Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

meinetwegen auch ein Stück ihrer Gesundheit an eine Auf-
gabe, durch deren Lösung sie für die Zukunft ihren
Schwestern einen neuen lohnenden Erwerbszweig sicherten
und die eigentlichen Gewerbe für die weniger Begabten
entlasteten? Glaubt man denn wirklich, daß bei dem
jetzigen Zustand die Gesundheit der auf mangelhaften Ver-
dienst angewiesenen Frauen eine so vorzügliche ist? Wer
hindert übrigens die Männer, für einen großen Zweck ihre
Gesundheit zu wagen? Und für uns giebt es keinen
größeren, als Bresche zu legen in Jahrtausende alte Vor-
urteile und den zukünftigen Generationen Lehrerinnen zu
schaffen, die mit dem warmen Interesse, das wir jetzt schon
alle für die Erziehung unserer Mädchen haben, ausreichende
Bildung und einen weiten Gesichtskreis vereinen. Es steht
ja jedem Vater frei, seine Tochter von diesem Versuch fern
zu halten; es giebt aber eine Menge mündiger, selbstän-
diger Frauen in Deutschland, die an diesen Zweck gern
ihre Gesundheit wagen werden, und man wird ihnen das
Recht dazu kaum bestreiten wollen.

Überdies erscheint aber diese ganze Sorge um die Ge-
sundheit als eine sehr übertriebene. Wenn jetzt schon
manches junge Mädchen vor dem Lehrerinnenexamen vor-
übergehend nicht die gewöhnliche Frische und Gesundheit
zeigt, so unterscheidet sie sich dadurch in gar nichts von
dem Abiturienten -- vor den Erfolg haben die Götter
nun einmal den Schweiß gesetzt. In etwas schädigt alle
Kulturarbeit die Gesundheit; sollen wir deswegen etwa
wieder Ackerbauer und Nomaden werden? Es fällt so-
dann -- und wir billigen das durchaus nicht -- die
Ausbildung der Lehrerinnen in eine Zeit, die ohnehin von
Bleichsuchtserscheinungen und dergl. leicht heimgesucht ist;
ein ursächlicher Zusammenhang mit der Examensvorberei-
tung ist also durchaus nicht notwendig vorhanden. Man
sollte sich doch hüten, allerlei Blut- und Nervenkrankheiten,
die unsere ungesunde und verweichlichende Kinder-
erziehung
als notwendige Folge hat, und die allerdings

meinetwegen auch ein Stück ihrer Gesundheit an eine Auf-
gabe, durch deren Lösung sie für die Zukunft ihren
Schwestern einen neuen lohnenden Erwerbszweig sicherten
und die eigentlichen Gewerbe für die weniger Begabten
entlasteten? Glaubt man denn wirklich, daß bei dem
jetzigen Zustand die Gesundheit der auf mangelhaften Ver-
dienst angewiesenen Frauen eine so vorzügliche ist? Wer
hindert übrigens die Männer, für einen großen Zweck ihre
Gesundheit zu wagen? Und für uns giebt es keinen
größeren, als Bresche zu legen in Jahrtausende alte Vor-
urteile und den zukünftigen Generationen Lehrerinnen zu
schaffen, die mit dem warmen Interesse, das wir jetzt schon
alle für die Erziehung unserer Mädchen haben, ausreichende
Bildung und einen weiten Gesichtskreis vereinen. Es steht
ja jedem Vater frei, seine Tochter von diesem Versuch fern
zu halten; es giebt aber eine Menge mündiger, selbstän-
diger Frauen in Deutschland, die an diesen Zweck gern
ihre Gesundheit wagen werden, und man wird ihnen das
Recht dazu kaum bestreiten wollen.

Überdies erscheint aber diese ganze Sorge um die Ge-
sundheit als eine sehr übertriebene. Wenn jetzt schon
manches junge Mädchen vor dem Lehrerinnenexamen vor-
übergehend nicht die gewöhnliche Frische und Gesundheit
zeigt, so unterscheidet sie sich dadurch in gar nichts von
dem Abiturienten — vor den Erfolg haben die Götter
nun einmal den Schweiß gesetzt. In etwas schädigt alle
Kulturarbeit die Gesundheit; sollen wir deswegen etwa
wieder Ackerbauer und Nomaden werden? Es fällt so-
dann — und wir billigen das durchaus nicht — die
Ausbildung der Lehrerinnen in eine Zeit, die ohnehin von
Bleichsuchtserscheinungen und dergl. leicht heimgesucht ist;
ein ursächlicher Zusammenhang mit der Examensvorberei-
tung ist also durchaus nicht notwendig vorhanden. Man
sollte sich doch hüten, allerlei Blut- und Nervenkrankheiten,
die unsere ungesunde und verweichlichende Kinder-
erziehung
als notwendige Folge hat, und die allerdings

