Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916.

Bild:
<< vorherige Seite

nahme der Eheschließungen in "der Schwierigkeit der
Ehe bei gewachsener Jndividualisierung." Ebenso zweifelhaft
ist es, daß heranwachsende Söhne ihren Müttern weniger
Achtung bezeigen, weil sie auf manchen Gebieten weniger
gelernt haben als diese Söhne; Kinder sehen scharf und
werden wahrscheinlich den Übelstand eines schlecht geführten
Haushaltes und die Tatsache einer nicht aufopfernd
sorgenden Mutter viel schwerer empfinden als die Mängel
ihrer nicht gymnasialen Bildung. Mancher große Mann
hat freudig eingestanden, daß er sein Bestes seiner un-
gelehrten herzenswarmen Mutter dankte!

Jede Erziehung soll die natürlichen Anlagen des zu
Erziehenden entwickeln und zur Blüte bringen, nicht ihm
etwas Wesensfremdes aufpropfen. Warum will man in
der modernen Mädchenerziehung den Schwerpunkt auf
Logik und wissenschaftliches Denken legen? Das sind
gewiß gute und nützliche Dinge, für die die Mädchen aber
schwer zu haben sind, was nicht einmal ein Tadel für
uns Frauen ist, denn wir haben soviel andere Kräfte
der Seele, die wohl der Fähigkeit des begrifflichen Denkens
die Wage halten. Vielen deutschen Frauen ist geistiges
Leben nötig wie das tägliche Brot - wohl uns, unser
Volk braucht kluge und geistig reiche Mütter. Aber
Verstand und Urteilskraft lassen sich auch durch Frauen-
arbeit bilden, ohne daß die Körperkräfte des in der Ent-
wicklung stehenden Mädchens geschwächt und seine na-
türlichen Fraueninstinkte verwässert und verwischt werden.
Wehe einer Mädchenerziehung, die das Glück der eignen
Person in den Vordergrund stellt und darüber vergißt,
daß die selbstlose Aufopferung für andere natürliche Gabe

nahme der Eheschließungen in „der Schwierigkeit der
Ehe bei gewachsener Jndividualisierung.“ Ebenso zweifelhaft
ist es, daß heranwachsende Söhne ihren Müttern weniger
Achtung bezeigen, weil sie auf manchen Gebieten weniger
gelernt haben als diese Söhne; Kinder sehen scharf und
werden wahrscheinlich den Übelstand eines schlecht geführten
Haushaltes und die Tatsache einer nicht aufopfernd
sorgenden Mutter viel schwerer empfinden als die Mängel
ihrer nicht gymnasialen Bildung. Mancher große Mann
hat freudig eingestanden, daß er sein Bestes seiner un-
gelehrten herzenswarmen Mutter dankte!

