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Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916.

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hatte man den Frauen schon frühzeitig ein beschränktes
aktives und passives Wahlrecht in den Gemeinden gegeben
und damit die schiefe Ebene betreten, auf der es an-
scheinend kein Halten gibt. Als dann aber die Frauen
mit ihren Forderungen Ernst machten, da schreckten die
Parteien vor der Verantwortung zurück, und der "große"
liberale Premierminister Gladstone sorgte im Jahre 1884
dafür, daß die Frauenstimmrechtsforderung im Parlament
eine Niederlage erlebte. Trotzdem aber war durch die
bisher duldsame Haltung die Stellung des Parlaments
zur Frauenstimmrechtsfrage so verfahren, daß es 30 Jahre
lang der größten Künste und Jntriguen der leitenden
Politiker bedurfte, um dem parlamentarischen Frauen-
stimmrecht bis heute zu entgehen.

Der Kampf um die Macht bewirkte - ganz wie
bei uns - daß auch einflußreiche konservative Politiker
- wohl vorwiegend aus taktischen Gründen und in Blind-
heit für seinen demokratischen Charakter - sich mit dem
Frauenstimmrecht befreundeten. Die Rechtlerinnen hatten
nun die schöne Möglichkeit, durch abwechselnden Druck
auf die Parteien, besonders in den Wahlzeiten, die
Feminisierung derselben in immer stärkerer Weise zu
fördern, so daß sie schließlich über eine Mehrheit im
Parlament verfügten. Daß damit die Mehrheit des
Volkes nicht für ihre Sache gewonnen war, ergibt sich
vor allem aus der entschiedenen Abneigung der Recht-
lerinnen gegen den Vorschlag, die Frage durch eine Volks-
abstimmung (Referendum) entscheiden zu lassen. Das
Eigenartige der Lage bestand darin, daß auch die
regierende liberale Partei, die sich als Ganzes für die

hatte man den Frauen schon frühzeitig ein beschränktes
aktives und passives Wahlrecht in den Gemeinden gegeben
und damit die schiefe Ebene betreten, auf der es an-
scheinend kein Halten gibt. Als dann aber die Frauen
mit ihren Forderungen Ernst machten, da schreckten die
Parteien vor der Verantwortung zurück, und der „große“
liberale Premierminister Gladstone sorgte im Jahre 1884
dafür, daß die Frauenstimmrechtsforderung im Parlament
eine Niederlage erlebte. Trotzdem aber war durch die
bisher duldsame Haltung die Stellung des Parlaments
zur Frauenstimmrechtsfrage so verfahren, daß es 30 Jahre
lang der größten Künste und Jntriguen der leitenden
Politiker bedurfte, um dem parlamentarischen Frauen-
stimmrecht bis heute zu entgehen.

Der Kampf um die Macht bewirkte – ganz wie
bei uns – daß auch einflußreiche konservative Politiker
– wohl vorwiegend aus taktischen Gründen und in Blind-
heit für seinen demokratischen Charakter – sich mit dem
Frauenstimmrecht befreundeten. Die Rechtlerinnen hatten
nun die schöne Möglichkeit, durch abwechselnden Druck
auf die Parteien, besonders in den Wahlzeiten, die
Feminisierung derselben in immer stärkerer Weise zu
fördern, so daß sie schließlich über eine Mehrheit im
Parlament verfügten. Daß damit die Mehrheit des
Volkes nicht für ihre Sache gewonnen war, ergibt sich
vor allem aus der entschiedenen Abneigung der Recht-
lerinnen gegen den Vorschlag, die Frage durch eine Volks-
abstimmung (Referendum) entscheiden zu lassen. Das
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[60/0062] hatte man den Frauen schon frühzeitig ein beschränktes aktives und passives Wahlrecht in den Gemeinden gegeben und damit die schiefe Ebene betreten, auf der es an- scheinend kein Halten gibt. Als dann aber die Frauen mit ihren Forderungen Ernst machten, da schreckten die Parteien vor der Verantwortung zurück, und der „große“ liberale Premierminister Gladstone sorgte im Jahre 1884 dafür, daß die Frauenstimmrechtsforderung im Parlament eine Niederlage erlebte. Trotzdem aber war durch die bisher duldsame Haltung die Stellung des Parlaments zur Frauenstimmrechtsfrage so verfahren, daß es 30 Jahre lang der größten Künste und Jntriguen der leitenden Politiker bedurfte, um dem parlamentarischen Frauen- stimmrecht bis heute zu entgehen. Der Kampf um die Macht bewirkte – ganz wie bei uns – daß auch einflußreiche konservative Politiker – wohl vorwiegend aus taktischen Gründen und in Blind- heit für seinen demokratischen Charakter – sich mit dem Frauenstimmrecht befreundeten. Die Rechtlerinnen hatten nun die schöne Möglichkeit, durch abwechselnden Druck auf die Parteien, besonders in den Wahlzeiten, die Feminisierung derselben in immer stärkerer Weise zu fördern, so daß sie schließlich über eine Mehrheit im Parlament verfügten. Daß damit die Mehrheit des Volkes nicht für ihre Sache gewonnen war, ergibt sich vor allem aus der entschiedenen Abneigung der Recht- lerinnen gegen den Vorschlag, die Frage durch eine Volks- abstimmung (Referendum) entscheiden zu lassen. Das Eigenartige der Lage bestand darin, daß auch die regierende liberale Partei, die sich als Ganzes für die  

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Zitationshilfe: Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/62>, abgerufen am 28.04.2024.