Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Richtige und erbauliche Erklärung Cap. 2. v. 22.
[Spaltenumbruch] niger ein Mittelding, welches erst durch den Miß-
brauch, oder den Exceß böse werde.

Hernach von der beständigen Beharrung
im Stande der Gnaden.

Ein Mensch, der wahrhaftig zu GOTT
bekehret worden, kan allerdinge wider aus der
Gnade fallen, wenn er nicht auf seiner Hut ist,
sondern die Sünde nach und wieder zur Herr-
schaft kommen läßt, oder auch auf solche Lehr-
Jrrthümer fällt, dadurch ein solcher Rückfall
zu wege gebracht wird. Die Wahrheit dieses
Satzes erweisen folgende Gründe:

Dieser Text, da die Rede ist von denen die
wahrhaftig entflohen waren dem Unflat der
Welt, aber also eingeflochten worden in das
sündliche Wesen, daß sie davon sich völlig
überwinden lassen, und dadurch in einen noch
ärgern Zustand gerathen, als sie vor der Be-
kehrung gewesen sind.
Viele andere Oerter der heiligen Schrift,
sonderlich 1 Tim. 1, 18. da Paulus spricht von
denen, welche ein gutes Gewissen von sich
stossen und am Glauben Schiff bruch lei-
den. Dabey man conferiren kan den Ort.
Hebr. 6, 4. u. f.
Der Zweck der Apostolischen Briefe an die
wahrhaftig Bekehrten, welcher war, sie vor
dem Rückfall zu warnen und dagegen zu ver-
wahren. Wäre es nicht möglich, daß ein
Mensch aus der Gnade fallen könte; wozu
wären denn die Warnungen und Ermahnun-
gen gegeben? Warum hätte Petrus diesen
andern Brief beschliessen dürfen mit diesen
Worten: Meine Lieben, verwahret euch,
daß ihr nicht durch Jrrthum der ruchlo-
sen Leute samt ihnen verführet werdet
und entfallet aus eurer eignen Vestung.
Warum hätte GOTT durch den Propheten
Ezechiel sagen dürfen: Wenn der Gerechte
böses thut, so wirds ihm nicht helfen,
daß er fromm gewesen ist. u. s. w.
Die betrübten Exempel der gäntzlich aus
der Gnade gefallenen, da unter andern
aus der heiligen Schrift das Exempel Davids
bekant genug ist, und die Erfahrung bis auf
diesen Tag leider dergleichen bestätiget. Wol-
te man dagegen einwenden und sagen, es blei-
be bey solchen Leuten dennoch der gute Grund,
als das Feuer unter der Asche, so wäre die-
ses nicht anders, als seinen Jrrthum damit
wiederholen, an statt dessen, daß man die
Richtigkeit seines irrigen Satzes erweisen
solte.

Ob nun gleich ein Mensch aus der Gnade
fallen kan, so kan und soll er doch auch allerdin-
ge darinnen bestehen, und durch sein gantzes Le-
ben ohne allen gäntzlichen Rückfall beharren,
davon die Gründe, ausser dem gegenwärtigen
Text, folgende sind:

Die Beschaffenheit der Beharrung: wel-
che nicht bestehet in der Befreyung von der
Erb-Sünde und von den Schwachheits-
Sünden und deren gäntzlichen Unterlassung;
sondern nur darinnen, daß man die in der
[Spaltenumbruch] Bekehrung überwundene Sünde nicht wieder
zu ihrer Herrschaft kommen lasse.
Die Möglichkeit der Beharrung, welche
aus solcher Beschaffenheit, wie auch aus der
zur Beharrung hinlänglichen und reichlich dar-
gereichten Gnade, genugsam erhellet. Da-
bey man zu erwegen hat Joh. 10, 28. 29. c. 15,
2. u. f. Röm. 8, 37. Phil. 4, 13. 1 Petr. 1, 5.
2 Pet. 1, 3. 1 Joh. 5, 3. 4. u. s. w.
Der Wiedergebornen ihr aus der Gnade
empfangener Sinn nach GOtt, vermöge
dessen sie nicht allein können, sondern auch
gern wollen beharren. 1 Joh. 3, 9. c. 5, 18. u.
s. w. Und solchergestalt sind ihnen, wie alle
Gebote GOttes, also auch die ernstliche Be-
fehle von der Beharrung leichte: davon man
unter andern sehe: 1 Cor. 9, 24. c. 10, 12. c.
