der heranwachsenden weiblichen Jugend die ihr zukom- mende Teilnahme an der allgemeinen Geistesbildung zu ermöglichen, welche auch die allgemeine Bildungsauf- gabe der höheren Schulen für Knaben und Jünglinge, also der Gymnasien und Realschulen ist; nicht aber in einer unselbständigen Nachahmung dieser Anstalten, sondern in einer Organisation, welche auf die Natur und Lebens- bestimmung des Weibes Rücksicht nimmt, ist die Zukunft der Mädchenschule zu suchen." -- Gegen diese Festsetzung wird niemand etwas einzuwenden haben, aber sie ist ledig- lich formaler Art, und es kommt jetzt alles darauf an, wie man "Natur und Lebensbestimmung des Weibes" auffaßt. Die Denkschrift spricht sich über diesen wichtig- sten Punkt auffallender Weise in keiner besonderen These aus, aber die Motivierung der oben angeführten These II läßt über die Auffassung der Weimarer Versammlung kei- nen Zweifel. "Es gilt", heißt es hier weiter, "dem Weibe eine der Geistesbildung des Mannes in der Allgemeinheit der Art und der Interessen ebenbürtige Bildung zu er- möglichen, damit der deutsche Mann nicht durchDie Weimarer Denk- schrift begründet die Not- wendigkeit der Frauen- bildung falsch. die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau an dem häuslichen Herde gelang- weilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen ge- lähmt werde, daß ihm vielmehr das Weib mit Verständnis dieser Interessen und der Wärme des Gefühles für die- selben zur Seite stehe." Die Frau soll gebildet werden, damit der deutsche Mann nicht gelangweilt werde! Das erinnert zu stark an das Rousseausche "la femme est faite specialement pour plaire a l'homme", um nicht bei der würdigen Ansicht, die wir im ganzen in Deutschland von Erziehungsfragen und Menschenbildung haben, starken An- stoß zu erregen. Mit dieser Motivierung steht These III der Weimarer Denkschrift: "Die höhere Mädchenschule hat eine harmonische Ausbildung der Intellektualität, des Ge- mütes und des Willens in religiös-nationalem Sinne auf realistisch-ästhetischer Grundlage anzustreben", der wir sonst
der heranwachsenden weiblichen Jugend die ihr zukom- mende Teilnahme an der allgemeinen Geistesbildung zu ermöglichen, welche auch die allgemeine Bildungsauf- gabe der höheren Schulen für Knaben und Jünglinge, also der Gymnasien und Realschulen ist; nicht aber in einer unselbständigen Nachahmung dieser Anstalten, sondern in einer Organisation, welche auf die Natur und Lebens- bestimmung des Weibes Rücksicht nimmt, ist die Zukunft der Mädchenschule zu suchen.“ — Gegen diese Festsetzung wird niemand etwas einzuwenden haben, aber sie ist ledig- lich formaler Art, und es kommt jetzt alles darauf an, wie man „Natur und Lebensbestimmung des Weibes“ auffaßt. Die Denkschrift spricht sich über diesen wichtig- sten Punkt auffallender Weise in keiner besonderen These aus, aber die Motivierung der oben angeführten These II läßt über die Auffassung der Weimarer Versammlung kei- nen Zweifel. „Es gilt“, heißt es hier weiter, „dem Weibe eine der Geistesbildung des Mannes in der Allgemeinheit der Art und der Interessen ebenbürtige Bildung zu er- möglichen, damit der deutsche Mann nicht durchDie Weimarer Denk- schrift begründet die Not- wendigkeit der Frauen- bildung falsch. die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau an dem häuslichen Herde gelang- weilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen ge- lähmt werde, daß ihm vielmehr das Weib mit Verständnis dieser Interessen und der Wärme des Gefühles für die- selben zur Seite stehe.“ Die Frau soll gebildet werden, damit der deutsche Mann nicht gelangweilt werde! Das erinnert zu stark an das Rousseausche „la femme est faite spécialement pour plaire à l'homme“, um nicht bei der würdigen Ansicht, die wir im ganzen in Deutschland von Erziehungsfragen und Menschenbildung haben, starken An- stoß zu erregen. Mit dieser Motivierung steht These III der Weimarer Denkschrift: „Die höhere Mädchenschule hat eine harmonische Ausbildung der Intellektualität, des Ge- mütes und des Willens in religiös-nationalem Sinne auf realistisch-ästhetischer Grundlage anzustreben“, der wir sonst
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0008"n="7"/>
der heranwachsenden weiblichen Jugend die ihr zukom-<lb/>
mende Teilnahme an der <hirendition="#g">allgemeinen Geistesbildung</hi><lb/>
zu ermöglichen, welche auch die allgemeine Bildungsauf-<lb/>
gabe der höheren Schulen für Knaben und Jünglinge,<lb/>
also der Gymnasien und Realschulen ist; nicht aber in<lb/>
einer unselbständigen Nachahmung dieser Anstalten, sondern<lb/>
