Sagte ich dir nicht, daß ich sie durch ihre Tugend fangen würde? Jch habe ihre Großmuth erregt, da ich mich für sie auf- opfern wollte; dafür war sie, um nicht meine Schuldnerinn zu bleiben, so groß- müthig, und opferte sich auf. Solltest du es glauben? Sie willigte in ein ge- heimes Bündniß; einige Bedingungen ausgenommen, die nur einer Schwärme- rin, wie sie ist, einfallen konnten. Mei- ne satyrischen Briefe hatten ihr gesagt, daß ihr Oucle sie dem Jnteresse seines Processes habe aufopfern wollen; daß man sich um so weniger darüber bedacht hätte, weil man gesagt, die Mißheyrath ihrer Mutter verdiene ohnehin nicht, daß man für sie die nehmliche Achtung trüge, als für eine Dame.
Nun war alles aufgebracht; Tugend, Eigenliebe, Eitelkeit; und ich bekam das ganze Paquet satyrischer Briefe zu lesen. Sie schrieb einen Auszug aus den meini- gen, und fragte mich: Ob ich durch mei- ne Beobachtungen über ihren Charakter genugsame Kenntniß ihres Herzens und
Denkungs-
Sagte ich dir nicht, daß ich ſie durch ihre Tugend fangen wuͤrde? Jch habe ihre Großmuth erregt, da ich mich fuͤr ſie auf- opfern wollte; dafuͤr war ſie, um nicht meine Schuldnerinn zu bleiben, ſo groß- muͤthig, und opferte ſich auf. Sollteſt du es glauben? Sie willigte in ein ge- heimes Buͤndniß; einige Bedingungen ausgenommen, die nur einer Schwaͤrme- rin, wie ſie iſt, einfallen konnten. Mei- ne ſatyriſchen Briefe hatten ihr geſagt, daß ihr Oucle ſie dem Jntereſſe ſeines Proceſſes habe aufopfern wollen; daß man ſich um ſo weniger daruͤber bedacht haͤtte, weil man geſagt, die Mißheyrath ihrer Mutter verdiene ohnehin nicht, daß man fuͤr ſie die nehmliche Achtung truͤge, als fuͤr eine Dame.
Nun war alles aufgebracht; Tugend, Eigenliebe, Eitelkeit; und ich bekam das ganze Paquet ſatyriſcher Briefe zu leſen. Sie ſchrieb einen Auszug aus den meini- gen, und fragte mich: Ob ich durch mei- ne Beobachtungen uͤber ihren Charakter genugſame Kenntniß ihres Herzens und
Denkungs-
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Sagte ich dir nicht, daß ich ſie durch ihre
Tugend fangen wuͤrde? Jch habe ihre
Großmuth erregt, da ich mich fuͤr ſie auf-
opfern wollte; dafuͤr war ſie, um nicht
meine Schuldnerinn zu bleiben, ſo groß-
muͤthig, und opferte ſich auf. Sollteſt
du es glauben? Sie willigte in ein ge-
heimes Buͤndniß; einige Bedingungen
ausgenommen, die nur einer Schwaͤrme-
rin, wie ſie iſt, einfallen konnten. Mei-
ne ſatyriſchen Briefe hatten ihr geſagt,
daß ihr Oucle ſie dem Jntereſſe ſeines
Proceſſes habe aufopfern wollen; daß
man ſich um ſo weniger daruͤber bedacht
haͤtte, weil man geſagt, die Mißheyrath
ihrer Mutter verdiene ohnehin nicht, daß
man fuͤr ſie die nehmliche Achtung truͤge,
als fuͤr eine Dame.
Nun war alles aufgebracht; Tugend,
Eigenliebe, Eitelkeit; und ich bekam das
ganze Paquet ſatyriſcher Briefe zu leſen.
Sie ſchrieb einen Auszug aus den meini-
gen, und fragte mich: Ob ich durch mei-
ne Beobachtungen uͤber ihren Charakter
genugſame Kenntniß ihres Herzens und
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/382>, abgerufen am 24.11.2024.
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