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Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

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Wo bleibt hier die Gerechtigkeit? Und warum sollte
es ein Verbrechen sein, die öffentliche Meinung für die Abände-
rung eines so ungerechten, durch die Worte der K. Staatsregie-
rung, ja sogar durch die eigenen Worte des Staatsanwaltes selbst
verurtheilten Verhältnisses gewinnen zu wollen?

Von zwei Dingen Eins, meine Herren!

Entweder der reine Absolutismus -- oder das
allgemeine Wahlrecht!
Ueber diese beiden Dinge kann
man bei verschiedenen Ansichten streiten, aber was zwischen ihnen
liegt, ist jedenfalls unmöglich, unfolgerichtig und unlogisch.

Der absolute Eine, durch seine Lage allen Klassengegen-
sätzen entrückt und weit über die Gesellschaft und alle gesell-
schaftlichen Jnteressen gestellt, konnte wenigstens möglicher-
weise dem allgemeinen Jnteresse, dem Jnteresse der unend-
lichen Mehrheit sich widmen. Ob und inwieweit er es that,
hing von dem Zufall persönlicher Einsicht, Begabung und Cha-
rakterrichtung ab. Er konnte es wenigstens thun und war
durch seine Stellung daran erinnert, es zu sollen. Und so
war denn in der That die Devise des alten Absolutismus und
seiner guten Zeit: Nichts durch das Volk, Alles für das Volk.

Diese Zeit ist vorüber. Es ist die Zeit des Constitutiona-
lismus eingetreten, d. h. die Zeit, in welcher die Gesellschaft,
sich für mündig haltend, selbst die Entscheidung über ihre Jn-
teressen in die Hand nehmen will.

Von diesem Augenblick an ist es eine logische Unmöglich-
keit, ein handgreiflicher Widerspruch, eine brennende Ungerech-
tigkeit, diese Entscheidung in die Hand der Minorität, in
die Hand der wohlhabenden Klassen der Gesellschaft zu legen.
Diese nicht über die gesellschaftlichen Jnteressen hinausgestellten,
diese vielmehr gerade in dem Kreuzfeuer dieser Jnteressen stehen-
den und in ihrer ganzen Lage durch sie bedingten Klassen kön-
nen
gar nicht anders, als jene Gewalt der Entscheidung in ih-
rem gesellschaftlichen Jnteresse anwenden und somit das
allgemeine Jnteresse, das Jnteresse der unendlichen Mehrheit der
unteren Stände, ihrem Eigeninteresse aufopfern, wie ich Jhnen
ein kleines Beispiel davon an dem Schicksal des Manteuffelschen
Gesetzvorschlages geliefert habe. So wie also der Grundsatz
der gesellschaftlichen Selbstregierung eingetreten ist, ist es die
schreiendste Ungerechtigkeit, ist es eine logische Unmöglichkeit,
diese Gewalt der Entscheidung durch ein Klassenwahlgesetz in die

Wo bleibt hier die Gerechtigkeit? Und warum ſollte
es ein Verbrechen ſein, die öffentliche Meinung für die Abände-
rung eines ſo ungerechten, durch die Worte der K. Staatsregie-
rung, ja ſogar durch die eigenen Worte des Staatsanwaltes ſelbſt
verurtheilten Verhältniſſes gewinnen zu wollen?

Von zwei Dingen Eins, meine Herren!

Entweder der reine Abſolutismus — oder das
allgemeine Wahlrecht!
Ueber dieſe beiden Dinge kann
man bei verſchiedenen Anſichten ſtreiten, aber was zwiſchen ihnen
liegt, iſt jedenfalls unmöglich, unfolgerichtig und unlogiſch.

Der abſolute Eine, durch ſeine Lage allen Klaſſengegen-
ſätzen entrückt und weit über die Geſellſchaft und alle geſell-
ſchaftlichen Jntereſſen geſtellt, konnte wenigſtens möglicher-
weiſe dem allgemeinen Jntereſſe, dem Jntereſſe der unend-
lichen Mehrheit ſich widmen. Ob und inwieweit er es that,
hing von dem Zufall perſönlicher Einſicht, Begabung und Cha-
rakterrichtung ab. Er konnte es wenigſtens thun und war
durch ſeine Stellung daran erinnert, es zu ſollen. Und ſo
war denn in der That die Deviſe des alten Abſolutismus und
ſeiner guten Zeit: Nichts durch das Volk, Alles für das Volk.

