Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Größe und Richtung.
der Rektifikation macht das Fehlen eines Denkmittels deutlich
erkennbar, welches alle Arten des Kontinuums durch Fixierung
des Gesetzes ihrer Erzeugung beherrschen und den Begriff der
Länge auch noch bei einer Richtungsänderung der
Linie
festhalten läßt. Es bedarf eines besonderen Grund-
satzes, welcher besagt, wodurch die Länge einer krummen
Linie bestimmt, die Vergleichbarkeit gekrümmter und gerader
Linien ermöglicht werden soll. Euklid hat daher zwar Sätze
aufstellen können, daß die Flächen der Kreise sich ver-
halten wie die Quadrate, die Volumina der Kugeln wie die Kuben
ihrer Durchmesser, weil es sich hier um die Verhältnisse von
Flächen zu einander, resp. von Körpern zu einander handelte;
aber er hat keinen Satz aufgestellt, daß die Peripherien der
Kreise sich wie ihre Durchmesser, die Oberflächen der Kugeln
wie die Quadrate ihrer Durchmesser verhalten, weil es ihm an
einem Grundsatz gebrach, dem Verhältnis einer krummen zu
einer geraden Linie, einer Kugelfläche zu einer ebenen Figur
einen Sinn beizulegen.1

Der erste unter den alten griechischen Mathematikern,
welcher den Versuch machte, diese Schwierigkeit zu bewältigen,
Gerades und Krummes demselben, durch die gleiche Maßein-
heit bestimmbaren Größenbegriff zu unterwerfen, war
Archimedes (287--212 v. Chr.); mit Recht wird er daher der
modernste unter den antiken genannt. Er stellt für die Größen-
vergleichung von krummen und geraden geometrischen Gebilden
ein besonderes Postulat auf, indem er fordert, daß von allen
Linien mit gleichen Endpunkten die gerade die kürzeste ist,
und jedesmal diejenige die kleinere, welche von der andren
ganz oder teilweise umschlossen wird; entsprechendes nimmt
er von den Flächen an.2 Auch zeigt sich die ganze Schärfe
seines Verfahrens in der ausdrücklichen Voraussetzung, daß
dieser Überschuß der einen Größe über die andre eine end-
liche Größe derselben Art sei, indem Archimedes ausspricht,
daß die Differenz durch wiederholte Setzung müsse größer
gemacht werden können als jede der verglichenen Größen.3

1 Vogt, a. a. O. S. 42.
2 De sphaera et cylindro, Postulata 1--4. Ed. Heiberg, Lips. 1880. I,
p. 8, 10. Deutsche Übersetzung von Nizze, Stralsund 1824. S. 44.
3 A. a. O. Postulatum 5.

Größe und Richtung.
der Rektifikation macht das Fehlen eines Denkmittels deutlich
erkennbar, welches alle Arten des Kontinuums durch Fixierung
des Gesetzes ihrer Erzeugung beherrschen und den Begriff der
Länge auch noch bei einer Richtungsänderung der
Linie
festhalten läßt. Es bedarf eines besonderen Grund-
satzes, welcher besagt, wodurch die Länge einer krummen
Linie bestimmt, die Vergleichbarkeit gekrümmter und gerader
Linien ermöglicht werden soll. Euklid hat daher zwar Sätze
aufstellen können, daß die Flächen der Kreise sich ver-
halten wie die Quadrate, die Volumina der Kugeln wie die Kuben
ihrer Durchmesser, weil es sich hier um die Verhältnisse von
Flächen zu einander, resp. von Körpern zu einander handelte;
aber er hat keinen Satz aufgestellt, daß die Peripherien der
Kreise sich wie ihre Durchmesser, die Oberflächen der Kugeln
wie die Quadrate ihrer Durchmesser verhalten, weil es ihm an
einem Grundsatz gebrach, dem Verhältnis einer krummen zu
einer geraden Linie, einer Kugelfläche zu einer ebenen Figur
einen Sinn beizulegen.1

