"also den Nutzen des ernsten Unterrichts "verlieren machen?
Dieß glaube ich nicht; denn wir ver- gessen nur die Sachen gerne, die mit kei- nem Vergnügen verbunden sind; und die lächelnde, zu der Schwachheit der Men- schen sich herablassende Weisheit will da- her, daß man die Pfade der Wahrheit mit Blumen bestreue. Die Tugend braucht nicht mit ernsten Farben geschildert zu wer- den, um Verehrung zu erhalten; ihr in- neres Wesen, jede Handlung von ihr ist lauter Würde. Würde ist ein unzer- trennbarer Theil von ihr, auch wenn sie in der Kleidung der Freude und des Glücks erscheint. Jn dieser Kleidung allein er- hält sie Vertrauen und Ehrfurcht zugleich. Lassen Sie sie die Hand ja niemals zu strengem Drohen, sondern allein zu freundlichen Winken erheben! Denn, so lange wir in dieser Körperwelt sind, wird unsere Seele allein durch unsere Sinnen handeln; wenn diese auf eine widerwär- tige Weise und zu unrechter Zeit zurück- gestoßen werden, so kommen aus dem
Con-
„alſo den Nutzen des ernſten Unterrichts „verlieren machen?
Dieß glaube ich nicht; denn wir ver- geſſen nur die Sachen gerne, die mit kei- nem Vergnuͤgen verbunden ſind; und die laͤchelnde, zu der Schwachheit der Men- ſchen ſich herablaſſende Weisheit will da- her, daß man die Pfade der Wahrheit mit Blumen beſtreue. Die Tugend braucht nicht mit ernſten Farben geſchildert zu wer- den, um Verehrung zu erhalten; ihr in- neres Weſen, jede Handlung von ihr iſt lauter Wuͤrde. Wuͤrde iſt ein unzer- trennbarer Theil von ihr, auch wenn ſie in der Kleidung der Freude und des Gluͤcks erſcheint. Jn dieſer Kleidung allein er- haͤlt ſie Vertrauen und Ehrfurcht zugleich. Laſſen Sie ſie die Hand ja niemals zu ſtrengem Drohen, ſondern allein zu freundlichen Winken erheben! Denn, ſo lange wir in dieſer Koͤrperwelt ſind, wird unſere Seele allein durch unſere Sinnen handeln; wenn dieſe auf eine widerwaͤr- tige Weiſe und zu unrechter Zeit zuruͤck- geſtoßen werden, ſo kommen aus dem
Con-
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„alſo den Nutzen des ernſten Unterrichts
„verlieren machen?
Dieß glaube ich nicht; denn wir ver-
geſſen nur die Sachen gerne, die mit kei-
nem Vergnuͤgen verbunden ſind; und die
laͤchelnde, zu der Schwachheit der Men-
ſchen ſich herablaſſende Weisheit will da-
her, daß man die Pfade der Wahrheit mit
Blumen beſtreue. Die Tugend braucht
nicht mit ernſten Farben geſchildert zu wer-
den, um Verehrung zu erhalten; ihr in-
neres Weſen, jede Handlung von ihr iſt
lauter Wuͤrde. Wuͤrde iſt ein unzer-
trennbarer Theil von ihr, auch wenn ſie
in der Kleidung der Freude und des Gluͤcks
erſcheint. Jn dieſer Kleidung allein er-
haͤlt ſie Vertrauen und Ehrfurcht zugleich.
Laſſen Sie ſie die Hand ja niemals zu
ſtrengem Drohen, ſondern allein zu
freundlichen Winken erheben! Denn, ſo
lange wir in dieſer Koͤrperwelt ſind, wird
unſere Seele allein durch unſere Sinnen
handeln; wenn dieſe auf eine widerwaͤr-
tige Weiſe und zu unrechter Zeit zuruͤck-
geſtoßen werden, ſo kommen aus dem
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/146>, abgerufen am 04.05.2024.
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