1. Ein ieder Leser suche ein rechter Timothe- us zu seyn, und an sich zu haben, was dieser Na- me anzeiget, und Timotheus auch in der That erwiesen, nemlich in der Furcht GOttes, und den daher entstehenden oder damit verknüpften übrigen herrlichen Eigenschaften. Wie mancher hat einen schönen Tauf-Namen, dabey er sich seines Tauf-Bundes und seiner Pflicht erinnern solte: daran so mancher aber gar nicht gedencket. Glückseig sind die Eltern, welche ihren Kindern mit einem hertzlichen Wunsch recht erlesene gute Namen geben, und den Erfolg davon auch an ihnen sehen.
2. Sonderlich haben Prediger und Studi- osi Theologiae dahin zu sehen, daß sie rechte Timothei in Lehr und Leben seyn mögen. Wenn sie es sind, werden sie auch das Amt des Gei- stes, darinn sie stehen, oder dazu sie gelangen, also führen, daß ihnen dadurch geistliche Kinder geboren werden; welche zu haben, der rechte Character ist eines rechtschaffnen Lehrers: gleich- wie auch dieses das beste Kennzeichen eines guten Zuhörers ist, wenn er sich durch das Wort der Wahrheit zur neuen Geburt aus GOtt bringen, oder, wenn er dieselbe schon hat, wie Timotheus sie schon vor dem Dienste Pauli gehabt, durch den Leh- rer doch sich darinnen stärcken läßt. Timotheus war zwar schon von Kindheit an gläubig 2 Tim. 1, 5. 3, 15. nach Jüdischer Art: allein durch Pauli Dienst ist er erst zur mehrern Erkentniß Christi und zu mehrer Glaubens-Freudigkeit gekommen. Es haben also auch jüngere Männer die ältern als ihre geistlichen Väter anzusehen, zumal wenn sie ihrer guten Anführung und ihrem Exempel viel zu dancken haben; ob auch gleich ihre erste Be- kehrung durch ihren Dienst nicht geschehen wä- re: wie denn auch hingegen diese jene billig als geistliche Glaubens-Söhne aufs zarteste lieben.
3. Gleichwie unter leiblichen Kindern, ob sie gleich alle noch ziemlich gerathen, dennoch immer eines und das andere ist, welches dem Vater, oder der Mutter, theils dem Leibe, und sonderlich den Lineamenten des Gesichts nach, theils nach dem Gemüthe und dazu gehörigen Eigenschaften vor andern gar ähnlich ist: also sind auch geistli- che Kinder nicht von einerley Art; und hat ein Zuhörer dahin zu sehen, daß, wenn er an seinem Lehrer ein rechtschaffnes Vorbild hat, wie Ti- motheus an Paulo, daß er desselben teknon gne- sion, recht wohl gerathener und recht ähnlicher Sohn seyn möge.
4. Zu dem Worte Gnade ist das Wort Barmhertzigkeit gesetzet, zur Anzeigung dessen, daß wir uns von Natur um die Gnade GOttes keines weges verdient machen, wie mancher Die- ner seinem Herrn alhie auf Erden thut; sondern daß wir in einem solchen Elende liegen, darinn GOTT zum Mitleiden oder Erbarmung gegen uns in Christo bewogen worden.
5. Da der Apostel das Wort Barmher- tzigkeit nur in dem Gruße der drey Pastoral- Briefe an den Timotheum und Titum setzet, ist [Spaltenumbruch]
es eine Anzeige theils von seinem dringenden Affect, nach welchem er auch sonst gern eine Sache mit mehrern Worten ausdrucket, theils davon, daß rechtschaffne Lehrer gemeiniglich mehrerm Elende und mehrer Noth unterworfen sind, als die meisten von ihren Zuhörern, und daher der Erbarmung GOttes zum kräftigen Beystande soviel mehr benöthiget sind; wie sie es denn sonderlich zu Pauli Zeiten waren.
6. Wofern die empfangene Gnade und Barmhertzigkeit sich nicht durch den Frieden in der Seele äussert, so hat man sie auch noch nicht empfangen, sondern man machet sich da- von nur eine falsche Einbildung. Es müste ei- ner denn im Stande der Anfechtung stehen, da die würckliche Besitzung der Gnade oft gantz un- empfindlich ist.
7. Wo einer vermeynet den Frieden in und mit GOtt zu haben, und ist doch nicht durch die Gnade der Bekehrung und Rechtfertigung dazu gelanget, also daß er dessen gewiß ist, der betrüget sich selbst, und sichet seine fleischliche Sicherheit für einen wahren Frieden an.
