Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite
Einleitung: Interesse der Theorien der Materie.

Dieses Einteilungsprinzip finden wir in dem Interesse
der Erkenntnis vom Wesen der Materie. Wir unterscheiden
das erkenntniskritische, das metaphysische und das
physikalische Interesse.

Das erkenntniskritische Interesse richtet sich auf die Frage
nach der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Es strebt
daher in der Theorie der Materie diejenigen Bedingungen auf-
zusuchen, auf welchen die Möglichkeit der Erkenntnis der
Körperwelt beruht; diejenigen Denkmittel und Einheitsbe-
ziehungen des Bewußtseins sind festzustellen, durch welche
ein Teil aus der Gesamtheit des Erlebnisses der Menschheit
sich als gesetzmäßige Veränderung einer Körperwelt im Raume
darstellt.

Das metaphysische Interesse zielt auf Erkenntnis des Seins
der Welt im ontologischen Sinne und behandelt die Frage
nach der Materie von dem Gesichtspunkte aus, wie ihre Lösung
verträglich ist mit den Prinzipien einer allgemeinen Weltan-
schauung
. Neben dem rein theoretischen Interesse, welches
in dem Streben nach der Erkenntnis von einem Urgrunde der
Dinge besteht, wirken hier insbesondere religiöse und ethische
Motive. Man will wissen, wie die Körperwelt gedacht werden
muß, damit eine einheitliche Weltanschauung zustande komme.

Das physikalische Interesse bezieht sich auf ein engeres
Gebiet. Es wendet sich dem Probleme der Naturerklärung
zu und fragt, wie die Beschaffenheit der Körper zu denken
ist, damit die beobachteten Erscheinungen sich daraus ableiten
lassen. Hierbei handelt es sich weniger um Erzielung einer
Übereinstimmung mit allgemeinen Erkenntnisforderungen, als
um Aufsuchung geeigneter Prinzipien zu einer technischen
Vereinfachung physikalischer Probleme. Es entspringen Theo-
rien lediglich aus den praktischen Bestrebungen der Physiker
zur bequemeren Erklärung einzelner Naturerscheinungen. Ihre
Urheber sind daher geneigt von Fall zu Fall zu urteilen. Sie
verzichten auf eine Beantwortung der Frage nach den letzten
Einheiten, auf welchen die Elemente der Körperwelt beruhen,
und begnügen sich mit der Aufstellung von Hypothesen, welche
in engeren oder weiteren Grenzen Bestätigung durch die Er-
fahrung finden. Sie unterscheiden in der Erzeugung der
Körperwelt nicht sinnliche und intellektuelle Quellen, nicht

1*
Einleitung: Interesse der Theorien der Materie.

Dieses Einteilungsprinzip finden wir in dem Interesse
der Erkenntnis vom Wesen der Materie. Wir unterscheiden
das erkenntniskritische, das metaphysische und das
physikalische Interesse.

Das erkenntniskritische Interesse richtet sich auf die Frage
nach der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Es strebt
daher in der Theorie der Materie diejenigen Bedingungen auf-
zusuchen, auf welchen die Möglichkeit der Erkenntnis der
Körperwelt beruht; diejenigen Denkmittel und Einheitsbe-
ziehungen des Bewußtseins sind festzustellen, durch welche
ein Teil aus der Gesamtheit des Erlebnisses der Menschheit
sich als gesetzmäßige Veränderung einer Körperwelt im Raume
darstellt.

Das metaphysische Interesse zielt auf Erkenntnis des Seins
der Welt im ontologischen Sinne und behandelt die Frage
nach der Materie von dem Gesichtspunkte aus, wie ihre Lösung
verträglich ist mit den Prinzipien einer allgemeinen Weltan-
schauung
. Neben dem rein theoretischen Interesse, welches
in dem Streben nach der Erkenntnis von einem Urgrunde der
Dinge besteht, wirken hier insbesondere religiöse und ethische
Motive. Man will wissen, wie die Körperwelt gedacht werden
muß, damit eine einheitliche Weltanschauung zustande komme.

Das physikalische Interesse bezieht sich auf ein engeres
Gebiet. Es wendet sich dem Probleme der Naturerklärung
zu und fragt, wie die Beschaffenheit der Körper zu denken
ist, damit die beobachteten Erscheinungen sich daraus ableiten
lassen. Hierbei handelt es sich weniger um Erzielung einer
Übereinstimmung mit allgemeinen Erkenntnisforderungen, als
um Aufsuchung geeigneter Prinzipien zu einer technischen
Vereinfachung physikalischer Probleme. Es entspringen Theo-
rien lediglich aus den praktischen Bestrebungen der Physiker
zur bequemeren Erklärung einzelner Naturerscheinungen. Ihre
Urheber sind daher geneigt von Fall zu Fall zu urteilen. Sie
verzichten auf eine Beantwortung der Frage nach den letzten
Einheiten, auf welchen die Elemente der Körperwelt beruhen,
und begnügen sich mit der Aufstellung von Hypothesen, welche
in engeren oder weiteren Grenzen Bestätigung durch die Er-
fahrung finden. Sie unterscheiden in der Erzeugung der
Körperwelt nicht sinnliche und intellektuelle Quellen, nicht