15, 18. 58. c. 16, 13. Phil. 3, 14. 15. u. s. w.
Sind ihnen nun die davon gegebene Befehle
leicht, so sind ihnen die den beharrenden ge-
gebene Verheissungen so viel angenehmer:
davon es sonderlich in allen Apocalyptischen
Briefen heißt: Wer überwindet, wer
überwindet- der soll dieses und das haben,
oder werden, u. s. w. welche Verheissungen
mit den Befehlen vergeblich seyn würden, wo-
ferne die Beharrung unmöglich wäre.
Der Zweck aller Apostolischen Briefe; als
welcher dahin gegangen ist, daß die, welche
zum Stande der Gnade gebracht waren, dar-
innen ohne allen Rückfall mit einem mehrern
Wachsthum bis an ihr seliges Ende behar-
ren möchten. Wer wolte aber sagen, daß
dieser Zweck bey niemanden sey erhalten wor-
den? Und wo ist die geringste Spur an einem
eintzigen Orte, daß die Apostel dieses besorget
hätten, in der heiligen Schrift benennet?
Die Exempel so vieler Gläubigen und Heiligen
des alten und neuen Testaments, der Patri-
archen, Propheten, Apostel und Apostolischen
Männer u. s. w. auch hernach so vieler Mär-
tyrer und anderer rechtschaffnen Christen, wel-
che bis auf diesen Tag gelebet haben und noch
leben: als von welchen der Rückfall nicht al-
lein unerweißlich ist, sondern es ist auch höchst
billig, daß man ihnen die Beharrung zueigne.
Hingegen ist der Gegensatz von der Unmöglich-
keit der Beharrung und der beständigen Ent-
haltung von muthwilligen Sünden höchst un-
gereimt, unchristlich und schädlich. Wel-
ches folgende Gründe zur Gnüge anzeigen:
Weil er die groffe Unwissenheit zum Grunde
hat, nach welcher man theils Sünden der
Bosheit und der Schwachheit nicht unter-
scheidet, theils den natürlichen Streit zwi-
schen der Vernunft und dem thierischen Af-
fect für einen Streit des Fleisches und des
Geistes hält; und daher wenn einer aus ver-
nünftiger Vorstellung von den groben Aus-
brüchen der Sünde ablässet, solches für eine
Bekehrung, und wenn einer bey der äusserli-
chen Ehrbarkeit der beständig in ihm herr-
schenden Sünde wieder ihren vollen Ausbruch
läßt, dieses für ein Rückfall aus dem Stande
der

Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 2. v. 22.
[Spaltenumbruch] niger ein Mittelding, welches erſt durch den Miß-
brauch, oder den Exceß boͤſe werde.

Hernach von der beſtaͤndigen Beharrung
im Stande der Gnaden.

Ein Menſch, der wahrhaftig zu GOTT
bekehret worden, kan allerdinge wider aus der
Gnade fallen, wenn er nicht auf ſeiner Hut iſt,
ſondern die Suͤnde nach und wieder zur Herr-
ſchaft kommen laͤßt, oder auch auf ſolche Lehr-
Jrrthuͤmer faͤllt, dadurch ein ſolcher Ruͤckfall
zu wege gebracht wird. Die Wahrheit dieſes
Satzes erweiſen folgende Gruͤnde:

Dieſer Text, da die Rede iſt von denen die
wahrhaftig entflohen waren dem Unflat der
Welt, aber alſo eingeflochten worden in das
ſuͤndliche Weſen, daß ſie davon ſich voͤllig
uͤberwinden laſſen, und dadurch in einen noch
aͤrgern Zuſtand gerathen, als ſie vor der Be-
kehrung geweſen ſind.
Viele andere Oerter der heiligen Schrift,
ſonderlich 1 Tim. 1, 18. da Paulus ſpricht von
denen, welche ein gutes Gewiſſen von ſich
ſtoſſen und am Glauben Schiff bruch lei-
den. Dabey man conferiren kan den Ort.
Hebr. 6, 4. u. f.