8. Wer Gnade und Friede suchet aus eig- nem Verdienste zu erlangen, der betrüget sich nicht weniger selbst, da er beydes von GOTT um Christi willen erbitten und empfangen solte.
9. Kommt aber Gnade und Friede von Christo, und zwar als von dem HErrn, Jeho- vah; so ist er gewiß wahrer GOTT mit dem Vater und dem Heiligen Geiste, als dem Geiste der Gnaden und des Friedens.
10. Niemand empfähet Gnade und Friede von GOTT, als der ihn in Christo glaubig an- siehet, als seinen versöhnten Vater; darum beydes bey einander stehet: von GOTT un- serm Vater.
11. Ein ieglicher gläubiger Leser hat sich bey Erwegung dieses Segens-Wunsches an die Stelle Timothei zu setzen, und sich denselben zu- zueignen; und zwar also, daß er GOtt für sei- nen Vater, und Christum für seinen HErrn erkenne und ehre.
V. 3.
Wie ich dich ermahnet habe, daß du zu Epheso bliebest, da ich in Macedonien ging, und gebötest etlichen, daß sie nicht anders lehreten (nemlich als es meiner Apo- stolischen Vorschrift gemäß ist: also gebiete ih- nen mit allem Ernst; wie ich dir denn zu dem Ende, daß du es in meinem Namen und an meiner statt mit Nachdruck thun könnest, diese schriftliche Instruction zuschicke.)
Anmerckungen.
1. Man hält zwar insgemein dafür, als wenn Paulus sähe auf diejenige Abreise von Ephesus in Macedonien, welcher Ap. Gesch. 19, 21. 22. und c. 20, 1. gedacht wird; sintemal Lucas keiner andern gedencket: allein diese kan es nicht seyn, weil der Apostel dazumal Timo- theum nicht zu Ephesus gelassen, sondern vor sich hin von dannen nach Macedonien nebst dem Erasto geschicket hat; v. 22. Siehe auch 1 Cor. 16, 8. 9. 10. es ist demnach diese Abreise in dieje-
nige
K 3
Cap. 1. v. 2. 3. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch]
Anmerckungen.
1. Ein ieder Leſer ſuche ein rechter Timothe- us zu ſeyn, und an ſich zu haben, was dieſer Na- me anzeiget, und Timotheus auch in der That erwieſen, nemlich in der Furcht GOttes, und den daher entſtehenden oder damit verknuͤpften uͤbrigen herrlichen Eigenſchaften. Wie mancher hat einen ſchoͤnen Tauf-Namen, dabey er ſich ſeines Tauf-Bundes und ſeiner Pflicht erinnern ſolte: daran ſo mancher aber gar nicht gedencket. Gluͤckſeig ſind die Eltern, welche ihren Kindern mit einem hertzlichen Wunſch recht erleſene gute Namen geben, und den Erfolg davon auch an ihnen ſehen.
2. Sonderlich haben Prediger und Studi- oſi Theologiæ dahin zu ſehen, daß ſie rechte Timothei in Lehr und Leben ſeyn moͤgen. Wenn ſie es ſind, werden ſie auch das Amt des Gei- ſtes, darinn ſie ſtehen, oder dazu ſie gelangen, alſo fuͤhren, daß ihnen dadurch geiſtliche Kinder geboren werden; welche zu haben, der rechte Character iſt eines rechtſchaffnen Lehrers: gleich- wie auch dieſes das beſte Kennzeichen eines guten Zuhoͤrers iſt, wenn er ſich durch das Wort der Wahrheit zur neuen Geburt aus GOtt bringen, oder, wenn er dieſelbe ſchon hat, wie Timotheus ſie ſchon vor dem Dienſte Pauli gehabt, duꝛch den Leh- rer doch ſich darinnen ſtaͤrcken laͤßt. Timotheus war zwar ſchon von Kindheit an glaͤubig 2 Tim. 1, 5. 3, 15. nach Juͤdiſcher Art: allein durch Pauli Dienſt iſt er erſt zur mehrern Erkentniß Chriſti und zu mehrer Glaubens-Freudigkeit gekommen. Es haben alſo auch juͤngere Maͤnner die aͤltern als ihre geiſtlichen Vaͤter anzuſehen, zumal wenn ſie ihrer guten Anfuͤhrung und ihrem Exempel viel zu dancken haben; ob auch gleich ihre erſte Be- kehrung durch ihren Dienſt nicht geſchehen waͤ- re: wie denn auch hingegen dieſe jene billig als geiſtliche Glaubens-Soͤhne aufs zarteſte lieben.