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0021" n="3"/>
        <fw place="top" type="header">Einleitung: Interesse der Theorien der Materie.</fw><lb/>
        <p>Dieses Einteilungsprinzip finden wir in dem <hi rendition="#g">Interesse</hi><lb/>
der Erkenntnis vom Wesen der Materie. Wir unterscheiden<lb/>
das <hi rendition="#g">erkenntniskritische</hi>, das <hi rendition="#g">metaphysische</hi> und das<lb/><hi rendition="#g">physikalische Interesse</hi>.</p><lb/>
        <p>Das erkenntniskritische Interesse richtet sich auf die Frage<lb/>
nach der <hi rendition="#g">Möglichkeit der Erfahrung</hi> überhaupt. Es strebt<lb/>
daher in der Theorie der Materie diejenigen Bedingungen auf-<lb/>
zusuchen, auf welchen die Möglichkeit der Erkenntnis der<lb/>
Körperwelt beruht; diejenigen Denkmittel und Einheitsbe-<lb/>
ziehungen des Bewußtseins sind festzustellen, durch welche<lb/>
ein Teil aus der Gesamtheit des Erlebnisses der Menschheit<lb/>
sich als gesetzmäßige Veränderung einer Körperwelt im Raume<lb/>
darstellt.</p><lb/>
        <p>Das metaphysische Interesse zielt auf Erkenntnis des Seins<lb/>
der Welt im ontologischen Sinne und behandelt die Frage<lb/>
nach der Materie von dem Gesichtspunkte aus, wie ihre Lösung<lb/>
verträglich ist mit den Prinzipien einer allgemeinen <hi rendition="#g">Weltan-<lb/>
schauung</hi>. Neben dem rein theoretischen Interesse, welches<lb/>
in dem Streben nach der Erkenntnis von einem Urgrunde der<lb/>
Dinge besteht, wirken hier insbesondere religiöse und ethische<lb/>
Motive. Man will wissen, wie die Körperwelt gedacht werden<lb/>
muß, damit eine einheitliche Weltanschauung zustande komme.</p><lb/>
        <p>Das physikalische Interesse bezieht sich auf ein engeres<lb/>
Gebiet. Es wendet sich dem Probleme der <hi rendition="#g">Naturerklärung</hi><lb/>
zu und fragt, wie die Beschaffenheit der Körper zu denken<lb/>
ist, damit die beobachteten Erscheinungen sich daraus ableiten<lb/>
lassen. Hierbei handelt es sich weniger um Erzielung einer<lb/>
Übereinstimmung mit allgemeinen Erkenntnisforderungen, als<lb/>
um Aufsuchung geeigneter Prinzipien zu einer technischen<lb/>
Vereinfachung physikalischer Probleme. Es entspringen Theo-<lb/>
rien lediglich aus den praktischen Bestrebungen der Physiker<lb/>
zur bequemeren Erklärung einzelner Naturerscheinungen. Ihre<lb/>
Urheber sind daher geneigt von Fall zu Fall zu urteilen. Sie<lb/>
verzichten auf eine Beantwortung der Frage nach den letzten<lb/>
Einheiten, auf welchen die Elemente der Körperwelt beruhen,<lb/>
und begnügen sich mit der Aufstellung von Hypothesen, welche<lb/>
in engeren oder weiteren Grenzen Bestätigung durch die Er-<lb/>
fahrung finden. Sie unterscheiden in der Erzeugung der<lb/>
Körperwelt nicht sinnliche und intellektuelle Quellen, nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0021] Einleitung: Interesse der Theorien der Materie. Dieses Einteilungsprinzip finden wir in dem Interesse der Erkenntnis vom Wesen der Materie. Wir unterscheiden das erkenntniskritische, das metaphysische und das physikalische Interesse. Das erkenntniskritische Interesse richtet sich auf die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Es strebt daher in der Theorie der Materie diejenigen Bedingungen auf- zusuchen, auf welchen die Möglichkeit der Erkenntnis der Körperwelt beruht; diejenigen Denkmittel und Einheitsbe- ziehungen des Bewußtseins sind festzustellen, durch welche ein Teil aus der Gesamtheit des Erlebnisses der Menschheit sich als gesetzmäßige Veränderung einer Körperwelt im Raume darstellt. Das metaphysische Interesse zielt auf Erkenntnis des Seins der Welt im ontologischen Sinne und behandelt die Frage nach der Materie von dem Gesichtspunkte aus, wie ihre Lösung verträglich ist mit den Prinzipien einer allgemeinen Weltan- schauung. Neben dem rein theoretischen Interesse, welches in dem Streben nach der Erkenntnis von einem Urgrunde der Dinge besteht, wirken hier insbesondere religiöse und ethische Motive. Man will wissen, wie die Körperwelt gedacht werden muß, damit eine einheitliche Weltanschauung zustande komme. Das physikalische Interesse bezieht sich auf ein engeres Gebiet. Es wendet sich dem Probleme der Naturerklärung zu und fragt, wie die Beschaffenheit der Körper zu denken ist, damit die beobachteten Erscheinungen sich daraus ableiten lassen. Hierbei handelt es sich weniger um Erzielung einer Übereinstimmung mit allgemeinen Erkenntnisforderungen, als um Aufsuchung geeigneter Prinzipien zu einer technischen Vereinfachung physikalischer Probleme. Es entspringen Theo- rien lediglich aus den praktischen Bestrebungen der Physiker zur bequemeren Erklärung einzelner Naturerscheinungen. Ihre Urheber sind daher geneigt von Fall zu Fall zu urteilen. Sie verzichten auf eine Beantwortung der Frage nach den letzten Einheiten, auf welchen die Elemente der Körperwelt beruhen, und begnügen sich mit der Aufstellung von Hypothesen, welche in engeren oder weiteren Grenzen Bestätigung durch die Er- fahrung finden. Sie unterscheiden in der Erzeugung der Körperwelt nicht sinnliche und intellektuelle Quellen, nicht 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/21
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/21>, abgerufen am 28.03.2024.