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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Ibn Gabirol: Lebensquelle.
auf seine Glaubensgenossen, noch weniger auf die Araber,
aber in hohem Grade auf die christlichen Scholastiker gewirkt
hat. Diese hielten ihn für einen arabischen, einige vielleicht
für einen christlichen Philosophen und kannten ihn unter
dem Namen Avicebron.1

Ibn Gabirol will durch seine ganz allgemeine Fassung der
Begriffe Materie und Form einerseits die Einheit der Substanz
aller Dinge, der körperlichen wie der geistigen, herstellen und
sie dadurch in einheitlichen Zusammenhang mit Gott bringen,
und andrerseits aus dieser Verbindung die Existenz des
schöpferischen Willens Gottes beweisen, durch welchen dieselbe
bewirkt wird.2 Dieser Wille Gottes, über welchen er in einem
andren, uns nicht erhaltenen Werke gehandelt zu haben scheint,
ist die "Lebensquelle", aus welcher Form und Stoff der ganzen
Welt fließen, die göttliche Schöpferkraft, welche alle Dinge
schaffe.3 Wir haben hier nur auf Gabirols Substanzbegriff
einzugehen, insofern derselbe Grundlage der Körperwelt wird.
Dieser Substanzbegriff wird im zweiten Buche der Lebensquelle
erörtert, nachdem im ersten über Materie und Form überhaupt
gehandelt worden ist. Das dritte Buch bespricht dann die ein-
fachen Substanzen, die Mittelwesen zwischen Gott und Körper-
welt, das vierte beweist, daß dieselben aus Materie und Form
bestehen, das fünfte führt auf die allgemeine Materie und Form
und den Willen Gottes.

Die Eigenschaften der einzigen, allem Existierenden zu
Grunde liegenden Materie sind die folgenden. Sie besitzt
Existenz für sich und haftet nicht an der Existenz von
irgend etwas andrem, sie ist eine einzige, einheitliche, aber

1 Die Identität des von den Scholastikern citierten Avicebron mit Ibn
Gabirol
hat Munk nachgewiesen, Litteraturblatt des Orients, 1845, N. 46. col.
721. Sein Hauptwerk Fons vitae ist von Munk nach den umfassenden Aus-
zügen, welche Schem Tob Ibn Falaquera im 13. Jahrhundert hebräisch gegeben
hat, ins Französische übersetzt in den Melanges de philos. juive et arabe, Paris
1859, nach welcher Ausgabe ich citiere. Es existiert auch eine lateinische
Übersetzung, die den Scholastikern vorlag. Ibn Gabirols tiefsinnige religiöse
Dichtungen haben noch jetzt Bedeutung. S. Abraham Geiger, Salomo Gabirol
und seine Dichtungen
, Leipzig 1867.
2 Vgl. Ritter, Die christliche Philosophie etc. Göttingen 1858. 1 Bd. S. 611.
3 S. Kaufmann, Geschichte der Attributenlehre in d. jüd. Religionsphilosophie.
Gotha 1877. S. 99 f.

Ibn Gabirol: Lebensquelle.
auf seine Glaubensgenossen, noch weniger auf die Araber,
aber in hohem Grade auf die christlichen Scholastiker gewirkt
hat. Diese hielten ihn für einen arabischen, einige vielleicht
für einen christlichen Philosophen und kannten ihn unter
dem Namen Avicebron.1

Ibn Gabirol will durch seine ganz allgemeine Fassung der
Begriffe Materie und Form einerseits die Einheit der Substanz
aller Dinge, der körperlichen wie der geistigen, herstellen und
sie dadurch in einheitlichen Zusammenhang mit Gott bringen,
und andrerseits aus dieser Verbindung die Existenz des
schöpferischen Willens Gottes beweisen, durch welchen dieselbe
bewirkt wird.2 Dieser Wille Gottes, über welchen er in einem
andren, uns nicht erhaltenen Werke gehandelt zu haben scheint,
ist die „Lebensquelle‟, aus welcher Form und Stoff der ganzen
Welt fließen, die göttliche Schöpferkraft, welche alle Dinge
schaffe.3 Wir haben hier nur auf Gabirols Substanzbegriff
einzugehen, insofern derselbe Grundlage der Körperwelt wird.
Dieser Substanzbegriff wird im zweiten Buche der Lebensquelle
erörtert, nachdem im ersten über Materie und Form überhaupt
gehandelt worden ist. Das dritte Buch bespricht dann die ein-
fachen Substanzen, die Mittelwesen zwischen Gott und Körper-
welt, das vierte beweist, daß dieselben aus Materie und Form
bestehen, das fünfte führt auf die allgemeine Materie und Form
und den Willen Gottes.