3. Gleichwie unter leiblichen Kindern, ob ſie gleich alle noch ziemlich gerathen, dennoch immer eines und das andere iſt, welches dem Vater, oder der Mutter, theils dem Leibe, und ſonderlich den Lineamenten des Geſichts nach, theils nach dem Gemuͤthe und dazu gehoͤrigen Eigenſchaften vor andern gar aͤhnlich iſt: alſo ſind auch geiſtli- che Kinder nicht von einerley Art; und hat ein Zuhoͤrer dahin zu ſehen, daß, wenn er an ſeinem Lehrer ein rechtſchaffnes Vorbild hat, wie Ti- motheus an Paulo, daß er deſſelben τέκνον γνή- σιον, recht wohl gerathener und recht aͤhnlicher Sohn ſeyn moͤge.
4. Zu dem Worte Gnade iſt das Wort Barmhertzigkeit geſetzet, zur Anzeigung deſſen, daß wir uns von Natur um die Gnade GOttes keines weges verdient machen, wie mancher Die- ner ſeinem Herrn alhie auf Erden thut; ſondern daß wir in einem ſolchen Elende liegen, darinn GOTT zum Mitleiden oder Erbarmung gegen uns in Chriſto bewogen worden.
5. Da der Apoſtel das Wort Barmher- tzigkeit nur in dem Gruße der drey Paſtoral- Briefe an den Timotheum und Titum ſetzet, iſt [Spaltenumbruch]
es eine Anzeige theils von ſeinem dringenden Affect, nach welchem er auch ſonſt gern eine Sache mit mehrern Worten ausdrucket, theils davon, daß rechtſchaffne Lehrer gemeiniglich mehrerm Elende und mehrer Noth unterworfen ſind, als die meiſten von ihren Zuhoͤrern, und daher der Erbarmung GOttes zum kraͤftigen Beyſtande ſoviel mehr benoͤthiget ſind; wie ſie es denn ſonderlich zu Pauli Zeiten waren.
6. Wofern die empfangene Gnade und Barmhertzigkeit ſich nicht durch den Frieden in der Seele aͤuſſert, ſo hat man ſie auch noch nicht empfangen, ſondern man machet ſich da- von nur eine falſche Einbildung. Es muͤſte ei- ner denn im Stande der Anfechtung ſtehen, da die wuͤrckliche Beſitzung der Gnade oft gantz un- empfindlich iſt.
7. Wo einer vermeynet den Frieden in und mit GOtt zu haben, und iſt doch nicht durch die Gnade der Bekehrung und Rechtfertigung dazu gelanget, alſo daß er deſſen gewiß iſt, der betruͤget ſich ſelbſt, und ſichet ſeine fleiſchliche Sicherheit fuͤr einen wahren Frieden an.
8. Wer Gnade und Friede ſuchet aus eig- nem Verdienſte zu erlangen, der betruͤget ſich nicht weniger ſelbſt, da er beydes von GOTT um Chriſti willen erbitten und empfangen ſolte.
9. Kommt aber Gnade und Friede von Chriſto, und zwar als von dem HErrn, Jeho- vah; ſo iſt er gewiß wahrer GOTT mit dem Vater und dem Heiligen Geiſte, als dem Geiſte der Gnaden und des Friedens.
10. Niemand empfaͤhet Gnade und Friede von GOTT, als der ihn in Chriſto glaubig an- ſiehet, als ſeinen verſoͤhnten Vater; darum beydes bey einander ſtehet: von GOTT un- ſerm Vater.
11. Ein ieglicher glaͤubiger Leſer hat ſich bey Erwegung dieſes Segens-Wunſches an die Stelle Timothei zu ſetzen, und ſich denſelben zu- zueignen; und zwar alſo, daß er GOtt fuͤr ſei- nen Vater, und Chriſtum fuͤr ſeinen HErrn erkenne und ehre.
V. 3.
Wie ich dich ermahnet habe, daß du zu Epheſo bliebeſt, da ich in Macedonien ging, und geboͤteſt etlichen, daß ſie nicht anders lehreten (nemlich als es meiner Apo- ſtoliſchen Vorſchrift gemaͤß iſt: alſo gebiete ih- nen mit allem Ernſt; wie ich dir denn zu dem Ende, daß du es in meinem Namen und an meiner ſtatt mit Nachdruck thun koͤnneſt, dieſe ſchriftliche Inſtruction zuſchicke.)