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="52"/>
meinetwegen auch ein Stück ihrer Gesundheit an eine Auf-<lb/>
gabe, durch deren Lösung sie für die Zukunft ihren<lb/>
Schwestern einen neuen lohnenden Erwerbszweig sicherten<lb/>
und die eigentlichen Gewerbe für die weniger Begabten<lb/>
entlasteten? Glaubt man denn wirklich, daß bei dem<lb/>
jetzigen Zustand die Gesundheit der auf mangelhaften Ver-<lb/>
dienst angewiesenen Frauen eine so vorzügliche ist? Wer<lb/>
hindert übrigens die Männer, für einen großen Zweck ihre<lb/>
Gesundheit zu wagen? Und für uns giebt es keinen<lb/>
größeren, als Bresche zu legen in Jahrtausende alte Vor-<lb/>
urteile und den zukünftigen Generationen Lehrerinnen zu<lb/>
schaffen, die mit dem warmen Interesse, das wir jetzt schon<lb/>
alle für die Erziehung unserer Mädchen haben, ausreichende<lb/>
Bildung und einen weiten Gesichtskreis vereinen. Es steht<lb/>
ja jedem Vater frei, seine Tochter von diesem Versuch fern<lb/>
zu halten; es giebt aber eine Menge mündiger, selbstän-<lb/>
diger Frauen in Deutschland, die an diesen Zweck gern<lb/>
ihre Gesundheit wagen werden, und man wird ihnen das<lb/>
Recht dazu kaum bestreiten wollen.</p><lb/>
        <p>Überdies erscheint aber diese ganze Sorge um die Ge-<lb/>
sundheit als eine sehr übertriebene. Wenn jetzt schon<lb/>
manches junge Mädchen vor dem Lehrerinnenexamen vor-<lb/>
übergehend nicht die gewöhnliche Frische und Gesundheit<lb/>
zeigt, so unterscheidet sie sich dadurch in gar nichts von<lb/>
dem Abiturienten &#x2014; vor den Erfolg haben die Götter<lb/>
nun einmal den Schweiß gesetzt. In etwas schädigt alle<lb/>
Kulturarbeit die Gesundheit; sollen wir deswegen etwa<lb/>
wieder Ackerbauer und Nomaden werden? Es fällt so-<lb/>
dann &#x2014; und wir billigen das durchaus nicht &#x2014; die<lb/>
Ausbildung der Lehrerinnen in eine Zeit, die ohnehin von<lb/>
Bleichsuchtserscheinungen und dergl. leicht heimgesucht ist;<lb/>
ein ursächlicher Zusammenhang mit der Examensvorberei-<lb/>
tung ist also durchaus nicht notwendig vorhanden. Man<lb/>
sollte sich doch hüten, allerlei Blut- und Nervenkrankheiten,<lb/>
die unsere <hi rendition="#g">ungesunde und verweichlichende Kinder-<lb/>
erziehung</hi> als notwendige Folge hat, und die allerdings<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0053] meinetwegen auch ein Stück ihrer Gesundheit an eine Auf- gabe, durch deren Lösung sie für die Zukunft ihren Schwestern einen neuen lohnenden Erwerbszweig sicherten und die eigentlichen Gewerbe für die weniger Begabten entlasteten? Glaubt man denn wirklich, daß bei dem jetzigen Zustand die Gesundheit der auf mangelhaften Ver- dienst angewiesenen Frauen eine so vorzügliche ist? Wer hindert übrigens die Männer, für einen großen Zweck ihre Gesundheit zu wagen? Und für uns giebt es keinen größeren, als Bresche zu legen in Jahrtausende alte Vor- urteile und den zukünftigen Generationen Lehrerinnen zu schaffen, die mit dem warmen Interesse, das wir jetzt schon alle für die Erziehung unserer Mädchen haben, ausreichende Bildung und einen weiten Gesichtskreis vereinen. Es steht ja jedem Vater frei, seine Tochter von diesem Versuch fern zu halten; es giebt aber eine Menge mündiger, selbstän- diger Frauen in Deutschland, die an diesen Zweck gern ihre Gesundheit wagen werden, und man wird ihnen das Recht dazu kaum bestreiten wollen. Überdies erscheint aber diese ganze Sorge um die Ge- sundheit als eine sehr übertriebene. Wenn jetzt schon manches junge Mädchen vor dem Lehrerinnenexamen vor- übergehend nicht die gewöhnliche Frische und Gesundheit zeigt, so unterscheidet sie sich dadurch in gar nichts von dem Abiturienten — vor den Erfolg haben die Götter nun einmal den Schweiß gesetzt. In etwas schädigt alle Kulturarbeit die Gesundheit; sollen wir deswegen etwa wieder Ackerbauer und Nomaden werden? Es fällt so- dann — und wir billigen das durchaus nicht — die Ausbildung der Lehrerinnen in eine Zeit, die ohnehin von Bleichsuchtserscheinungen und dergl. leicht heimgesucht ist; ein ursächlicher Zusammenhang mit der Examensvorberei- tung ist also durchaus nicht notwendig vorhanden. Man sollte sich doch hüten, allerlei Blut- und Nervenkrankheiten, die unsere ungesunde und verweichlichende Kinder- erziehung als notwendige Folge hat, und die allerdings

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Melanie Henß, Marc Kuse, Thomas Gloning, Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Texterfassung und Korrekturen, Konversion nach XML (2013-05-22T08:12:00Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-05-22T08:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes als rundes s erfasst.
  • I/J nach Lautwert transkribiert.
  • Marginalien, Bogensignaturen, Kustoden und Kolumnentitel wurden nicht erfasst.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/53
Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/53>, abgerufen am 22.11.2024.