in einer Organisation, welche auf die Natur und Lebens-<lb/>
bestimmung des Weibes Rücksicht nimmt, ist die Zukunft<lb/>
der Mädchenschule zu suchen.“— Gegen diese Festsetzung<lb/>
wird niemand etwas einzuwenden haben, aber sie ist ledig-<lb/>
lich <hirendition="#g">formaler</hi> Art, und es kommt jetzt alles darauf an,<lb/>
wie man „Natur und Lebensbestimmung des Weibes“<lb/>
auffaßt. Die Denkschrift spricht sich über diesen wichtig-<lb/>
sten Punkt auffallender Weise in keiner besonderen These<lb/>
aus, aber die Motivierung der oben angeführten These II<lb/>
läßt über die Auffassung der Weimarer Versammlung kei-<lb/>
nen Zweifel. „Es gilt“, heißt es hier weiter, „dem Weibe<lb/>
eine der Geistesbildung des Mannes in der Allgemeinheit<lb/>
der Art und der Interessen ebenbürtige Bildung zu er-<lb/>
möglichen, <hirendition="#g">damit der deutsche Mann nicht durch<noteplace="right">Die Weimarer Denk-<lb/>
schrift begründet die Not-<lb/>
wendigkeit der Frauen-<lb/>
bildung falsch.</note><lb/>
die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit<lb/>
seiner Frau an dem häuslichen Herde gelang-<lb/>
weilt</hi> und in seiner Hingabe an höhere Interessen ge-<lb/>
lähmt werde, daß ihm vielmehr das Weib mit Verständnis<lb/>
dieser Interessen und der Wärme des Gefühles für die-<lb/>
selben zur Seite stehe.“ Die Frau soll gebildet werden,<lb/>
damit der deutsche Mann nicht gelangweilt werde! Das<lb/>
erinnert zu stark an das Rousseausche „<hirendition="#aq">la femme est faite<lb/>
spécialement pour plaire à l'homme</hi>“, um nicht bei der<lb/>
würdigen Ansicht, die wir im ganzen in Deutschland von<lb/>
Erziehungsfragen und Menschenbildung haben, starken An-<lb/>
stoß zu erregen. Mit dieser Motivierung steht These III<lb/>
der Weimarer Denkschrift: „Die höhere Mädchenschule hat<lb/>
eine harmonische Ausbildung der Intellektualität, des Ge-<lb/>
mütes und des Willens in religiös-nationalem Sinne auf<lb/>
realistisch-ästhetischer Grundlage anzustreben“, der wir sonst<lb/></p></div></body></text></TEI>
[7/0008]
der heranwachsenden weiblichen Jugend die ihr zukom-
mende Teilnahme an der allgemeinen Geistesbildung
zu ermöglichen, welche auch die allgemeine Bildungsauf-
gabe der höheren Schulen für Knaben und Jünglinge,
also der Gymnasien und Realschulen ist; nicht aber in
einer unselbständigen Nachahmung dieser Anstalten, sondern
in einer Organisation, welche auf die Natur und Lebens-
bestimmung des Weibes Rücksicht nimmt, ist die Zukunft
der Mädchenschule zu suchen.“ — Gegen diese Festsetzung
wird niemand etwas einzuwenden haben, aber sie ist ledig-
lich formaler Art, und es kommt jetzt alles darauf an,
wie man „Natur und Lebensbestimmung des Weibes“
auffaßt. Die Denkschrift spricht sich über diesen wichtig-
sten Punkt auffallender Weise in keiner besonderen These
aus, aber die Motivierung der oben angeführten These II
läßt über die Auffassung der Weimarer Versammlung kei-
nen Zweifel. „Es gilt“, heißt es hier weiter, „dem Weibe
eine der Geistesbildung des Mannes in der Allgemeinheit
der Art und der Interessen ebenbürtige Bildung zu er-
möglichen, damit der deutsche Mann nicht durch
die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit
seiner Frau an dem häuslichen Herde gelang-
weilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen ge-
lähmt werde, daß ihm vielmehr das Weib mit Verständnis
dieser Interessen und der Wärme des Gefühles für die-
selben zur Seite stehe.“ Die Frau soll gebildet werden,
damit der deutsche Mann nicht gelangweilt werde! Das
erinnert zu stark an das Rousseausche „la femme est faite
spécialement pour plaire à l'homme“, um nicht bei der
würdigen Ansicht, die wir im ganzen in Deutschland von
Erziehungsfragen und Menschenbildung haben, starken An-
stoß zu erregen. Mit dieser Motivierung steht These III
der Weimarer Denkschrift: „Die höhere Mädchenschule hat
eine harmonische Ausbildung der Intellektualität, des Ge-
mütes und des Willens in religiös-nationalem Sinne auf
realistisch-ästhetischer Grundlage anzustreben“, der wir sonst
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Melanie Henß, Marc Kuse, Thomas Gloning, Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Texterfassung und Korrekturen, Konversion nach XML
(2013-05-22T08:12:00Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-05-22T08:12:00Z)
Weitere Informationen:
Anmerkungen zur Transkription:
Langes als rundes s erfasst.
I/J nach Lautwert transkribiert.
Marginalien, Bogensignaturen, Kustoden und Kolumnentitel wurden nicht erfasst.
Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/8>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.