Der Zweck der Apoſtoliſchen Briefe an die
wahrhaftig Bekehrten, welcher war, ſie vor
dem Ruͤckfall zu warnen und dagegen zu ver-
wahren. Waͤre es nicht moͤglich, daß ein
Menſch aus der Gnade fallen koͤnte; wozu
waͤren denn die Warnungen und Ermahnun-
gen gegeben? Warum haͤtte Petrus dieſen
andern Brief beſchlieſſen duͤrfen mit dieſen
Worten: Meine Lieben, verwahret euch,
daß ihr nicht durch Jrrthum der ruchlo-
ſen Leute ſamt ihnen verfuͤhret werdet
und entfallet aus eurer eignen Veſtung.
Warum haͤtte GOTT durch den Propheten
Ezechiel ſagen duͤrfen: Wenn der Gerechte
boͤſes thut, ſo wirds ihm nicht helfen,
daß er fromm geweſen iſt. u. ſ. w.
Die betruͤbten Exempel der gaͤntzlich aus
der Gnade gefallenen, da unter andern
aus der heiligen Schrift das Exempel Davids
bekant genug iſt, und die Erfahrung bis auf
dieſen Tag leider dergleichen beſtaͤtiget. Wol-
te man dagegen einwenden und ſagen, es blei-
be bey ſolchen Leuten dennoch der gute Grund,
als das Feuer unter der Aſche, ſo waͤre die-
ſes nicht anders, als ſeinen Jrrthum damit
wiederholen, an ſtatt deſſen, daß man die
Richtigkeit ſeines irrigen Satzes erweiſen
ſolte.

Ob nun gleich ein Menſch aus der Gnade
fallen kan, ſo kan und ſoll er doch auch allerdin-
ge darinnen beſtehen, und durch ſein gantzes Le-
ben ohne allen gaͤntzlichen Ruͤckfall beharren,
davon die Gruͤnde, auſſer dem gegenwaͤrtigen
Text, folgende ſind:

Die Beſchaffenheit der Beharrung: wel-
che nicht beſtehet in der Befreyung von der
Erb-Suͤnde und von den Schwachheits-
Suͤnden und deren gaͤntzlichen Unterlaſſung;
ſondern nur darinnen, daß man die in der
[Spaltenumbruch] Bekehrung uͤberwundene Suͤnde nicht wieder
zu ihrer Herrſchaft kommen laſſe.
Die Moͤglichkeit der Beharrung, welche
aus ſolcher Beſchaffenheit, wie auch aus der
zur Beharrung hinlaͤnglichen und reichlich dar-
gereichten Gnade, genugſam erhellet. Da-
bey man zu erwegen hat Joh. 10, 28. 29. c. 15,
2. u. f. Roͤm. 8, 37. Phil. 4, 13. 1 Petr. 1, 5.
2 Pet. 1, 3. 1 Joh. 5, 3. 4. u. ſ. w.
Der Wiedergebornen ihr aus der Gnade
empfangener Sinn nach GOtt, vermoͤge
deſſen ſie nicht allein koͤnnen, ſondern auch
gern wollen beharren. 1 Joh. 3, 9. c. 5, 18. u.
ſ. w. Und ſolchergeſtalt ſind ihnen, wie alle
Gebote GOttes, alſo auch die ernſtliche Be-
fehle von der Beharrung leichte: davon man
unter andern ſehe: 1 Cor. 9, 24. c. 10, 12. c.
15, 18. 58. c. 16, 13. Phil. 3, 14. 15. u. ſ. w.
Sind ihnen nun die davon gegebene Befehle
leicht, ſo ſind ihnen die den beharrenden ge-
gebene Verheiſſungen ſo viel angenehmer:
davon es ſonderlich in allen Apocalyptiſchen
Briefen heißt: Wer uͤberwindet, wer
uͤberwindet- der ſoll dieſes und das haben,
oder werden, u. ſ. w. welche Verheiſſungen
mit den Befehlen vergeblich ſeyn wuͤrden, wo-
ferne die Beharrung unmoͤglich waͤre.
Der Zweck aller Apoſtoliſchen Briefe; als
welcher dahin gegangen iſt, daß die, welche
zum Stande der Gnade gebracht waren, dar-
innen ohne allen Ruͤckfall mit einem mehrern
Wachsthum bis an ihr ſeliges Ende behar-
ren moͤchten. Wer wolte aber ſagen, daß
dieſer Zweck bey niemanden ſey erhalten wor-
den? Und wo iſt die geringſte Spur an einem
eintzigen Orte, daß die Apoſtel dieſes beſorget
haͤtten, in der heiligen Schrift benennet?
