Untauglichkeit des Zwecks als Erkenntnismittels d. Physik.
Mit der Erhebung der substanziellen Form, als des bestim- menden Zweckes des Einzeldings, zum Erkenntnismittel der Natur ist jede mechanische Erklärungsweise abgelehnt. Dadurch wird es Aristoteles unmöglich, ein Gebiet der Physik, in welchem nur mechanische Kausalität herrscht, zu trennen von dem all- gemeinen Gebiete der Lebenserscheinungen, worin Thätigkeit des Bewußtseins sich Zwecke setzt und die Mittel zu ihrer Verwirklichung findet. Jede einzelne Erscheinung wird in ihrem Charakter als Ganzes, als sinnliches Geschehnis erhalten. Die Analyse, welche die allgemeinen Prinzipien, deren Kenntnis allein Wissenschaft ausmachen kann, aufsuchen soll, richtet sich nicht auf die Trennung von Teilursachen, indem sie die ver- schlungenen gegenseitigen Einwirkungen der Dinge durch Ab- straktion zu sondern sucht, sondern sie richtet sich auf die verschiedenen Arten, wie Zwecke in vollkommener oder weniger vollkommener Weise erreicht, dauernde oder vergängliche Ziele erstrebt werden können. Überall herrscht | die Übertragung aus den Vorgängen des Seelenlebens auf die Natur, und die aus dem bewußten Erleben herausgewachsenen Formen der Sprache werden zum Leitfaden für die Aufsuchung physikalischer Begriffe. Das Problem des Körpers löst sich daher nirgends rein von dem Problem der Veränderung überhaupt. Der Einzel- körper verwandelt sich in seinen Eigenschaften durch das Hinzutreten neuer Formen, wie der Begriff sich durch das Hinzutreten neuer Merkmale ändert. Es ist ein der Logik ent- nommenes Bild, das zur Erklärung dienen soll, aber eben darum keinen Einblick in die Einwirkung der Körper aufeinander zu geben vermag. Die Körper gewinnen keine Selbständigkeit und Konstanz; sie begrenzen sich gegenseitig, und diese Um- schließung ist der Raum; der Raum ist daher nur durch die Verschiedenheit der Formen gewährleistet, welche die einzelnen Teile der Materie aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit führen. Es giebt keinen leeren Raum,1 sondern nur kontinuier- liche Körper, welche der räumlichen Bewegung fähig sind.
Da nun zur Erklärung des thatsächlichen Gewirrs der natürlichen Körper allein das Denkmittel von Substanz und Accidens zur Verfügung steht, so kann diese Erklärung nur in
1 Näheres S. weiter unten, 5. Kap., I, B. S. 106 f.
Untauglichkeit des Zwecks als Erkenntnismittels d. Physik.
Mit der Erhebung der substanziellen Form, als des bestim- menden Zweckes des Einzeldings, zum Erkenntnismittel der Natur ist jede mechanische Erklärungsweise abgelehnt. Dadurch wird es Aristoteles unmöglich, ein Gebiet der Physik, in welchem nur mechanische Kausalität herrscht, zu trennen von dem all- gemeinen Gebiete der Lebenserscheinungen, worin Thätigkeit des Bewußtseins sich Zwecke setzt und die Mittel zu ihrer Verwirklichung findet. Jede einzelne Erscheinung wird in ihrem Charakter als Ganzes, als sinnliches Geschehnis erhalten. Die Analyse, welche die allgemeinen Prinzipien, deren Kenntnis allein Wissenschaft ausmachen kann, aufsuchen soll, richtet sich nicht auf die Trennung von Teilursachen, indem sie die ver- schlungenen gegenseitigen Einwirkungen der Dinge durch Ab- straktion zu sondern sucht, sondern sie richtet sich auf die verschiedenen Arten, wie Zwecke in vollkommener oder weniger vollkommener Weise erreicht, dauernde oder vergängliche Ziele erstrebt werden können. Überall herrscht | die Übertragung aus den Vorgängen des Seelenlebens auf die Natur, und die aus dem bewußten Erleben herausgewachsenen Formen der Sprache werden zum Leitfaden für die Aufsuchung physikalischer Begriffe. Das Problem des Körpers löst sich daher nirgends rein von dem Problem der Veränderung überhaupt. Der Einzel- körper verwandelt sich in seinen Eigenschaften durch das Hinzutreten neuer Formen, wie der Begriff sich durch das Hinzutreten neuer Merkmale ändert. Es ist ein der Logik ent- nommenes Bild, das zur Erklärung dienen soll, aber eben darum keinen Einblick in die Einwirkung der Körper aufeinander zu geben vermag. Die Körper gewinnen keine Selbständigkeit und Konstanz; sie begrenzen sich gegenseitig, und diese Um- schließung ist der Raum; der Raum ist daher nur durch die Verschiedenheit der Formen gewährleistet, welche die einzelnen Teile der Materie aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit führen. Es giebt keinen leeren Raum,1 sondern nur kontinuier- liche Körper, welche der räumlichen Bewegung fähig sind.
