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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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reine und heilige Familienliebe jeden Nebengedanken aus-
schließt. In dem Verhältnis zwischen Lehrer und Schü-
lerin aber ist diese Wechselwirkung, die sich bei den Mädchen
der Oberklassen als sogenannte Schwärmerei, bei den Leh-
rern bestenfalls in chevaleresker Behandlung äußert, ob-
wohl sie manchmal dem Lerneifer förderlich sein mag,
pädagogisch höchst bedenklich. Hören wir über die
"zutrauliche Liebe der Schülerin zu ihrem Lehrer" wie-
derum Tinette Homber.

"Selbst wenn ich mir den edelsten Mann und dasDie pädagogisch bedenk-
lichen Seiten des Ver-
kehrs zwischen Lehrern
und Schülerinnen.

reinste, unbefangenste Mädchen denke, wo also von un-
lauteren Gefühlen gar nicht die Rede sein kann, so nimmt
dies Verhältnis doch leicht ein gewisses Etwas an, was
nicht ganz mit den höheren Endzwecken der Pädagogik
harmoniert. Man beobachte nur genau und man wird
finden, daß der Lehrer beinah nie ganz so zu seinen
Schülerinnen steht, wie zu seinen Schülern. Es liegt
in dem Tone, in welchem er zu jenen spricht, ein gewisses
verbindliches, schonendes, rücksichtsvolles Wesen, welches
schon von fern an die Galanterie erinnert, die ihrer in der
Welt harrt, und weit verschieden von dem Ton der
mütterlichen Liebe ist, den eine Lehrerin ihren Schü-
lerinnen gegenüber haben kann und soll. Jener erinnert
instinktartig die Schülerinnen nicht daran, daß sie Schü-
lerinnen
, sondern daß sie Mädchen sind, und bald
erwachsene Mädchen sein werden. Die nicht mehr
ganz Unbefangenen
unter ihnen, die bei weiblichem
Unterrichte in dieser Hinsicht doch wenigstens stehen ge-
blieben wären, finden bald in den Stunden selbst, die sie
doch gegen alles Unrechte und Unschöne stählen sollten,
Nahrung für die meinem Geschlechte so eigene Gefall-
sucht
, und ehe sie noch in gesellige Verhältnisse übertreten
und für erwachsene Mädchen angesehen werden, spielen sie oft
schon in Gedanken einen Roman mit ihrem Lehrer durch"1).

1) a. a. D. S. 229.

reine und heilige Familienliebe jeden Nebengedanken aus-
schließt. In dem Verhältnis zwischen Lehrer und Schü-
lerin aber ist diese Wechselwirkung, die sich bei den Mädchen
der Oberklassen als sogenannte Schwärmerei, bei den Leh-
rern bestenfalls in chevaleresker Behandlung äußert, ob-
wohl sie manchmal dem Lerneifer förderlich sein mag,
pädagogisch höchst bedenklich. Hören wir über die
„zutrauliche Liebe der Schülerin zu ihrem Lehrer“ wie-
derum Tinette Homber.

„Selbst wenn ich mir den edelsten Mann und dasDie pädagogisch bedenk-
lichen Seiten des Ver-
kehrs zwischen Lehrern
und Schülerinnen.

reinste, unbefangenste Mädchen denke, wo also von un-
lauteren Gefühlen gar nicht die Rede sein kann, so nimmt
dies Verhältnis doch leicht ein gewisses Etwas an, was
nicht ganz mit den höheren Endzwecken der Pädagogik
harmoniert. Man beobachte nur genau und man wird
finden, daß der Lehrer beinah nie ganz so zu seinen
Schülerinnen steht, wie zu seinen Schülern. Es liegt
in dem Tone, in welchem er zu jenen spricht, ein gewisses
verbindliches, schonendes, rücksichtsvolles Wesen, welches
schon von fern an die Galanterie erinnert, die ihrer in der
Welt harrt, und weit verschieden von dem Ton der
mütterlichen Liebe ist, den eine Lehrerin ihren Schü-
lerinnen gegenüber haben kann und soll. Jener erinnert
instinktartig die Schülerinnen nicht daran, daß sie Schü-
lerinnen
, sondern daß sie Mädchen sind, und bald
erwachsene Mädchen sein werden. Die nicht mehr
ganz Unbefangenen
unter ihnen, die bei weiblichem
Unterrichte in dieser Hinsicht doch wenigstens stehen ge-
blieben wären, finden bald in den Stunden selbst, die sie
doch gegen alles Unrechte und Unschöne stählen sollten,
Nahrung für die meinem Geschlechte so eigene Gefall-
sucht
, und ehe sie noch in gesellige Verhältnisse übertreten
und für erwachsene Mädchen angesehen werden, spielen sie oft
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[29/0030] reine und heilige Familienliebe jeden Nebengedanken aus- schließt. In dem Verhältnis zwischen Lehrer und Schü- lerin aber ist diese Wechselwirkung, die sich bei den Mädchen der Oberklassen als sogenannte Schwärmerei, bei den Leh- rern bestenfalls in chevaleresker Behandlung äußert, ob- wohl sie manchmal dem Lerneifer förderlich sein mag, pädagogisch höchst bedenklich. Hören wir über die „zutrauliche Liebe der Schülerin zu ihrem Lehrer“ wie- derum Tinette Homber. „Selbst wenn ich mir den edelsten Mann und das reinste, unbefangenste Mädchen denke, wo also von un- lauteren Gefühlen gar nicht die Rede sein kann, so nimmt dies Verhältnis doch leicht ein gewisses Etwas an, was nicht ganz mit den höheren Endzwecken der Pädagogik harmoniert. Man beobachte nur genau und man wird finden, daß der Lehrer beinah nie ganz so zu seinen Schülerinnen steht, wie zu seinen Schülern. Es liegt in dem Tone, in welchem er zu jenen spricht, ein gewisses verbindliches, schonendes, rücksichtsvolles Wesen, welches schon von fern an die Galanterie erinnert, die ihrer in der Welt harrt, und weit verschieden von dem Ton der mütterlichen Liebe ist, den eine Lehrerin ihren Schü- lerinnen gegenüber haben kann und soll. Jener erinnert instinktartig die Schülerinnen nicht daran, daß sie Schü- lerinnen, sondern daß sie Mädchen sind, und bald erwachsene Mädchen sein werden. Die nicht mehr ganz Unbefangenen unter ihnen, die bei weiblichem Unterrichte in dieser Hinsicht doch wenigstens stehen ge- blieben wären, finden bald in den Stunden selbst, die sie doch gegen alles Unrechte und Unschöne stählen sollten, Nahrung für die meinem Geschlechte so eigene Gefall- sucht, und ehe sie noch in gesellige Verhältnisse übertreten und für erwachsene Mädchen angesehen werden, spielen sie oft schon in Gedanken einen Roman mit ihrem Lehrer durch“ 1). Die pädagogisch bedenk- lichen Seiten des Ver- kehrs zwischen Lehrern und Schülerinnen. 1) a. a. D. S. 229.

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/30>, abgerufen am 23.04.2024.