Mensch ein Glied des Naturzusammenhanges ist; er arbeitet der weit vorgeschrittenen Entfremdung des Menschen von der Natur entgegen und streut fruchtbare Keime in den von der Theologie überwucherten Boden, die vorläufig noch durch Jahrhunderte langsam unter der Erde sich entwickeln, bis sie bei der Wiedererweckung der Naturwissenschaften sich lebens- voll entfalten.
Die Kontinuität wissenschaftlicher Bildung, im Abend- lande durch das Eindringen der erobernden germanischen Stämme unterbrochen, hatte im Orient sich erhalten. In über- raschender Anpassungsfähigkeit hatten die Araber mit der Gründung ihrer Weltreiche die Civilisation der unterworfenen Völker in sich aufgenommen und wieder nach dem Westen zurückgetragen. Von Spanien aus verbreitete sich durch jüdische und arabische Denker und Ärzte der Einfluß gelehrter Bildung und längst entschwundenen Wissens auf das christ- liche Europa; und diese Erweiterung des Gesichtskreises baute sich nicht nur auf aus den Ergebnissen des griechischen Den- kens, sondern sie enthielt neue, der Wissenschaft des Alter- tums fremde Elemente, geflossen aus der Beobachtung eines phantasiereichen Naturvolks unter dem klaren Himmel seiner weiten Steppen, und aus der Priesterweisheit einer uralten Kultur, welche an den Ufern des Indus und Ganges den Ge- heimnissen der Schöpfung nachgesonnen hatte. Die Araber vereinten Orient und Occident. Ihr scharfer Verstand und ihre rege Auffassungsgabe, geübt an den Erscheinungen der Natur, die alltäglich und allnächtlich den Beduinen umgaben, erfaßte mit gleicher Lebendigkeit die Theorien der Griechen wie die Phantasien der Inder. Ihr auf die Wirklichkeit des Lebens gerichtetes Interesse durchsetzte die abstrakte Meta- physik des Aristoteles mit konkreten Anschauungen. Und weil ihr Urteil mehr gegründet war auf die intuitive Eingebung des Augenblicks als auf analysierende Kritik, so vermochten sie die Geometrie des Archimedes, die Medizin Galens und die Metaphysik des Aristoteles ohne Schwierigkeit zu vereinigen mit der Zahlanschauung der Inder und der eigenen Weltkunde, die sie auf Kriegs- und Handelszügen sammelten. Ihr empirisches Wissen nahm unter dem Einflusse der Schriften der Griechen rasch die Gestalt der Wissenschaft an. Solch internationalen
Naturwissenschaftliches Interesse der Araber.
Mensch ein Glied des Naturzusammenhanges ist; er arbeitet der weit vorgeschrittenen Entfremdung des Menschen von der Natur entgegen und streut fruchtbare Keime in den von der Theologie überwucherten Boden, die vorläufig noch durch Jahrhunderte langsam unter der Erde sich entwickeln, bis sie bei der Wiedererweckung der Naturwissenschaften sich lebens- voll entfalten.
