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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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wie sie unsere Schulen übermitteln, den Mädchen zu einer
geistigen Zucht für Verstand, Gemüt und Charakter werde,
wie es eben diese Denkschrift will?

Wir fanden den nächstenGrund dafür, daß diese
Absichten nicht erfüllt worden sind, in den zu hoch ge-
steckten Zielen des Lehrprogramms der Augustkonferenz.
Daß auch die Regierung ihn in dieser Richtung gesucht
hat, daß sie also überhaupt die volle Zufriedenheit der
Mädchenschulpädagogen mit der Entwicklung der Mädchen-
schule nicht teilt und an der Weimarer Richtung nicht mehr
unbedingt festhält, geht aus mehreren Umständen hervor.
Zunächst aus dem schon erwähnten, daß sie trotz des Drängens
der Weimaraner den Bestimmungen der Augustkonferenz
keinen normativen Charakter gab; zweitens aus der Rede
des Herrn Ministers von Goßler im preußischen Abgeord-
netenhaus (5. Februar 1884), in welcher derselbe es als
unmöglich hinstellte, einem 16jährigen Mädchen eine wirklich
abgeschlossene Bildung zu geben1), drittens aus dem "Zurück-
schrauben der Forderungen", das thatsächlich mehrfach statt-
gefunden und seinen entschiedensten Ausdruck in dem Ber-
liner Normallehrplan
gefunden hat. So sehr wir dessen
Princip, Stoffbeschränkung, anerkennen, so schwer-
wiegende Bedenken haben wir hinsichtlich der einzelnen
Bestimmungen zu äußern. Es ist natürlich, daß eine so
starke Überspannung der Forderungen, wie sie die Weimarer
Pädagogik erzeugte, auch eine starke Reaktion zur Folge

1) Die Worte des Ministers lauten nach dem stenographischen Be-
richt: "Ich halte nicht dafür, daß es möglich ist, einem 16jährigen Mäd-
chen eine wirklich abgeschlossene Bildung zu geben, sondern glaube, daß
in vielen Beziehungen völlig Genügendes geschieht, wenn die Entwicke-
lung bis zu der Stufe geführt wird, daß die Möglichkeit einer weiteren
Selbstentwickelung gegeben ist." Wir unterschreiben diese Worte voll-
ständig, nur möchten wir bezweifeln, daß i. a. mit dem 16. Jahre diese
Fähigkeit selbständiger Weiterentwickelung gegeben ist; würde doch niemand
das bei dem Knaben erwarten, mit welchem Recht also bei dem Mäd-
chen? Auch ihm muß, wie wir weiterhin ausführen werden, noch ein
fernerer Anhalt zu seiner Weiterentwickelung geboten werden.

wie sie unsere Schulen übermitteln, den Mädchen zu einer
geistigen Zucht für Verstand, Gemüt und Charakter werde,
wie es eben diese Denkschrift will?

Wir fanden den nächstenGrund dafür, daß diese
Absichten nicht erfüllt worden sind, in den zu hoch ge-
steckten Zielen des Lehrprogramms der Augustkonferenz.
Daß auch die Regierung ihn in dieser Richtung gesucht
hat, daß sie also überhaupt die volle Zufriedenheit der
Mädchenschulpädagogen mit der Entwicklung der Mädchen-
schule nicht teilt und an der Weimarer Richtung nicht mehr
unbedingt festhält, geht aus mehreren Umständen hervor.
Zunächst aus dem schon erwähnten, daß sie trotz des Drängens
der Weimaraner den Bestimmungen der Augustkonferenz
keinen normativen Charakter gab; zweitens aus der Rede
des Herrn Ministers von Goßler im preußischen Abgeord-
netenhaus (5. Februar 1884), in welcher derselbe es als
unmöglich hinstellte, einem 16jährigen Mädchen eine wirklich
abgeschlossene Bildung zu geben1), drittens aus dem „Zurück-
schrauben der Forderungen“, das thatsächlich mehrfach statt-
gefunden und seinen entschiedensten Ausdruck in dem Ber-
liner Normallehrplan
gefunden hat. So sehr wir dessen
Princip, Stoffbeschränkung, anerkennen, so schwer-
wiegende Bedenken haben wir hinsichtlich der einzelnen
Bestimmungen zu äußern. Es ist natürlich, daß eine so
starke Überspannung der Forderungen, wie sie die Weimarer
Pädagogik erzeugte, auch eine starke Reaktion zur Folge

