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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Felsen, die uns staunen machen, unsern
allgemeinen Wohnplatz befestigen helfen.
Jst nicht das ganze Pflanzen- und Thier-
reich mit lauter Gaben der Wohlthätig-
keit für unser Leben erfüllt? Die ganze
physicalische Welt bleibt diesen Pflichten
getreu; durch jedes Frühjahr werden sie
erneuert; nur die Menschen arten aus,
und löschen dieses Gepräge aus, welches
in uns viel stärker, und in größerer
Schönheit glänzen würde, da wir es auf
so vielerley Weise zeigen könnten.

Sie erkennen hier, meine Emilia, die
Grundsätze meines Vaters: meine Me-
lancholie rief sie mir sehr lebhaft zurück,
da ich in der Ruhe der Einsamkeit mich
umwandte, und den Weg abmaß, durch
welchen mich meine Empfindung ge-
jagt, und so weit von dem Orte meiner
Bestimmung verschlagen hatte. O, ich
bin den Pflichten der Wohlthätigkeit
des Beyspiels
entgangen!*) Niemand

wird
*) Aber werden nicht eben durch dieses war-
nende Beyspiel
ihre Fehler selbst wohlthätig?
Warum
B 5


Felſen, die uns ſtaunen machen, unſern
allgemeinen Wohnplatz befeſtigen helfen.
Jſt nicht das ganze Pflanzen- und Thier-
reich mit lauter Gaben der Wohlthaͤtig-
keit fuͤr unſer Leben erfuͤllt? Die ganze
phyſicaliſche Welt bleibt dieſen Pflichten
getreu; durch jedes Fruͤhjahr werden ſie
erneuert; nur die Menſchen arten aus,
und loͤſchen dieſes Gepraͤge aus, welches
in uns viel ſtaͤrker, und in groͤßerer
Schoͤnheit glaͤnzen wuͤrde, da wir es auf
ſo vielerley Weiſe zeigen koͤnnten.

Sie erkennen hier, meine Emilia, die
Grundſaͤtze meines Vaters: meine Me-
lancholie rief ſie mir ſehr lebhaft zuruͤck,
da ich in der Ruhe der Einſamkeit mich
umwandte, und den Weg abmaß, durch
welchen mich meine Empfindung ge-
jagt, und ſo weit von dem Orte meiner
Beſtimmung verſchlagen hatte. O, ich
bin den Pflichten der Wohlthaͤtigkeit
des Beyſpiels
entgangen!*) Niemand

wird
*) Aber werden nicht eben durch dieſes war-
nende Beyſpiel
ihre Fehler ſelbſt wohlthaͤtig?
Warum
B 5
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[25/0031] Felſen, die uns ſtaunen machen, unſern allgemeinen Wohnplatz befeſtigen helfen. Jſt nicht das ganze Pflanzen- und Thier- reich mit lauter Gaben der Wohlthaͤtig- keit fuͤr unſer Leben erfuͤllt? Die ganze phyſicaliſche Welt bleibt dieſen Pflichten getreu; durch jedes Fruͤhjahr werden ſie erneuert; nur die Menſchen arten aus, und loͤſchen dieſes Gepraͤge aus, welches in uns viel ſtaͤrker, und in groͤßerer Schoͤnheit glaͤnzen wuͤrde, da wir es auf ſo vielerley Weiſe zeigen koͤnnten. Sie erkennen hier, meine Emilia, die Grundſaͤtze meines Vaters: meine Me- lancholie rief ſie mir ſehr lebhaft zuruͤck, da ich in der Ruhe der Einſamkeit mich umwandte, und den Weg abmaß, durch welchen mich meine Empfindung ge- jagt, und ſo weit von dem Orte meiner Beſtimmung verſchlagen hatte. O, ich bin den Pflichten der Wohlthaͤtigkeit des Beyſpiels entgangen! *) Niemand wird *) Aber werden nicht eben durch dieſes war- nende Beyſpiel ihre Fehler ſelbſt wohlthaͤtig? Warum B 5

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/31>, abgerufen am 24.11.2024.