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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Armuth und Kummer dieser kleinen Fami-
lie. Mein Herz wurde bewegt; die Vor-
stellung ihrer Noth und die Begierde zu
helfen, wurden gleich stark. Froh sie an
dem Wirthshause absteigen zu sehen, be-
dacht ich mich nicht lange. Jch gab vor,
ich kennte diese Frau und wollte etwas
mit ihr reden; und bat den Lord Derby,
das Fräulein R. zu unterhalten, bis ich
wieder käme. Er sah mich darüber mit ei-
nem ernsthaften Lächeln an, und küßte den
Theil seines Ermels, wo ich im Eifer
meine Hand auf seinen Arm gelegt hatte.
Jch erröthete und eilte zu der armen Fa-
milie.

Bey dem Eintritt in das Haus fand
ich alle im Gang an einer Stiege sitzen;
die Frau mit weinenden Augen beschäfftigt
aus einem kleinen Sack ein seiden Hals-
tuch und eine Schürze zu nehmen, die sie
der Wirthin zu kaufen anbot, um Geld
genug zu bekommen den Fuhrmann zu be-
zahlen. Zwey Kinder riefen um Brod
und Milch; ich faßte mich, so äußerst
gerührt ich war, näherte mich, und sagte

der
N 3

Armuth und Kummer dieſer kleinen Fami-
lie. Mein Herz wurde bewegt; die Vor-
ſtellung ihrer Noth und die Begierde zu
helfen, wurden gleich ſtark. Froh ſie an
dem Wirthshauſe abſteigen zu ſehen, be-
dacht ich mich nicht lange. Jch gab vor,
ich kennte dieſe Frau und wollte etwas
mit ihr reden; und bat den Lord Derby,
das Fraͤulein R. zu unterhalten, bis ich
wieder kaͤme. Er ſah mich daruͤber mit ei-
nem ernſthaften Laͤcheln an, und kuͤßte den
Theil ſeines Ermels, wo ich im Eifer
meine Hand auf ſeinen Arm gelegt hatte.
Jch erroͤthete und eilte zu der armen Fa-
milie.

Bey dem Eintritt in das Haus fand
ich alle im Gang an einer Stiege ſitzen;
die Frau mit weinenden Augen beſchaͤfftigt
aus einem kleinen Sack ein ſeiden Hals-
tuch und eine Schuͤrze zu nehmen, die ſie
der Wirthin zu kaufen anbot, um Geld
genug zu bekommen den Fuhrmann zu be-
zahlen. Zwey Kinder riefen um Brod
und Milch; ich faßte mich, ſo aͤußerſt
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[197/0223] Armuth und Kummer dieſer kleinen Fami- lie. Mein Herz wurde bewegt; die Vor- ſtellung ihrer Noth und die Begierde zu helfen, wurden gleich ſtark. Froh ſie an dem Wirthshauſe abſteigen zu ſehen, be- dacht ich mich nicht lange. Jch gab vor, ich kennte dieſe Frau und wollte etwas mit ihr reden; und bat den Lord Derby, das Fraͤulein R. zu unterhalten, bis ich wieder kaͤme. Er ſah mich daruͤber mit ei- nem ernſthaften Laͤcheln an, und kuͤßte den Theil ſeines Ermels, wo ich im Eifer meine Hand auf ſeinen Arm gelegt hatte. Jch erroͤthete und eilte zu der armen Fa- milie. Bey dem Eintritt in das Haus fand ich alle im Gang an einer Stiege ſitzen; die Frau mit weinenden Augen beſchaͤfftigt aus einem kleinen Sack ein ſeiden Hals- tuch und eine Schuͤrze zu nehmen, die ſie der Wirthin zu kaufen anbot, um Geld genug zu bekommen den Fuhrmann zu be- zahlen. Zwey Kinder riefen um Brod und Milch; ich faßte mich, ſo aͤußerſt geruͤhrt ich war, naͤherte mich, und ſagte der N 3

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/223>, abgerufen am 04.05.2024.