Anmerckungen.
1. Man haͤlt zwar insgemein dafuͤr, als wenn Paulus ſaͤhe auf diejenige Abreiſe von Epheſus in Macedonien, welcher Ap. Geſch. 19, 21. 22. und c. 20, 1. gedacht wird; ſintemal Lucas keiner andern gedencket: allein dieſe kan es nicht ſeyn, weil der Apoſtel dazumal Timo- theum nicht zu Epheſus gelaſſen, ſondern vor ſich hin von dannen nach Macedonien nebſt dem Eraſto geſchicket hat; v. 22. Siehe auch 1 Cor. 16, 8. 9. 10. es iſt demnach dieſe Abreiſe in dieje-
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[77/0079]
Cap. 1. v. 2. 3. an den Timotheum.
Anmerckungen.
1. Ein ieder Leſer ſuche ein rechter Timothe-
us zu ſeyn, und an ſich zu haben, was dieſer Na-
me anzeiget, und Timotheus auch in der That
erwieſen, nemlich in der Furcht GOttes, und
den daher entſtehenden oder damit verknuͤpften
uͤbrigen herrlichen Eigenſchaften. Wie mancher
hat einen ſchoͤnen Tauf-Namen, dabey er ſich
ſeines Tauf-Bundes und ſeiner Pflicht erinnern
ſolte: daran ſo mancher aber gar nicht gedencket.
Gluͤckſeig ſind die Eltern, welche ihren Kindern
mit einem hertzlichen Wunſch recht erleſene gute
Namen geben, und den Erfolg davon auch an
ihnen ſehen.
2. Sonderlich haben Prediger und Studi-
oſi Theologiæ dahin zu ſehen, daß ſie rechte
Timothei in Lehr und Leben ſeyn moͤgen. Wenn
ſie es ſind, werden ſie auch das Amt des Gei-
ſtes, darinn ſie ſtehen, oder dazu ſie gelangen,
alſo fuͤhren, daß ihnen dadurch geiſtliche Kinder
geboren werden; welche zu haben, der rechte
Character iſt eines rechtſchaffnen Lehrers: gleich-
wie auch dieſes das beſte Kennzeichen eines guten
Zuhoͤrers iſt, wenn er ſich durch das Wort der
Wahrheit zur neuen Geburt aus GOtt bringen,
oder, wenn er dieſelbe ſchon hat, wie Timotheus ſie
ſchon vor dem Dienſte Pauli gehabt, duꝛch den Leh-
rer doch ſich darinnen ſtaͤrcken laͤßt. Timotheus
war zwar ſchon von Kindheit an glaͤubig 2 Tim.
1, 5. 3, 15. nach Juͤdiſcher Art: allein durch Pauli
Dienſt iſt er erſt zur mehrern Erkentniß Chriſti
und zu mehrer Glaubens-Freudigkeit gekommen.
Es haben alſo auch juͤngere Maͤnner die aͤltern als
ihre geiſtlichen Vaͤter anzuſehen, zumal wenn ſie
ihrer guten Anfuͤhrung und ihrem Exempel viel
zu dancken haben; ob auch gleich ihre erſte Be-
kehrung durch ihren Dienſt nicht geſchehen waͤ-
re: wie denn auch hingegen dieſe jene billig als
geiſtliche Glaubens-Soͤhne aufs zarteſte
lieben.
3. Gleichwie unter leiblichen Kindern, ob ſie
gleich alle noch ziemlich gerathen, dennoch immer
eines und das andere iſt, welches dem Vater,
oder der Mutter, theils dem Leibe, und ſonderlich
den Lineamenten des Geſichts nach, theils nach
dem Gemuͤthe und dazu gehoͤrigen Eigenſchaften
vor andern gar aͤhnlich iſt: alſo ſind auch geiſtli-
che Kinder nicht von einerley Art; und hat ein
Zuhoͤrer dahin zu ſehen, daß, wenn er an ſeinem
Lehrer ein rechtſchaffnes Vorbild hat, wie Ti-
motheus an Paulo, daß er deſſelben τέκνον γνή-
σιον, recht wohl gerathener und recht aͤhnlicher
Sohn ſeyn moͤge.