Jede Erziehung soll die natürlichen Anlagen des zu
Erziehenden entwickeln und zur Blüte bringen, nicht ihm
etwas Wesensfremdes aufpropfen. Warum will man in
der modernen Mädchenerziehung den Schwerpunkt auf
Logik und wissenschaftliches Denken legen? Das sind
gewiß gute und nützliche Dinge, für die die Mädchen aber
schwer zu haben sind, was nicht einmal ein Tadel für
uns Frauen ist, denn wir haben soviel andere Kräfte
der Seele, die wohl der Fähigkeit des begrifflichen Denkens
die Wage halten. Vielen deutschen Frauen ist geistiges
Leben nötig wie das tägliche Brot – wohl uns, unser
Volk braucht kluge und geistig reiche Mütter. Aber
Verstand und Urteilskraft lassen sich auch durch Frauen-
arbeit bilden, ohne daß die Körperkräfte des in der Ent-
wicklung stehenden Mädchens geschwächt und seine na-
türlichen Fraueninstinkte verwässert und verwischt werden.
Wehe einer Mädchenerziehung, die das Glück der eignen
Person in den Vordergrund stellt und darüber vergißt,
daß die selbstlose Aufopferung für andere natürliche Gabe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0115" n="113"/>
nahme der Eheschließungen in &#x201E;der Schwierigkeit der<lb/>
Ehe bei gewachsener Jndividualisierung.&#x201C; Ebenso zweifelhaft<lb/>
ist es, daß heranwachsende Söhne ihren Müttern weniger<lb/>
Achtung bezeigen, weil sie auf manchen Gebieten weniger<lb/>
gelernt haben als diese Söhne; Kinder sehen scharf und<lb/>
werden wahrscheinlich den Übelstand eines schlecht geführten<lb/>
Haushaltes und die Tatsache einer nicht aufopfernd<lb/>
sorgenden Mutter viel schwerer empfinden als die Mängel<lb/>
ihrer nicht gymnasialen Bildung. Mancher große Mann<lb/>
hat freudig eingestanden, daß er sein Bestes seiner un-<lb/>
gelehrten herzenswarmen Mutter dankte!</p><lb/>
          <p>Jede Erziehung soll die natürlichen Anlagen des zu<lb/>
Erziehenden entwickeln und zur Blüte bringen, nicht ihm<lb/>
etwas Wesensfremdes aufpropfen. Warum will man in<lb/>
der modernen Mädchenerziehung den Schwerpunkt auf<lb/>
Logik und wissenschaftliches Denken legen? Das sind<lb/>
gewiß gute und nützliche Dinge, für die die Mädchen aber<lb/>
schwer zu haben sind, was nicht einmal ein Tadel für<lb/>
uns Frauen ist, denn wir haben soviel andere Kräfte<lb/>
der Seele, die wohl der Fähigkeit des begrifflichen Denkens<lb/>
die Wage halten. Vielen deutschen Frauen ist geistiges<lb/>
Leben nötig wie das tägliche Brot &#x2013; wohl uns, unser<lb/>
Volk braucht kluge und geistig reiche Mütter. Aber<lb/>
Verstand und Urteilskraft lassen sich auch durch Frauen-<lb/>
arbeit bilden, ohne daß die Körperkräfte des in der Ent-<lb/>
wicklung stehenden Mädchens geschwächt und seine na-<lb/>
türlichen Fraueninstinkte verwässert und verwischt werden.<lb/>
Wehe einer Mädchenerziehung, die das Glück der eignen<lb/>
Person in den Vordergrund stellt und darüber vergißt,<lb/>
daß die selbstlose Aufopferung für andere natürliche Gabe<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0115] nahme der Eheschließungen in „der Schwierigkeit der Ehe bei gewachsener Jndividualisierung.“ Ebenso zweifelhaft ist es, daß heranwachsende Söhne ihren Müttern weniger Achtung bezeigen, weil sie auf manchen Gebieten weniger gelernt haben als diese Söhne; Kinder sehen scharf und werden wahrscheinlich den Übelstand eines schlecht geführten Haushaltes und die Tatsache einer nicht aufopfernd sorgenden Mutter viel schwerer empfinden als die Mängel ihrer nicht gymnasialen Bildung. Mancher große Mann hat freudig eingestanden, daß er sein Bestes seiner un- gelehrten herzenswarmen Mutter dankte! Jede Erziehung soll die natürlichen Anlagen des zu Erziehenden entwickeln und zur Blüte bringen, nicht ihm etwas Wesensfremdes aufpropfen. Warum will man in der modernen Mädchenerziehung den Schwerpunkt auf Logik und wissenschaftliches Denken legen? Das sind gewiß gute und nützliche Dinge, für die die Mädchen aber schwer zu haben sind, was nicht einmal ein Tadel für uns Frauen ist, denn wir haben soviel andere Kräfte der Seele, die wohl der Fähigkeit des begrifflichen Denkens die Wage halten. Vielen deutschen Frauen ist geistiges Leben nötig wie das tägliche Brot – wohl uns, unser Volk braucht kluge und geistig reiche Mütter. Aber Verstand und Urteilskraft lassen sich auch durch Frauen- arbeit bilden, ohne daß die Körperkräfte des in der Ent- wicklung stehenden Mädchens geschwächt und seine na- türlichen Fraueninstinkte verwässert und verwischt werden. Wehe einer Mädchenerziehung, die das Glück der eignen Person in den Vordergrund stellt und darüber vergißt, daß die selbstlose Aufopferung für andere natürliche Gabe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-04-13T13:51:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-04-13T13:51:38Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/115
Zitationshilfe: Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/115>, abgerufen am 12.05.2024.