Jch will es glauben, versetzte ich; aber Milord, stand nicht das Volk am Ufer wo die Schiffahrt war? hat der Fürst nicht Augen, die ihm ohne fremden Un- terricht tausend Gegenstände seines Mit- leidens zeigen konnten? Warum fühlte er nichts dabey?
"Theures Fräulein; wie schön ist Jhr Eifer! zeigen Sie ihn aber nur bey dem Fräulein C*."
Hier rief Milord G. seinen Vetter ab, und kurz darauf giengen wir nach Hause.
Heute spielte meine Tante eine seltsame Scene mit mir. Sie kam, so bald ich an- gezogen war, in mein Zimmer, wo ich schon bey meinen Büchern saß. Jch bin eifersüchtig auf deine Bücher, sagte sie, du stehst früh auf, und bist gleich angezogen; da könntest du zu mir kommen; du weißt, wie gern ich mich mit dir unterrede. Dein Oncle ist immer mit seinen düstern Proceßsachen geplagt: ich arme Frau muß schon wieder an ein Wochenbette denken, und du unfreundliches Mädchen bringst den ganzen Morgen mit deinen trocknen
Mora-
Jch will es glauben, verſetzte ich; aber Milord, ſtand nicht das Volk am Ufer wo die Schiffahrt war? hat der Fuͤrſt nicht Augen, die ihm ohne fremden Un- terricht tauſend Gegenſtaͤnde ſeines Mit- leidens zeigen konnten? Warum fuͤhlte er nichts dabey?
„Theures Fraͤulein; wie ſchoͤn iſt Jhr Eifer! zeigen Sie ihn aber nur bey dem Fraͤulein C*.“
Hier rief Milord G. ſeinen Vetter ab, und kurz darauf giengen wir nach Hauſe.
Heute ſpielte meine Tante eine ſeltſame Scene mit mir. Sie kam, ſo bald ich an- gezogen war, in mein Zimmer, wo ich ſchon bey meinen Buͤchern ſaß. Jch bin eiferſuͤchtig auf deine Buͤcher, ſagte ſie, du ſtehſt fruͤh auf, und biſt gleich angezogen; da koͤnnteſt du zu mir kommen; du weißt, wie gern ich mich mit dir unterrede. Dein Oncle iſt immer mit ſeinen duͤſtern Proceßſachen geplagt: ich arme Frau muß ſchon wieder an ein Wochenbette denken, und du unfreundliches Maͤdchen bringſt den ganzen Morgen mit deinen trocknen
Mora-
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Jch will es glauben, verſetzte ich; aber
Milord, ſtand nicht das Volk am Ufer
wo die Schiffahrt war? hat der Fuͤrſt
nicht Augen, die ihm ohne fremden Un-
terricht tauſend Gegenſtaͤnde ſeines Mit-
leidens zeigen konnten? Warum fuͤhlte er
nichts dabey?
„Theures Fraͤulein; wie ſchoͤn iſt Jhr
Eifer! zeigen Sie ihn aber nur bey dem
Fraͤulein C*.“
Hier rief Milord G. ſeinen Vetter ab,
und kurz darauf giengen wir nach Hauſe.
Heute ſpielte meine Tante eine ſeltſame
Scene mit mir. Sie kam, ſo bald ich an-
gezogen war, in mein Zimmer, wo ich
ſchon bey meinen Buͤchern ſaß. Jch bin
eiferſuͤchtig auf deine Buͤcher, ſagte ſie, du
ſtehſt fruͤh auf, und biſt gleich angezogen;
da koͤnnteſt du zu mir kommen; du
weißt, wie gern ich mich mit dir unterrede.
Dein Oncle iſt immer mit ſeinen duͤſtern
Proceßſachen geplagt: ich arme Frau muß
ſchon wieder an ein Wochenbette denken,
und du unfreundliches Maͤdchen bringſt
den ganzen Morgen mit deinen trocknen
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/149>, abgerufen am 21.11.2024.
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