4. Zu dem Worte Gnade iſt das Wort
Barmhertzigkeit geſetzet, zur Anzeigung deſſen,
daß wir uns von Natur um die Gnade GOttes
keines weges verdient machen, wie mancher Die-
ner ſeinem Herrn alhie auf Erden thut; ſondern
daß wir in einem ſolchen Elende liegen, darinn
GOTT zum Mitleiden oder Erbarmung gegen
uns in Chriſto bewogen worden.
5. Da der Apoſtel das Wort Barmher-
tzigkeit nur in dem Gruße der drey Paſtoral-
Briefe an den Timotheum und Titum ſetzet, iſt
es eine Anzeige theils von ſeinem dringenden
Affect, nach welchem er auch ſonſt gern eine
Sache mit mehrern Worten ausdrucket, theils
davon, daß rechtſchaffne Lehrer gemeiniglich
mehrerm Elende und mehrer Noth unterworfen
ſind, als die meiſten von ihren Zuhoͤrern, und
daher der Erbarmung GOttes zum kraͤftigen
Beyſtande ſoviel mehr benoͤthiget ſind; wie ſie
es denn ſonderlich zu Pauli Zeiten waren.
6. Wofern die empfangene Gnade und
Barmhertzigkeit ſich nicht durch den Frieden
in der Seele aͤuſſert, ſo hat man ſie auch noch
nicht empfangen, ſondern man machet ſich da-
von nur eine falſche Einbildung. Es muͤſte ei-
ner denn im Stande der Anfechtung ſtehen, da
die wuͤrckliche Beſitzung der Gnade oft gantz un-
empfindlich iſt.
7. Wo einer vermeynet den Frieden in
und mit GOtt zu haben, und iſt doch nicht durch
die Gnade der Bekehrung und Rechtfertigung
dazu gelanget, alſo daß er deſſen gewiß iſt, der
betruͤget ſich ſelbſt, und ſichet ſeine fleiſchliche
Sicherheit fuͤr einen wahren Frieden an.
8. Wer Gnade und Friede ſuchet aus eig-
nem Verdienſte zu erlangen, der betruͤget ſich
nicht weniger ſelbſt, da er beydes von GOTT
um Chriſti willen erbitten und empfangen ſolte.
9. Kommt aber Gnade und Friede von
Chriſto, und zwar als von dem HErrn, Jeho-
vah; ſo iſt er gewiß wahrer GOTT mit dem
Vater und dem Heiligen Geiſte, als dem Geiſte
der Gnaden und des Friedens.
10. Niemand empfaͤhet Gnade und Friede
von GOTT, als der ihn in Chriſto glaubig an-
ſiehet, als ſeinen verſoͤhnten Vater; darum
beydes bey einander ſtehet: von GOTT un-
ſerm Vater.
11. Ein ieglicher glaͤubiger Leſer hat ſich bey
Erwegung dieſes Segens-Wunſches an die
Stelle Timothei zu ſetzen, und ſich denſelben zu-
zueignen; und zwar alſo, daß er GOtt fuͤr ſei-
nen Vater, und Chriſtum fuͤr ſeinen HErrn
erkenne und ehre.
V. 3.
Wie ich dich ermahnet habe, daß du
zu Epheſo bliebeſt, da ich in Macedonien
ging, und geboͤteſt etlichen, daß ſie nicht
anders lehreten (nemlich als es meiner Apo-
ſtoliſchen Vorſchrift gemaͤß iſt: alſo gebiete ih-
nen mit allem Ernſt; wie ich dir denn zu dem
Ende, daß du es in meinem Namen und an
meiner ſtatt mit Nachdruck thun koͤnneſt, dieſe
ſchriftliche Inſtruction zuſchicke.)
Anmerckungen.
1. Man haͤlt zwar insgemein dafuͤr, als
wenn Paulus ſaͤhe auf diejenige Abreiſe von
Epheſus in Macedonien, welcher Ap. Geſch.
19, 21. 22. und c. 20, 1. gedacht wird; ſintemal
Lucas keiner andern gedencket: allein dieſe kan
es nicht ſeyn, weil der Apoſtel dazumal Timo-
theum nicht zu Epheſus gelaſſen, ſondern vor
ſich hin von dannen nach Macedonien nebſt dem
Eraſto geſchicket hat; v. 22. Siehe auch 1 Cor.
16, 8. 9. 10. es iſt demnach dieſe Abreiſe in dieje-
nige
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/79>, abgerufen am 23.11.2024.
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