Die Kontinuität wissenschaftlicher Bildung, im Abend- lande durch das Eindringen der erobernden germanischen Stämme unterbrochen, hatte im Orient sich erhalten. In über- raschender Anpassungsfähigkeit hatten die Araber mit der Gründung ihrer Weltreiche die Civilisation der unterworfenen Völker in sich aufgenommen und wieder nach dem Westen zurückgetragen. Von Spanien aus verbreitete sich durch jüdische und arabische Denker und Ärzte der Einfluß gelehrter Bildung und längst entschwundenen Wissens auf das christ- liche Europa; und diese Erweiterung des Gesichtskreises baute sich nicht nur auf aus den Ergebnissen des griechischen Den- kens, sondern sie enthielt neue, der Wissenschaft des Alter- tums fremde Elemente, geflossen aus der Beobachtung eines phantasiereichen Naturvolks unter dem klaren Himmel seiner weiten Steppen, und aus der Priesterweisheit einer uralten Kultur, welche an den Ufern des Indus und Ganges den Ge- heimnissen der Schöpfung nachgesonnen hatte. Die Araber vereinten Orient und Occident. Ihr scharfer Verstand und ihre rege Auffassungsgabe, geübt an den Erscheinungen der Natur, die alltäglich und allnächtlich den Beduinen umgaben, erfaßte mit gleicher Lebendigkeit die Theorien der Griechen wie die Phantasien der Inder. Ihr auf die Wirklichkeit des Lebens gerichtetes Interesse durchsetzte die abstrakte Meta- physik des Aristoteles mit konkreten Anschauungen. Und weil ihr Urteil mehr gegründet war auf die intuitive Eingebung des Augenblicks als auf analysierende Kritik, so vermochten sie die Geometrie des Archimedes, die Medizin Galens und die Metaphysik des Aristoteles ohne Schwierigkeit zu vereinigen mit der Zahlanschauung der Inder und der eigenen Weltkunde, die sie auf Kriegs- und Handelszügen sammelten. Ihr empirisches Wissen nahm unter dem Einflusse der Schriften der Griechen rasch die Gestalt der Wissenschaft an. Solch internationalen
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Naturwissenschaftliches Interesse der Araber.
Mensch ein Glied des Naturzusammenhanges ist; er arbeitet
der weit vorgeschrittenen Entfremdung des Menschen von der
Natur entgegen und streut fruchtbare Keime in den von der
Theologie überwucherten Boden, die vorläufig noch durch
Jahrhunderte langsam unter der Erde sich entwickeln, bis sie
bei der Wiedererweckung der Naturwissenschaften sich lebens-
voll entfalten.
Die Kontinuität wissenschaftlicher Bildung, im Abend-
lande durch das Eindringen der erobernden germanischen
Stämme unterbrochen, hatte im Orient sich erhalten. In über-
raschender Anpassungsfähigkeit hatten die Araber mit der
Gründung ihrer Weltreiche die Civilisation der unterworfenen
Völker in sich aufgenommen und wieder nach dem Westen
zurückgetragen. Von Spanien aus verbreitete sich durch
jüdische und arabische Denker und Ärzte der Einfluß gelehrter
Bildung und längst entschwundenen Wissens auf das christ-
liche Europa; und diese Erweiterung des Gesichtskreises baute
sich nicht nur auf aus den Ergebnissen des griechischen Den-
kens, sondern sie enthielt neue, der Wissenschaft des Alter-
tums fremde Elemente, geflossen aus der Beobachtung eines
phantasiereichen Naturvolks unter dem klaren Himmel seiner
weiten Steppen, und aus der Priesterweisheit einer uralten
Kultur, welche an den Ufern des Indus und Ganges den Ge-
heimnissen der Schöpfung nachgesonnen hatte. Die Araber
vereinten Orient und Occident. Ihr scharfer Verstand und
ihre rege Auffassungsgabe, geübt an den Erscheinungen der
Natur, die alltäglich und allnächtlich den Beduinen umgaben,
erfaßte mit gleicher Lebendigkeit die Theorien der Griechen
wie die Phantasien der Inder. Ihr auf die Wirklichkeit des
Lebens gerichtetes Interesse durchsetzte die abstrakte Meta-
physik des Aristoteles mit konkreten Anschauungen. Und
weil ihr Urteil mehr gegründet war auf die intuitive Eingebung
des Augenblicks als auf analysierende Kritik, so vermochten sie
die Geometrie des Archimedes, die Medizin Galens und die
Metaphysik des Aristoteles ohne Schwierigkeit zu vereinigen
mit der Zahlanschauung der Inder und der eigenen Weltkunde,
die sie auf Kriegs- und Handelszügen sammelten. Ihr empirisches
Wissen nahm unter dem Einflusse der Schriften der Griechen
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/192>, abgerufen am 28.11.2024.
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