Die Exempel ſo vieler Glaͤubigen und Heiligen
des alten und neuen Teſtaments, der Patri-
archen, Propheten, Apoſtel und Apoſtoliſchen
Maͤnner u. ſ. w. auch hernach ſo vieler Maͤr-
tyrer und anderer rechtſchaffnen Chriſten, wel-
che bis auf dieſen Tag gelebet haben und noch
leben: als von welchen der Ruͤckfall nicht al-
lein unerweißlich iſt, ſondern es iſt auch hoͤchſt
billig, daß man ihnen die Beharrung zueigne.
Hingegen iſt der Gegenſatz von der Unmoͤglich-
keit der Beharrung und der beſtaͤndigen Ent-
haltung von muthwilligen Suͤnden hoͤchſt un-
gereimt, unchriſtlich und ſchaͤdlich. Wel-
ches folgende Gruͤnde zur Gnuͤge anzeigen:
Weil er die groffe Unwiſſenheit zum Grunde
hat, nach welcher man theils Suͤnden der
Bosheit und der Schwachheit nicht unter-
ſcheidet, theils den natuͤrlichen Streit zwi-
ſchen der Vernunft und dem thieriſchen Af-
fect fuͤr einen Streit des Fleiſches und des
Geiſtes haͤlt; und daher wenn einer aus ver-
nuͤnftiger Vorſtellung von den groben Aus-
bruͤchen der Suͤnde ablaͤſſet, ſolches fuͤr eine
Bekehrung, und wenn einer bey der aͤuſſerli-
chen Ehrbarkeit der beſtaͤndig in ihm herr-
ſchenden Suͤnde wieder ihren vollen Ausbruch
laͤßt, dieſes fuͤr ein Ruͤckfall aus dem Stande
der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0632" n="630"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Richtige und erbauliche Erkla&#x0364;rung Cap. 2. v. 22.</hi></fw><lb/><cb/>
niger ein Mittelding, welches er&#x017F;t durch den Miß-<lb/>
brauch, oder den <hi rendition="#aq">Exceß</hi> bo&#x0364;&#x017F;e werde.</p><lb/>
                <p> <hi rendition="#c">Hernach von der be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Beharrung<lb/>
im Stande der Gnaden.</hi> </p><lb/>
                <p>Ein Men&#x017F;ch, der wahrhaftig zu GOTT<lb/>
bekehret worden, kan allerdinge wider aus der<lb/>
Gnade fallen, wenn er nicht auf &#x017F;einer Hut i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ondern die Su&#x0364;nde nach und wieder zur Herr-<lb/>
&#x017F;chaft kommen la&#x0364;ßt, oder auch auf &#x017F;olche Lehr-<lb/>
Jrrthu&#x0364;mer fa&#x0364;llt, dadurch ein &#x017F;olcher Ru&#x0364;ckfall<lb/>
zu wege gebracht wird. Die Wahrheit die&#x017F;es<lb/>
Satzes erwei&#x017F;en folgende Gru&#x0364;nde:</p><lb/>
                <list>
                  <item><hi rendition="#fr">Die&#x017F;er Text,</hi> da die Rede i&#x017F;t von denen die<lb/>
wahrhaftig entflohen waren dem Unflat der<lb/>
Welt, aber al&#x017F;o eingeflochten worden in das<lb/>
&#x017F;u&#x0364;ndliche We&#x017F;en, daß &#x017F;ie davon &#x017F;ich vo&#x0364;llig<lb/>
u&#x0364;berwinden la&#x017F;&#x017F;en, und dadurch in einen noch<lb/>
a&#x0364;rgern Zu&#x017F;tand gerathen, als &#x017F;ie vor der Be-<lb/>
kehrung gewe&#x017F;en &#x017F;ind.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#fr">Viele andere Oerter der heiligen Schrift,</hi><lb/>
&#x017F;onderlich 1 Tim. 1, 18. da Paulus &#x017F;pricht von<lb/>
denen, welche ein <hi rendition="#fr">gutes Gewi&#x017F;&#x017F;en von &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en und am Glauben Schiff bruch lei-<lb/>
den.</hi> Dabey man <hi rendition="#aq">conferir</hi>en kan den Ort.<lb/>
