammenstellung Bradwardins auch die von Scotus hervor- gehobenen, sogenannten mathematischen Beweise gegen die Atomistik. Sachlich bringt die Schrift nicht gerade neues, auf das Historische bezieht sich folgende Stelle. Nachdem die herrschende Meinung von der Komposition des Kontinuums aus ins Unendliche teilbaren Teilen angeführt ist, fährt Brad- wardin fort: „Andre aber sagen, das Kontinuum werde aus Unteilbaren zusammengesetzt, indem sie dabei eine zweifache Unterscheidung machen; Demokrit nimmt nämlich an, daß das Kontinuum aus unteilbaren Körpern, andre dagegen, daß es aus Punkten zusammengesetzt werde, und letztere wieder in doppelter Weise, und zwar behaupten die zu dieser Sekte ge- hörigen Pythagoras, Plato und Waltherus Modernus die Zu- sammensetzung aus endlichen Unteilbaren, andre aber aus un- endlichen Unteilbaren. Die letzteren zerfallen wieder in solche, welche wie Henricus Modernus die Zusammensetzung aus un- endlichen Unteilbaren in medietate conjunctis, und andre, welche wie Lycⷭuf (?) (später lincof geschrieben) sie aus ad invicem mediatis annehmen.‟ In dem entwickelten Zusammenhange der Lehren vom Kontinuum bei den Scholastikern überhaupt erscheinen die Betrachtungen Bradwardins nicht mehr in dem Lichte der Originalität, als sei er einer der ersten, welche Philosophie der Mathematik getrieben haben. 2 Die erwähnten sogenannten mathematischen Beweise, ins- besondere derjenige, daß alle perspektivisch liegenden Figuren aus gleich vielen Punkten bestehen müßten, wenn das Konti- 1 Satz 137. Nullum continuum ex indivisibilibus infinitis integrari vel componi. 138. „ „ ex infin. indiv. immediatis componi. 139. „ „ ex indiv. mediatis componitur. 140. „ „ ex athomis integrari. Schluß: Continuum non continuari nec finitari per talia sed se ipso. 2 So bei S. Günther, Gesch. d. math. Unterr. S. 166.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/216>, abgerufen am 27.11.2024.