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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Das Kontinuum i. d. Scholastik.
Frage.1 Zunächst kann man annehmen, daß die indivisiblen
Punkte nur potentia bestehen. Wenn sie aber potentia bestehen,
so können sie auch in den actus übergeführt werden. Dies
kann entweder nur durch die Allmacht Gottes geschehen; oder
man kann auch annehmen, daß sie in den Körpern actu be-
stehen oder erzeugt werden. Eine derartige Überführung in
den actus ist auf dreierlei Weise denkbar. Erstens könnte sie
durch die reale Zerlegung der Körper geschehen mittels phy-
sischer Kräfte; dadurch kommen ja Flächen wirklich zum
Vorschein, die bisher nur der Möglichkeit nach vorhanden
waren. Wie nun aber die Flächen durch Zerlegung der Körper,
so können -- wenigstens durch göttliches Vermögen -- auch
Flächen und Linien zerschnitten werden, so daß Linien und
Punkte als Grenzen hervortreten. Zweitens findet eine Über-
führung zur Wirklichkeit bei der Bildung von Figuren statt,
wenn z. B. Körper ohne Ecken, wie die Kugel, in eckige
Körper, wie den Würfel, verwandelt werden, so daß Eck-
punkte zum Vorschein kommen. Drittens werden Flächen,
Linien und Punkte erzeugt durch die Designation des Denkens,
wenn, wie dies in der Mathematik geschieht, eine eckenlose
Figur durch Flächen und Linien zerlegt wird.

In jedem Falle ist wieder eine doppelte Ansicht möglich;
es können nämlich die unteilbaren Punkte entweder nur als
Endpunkte anerkannt werden, oder als kontinuierende im Zu-
sammenhange der stetigen Größe. Endlich kann man auch
die Indivisiblen sowohl unter sich, als von der körperlichen
Masse realiter unterscheiden, oder auch den Punkt als Modus

1 Die Entwickelung dieser Lehre innerhalb der Scholastik bei den einzelnen
Autoren zu verfolgen, wäre eine Aufgabe für die Geschichte des Kontinuitäts-
problems. Die Geschichte der Korpuskularphilosophie muß sich darauf be-
schränken, das Gesamtresultat der mittelalterlichen Spekulation über das Kon-
tinuum kennen zu lernen, wozu die ausführlichen Kommentare zu Aristoteles
und die Hauptschriften der bedeutendsten Lehrer ausreichen. Es sind im
Folgenden hauptsächlich benutzt: D. Francisci Toleti S. J. Commentaria i.
libr. phys. Arist.
Colon. Agripp. 1615. lib. 6. c. 2. p. 168b--175a. -- Collegii
Conimbricensis Soc. Jes. in 8. libr. phys. Arist. Colon. 1596. T. I. 1. 6. c. 2.
p. 222--236. -- Vgl. dazu Suarez, Metaph. disput. Venet. 1605. T. II. p. 368
ff. und die Auszüge von Baumann, 1 Bd. S. 19 ff. Für die Werke von Thomas
dient die Ausgabe: Opera omnia, Venet. 1593. Fol.

Das Kontinuum i. d. Scholastik.
Frage.1 Zunächst kann man annehmen, daß die indivisiblen
Punkte nur potentia bestehen. Wenn sie aber potentia bestehen,
so können sie auch in den actus übergeführt werden. Dies
kann entweder nur durch die Allmacht Gottes geschehen; oder
man kann auch annehmen, daß sie in den Körpern actu be-
stehen oder erzeugt werden. Eine derartige Überführung in
den actus ist auf dreierlei Weise denkbar. Erstens könnte sie
durch die reale Zerlegung der Körper geschehen mittels phy-
sischer Kräfte; dadurch kommen ja Flächen wirklich zum
Vorschein, die bisher nur der Möglichkeit nach vorhanden
waren. Wie nun aber die Flächen durch Zerlegung der Körper,
so können — wenigstens durch göttliches Vermögen — auch
Flächen und Linien zerschnitten werden, so daß Linien und
Punkte als Grenzen hervortreten. Zweitens findet eine Über-
führung zur Wirklichkeit bei der Bildung von Figuren statt,
wenn z. B. Körper ohne Ecken, wie die Kugel, in eckige
Körper, wie den Würfel, verwandelt werden, so daß Eck-
punkte zum Vorschein kommen. Drittens werden Flächen,
Linien und Punkte erzeugt durch die Designation des Denkens,
wenn, wie dies in der Mathematik geschieht, eine eckenlose
Figur durch Flächen und Linien zerlegt wird.