Hebr. 6, 4. u. f.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#fr">Der Zweck der Apo&#x017F;toli&#x017F;chen Briefe</hi> an die<lb/>
wahrhaftig Bekehrten, welcher war, &#x017F;ie vor<lb/>
dem Ru&#x0364;ckfall zu warnen und dagegen zu ver-<lb/>
wahren. Wa&#x0364;re es nicht mo&#x0364;glich, daß ein<lb/>
Men&#x017F;ch aus der Gnade fallen ko&#x0364;nte; wozu<lb/>
wa&#x0364;ren denn die Warnungen und Ermahnun-<lb/>
gen gegeben? Warum ha&#x0364;tte Petrus die&#x017F;en<lb/>
andern Brief be&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en du&#x0364;rfen mit die&#x017F;en<lb/>
Worten: <hi rendition="#fr">Meine Lieben, verwahret euch,<lb/>
daß ihr nicht durch Jrrthum der ruchlo-<lb/>
&#x017F;en Leute &#x017F;amt ihnen verfu&#x0364;hret werdet<lb/>
und entfallet aus eurer eignen Ve&#x017F;tung.</hi><lb/>
Warum ha&#x0364;tte GOTT durch den Propheten<lb/>
Ezechiel &#x017F;agen du&#x0364;rfen: <hi rendition="#fr">Wenn der Gerechte<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;es thut, &#x017F;o wirds ihm nicht helfen,<lb/>
daß er fromm gewe&#x017F;en i&#x017F;t.</hi> u. &#x017F;. w.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#fr">Die betru&#x0364;bten Exempel der ga&#x0364;ntzlich aus<lb/>
der Gnade gefallenen,</hi> da unter andern<lb/>
aus der heiligen Schrift das Exempel Davids<lb/>
bekant genug i&#x017F;t, und die Erfahrung bis auf<lb/>
die&#x017F;en Tag leider dergleichen be&#x017F;ta&#x0364;tiget. Wol-<lb/>
te man dagegen einwenden und &#x017F;agen, es blei-<lb/>
be bey &#x017F;olchen Leuten dennoch der gute Grund,<lb/>
als das Feuer unter der A&#x017F;che, &#x017F;o wa&#x0364;re die-<lb/>
&#x017F;es nicht anders, als &#x017F;einen Jrrthum damit<lb/>
wiederholen, an &#x017F;tatt de&#x017F;&#x017F;en, daß man die<lb/>
Richtigkeit &#x017F;eines irrigen Satzes erwei&#x017F;en<lb/>
&#x017F;olte.</item>
                </list><lb/>
                <p>Ob nun gleich ein Men&#x017F;ch aus der Gnade<lb/>
fallen kan, &#x017F;o kan und &#x017F;oll er doch auch allerdin-<lb/>
ge darinnen be&#x017F;tehen, und durch &#x017F;ein gantzes Le-<lb/>
ben ohne allen ga&#x0364;ntzlichen Ru&#x0364;ckfall <hi rendition="#fr">beharren,</hi><lb/>
davon die Gru&#x0364;nde, au&#x017F;&#x017F;er dem gegenwa&#x0364;rtigen<lb/>
Text, folgende &#x017F;ind:</p><lb/>
                <list>
                  <item><hi rendition="#fr">Die Be&#x017F;chaffenheit der Beharrung:</hi> wel-<lb/>
che nicht be&#x017F;tehet in der Befreyung von der<lb/>
Erb-Su&#x0364;nde und von den Schwachheits-<lb/>
Su&#x0364;nden und deren ga&#x0364;ntzlichen Unterla&#x017F;&#x017F;ung;<lb/>
&#x017F;ondern nur darinnen, daß man die in der<lb/><cb/>
Bekehrung u&#x0364;berwundene Su&#x0364;nde nicht wieder<lb/>
zu ihrer Herr&#x017F;chaft kommen la&#x017F;&#x017F;e.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#fr">Die Mo&#x0364;glichkeit der Beharrung,</hi> welche<lb/>
aus &#x017F;olcher Be&#x017F;chaffenheit, wie auch aus der<lb/>
zur Beharrung hinla&#x0364;nglichen und reichlich dar-<lb/>
gereichten Gnade, genug&#x017F;am erhellet. Da-<lb/>
bey man zu erwegen hat Joh. 10, 28. 29. c. 15,<lb/>
2. u. f. Ro&#x0364;m. 8, 37. Phil. 4, 13. 1 Petr. 1, 5.<lb/>
2 Pet. 1, 3. 1 Joh. 5, 3. 4. u. &#x017F;. w.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#fr">Der Wiedergebornen ihr aus der Gnade<lb/>
