Armuth und Kummer dieser kleinen Fami- lie. Mein Herz wurde bewegt; die Vor- stellung ihrer Noth und die Begierde zu helfen, wurden gleich stark. Froh sie an dem Wirthshause absteigen zu sehen, be- dacht ich mich nicht lange. Jch gab vor, ich kennte diese Frau und wollte etwas mit ihr reden; und bat den Lord Derby, das Fräulein R. zu unterhalten, bis ich wieder käme. Er sah mich darüber mit ei- nem ernsthaften Lächeln an, und küßte den Theil seines Ermels, wo ich im Eifer meine Hand auf seinen Arm gelegt hatte. Jch erröthete und eilte zu der armen Fa- milie.
Bey dem Eintritt in das Haus fand ich alle im Gang an einer Stiege sitzen; die Frau mit weinenden Augen beschäfftigt aus einem kleinen Sack ein seiden Hals- tuch und eine Schürze zu nehmen, die sie der Wirthin zu kaufen anbot, um Geld genug zu bekommen den Fuhrmann zu be- zahlen. Zwey Kinder riefen um Brod und Milch; ich faßte mich, so äußerst gerührt ich war, näherte mich, und sagte
der
N 3
Armuth und Kummer dieſer kleinen Fami- lie. Mein Herz wurde bewegt; die Vor- ſtellung ihrer Noth und die Begierde zu helfen, wurden gleich ſtark. Froh ſie an dem Wirthshauſe abſteigen zu ſehen, be- dacht ich mich nicht lange. Jch gab vor, ich kennte dieſe Frau und wollte etwas mit ihr reden; und bat den Lord Derby, das Fraͤulein R. zu unterhalten, bis ich wieder kaͤme. Er ſah mich daruͤber mit ei- nem ernſthaften Laͤcheln an, und kuͤßte den Theil ſeines Ermels, wo ich im Eifer meine Hand auf ſeinen Arm gelegt hatte. Jch erroͤthete und eilte zu der armen Fa- milie.
Bey dem Eintritt in das Haus fand ich alle im Gang an einer Stiege ſitzen; die Frau mit weinenden Augen beſchaͤfftigt aus einem kleinen Sack ein ſeiden Hals- tuch und eine Schuͤrze zu nehmen, die ſie der Wirthin zu kaufen anbot, um Geld genug zu bekommen den Fuhrmann zu be- zahlen. Zwey Kinder riefen um Brod und Milch; ich faßte mich, ſo aͤußerſt geruͤhrt ich war, naͤherte mich, und ſagte
der
N 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0223"n="197"/>
Armuth und Kummer dieſer kleinen Fami-<lb/>
lie. Mein Herz wurde bewegt; die Vor-<lb/>ſtellung ihrer Noth und die Begierde zu<lb/>
helfen, wurden gleich ſtark. Froh ſie an<lb/>
dem Wirthshauſe abſteigen zu ſehen, be-<lb/>
dacht ich mich nicht lange. Jch gab vor,<lb/>
ich kennte dieſe Frau und wollte etwas<lb/>
mit ihr reden; und bat den Lord Derby,<lb/>
das Fraͤulein R. zu unterhalten, bis ich<lb/>
wieder kaͤme. Er ſah mich daruͤber mit ei-<lb/>
nem ernſthaften Laͤcheln an, und kuͤßte den<lb/>
Theil ſeines Ermels, wo ich im Eifer<lb/>
meine Hand auf ſeinen Arm gelegt hatte.<lb/>
Jch erroͤthete und eilte zu der armen Fa-<lb/>
milie.</p><lb/><p>Bey dem Eintritt in das Haus fand<lb/>
ich alle im Gang an einer Stiege ſitzen;<lb/>
die Frau mit weinenden Augen beſchaͤfftigt<lb/>
aus einem kleinen Sack ein ſeiden Hals-<lb/>
tuch und eine Schuͤrze zu nehmen, die ſie<lb/>
der Wirthin zu kaufen anbot, um Geld<lb/>
genug zu bekommen den Fuhrmann zu be-<lb/>
zahlen. Zwey Kinder riefen um Brod<lb/>
und Milch; ich faßte mich, ſo aͤußerſt<lb/>
geruͤhrt ich war, naͤherte mich, und ſagte<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[197/0223]
Armuth und Kummer dieſer kleinen Fami-
lie. Mein Herz wurde bewegt; die Vor-
ſtellung ihrer Noth und die Begierde zu
helfen, wurden gleich ſtark. Froh ſie an
dem Wirthshauſe abſteigen zu ſehen, be-
dacht ich mich nicht lange. Jch gab vor,
ich kennte dieſe Frau und wollte etwas
mit ihr reden; und bat den Lord Derby,
das Fraͤulein R. zu unterhalten, bis ich
wieder kaͤme. Er ſah mich daruͤber mit ei-
nem ernſthaften Laͤcheln an, und kuͤßte den
Theil ſeines Ermels, wo ich im Eifer
meine Hand auf ſeinen Arm gelegt hatte.
Jch erroͤthete und eilte zu der armen Fa-
milie.
Bey dem Eintritt in das Haus fand
ich alle im Gang an einer Stiege ſitzen;
die Frau mit weinenden Augen beſchaͤfftigt
aus einem kleinen Sack ein ſeiden Hals-
tuch und eine Schuͤrze zu nehmen, die ſie
der Wirthin zu kaufen anbot, um Geld
genug zu bekommen den Fuhrmann zu be-
zahlen. Zwey Kinder riefen um Brod
und Milch; ich faßte mich, ſo aͤußerſt
geruͤhrt ich war, naͤherte mich, und ſagte
der
N 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/223>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.