Der erste unter den alten griechischen Mathematikern,
welcher den Versuch machte, diese Schwierigkeit zu bewältigen,
Gerades und Krummes demselben, durch die gleiche Maßein-
heit bestimmbaren Größenbegriff zu unterwerfen, war
Archimedes (287—212 v. Chr.); mit Recht wird er daher der
modernste unter den antiken genannt. Er stellt für die Größen-
vergleichung von krummen und geraden geometrischen Gebilden
ein besonderes Postulat auf, indem er fordert, daß von allen
Linien mit gleichen Endpunkten die gerade die kürzeste ist,
und jedesmal diejenige die kleinere, welche von der andren
ganz oder teilweise umschlossen wird; entsprechendes nimmt
er von den Flächen an.2 Auch zeigt sich die ganze Schärfe
seines Verfahrens in der ausdrücklichen Voraussetzung, daß
dieser Überschuß der einen Größe über die andre eine end-
liche Größe derselben Art sei, indem Archimedes ausspricht,
daß die Differenz durch wiederholte Setzung müsse größer
gemacht werden können als jede der verglichenen Größen.3

1 Vogt, a. a. O. S. 42.
2 De sphaera et cylindro, Postulata 1—4. Ed. Heiberg, Lips. 1880. I,
p. 8, 10. Deutsche Übersetzung von Nizze, Stralsund 1824. S. 44.
3 A. a. O. Postulatum 5.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0198" n="180"/><fw place="top" type="header">Größe und Richtung.</fw><lb/>
der Rektifikation macht das Fehlen eines Denkmittels deutlich<lb/>
erkennbar, welches alle Arten des Kontinuums durch Fixierung<lb/>
des Gesetzes ihrer Erzeugung beherrschen und den Begriff der<lb/><hi rendition="#g">Länge</hi> auch noch bei einer <hi rendition="#g">Richtungsänderung der<lb/>
Linie</hi> festhalten läßt. Es bedarf eines besonderen Grund-<lb/>
satzes, welcher besagt, wodurch die Länge einer krummen<lb/>
Linie bestimmt, die Vergleichbarkeit gekrümmter und gerader<lb/>
Linien ermöglicht werden soll. <hi rendition="#k">Euklid</hi> hat daher zwar Sätze<lb/>
aufstellen können, daß die Flächen der Kreise sich ver-<lb/>
halten wie die Quadrate, die Volumina der Kugeln wie die Kuben<lb/>
ihrer Durchmesser, weil es sich hier um die Verhältnisse von<lb/>
Flächen zu einander, resp. von Körpern zu einander handelte;<lb/>
aber er hat keinen Satz aufgestellt, daß die Peripherien der<lb/>
Kreise sich wie ihre Durchmesser, die Oberflächen der Kugeln<lb/>
wie die Quadrate ihrer Durchmesser verhalten, weil es ihm an<lb/>
einem Grundsatz gebrach, dem Verhältnis einer krummen zu<lb/>
einer geraden Linie, einer Kugelfläche zu einer ebenen Figur<lb/>
einen Sinn beizulegen.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#k">Vogt</hi>, a. a. O. S. 42.</note></p><lb/>
            <p>Der erste unter den alten griechischen Mathematikern,<lb/>
welcher den Versuch machte, diese Schwierigkeit zu bewältigen,<lb/>
Gerades und Krummes demselben, durch die gleiche Maßein-<lb/>
heit bestimmbaren <hi rendition="#g">Größenbegriff</hi> zu unterwerfen, war<lb/><hi rendition="#k">Archimedes</hi> (287&#x2014;212 v. Chr.); mit Recht wird er daher der<lb/>
modernste unter den antiken genannt. Er stellt für die Größen-<lb/>
vergleichung von krummen und geraden geometrischen Gebilden<lb/>
ein besonderes Postulat auf, indem er fordert, daß von allen<lb/>
Linien mit gleichen Endpunkten die gerade die kürzeste ist,<lb/>