empfangener Sinn nach GOtt,</hi> vermo&#x0364;ge<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie nicht allein ko&#x0364;nnen, &#x017F;ondern auch<lb/>
gern wollen beharren. 1 Joh. 3, 9. c. 5, 18. u.<lb/>
&#x017F;. w. Und &#x017F;olcherge&#x017F;talt &#x017F;ind ihnen, wie alle<lb/>
Gebote GOttes, al&#x017F;o auch die ern&#x017F;tliche Be-<lb/>
fehle von der Beharrung leichte: davon man<lb/>
unter andern &#x017F;ehe: 1 Cor. 9, 24. c. 10, 12. c.<lb/>
15, 18. 58. c. 16, 13. Phil. 3, 14. 15. u. &#x017F;. w.<lb/>
Sind ihnen nun die davon gegebene Befehle<lb/>
leicht, &#x017F;o &#x017F;ind ihnen die den beharrenden ge-<lb/>
gebene Verhei&#x017F;&#x017F;ungen &#x017F;o viel angenehmer:<lb/>
davon es &#x017F;onderlich in allen Apocalypti&#x017F;chen<lb/>
Briefen heißt: <hi rendition="#fr">Wer u&#x0364;berwindet, wer<lb/>
u&#x0364;berwindet-</hi> der &#x017F;oll die&#x017F;es und das haben,<lb/>
oder werden, u. &#x017F;. w. welche Verhei&#x017F;&#x017F;ungen<lb/>
mit den Befehlen vergeblich &#x017F;eyn wu&#x0364;rden, wo-<lb/>
ferne die Beharrung unmo&#x0364;glich wa&#x0364;re.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#fr">Der Zweck aller Apo&#x017F;toli&#x017F;chen Briefe;</hi> als<lb/>
welcher dahin gegangen i&#x017F;t, daß die, welche<lb/>
zum Stande der Gnade gebracht waren, dar-<lb/>
innen ohne allen Ru&#x0364;ckfall mit einem mehrern<lb/>
Wachsthum bis an ihr &#x017F;eliges Ende behar-<lb/>
ren mo&#x0364;chten. Wer wolte aber &#x017F;agen, daß<lb/>
die&#x017F;er Zweck bey niemanden &#x017F;ey erhalten wor-<lb/>
den? Und wo i&#x017F;t die gering&#x017F;te Spur an einem<lb/>
eintzigen Orte, daß die Apo&#x017F;tel die&#x017F;es be&#x017F;orget<lb/>
ha&#x0364;tten, in der heiligen Schrift benennet?</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#fr">Die Exempel</hi> &#x017F;o vieler Gla&#x0364;ubigen und Heiligen<lb/>
des alten und neuen Te&#x017F;taments, der Patri-<lb/>
archen, Propheten, Apo&#x017F;tel und Apo&#x017F;toli&#x017F;chen<lb/>
Ma&#x0364;nner u. &#x017F;. w. auch hernach &#x017F;o vieler Ma&#x0364;r-<lb/>
tyrer und anderer recht&#x017F;chaffnen Chri&#x017F;ten, wel-<lb/>
che bis auf die&#x017F;en Tag gelebet haben und noch<lb/>
leben: als von welchen der Ru&#x0364;ckfall nicht al-<lb/>
lein unerweißlich i&#x017F;t, &#x017F;ondern es i&#x017F;t auch ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
billig, daß man ihnen die Beharrung zueigne.</item><lb/>
                  <item>Hingegen i&#x017F;t der <hi rendition="#fr">Gegen&#x017F;atz</hi> von der Unmo&#x0364;glich-<lb/>
keit der Beharrung und der be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Ent-<lb/>
haltung von muthwilligen Su&#x0364;nden ho&#x0364;ch&#x017F;t <hi rendition="#fr">un-<lb/>
gereimt, unchri&#x017F;tlich</hi> und <hi rendition="#fr">&#x017F;cha&#x0364;dlich.</hi> Wel-<lb/>
ches folgende Gru&#x0364;nde zur Gnu&#x0364;ge anzeigen:</item><lb/>
                  <item>Weil er die groffe Unwi&#x017F;&#x017F;enheit zum Grunde<lb/>
hat, nach welcher man theils Su&#x0364;nden der<lb/>
Bosheit und der Schwachheit nicht unter-<lb/>
&#x017F;cheidet, theils den natu&#x0364;rlichen Streit zwi-<lb/>
