lein krank gemacht hat! Denn sir sagte ihr ganz frey: Ob sie denn alle Gesetze der Ehre und Tugend so sehr unter die Füße getreten habe, daß sie sich in einer Kleidung und einem Schmuck sehen lasse, welche der Preiß von ihrer Tugend seyn werde; daß es ihr alle Masquen sa- gen würden; daß alle sie verachteten, weil man von ihrem Geist und ihrer Erziehung etwas bessers erwartet hätte.
Und wer war diese Masque? Dieß wis- se das Fräulein nicht; aber sie nenne sie eine edle wohlthätige Seele, ungeachtet sie ihr das Herz zerrissen habe.
Jch dachte: Der Himmel segne den wohlthätigen Seymour für seine Narr- heit! Sie soll meinem Verstande schöne Dienste thun. Jch versprach dem Mäb- chen, mich um die Entdeckung zu bemühen, und erzählte ihr noch die Urtheile der Ge- sellschaft, mit dem Zusatz, daß ich der Vertheidiger des Fräuleins werden wollte, und sollte es auch auf Unkosten meines Halses seyn; sie sollte mir nur sagen, was ich für sie thun könnte. Das Mäd-
chen
lein krank gemacht hat! Denn ſir ſagte ihr ganz frey: Ob ſie denn alle Geſetze der Ehre und Tugend ſo ſehr unter die Fuͤße getreten habe, daß ſie ſich in einer Kleidung und einem Schmuck ſehen laſſe, welche der Preiß von ihrer Tugend ſeyn werde; daß es ihr alle Masquen ſa- gen wuͤrden; daß alle ſie verachteten, weil man von ihrem Geiſt und ihrer Erziehung etwas beſſers erwartet haͤtte.
Und wer war dieſe Masque? Dieß wiſ- ſe das Fraͤulein nicht; aber ſie nenne ſie eine edle wohlthaͤtige Seele, ungeachtet ſie ihr das Herz zerriſſen habe.
Jch dachte: Der Himmel ſegne den wohlthaͤtigen Seymour fuͤr ſeine Narr- heit! Sie ſoll meinem Verſtande ſchoͤne Dienſte thun. Jch verſprach dem Maͤb- chen, mich um die Entdeckung zu bemuͤhen, und erzaͤhlte ihr noch die Urtheile der Ge- ſellſchaft, mit dem Zuſatz, daß ich der Vertheidiger des Fraͤuleins werden wollte, und ſollte es auch auf Unkoſten meines Halſes ſeyn; ſie ſollte mir nur ſagen, was ich fuͤr ſie thun koͤnnte. Das Maͤd-
chen
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lein krank gemacht hat! Denn ſir ſagte
ihr ganz frey: Ob ſie denn alle Geſetze
der Ehre und Tugend ſo ſehr unter die
Fuͤße getreten habe, daß ſie ſich in einer
Kleidung und einem Schmuck ſehen
laſſe, welche der Preiß von ihrer Tugend
ſeyn werde; daß es ihr alle Masquen ſa-
gen wuͤrden; daß alle ſie verachteten, weil
man von ihrem Geiſt und ihrer Erziehung
etwas beſſers erwartet haͤtte.
Und wer war dieſe Masque? Dieß wiſ-
ſe das Fraͤulein nicht; aber ſie nenne ſie
eine edle wohlthaͤtige Seele, ungeachtet
ſie ihr das Herz zerriſſen habe.
Jch dachte: Der Himmel ſegne den
wohlthaͤtigen Seymour fuͤr ſeine Narr-
heit! Sie ſoll meinem Verſtande ſchoͤne
Dienſte thun. Jch verſprach dem Maͤb-
chen, mich um die Entdeckung zu bemuͤhen,
und erzaͤhlte ihr noch die Urtheile der Ge-
ſellſchaft, mit dem Zuſatz, daß ich der
Vertheidiger des Fraͤuleins werden wollte,
und ſollte es auch auf Unkoſten meines
Halſes ſeyn; ſie ſollte mir nur ſagen,
was ich fuͤr ſie thun koͤnnte. Das Maͤd-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/376>, abgerufen am 05.05.2024.
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