und jedesmal diejenige die kleinere, welche von der andren<lb/>
ganz oder teilweise umschlossen wird; entsprechendes nimmt<lb/>
er von den Flächen an.<note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">De sphaera et cylindro</hi>, Postulata 1&#x2014;4. <hi rendition="#k">Ed. Heiberg</hi>, Lips. 1880. I,<lb/>
p. 8, 10. Deutsche Übersetzung von <hi rendition="#k">Nizze</hi>, Stralsund 1824. S. 44.</note> Auch zeigt sich die ganze Schärfe<lb/>
seines Verfahrens in der ausdrücklichen Voraussetzung, daß<lb/>
dieser Überschuß der einen Größe über die andre eine end-<lb/>
liche Größe derselben Art sei, indem <hi rendition="#k">Archimedes</hi> ausspricht,<lb/>
daß die Differenz durch wiederholte Setzung müsse größer<lb/>
gemacht werden können als jede der verglichenen Größen.<note place="foot" n="3">A. a. O. Postulatum 5.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0198] Größe und Richtung. der Rektifikation macht das Fehlen eines Denkmittels deutlich erkennbar, welches alle Arten des Kontinuums durch Fixierung des Gesetzes ihrer Erzeugung beherrschen und den Begriff der Länge auch noch bei einer Richtungsänderung der Linie festhalten läßt. Es bedarf eines besonderen Grund- satzes, welcher besagt, wodurch die Länge einer krummen Linie bestimmt, die Vergleichbarkeit gekrümmter und gerader Linien ermöglicht werden soll. Euklid hat daher zwar Sätze aufstellen können, daß die Flächen der Kreise sich ver- halten wie die Quadrate, die Volumina der Kugeln wie die Kuben ihrer Durchmesser, weil es sich hier um die Verhältnisse von Flächen zu einander, resp. von Körpern zu einander handelte; aber er hat keinen Satz aufgestellt, daß die Peripherien der Kreise sich wie ihre Durchmesser, die Oberflächen der Kugeln wie die Quadrate ihrer Durchmesser verhalten, weil es ihm an einem Grundsatz gebrach, dem Verhältnis einer krummen zu einer geraden Linie, einer Kugelfläche zu einer ebenen Figur einen Sinn beizulegen. 1 Der erste unter den alten griechischen Mathematikern, welcher den Versuch machte, diese Schwierigkeit zu bewältigen, Gerades und Krummes demselben, durch die gleiche Maßein- heit bestimmbaren Größenbegriff zu unterwerfen, war Archimedes (287—212 v. Chr.); mit Recht wird er daher der modernste unter den antiken genannt. Er stellt für die Größen- vergleichung von krummen und geraden geometrischen Gebilden ein besonderes Postulat auf, indem er fordert, daß von allen Linien mit gleichen Endpunkten die gerade die kürzeste ist, und jedesmal diejenige die kleinere, welche von der andren ganz oder teilweise umschlossen wird; entsprechendes nimmt er von den Flächen an. 2 Auch zeigt sich die ganze Schärfe seines Verfahrens in der ausdrücklichen Voraussetzung, daß dieser Überschuß der einen Größe über die andre eine end- liche Größe derselben Art sei, indem Archimedes ausspricht, daß die Differenz durch wiederholte Setzung müsse größer gemacht werden können als jede der verglichenen Größen. 3 1 Vogt, a. a. O. S. 42. 2 De sphaera et cylindro, Postulata 1—4. Ed. Heiberg, Lips. 1880. I, p. 8, 10. Deutsche Übersetzung von Nizze, Stralsund 1824. S. 44. 3 A. a. O. Postulatum 5.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/198
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/198>, abgerufen am 03.05.2024.