In jedem Falle ist wieder eine doppelte Ansicht möglich;
es können nämlich die unteilbaren Punkte entweder nur als
Endpunkte anerkannt werden, oder als kontinuierende im Zu-
sammenhange der stetigen Größe. Endlich kann man auch
die Indivisiblen sowohl unter sich, als von der körperlichen
Masse realiter unterscheiden, oder auch den Punkt als Modus

1 Die Entwickelung dieser Lehre innerhalb der Scholastik bei den einzelnen
Autoren zu verfolgen, wäre eine Aufgabe für die Geschichte des Kontinuitäts-
problems. Die Geschichte der Korpuskularphilosophie muß sich darauf be-
schränken, das Gesamtresultat der mittelalterlichen Spekulation über das Kon-
tinuum kennen zu lernen, wozu die ausführlichen Kommentare zu Aristoteles
und die Hauptschriften der bedeutendsten Lehrer ausreichen. Es sind im
Folgenden hauptsächlich benutzt: D. Francisci Toleti S. J. Commentaria i.
libr. phys. Arist.
Colon. Agripp. 1615. lib. 6. c. 2. p. 168b—175a. — Collegii
Conimbricensis Soc. Jes. in 8. libr. phys. Arist. Colon. 1596. T. I. 1. 6. c. 2.
p. 222—236. — Vgl. dazu Suarez, Metaph. disput. Venet. 1605. T. II. p. 368
ff. und die Auszüge von Baumann, 1 Bd. S. 19 ff. Für die Werke von Thomas
dient die Ausgabe: Opera omnia, Venet. 1593. Fol.
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[188/0206] Das Kontinuum i. d. Scholastik. Frage. 1 Zunächst kann man annehmen, daß die indivisiblen Punkte nur potentia bestehen. Wenn sie aber potentia bestehen, so können sie auch in den actus übergeführt werden. Dies kann entweder nur durch die Allmacht Gottes geschehen; oder man kann auch annehmen, daß sie in den Körpern actu be- stehen oder erzeugt werden. Eine derartige Überführung in den actus ist auf dreierlei Weise denkbar. Erstens könnte sie durch die reale Zerlegung der Körper geschehen mittels phy- sischer Kräfte; dadurch kommen ja Flächen wirklich zum Vorschein, die bisher nur der Möglichkeit nach vorhanden waren. Wie nun aber die Flächen durch Zerlegung der Körper, so können — wenigstens durch göttliches Vermögen — auch Flächen und Linien zerschnitten werden, so daß Linien und Punkte als Grenzen hervortreten. Zweitens findet eine Über- führung zur Wirklichkeit bei der Bildung von Figuren statt, wenn z. B. Körper ohne Ecken, wie die Kugel, in eckige Körper, wie den Würfel, verwandelt werden, so daß Eck- punkte zum Vorschein kommen. Drittens werden Flächen, Linien und Punkte erzeugt durch die Designation des Denkens, wenn, wie dies in der Mathematik geschieht, eine eckenlose Figur durch Flächen und Linien zerlegt wird. In jedem Falle ist wieder eine doppelte Ansicht möglich; es können nämlich die unteilbaren Punkte entweder nur als Endpunkte anerkannt werden, oder als kontinuierende im Zu- sammenhange der stetigen Größe. Endlich kann man auch die Indivisiblen sowohl unter sich, als von der körperlichen Masse realiter unterscheiden, oder auch den Punkt als Modus 1 Die Entwickelung dieser Lehre innerhalb der Scholastik bei den einzelnen Autoren zu verfolgen, wäre eine Aufgabe für die Geschichte des Kontinuitäts- problems. Die Geschichte der Korpuskularphilosophie muß sich darauf be- schränken, das Gesamtresultat der mittelalterlichen Spekulation über das Kon- tinuum kennen zu lernen, wozu die ausführlichen Kommentare zu Aristoteles und die Hauptschriften der bedeutendsten Lehrer ausreichen. Es sind im Folgenden hauptsächlich benutzt: D. Francisci Toleti S. J. Commentaria i. libr. phys. Arist. Colon. Agripp. 1615. lib. 6. c. 2. p. 168b—175a. — Collegii Conimbricensis Soc. Jes. in 8. libr. phys. Arist. Colon. 1596. T. I. 1. 6. c. 2. p. 222—236. — Vgl. dazu Suarez, Metaph. disput. Venet. 1605. T. II. p. 368 ff. und die Auszüge von Baumann, 1 Bd. S. 19 ff. Für die Werke von Thomas dient die Ausgabe: Opera omnia, Venet. 1593. Fol.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/206>, abgerufen am 28.11.2024.