1) Die Worte des Ministers lauten nach dem stenographischen Be-
richt: „Ich halte nicht dafür, daß es möglich ist, einem 16jährigen Mäd-
chen eine wirklich abgeschlossene Bildung zu geben, sondern glaube, daß
in vielen Beziehungen völlig Genügendes geschieht, wenn die Entwicke-
lung bis zu der Stufe geführt wird, daß die Möglichkeit einer weiteren
Selbstentwickelung gegeben ist.“ Wir unterschreiben diese Worte voll-
ständig, nur möchten wir bezweifeln, daß i. a. mit dem 16. Jahre diese
Fähigkeit selbständiger Weiterentwickelung gegeben ist; würde doch niemand
das bei dem Knaben erwarten, mit welchem Recht also bei dem Mäd-
chen? Auch ihm muß, wie wir weiterhin ausführen werden, noch ein
fernerer Anhalt zu seiner Weiterentwickelung geboten werden.
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[17/0018] wie sie unsere Schulen übermitteln, den Mädchen zu einer geistigen Zucht für Verstand, Gemüt und Charakter werde, wie es eben diese Denkschrift will? Wir fanden den nächstenGrund dafür, daß diese Absichten nicht erfüllt worden sind, in den zu hoch ge- steckten Zielen des Lehrprogramms der Augustkonferenz. Daß auch die Regierung ihn in dieser Richtung gesucht hat, daß sie also überhaupt die volle Zufriedenheit der Mädchenschulpädagogen mit der Entwicklung der Mädchen- schule nicht teilt und an der Weimarer Richtung nicht mehr unbedingt festhält, geht aus mehreren Umständen hervor. Zunächst aus dem schon erwähnten, daß sie trotz des Drängens der Weimaraner den Bestimmungen der Augustkonferenz keinen normativen Charakter gab; zweitens aus der Rede des Herrn Ministers von Goßler im preußischen Abgeord- netenhaus (5. Februar 1884), in welcher derselbe es als unmöglich hinstellte, einem 16jährigen Mädchen eine wirklich abgeschlossene Bildung zu geben 1), drittens aus dem „Zurück- schrauben der Forderungen“, das thatsächlich mehrfach statt- gefunden und seinen entschiedensten Ausdruck in dem Ber- liner Normallehrplan gefunden hat. So sehr wir dessen Princip, Stoffbeschränkung, anerkennen, so schwer- wiegende Bedenken haben wir hinsichtlich der einzelnen Bestimmungen zu äußern. Es ist natürlich, daß eine so starke Überspannung der Forderungen, wie sie die Weimarer Pädagogik erzeugte, auch eine starke Reaktion zur Folge 1) Die Worte des Ministers lauten nach dem stenographischen Be- richt: „Ich halte nicht dafür, daß es möglich ist, einem 16jährigen Mäd- chen eine wirklich abgeschlossene Bildung zu geben, sondern glaube, daß in vielen Beziehungen völlig Genügendes geschieht, wenn die Entwicke- lung bis zu der Stufe geführt wird, daß die Möglichkeit einer weiteren Selbstentwickelung gegeben ist.“ Wir unterschreiben diese Worte voll- ständig, nur möchten wir bezweifeln, daß i. a. mit dem 16. Jahre diese Fähigkeit selbständiger Weiterentwickelung gegeben ist; würde doch niemand das bei dem Knaben erwarten, mit welchem Recht also bei dem Mäd- chen? Auch ihm muß, wie wir weiterhin ausführen werden, noch ein fernerer Anhalt zu seiner Weiterentwickelung geboten werden.

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/18>, abgerufen am 23.11.2024.