Dieſe Zeit iſt vorüber. Es iſt die Zeit des Conſtitutiona-
lismus eingetreten, d. h. die Zeit, in welcher die Geſellſchaft,
ſich für mündig haltend, ſelbſt die Entſcheidung über ihre Jn-
tereſſen in die Hand nehmen will.

Von dieſem Augenblick an iſt es eine logiſche Unmöglich-
keit, ein handgreiflicher Widerſpruch, eine brennende Ungerech-
tigkeit, dieſe Entſcheidung in die Hand der Minorität, in
die Hand der wohlhabenden Klaſſen der Geſellſchaft zu legen.
Dieſe nicht über die geſellſchaftlichen Jntereſſen hinausgeſtellten,
dieſe vielmehr gerade in dem Kreuzfeuer dieſer Jntereſſen ſtehen-
den und in ihrer ganzen Lage durch ſie bedingten Klaſſen kön-
nen
gar nicht anders, als jene Gewalt der Entſcheidung in ih-
rem geſellſchaftlichen Jntereſſe anwenden und ſomit das
allgemeine Jntereſſe, das Jntereſſe der unendlichen Mehrheit der
unteren Stände, ihrem Eigenintereſſe aufopfern, wie ich Jhnen
ein kleines Beiſpiel davon an dem Schickſal des Manteuffelſchen
Geſetzvorſchlages geliefert habe. So wie alſo der Grundſatz
der geſellſchaftlichen Selbſtregierung eingetreten iſt, iſt es die
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[127/0133] Wo bleibt hier die Gerechtigkeit? Und warum ſollte es ein Verbrechen ſein, die öffentliche Meinung für die Abände- rung eines ſo ungerechten, durch die Worte der K. Staatsregie- rung, ja ſogar durch die eigenen Worte des Staatsanwaltes ſelbſt verurtheilten Verhältniſſes gewinnen zu wollen? Von zwei Dingen Eins, meine Herren! Entweder der reine Abſolutismus — oder das allgemeine Wahlrecht! Ueber dieſe beiden Dinge kann man bei verſchiedenen Anſichten ſtreiten, aber was zwiſchen ihnen liegt, iſt jedenfalls unmöglich, unfolgerichtig und unlogiſch. Der abſolute Eine, durch ſeine Lage allen Klaſſengegen- ſätzen entrückt und weit über die Geſellſchaft und alle geſell- ſchaftlichen Jntereſſen geſtellt, konnte wenigſtens möglicher- weiſe dem allgemeinen Jntereſſe, dem Jntereſſe der unend- lichen Mehrheit ſich widmen. Ob und inwieweit er es that, hing von dem Zufall perſönlicher Einſicht, Begabung und Cha- rakterrichtung ab. Er konnte es wenigſtens thun und war durch ſeine Stellung daran erinnert, es zu ſollen. Und ſo war denn in der That die Deviſe des alten Abſolutismus und ſeiner guten Zeit: Nichts durch das Volk, Alles für das Volk. Dieſe Zeit iſt vorüber. Es iſt die Zeit des Conſtitutiona- lismus eingetreten, d. h. die Zeit, in welcher die Geſellſchaft, ſich für mündig haltend, ſelbſt die Entſcheidung über ihre Jn- tereſſen in die Hand nehmen will. Von dieſem Augenblick an iſt es eine logiſche Unmöglich- keit, ein handgreiflicher Widerſpruch, eine brennende Ungerech- tigkeit, dieſe Entſcheidung in die Hand der Minorität, in die Hand der wohlhabenden Klaſſen der Geſellſchaft zu legen. Dieſe nicht über die geſellſchaftlichen Jntereſſen hinausgeſtellten, dieſe vielmehr gerade in dem Kreuzfeuer dieſer Jntereſſen ſtehen- den und in ihrer ganzen Lage durch ſie bedingten Klaſſen kön- nen gar nicht anders, als jene Gewalt der Entſcheidung in ih- rem geſellſchaftlichen Jntereſſe anwenden und ſomit das allgemeine Jntereſſe, das Jntereſſe der unendlichen Mehrheit der unteren Stände, ihrem Eigenintereſſe aufopfern, wie ich Jhnen ein kleines Beiſpiel davon an dem Schickſal des Manteuffelſchen Geſetzvorſchlages geliefert habe. So wie alſo der Grundſatz der geſellſchaftlichen Selbſtregierung eingetreten iſt, iſt es die ſchreiendſte Ungerechtigkeit, iſt es eine logiſche Unmöglichkeit, dieſe Gewalt der Entſcheidung durch ein Klaſſenwahlgeſetz in die

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Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/133>, abgerufen am 24.11.2024.