Die Eigenschaften der einzigen, allem Existierenden zu
Grunde liegenden Materie sind die folgenden. Sie besitzt
Existenz für sich und haftet nicht an der Existenz von
irgend etwas andrem, sie ist eine einzige, einheitliche, aber

1 Die Identität des von den Scholastikern citierten Avicebron mit Ibn
Gabirol
hat Munk nachgewiesen, Litteraturblatt des Orients, 1845, N. 46. col.
721. Sein Hauptwerk Fons vitae ist von Munk nach den umfassenden Aus-
zügen, welche Schem Tob Ibn Falaquera im 13. Jahrhundert hebräisch gegeben
hat, ins Französische übersetzt in den Mélanges de philos. juive et arabe, Paris
1859, nach welcher Ausgabe ich citiere. Es existiert auch eine lateinische
Übersetzung, die den Scholastikern vorlag. Ibn Gabirols tiefsinnige religiöse
Dichtungen haben noch jetzt Bedeutung. S. Abraham Geiger, Salomo Gabirol
und seine Dichtungen
, Leipzig 1867.
2 Vgl. Ritter, Die christliche Philosophie etc. Göttingen 1858. 1 Bd. S. 611.
3 S. Kaufmann, Geschichte der Attributenlehre in d. jüd. Religionsphilosophie.
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[163/0181] Ibn Gabirol: Lebensquelle. auf seine Glaubensgenossen, noch weniger auf die Araber, aber in hohem Grade auf die christlichen Scholastiker gewirkt hat. Diese hielten ihn für einen arabischen, einige vielleicht für einen christlichen Philosophen und kannten ihn unter dem Namen Avicebron. 1 Ibn Gabirol will durch seine ganz allgemeine Fassung der Begriffe Materie und Form einerseits die Einheit der Substanz aller Dinge, der körperlichen wie der geistigen, herstellen und sie dadurch in einheitlichen Zusammenhang mit Gott bringen, und andrerseits aus dieser Verbindung die Existenz des schöpferischen Willens Gottes beweisen, durch welchen dieselbe bewirkt wird. 2 Dieser Wille Gottes, über welchen er in einem andren, uns nicht erhaltenen Werke gehandelt zu haben scheint, ist die „Lebensquelle‟, aus welcher Form und Stoff der ganzen Welt fließen, die göttliche Schöpferkraft, welche alle Dinge schaffe. 3 Wir haben hier nur auf Gabirols Substanzbegriff einzugehen, insofern derselbe Grundlage der Körperwelt wird. Dieser Substanzbegriff wird im zweiten Buche der Lebensquelle erörtert, nachdem im ersten über Materie und Form überhaupt gehandelt worden ist. Das dritte Buch bespricht dann die ein- fachen Substanzen, die Mittelwesen zwischen Gott und Körper- welt, das vierte beweist, daß dieselben aus Materie und Form bestehen, das fünfte führt auf die allgemeine Materie und Form und den Willen Gottes. Die Eigenschaften der einzigen, allem Existierenden zu Grunde liegenden Materie sind die folgenden. Sie besitzt Existenz für sich und haftet nicht an der Existenz von irgend etwas andrem, sie ist eine einzige, einheitliche, aber 1 Die Identität des von den Scholastikern citierten Avicebron mit Ibn Gabirol hat Munk nachgewiesen, Litteraturblatt des Orients, 1845, N. 46. col. 721. Sein Hauptwerk Fons vitae ist von Munk nach den umfassenden Aus- zügen, welche Schem Tob Ibn Falaquera im 13. Jahrhundert hebräisch gegeben hat, ins Französische übersetzt in den Mélanges de philos. juive et arabe, Paris 1859, nach welcher Ausgabe ich citiere. Es existiert auch eine lateinische Übersetzung, die den Scholastikern vorlag. Ibn Gabirols tiefsinnige religiöse Dichtungen haben noch jetzt Bedeutung. S. Abraham Geiger, Salomo Gabirol und seine Dichtungen, Leipzig 1867. 2 Vgl. Ritter, Die christliche Philosophie etc. Göttingen 1858. 1 Bd. S. 611. 3 S. Kaufmann, Geschichte der Attributenlehre in d. jüd. Religionsphilosophie. Gotha 1877. S. 99 f.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/181>, abgerufen am 27.11.2024.