&#x017F;chen der Vernunft und dem thieri&#x017F;chen <hi rendition="#aq">Af-<lb/>
fect</hi> fu&#x0364;r einen Streit des Flei&#x017F;ches und des<lb/>
Gei&#x017F;tes ha&#x0364;lt; und daher wenn einer aus ver-<lb/>
nu&#x0364;nftiger Vor&#x017F;tellung von den groben Aus-<lb/>
bru&#x0364;chen der Su&#x0364;nde abla&#x0364;&#x017F;&#x017F;et, &#x017F;olches fu&#x0364;r eine<lb/>
Bekehrung, und wenn einer bey der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erli-<lb/>
chen Ehrbarkeit der be&#x017F;ta&#x0364;ndig in ihm herr-<lb/>
&#x017F;chenden Su&#x0364;nde wieder ihren vollen Ausbruch<lb/>
la&#x0364;ßt, die&#x017F;es fu&#x0364;r ein Ru&#x0364;ckfall aus dem Stande<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></item>
                </list>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[630/0632] Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 2. v. 22. niger ein Mittelding, welches erſt durch den Miß- brauch, oder den Exceß boͤſe werde. Hernach von der beſtaͤndigen Beharrung im Stande der Gnaden. Ein Menſch, der wahrhaftig zu GOTT bekehret worden, kan allerdinge wider aus der Gnade fallen, wenn er nicht auf ſeiner Hut iſt, ſondern die Suͤnde nach und wieder zur Herr- ſchaft kommen laͤßt, oder auch auf ſolche Lehr- Jrrthuͤmer faͤllt, dadurch ein ſolcher Ruͤckfall zu wege gebracht wird. Die Wahrheit dieſes Satzes erweiſen folgende Gruͤnde: Dieſer Text, da die Rede iſt von denen die wahrhaftig entflohen waren dem Unflat der Welt, aber alſo eingeflochten worden in das ſuͤndliche Weſen, daß ſie davon ſich voͤllig uͤberwinden laſſen, und dadurch in einen noch aͤrgern Zuſtand gerathen, als ſie vor der Be- kehrung geweſen ſind. Viele andere Oerter der heiligen Schrift, ſonderlich 1 Tim. 1, 18. da Paulus ſpricht von denen, welche ein gutes Gewiſſen von ſich ſtoſſen und am Glauben Schiff bruch lei- den. Dabey man conferiren kan den Ort. Hebr. 6, 4. u. f. Der Zweck der Apoſtoliſchen Briefe an die wahrhaftig Bekehrten, welcher war, ſie vor dem Ruͤckfall zu warnen und dagegen zu ver- wahren. Waͤre es nicht moͤglich, daß ein Menſch aus der Gnade fallen koͤnte; wozu waͤren denn die Warnungen und Ermahnun- gen gegeben? Warum haͤtte Petrus dieſen andern Brief beſchlieſſen duͤrfen mit dieſen Worten: Meine Lieben, verwahret euch, daß ihr nicht durch Jrrthum der ruchlo- ſen Leute ſamt ihnen verfuͤhret werdet und entfallet aus eurer eignen Veſtung. Warum haͤtte GOTT durch den Propheten Ezechiel ſagen duͤrfen: Wenn der Gerechte boͤſes thut, ſo wirds ihm nicht helfen, daß er fromm geweſen iſt. u. ſ. w. Die betruͤbten Exempel der gaͤntzlich aus der Gnade gefallenen, da unter andern aus der heiligen Schrift das Exempel Davids bekant genug iſt, und die Erfahrung bis auf dieſen Tag leider dergleichen beſtaͤtiget. Wol- te man dagegen einwenden und ſagen, es blei- be bey ſolchen Leuten dennoch der gute Grund, als das Feuer unter der Aſche, ſo waͤre die- ſes nicht anders, als ſeinen Jrrthum damit wiederholen, an ſtatt deſſen, daß man die Richtigkeit ſeines irrigen Satzes erweiſen ſolte. Ob nun gleich ein Menſch aus der Gnade fallen kan, ſo kan und ſoll er doch auch allerdin- ge darinnen beſtehen, und durch ſein gantzes Le- ben ohne allen gaͤntzlichen Ruͤckfall beharren, davon