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Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

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trags bilden soll, der Geheime Rath Engel spricht es mit der-
selben Bestimmtheit in der schärfsten Weise aus. "Die arbei-
tenden Klassen -- sagt er -- sind bereits zu einem eigenen, zum
vierten Stande, zu einer gesellschaftlichen Macht heran-
gewachsen, die naturgemäß nach der Alleinherrschaft
im Staate strebt,
wie dies der erste, der zweite, der
dritte Stand, so lange sie konnten, gethan.
"

Ja, wollte man sich an den bloßen Wortausdruck
halten, so ginge der Geheime Rath Engel sogar noch viel weiter
als ich. Denn er spricht ausdrücklich von einer Allein-
herrschaft,
nach welcher die arbeitenden Klassen
naturgemäß streben müssen,
während ich -- und anders
meint es freilich auch der Geheime Rath Engel nicht, wie der
Gesammtsinn der angeführten Sätze deutlich zeigt -- ausdrücklich
nur von der Herrschaft der Jdee des Arbeiterstandes spreche
oder respective den Arbeiterstand in sofern zum herrschenden
Elemente berufen darstelle, als er uns Alle, Alle, die sich der
Gesellschaft in irgend einer Weise nützlich machen, umfaßt;
in sofern als er, wie ich ausdrücklich definire, das gesammte
Menschengeschlecht umfaßt
und keinen Keim eines
neuen Unterschiedes mehr in sich enthält.

Jedenfalls also sagen wir, ich und der Geheime Rath
Engel, ganz dasselbe, genau dasselbe.

Welche Uebereinstimmung, meine Herren!

Zur selben Zeit schreiben wir in unserem Studirzimmer,
Einer von dem Andern nicht wissend, öffentliche Vorträge, in
welchen wir dieselben Dinge mit denselben Worten
sagen!

Dieselben Wissenschaften haben uns dieselbe
Erkenntniß
gegeben!

Warum also, frage ich, steht der Geheime Rath Engel
nicht hier an meiner Seite, auf dieser Anklagebank, als mein
Complice, desselben Verbrechens beschuldigt? Wo ist die
Rechtsgleichheit
hingeflohen, meine Herren?

Der Geheime Rath Engel sagt es -- und er sitzt,
wie ihm gebührt, in allen staatlichen Ehren!

Jch sage es -- und die wüthend gewordene Themis wirft
mir die Waagschaale ins Gesicht und schlägt nach mir!

Und weiter, meine Herren! Jener vom Geheimen Rath
Engel in der Singakademie gehaltene Vortrag ist später in der

trags bilden ſoll, der Geheime Rath Engel ſpricht es mit der-
ſelben Beſtimmtheit in der ſchärfſten Weiſe aus. „Die arbei-
tenden Klaſſen — ſagt er — ſind bereits zu einem eigenen, zum
vierten Stande, zu einer geſellſchaftlichen Macht heran-
gewachſen, die naturgemäß nach der Alleinherrſchaft
im Staate ſtrebt,
wie dies der erſte, der zweite, der
dritte Stand, ſo lange ſie konnten, gethan.

Ja, wollte man ſich an den bloßen Wortausdruck
halten, ſo ginge der Geheime Rath Engel ſogar noch viel weiter
als ich. Denn er ſpricht ausdrücklich von einer Allein-
herrſchaft,
nach welcher die arbeitenden Klaſſen
naturgemäß ſtreben müſſen,
während ich — und anders
meint es freilich auch der Geheime Rath Engel nicht, wie der
Geſammtſinn der angeführten Sätze deutlich zeigt — ausdrücklich
nur von der Herrſchaft der Jdee des Arbeiterſtandes ſpreche
oder reſpective den Arbeiterſtand in ſofern zum herrſchenden
Elemente berufen darſtelle, als er uns Alle, Alle, die ſich der
Geſellſchaft in irgend einer Weiſe nützlich machen, umfaßt;
in ſofern als er, wie ich ausdrücklich definire, das geſammte
Menſchengeſchlecht umfaßt
und keinen Keim eines
neuen Unterſchiedes mehr in ſich enthält.