Da nun zur Erklärung des thatsächlichen Gewirrs der natürlichen Körper allein das Denkmittel von Substanz und Accidens zur Verfügung steht, so kann diese Erklärung nur in
1 Näheres S. weiter unten, 5. Kap., I, B. S. 106 f.
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Untauglichkeit des Zwecks als Erkenntnismittels d. Physik.
Mit der Erhebung der substanziellen Form, als des bestim-
menden Zweckes des Einzeldings, zum Erkenntnismittel der
Natur ist jede mechanische Erklärungsweise abgelehnt. Dadurch
wird es Aristoteles unmöglich, ein Gebiet der Physik, in welchem
nur mechanische Kausalität herrscht, zu trennen von dem all-
gemeinen Gebiete der Lebenserscheinungen, worin Thätigkeit
des Bewußtseins sich Zwecke setzt und die Mittel zu ihrer
Verwirklichung findet. Jede einzelne Erscheinung wird in ihrem
Charakter als Ganzes, als sinnliches Geschehnis erhalten. Die
Analyse, welche die allgemeinen Prinzipien, deren Kenntnis
allein Wissenschaft ausmachen kann, aufsuchen soll, richtet sich
nicht auf die Trennung von Teilursachen, indem sie die ver-
schlungenen gegenseitigen Einwirkungen der Dinge durch Ab-
straktion zu sondern sucht, sondern sie richtet sich auf die
verschiedenen Arten, wie Zwecke in vollkommener oder weniger
vollkommener Weise erreicht, dauernde oder vergängliche Ziele
erstrebt werden können. Überall herrscht | die Übertragung
aus den Vorgängen des Seelenlebens auf die Natur, und die
aus dem bewußten Erleben herausgewachsenen Formen der
Sprache werden zum Leitfaden für die Aufsuchung physikalischer
Begriffe. Das Problem des Körpers löst sich daher nirgends
rein von dem Problem der Veränderung überhaupt. Der Einzel-
körper verwandelt sich in seinen Eigenschaften durch das
Hinzutreten neuer Formen, wie der Begriff sich durch das
Hinzutreten neuer Merkmale ändert. Es ist ein der Logik ent-
nommenes Bild, das zur Erklärung dienen soll, aber eben darum
keinen Einblick in die Einwirkung der Körper aufeinander
zu geben vermag. Die Körper gewinnen keine Selbständigkeit
und Konstanz; sie begrenzen sich gegenseitig, und diese Um-
schließung ist der Raum; der Raum ist daher nur durch die
Verschiedenheit der Formen gewährleistet, welche die einzelnen
Teile der Materie aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit
führen. Es giebt keinen leeren Raum, 1 sondern nur kontinuier-
liche Körper, welche der räumlichen Bewegung fähig sind.
Da nun zur Erklärung des thatsächlichen Gewirrs der
natürlichen Körper allein das Denkmittel von Substanz und
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/110>, abgerufen am 25.11.2024.
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