die Gruͤnde, auſſer dem gegenwaͤrtigen Text, folgende ſind: Die Beſchaffenheit der Beharrung: wel- che nicht beſtehet in der Befreyung von der Erb-Suͤnde und von den Schwachheits- Suͤnden und deren gaͤntzlichen Unterlaſſung; ſondern nur darinnen, daß man die in der Bekehrung uͤberwundene Suͤnde nicht wieder zu ihrer Herrſchaft kommen laſſe. Die Moͤglichkeit der Beharrung, welche aus ſolcher Beſchaffenheit, wie auch aus der zur Beharrung hinlaͤnglichen und reichlich dar- gereichten Gnade, genugſam erhellet. Da- bey man zu erwegen hat Joh. 10, 28. 29. c. 15, 2. u. f. Roͤm. 8, 37. Phil. 4, 13. 1 Petr. 1, 5. 2 Pet. 1, 3. 1 Joh. 5, 3. 4. u. ſ. w. Der Wiedergebornen ihr aus der Gnade empfangener Sinn nach GOtt, vermoͤge deſſen ſie nicht allein koͤnnen, ſondern auch gern wollen beharren. 1 Joh. 3, 9. c. 5, 18. u. ſ. w. Und ſolchergeſtalt ſind ihnen, wie alle Gebote GOttes, alſo auch die ernſtliche Be- fehle von der Beharrung leichte: davon man unter andern ſehe: 1 Cor. 9, 24. c. 10, 12. c. 15, 18. 58. c. 16, 13. Phil. 3, 14. 15. u. ſ. w. Sind ihnen nun die davon gegebene Befehle leicht, ſo ſind ihnen die den beharrenden ge- gebene Verheiſſungen ſo viel angenehmer: davon es ſonderlich in allen Apocalyptiſchen Briefen heißt: Wer uͤberwindet, wer uͤberwindet- der ſoll dieſes und das haben, oder werden, u. ſ. w. welche Verheiſſungen mit den Befehlen vergeblich ſeyn wuͤrden, wo- ferne die Beharrung unmoͤglich waͤre. Der Zweck aller Apoſtoliſchen Briefe; als welcher dahin gegangen iſt, daß die, welche zum Stande der Gnade gebracht waren, dar- innen ohne allen Ruͤckfall mit einem mehrern Wachsthum bis an ihr ſeliges Ende behar- ren moͤchten. Wer wolte aber ſagen, daß dieſer Zweck bey niemanden ſey erhalten wor- den? Und wo iſt die geringſte Spur an einem eintzigen Orte, daß die Apoſtel dieſes beſorget haͤtten, in der heiligen Schrift benennet? Die Exempel ſo vieler Glaͤubigen und Heiligen des alten und neuen Teſtaments, der Patri- archen, Propheten, Apoſtel und Apoſtoliſchen Maͤnner u. ſ. w. auch hernach ſo vieler Maͤr- tyrer und anderer rechtſchaffnen Chriſten, wel- che bis auf dieſen Tag gelebet haben und noch leben: als von welchen der Ruͤckfall nicht al- lein unerweißlich iſt, ſondern es iſt auch hoͤchſt billig, daß man ihnen die Beharrung zueigne. Hingegen iſt der Gegenſatz von der Unmoͤglich- keit der Beharrung und der beſtaͤndigen Ent- haltung von muthwilligen Suͤnden hoͤchſt un- gereimt, unchriſtlich und ſchaͤdlich. Wel- ches folgende Gruͤnde zur Gnuͤge anzeigen: Weil er die groffe Unwiſſenheit zum Grunde hat, nach welcher man theils Suͤnden der Bosheit und der Schwachheit nicht unter- ſcheidet, theils den natuͤrlichen Streit zwi- ſchen der Vernunft und dem thieriſchen Af- fect fuͤr einen Streit des Fleiſches und des Geiſtes haͤlt; und daher wenn einer aus ver- nuͤnftiger Vorſtellung von den groben Aus- bruͤchen der Suͤnde ablaͤſſet, ſolches fuͤr eine Bekehrung, und wenn einer bey der aͤuſſerli- chen Ehrbarkeit der beſtaͤndig in ihm herr- ſchenden Suͤnde wieder ihren vollen Ausbruch laͤßt, dieſes fuͤr ein Ruͤckfall aus dem Stande der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/632
Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/632>, abgerufen am 29.05.2024.