Jedenfalls alſo ſagen wir, ich und der Geheime Rath
Engel, ganz daſſelbe, genau daſſelbe.

Welche Uebereinſtimmung, meine Herren!

Zur ſelben Zeit ſchreiben wir in unſerem Studirzimmer,
Einer von dem Andern nicht wiſſend, öffentliche Vorträge, in
welchen wir dieſelben Dinge mit denſelben Worten
ſagen!

Dieſelben Wiſſenſchaften haben uns dieſelbe
Erkenntniß
gegeben!

Warum alſo, frage ich, ſteht der Geheime Rath Engel
nicht hier an meiner Seite, auf dieſer Anklagebank, als mein
Complice, deſſelben Verbrechens beſchuldigt? Wo iſt die
Rechtsgleichheit
hingeflohen, meine Herren?

Der Geheime Rath Engel ſagt es — und er ſitzt,
wie ihm gebührt, in allen ſtaatlichen Ehren!

Jch ſage es — und die wüthend gewordene Themis wirft
mir die Waagſchaale ins Geſicht und ſchlägt nach mir!

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Engel in der Singakademie gehaltene Vortrag iſt ſpäter in der

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[116/0122] trags bilden ſoll, der Geheime Rath Engel ſpricht es mit der- ſelben Beſtimmtheit in der ſchärfſten Weiſe aus. „Die arbei- tenden Klaſſen — ſagt er — ſind bereits zu einem eigenen, zum vierten Stande, zu einer geſellſchaftlichen Macht heran- gewachſen, die naturgemäß nach der Alleinherrſchaft im Staate ſtrebt, wie dies der erſte, der zweite, der dritte Stand, ſo lange ſie konnten, gethan.“ Ja, wollte man ſich an den bloßen Wortausdruck halten, ſo ginge der Geheime Rath Engel ſogar noch viel weiter als ich. Denn er ſpricht ausdrücklich von einer Allein- herrſchaft, nach welcher die arbeitenden Klaſſen naturgemäß ſtreben müſſen, während ich — und anders meint es freilich auch der Geheime Rath Engel nicht, wie der Geſammtſinn der angeführten Sätze deutlich zeigt — ausdrücklich nur von der Herrſchaft der Jdee des Arbeiterſtandes ſpreche oder reſpective den Arbeiterſtand in ſofern zum herrſchenden Elemente berufen darſtelle, als er uns Alle, Alle, die ſich der Geſellſchaft in irgend einer Weiſe nützlich machen, umfaßt; in ſofern als er, wie ich ausdrücklich definire, das geſammte Menſchengeſchlecht umfaßt und keinen Keim eines neuen Unterſchiedes mehr in ſich enthält. Jedenfalls alſo ſagen wir, ich und der Geheime Rath Engel, ganz daſſelbe, genau daſſelbe. Welche Uebereinſtimmung, meine Herren! Zur ſelben Zeit ſchreiben wir in unſerem Studirzimmer, Einer von dem Andern nicht wiſſend, öffentliche Vorträge, in welchen wir dieſelben Dinge mit denſelben Worten ſagen! Dieſelben Wiſſenſchaften haben uns dieſelbe Erkenntniß gegeben! Warum alſo, frage ich, ſteht der Geheime Rath Engel nicht hier an meiner Seite, auf dieſer Anklagebank, als mein Complice, deſſelben Verbrechens beſchuldigt? Wo iſt die Rechtsgleichheit hingeflohen, meine Herren? Der Geheime Rath Engel ſagt es — und er ſitzt, wie ihm gebührt, in allen ſtaatlichen Ehren! Jch ſage es — und die wüthend gewordene Themis wirft mir die Waagſchaale ins Geſicht und ſchlägt nach mir! Und weiter, meine Herren! Jener vom Geheimen Rath Engel in der Singakademie gehaltene Vortrag iſt ſpäter in der

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Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/122>, abgerufen am 25.11.2024.