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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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"seine Augen waren so groß, und be-
"schauten sie so geschwind, er rufte auch
"gleich so viel nach seinen Kerls, daß
"man wohl daraus hätte etwas vermu-
"then können. Mein Mann war wild,
"doch hat er im Anfange allezeit leise
"und freundlich geredt, und geblinzelt;
"aber man denkt, jeder Mensch hat seine
"Weise, und wie sollte einem einfallen:
"daß man ein schönes frommes Tugend-
"bild betrügen könne?

Nun waren wir im Zimmer, wo ihre
Cammerfrau gewohnt hatte; hernach
wieß sie uns das von der Dame; sie rufte
Gretchen, die sich hinsetzen und zeigen
mußte, wo die Dame gesessen, wie sie
die Mädchen gelehrt hätte; hernach nahm
sie ein Bild von der Wand, und sagte;
"da, mein Gärtchen, meine Bienenge-
"stelle, und das Stück Matte, wo meine
"Kühe auf der Weide giengen, zeichnete
"sie. -- Jndem sie es Mylorden hingab,
küßte sie das Stück, und sagte mit Wei-
nen: Du liebe, liebe Dame, Gott habe
dich selig, denn du lebst gewiß nicht mehr.

Ein


„ſeine Augen waren ſo groß, und be-
„ſchauten ſie ſo geſchwind, er rufte auch
„gleich ſo viel nach ſeinen Kerls, daß
„man wohl daraus haͤtte etwas vermu-
„then koͤnnen. Mein Mann war wild,
„doch hat er im Anfange allezeit leiſe
„und freundlich geredt, und geblinzelt;
„aber man denkt, jeder Menſch hat ſeine
„Weiſe, und wie ſollte einem einfallen:
„daß man ein ſchoͤnes frommes Tugend-
„bild betruͤgen koͤnne?

Nun waren wir im Zimmer, wo ihre
Cammerfrau gewohnt hatte; hernach
wieß ſie uns das von der Dame; ſie rufte
Gretchen, die ſich hinſetzen und zeigen
mußte, wo die Dame geſeſſen, wie ſie
die Maͤdchen gelehrt haͤtte; hernach nahm
ſie ein Bild von der Wand, und ſagte;
„da, mein Gaͤrtchen, meine Bienenge-
„ſtelle, und das Stuͤck Matte, wo meine
„Kuͤhe auf der Weide giengen, zeichnete
„ſie. — Jndem ſie es Mylorden hingab,
kuͤßte ſie das Stuͤck, und ſagte mit Wei-
nen: Du liebe, liebe Dame, Gott habe
dich ſelig, denn du lebſt gewiß nicht mehr.

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[123/0129] „ſeine Augen waren ſo groß, und be- „ſchauten ſie ſo geſchwind, er rufte auch „gleich ſo viel nach ſeinen Kerls, daß „man wohl daraus haͤtte etwas vermu- „then koͤnnen. Mein Mann war wild, „doch hat er im Anfange allezeit leiſe „und freundlich geredt, und geblinzelt; „aber man denkt, jeder Menſch hat ſeine „Weiſe, und wie ſollte einem einfallen: „daß man ein ſchoͤnes frommes Tugend- „bild betruͤgen koͤnne? Nun waren wir im Zimmer, wo ihre Cammerfrau gewohnt hatte; hernach wieß ſie uns das von der Dame; ſie rufte Gretchen, die ſich hinſetzen und zeigen mußte, wo die Dame geſeſſen, wie ſie die Maͤdchen gelehrt haͤtte; hernach nahm ſie ein Bild von der Wand, und ſagte; „da, mein Gaͤrtchen, meine Bienenge- „ſtelle, und das Stuͤck Matte, wo meine „Kuͤhe auf der Weide giengen, zeichnete „ſie. — Jndem ſie es Mylorden hingab, kuͤßte ſie das Stuͤck, und ſagte mit Wei- nen: Du liebe, liebe Dame, Gott habe dich ſelig, denn du lebſt gewiß nicht mehr. Ein

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/129>, abgerufen am 21.11.2024.