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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Richtige und erbauliche Erklärung Cap. 1. v. 9. 10.
[Spaltenumbruch] Gemeinschaft mit einander, daß eine ohne die
andere weder gebessert, noch verderbet werden
kan.

3. Wenn der Apostel das blind seyn durch
das Wort muopazein erläutert, dieses aber ei-
gentlich von den blöden Augen gebrauchet
wird; welche nur in der Nähe sehen, nicht aber
in der Ferne: so zeiget er damit an, daß solche
Blinden GOTT und himmlische Dinge gleich-
sam aus ihren Augen verlieren; hingegen aber
nur allein irdische, die sie allein vor und um sich
haben, darinnen behalten.

4. Die Unreinigkeit der Sünden lieget
theils in der zur Strafe führenden Schuld,
theils in der Einwohnung und Herrschaft. Und
daher bestehet die Reinigung so wol in der
Rechtfertigung, da die Schuld samt der Stra-
fe von uns genommen wird; als in der Bekeh-
rung
und in der Erneuerung, da wir von der
Herrschaft und mehrern Anklebung immer mehr
befreyet werden.

5. Beyderley Reinigung hatten die Gläu-
bigen empfangen, aber einige wider verlohren,
da sie eine so theure Gnaden-Gabe und Beylage
nicht bewahret hatten. Und dieses nennet der
Apostel alhier vergessen haben. Womit an-
gezeiget wird, was nach dem Stylo der heiligen
Schrift sey vergessen, und nicht vergessen,
nemlich nicht achten und versäumen; und hinge-
gen hoch halten, wohl in acht nehmen, getreulich
anlegen und bewahren.

6. Man erkennet hieraus, wie nöthig es
sey, daß man die von GOtt empfangene Gna-
de wohl anwende und solchergestalt bewahre
und in sich vermehren lasse; da man leichtlich
darum kommen kan: imgleichen daß, wenn man
nach dem Willen von der Treue abgehet, man
auch das göttliche Licht im Verstande wieder
verliere.

7. Was der Apostel alhier von der Un-
treue und von dem Rückfall aus dem Stande
der Gnaden saget, das erläutert er hernach c. 2,
19. u. f. mit mehrern, und zeiget dabey an, wo-
durch der Rückfall geschehe, nemlich unter an-
dern durch Mißbrauch der Christlichen Freyheit,
und wie gefährlich, auch schändlich er sey. Er
ermahnet demnach die Gläubigen noch ferner
davon, wenn er also fortfähret:

V. 10.

Darum, lieben Brüder, thut desto
mehr Fleiß, euren Beruf und Erwehlung
vest zu machen. Denn wo ihr solches thut,
werdet ihr nicht straucheln.

Anmerckungen.

1. Die Wörter, berufen, Berufung,
werden an den allermeisten Orten mit solchem
Nachdrucke gesetzet, daß der kräftigste und ge-
treue Erfolg dadurch zugleich bedeutet wird:
nemlich die von der Berufung dependirende
wirckliche Bekehrung mit der dazu billig zu
rechnenden Rechtfertigung. Jn solchem
Verstande heißt es Ep. 1. c. 2, 9. berufen seyn
von der Finsterniß zu dem wunderbaren
[Spaltenumbruch] Lichte GOttes:
deßgleichen in diesem andern
Briefe vorher v. 3. berufen seyn durch die
Herrlichkeit und Tugend GOttes.
Wel-
ches einem ieden, der da berufen wird, dazu
dienen soll, daß er der berufenden Gnade gehor-
same Folge leiste.

2. Es ist demnach der Beruf alhier nichts
anders, als der Gnaden-Stand; und den Be-
ruf veste machen so viel, als die empfangene
Gnade also gebrauchen, daß man darinnen
gleichsam immer tiefer unter sich wurtzele, und
zu einem recht männlichen Alter komme, nach
Eph. 4, 13. u. f. Denn obgleich alle Bevestigung
von GOtt kömmt; so gehöret doch unsere gläu-
bige Annehmung und getreue Anwendung dazu.
Jn welchem Verstande denn von dem Menschen
gesaget wird, daß er sich selbst bevestiget.

3. Die Erwehlung ist auf Seiten GOttes
so veste, daß sie nicht vester, oder gewisser kan
gemachet werden; sintemal sie sich auf die Vor-
hersehung GOttes gründet. Denn wen GOtt
nach derselben, vermöge seiner Allwissenheit, in
der Heyls-Ordnung beharrlich gefunden hat,
von dem hat er auch den gnädigen und vesten
Schluß gemachet, daß ihm insonderheit ange-
deyen soll, was die allgemeine Regel mit sich
bringet, da es heißt: Wer da gläubet, der soll
selig werden.
Und also soll er selig werden,
und solchergestalt ist er erwehlet.

4. Auf Seiten des Menschen aber wird
die Erwehlung vest gemachet, wenn er im Stan-
de der Gnaden zu einer immer mehrern Versi-
cherung kömmt von seiner Kindschaft und künf-
tigen Erbschaft bey GOtt. Welches Paulus
2 Cor. 1, 21. Die Bevestigung und Versiege-
lung
nennet: die zwar GOttes Werck ist, aber
durch treue Anwendung der Gnade auch unser
eigen wird.

5. Den Nutzen von solcher Vestmachung
der Berufung und Erwehlung setzet der Apostel
in der Befreyung von allem Straucheln.
Welches im Griechischen also ausgedrucket
wird, daß es heißt: nimmer nicht, oder keines
weges,
nemlich werdet ihr straucheln.

6. Es ist aber leichtlich zu erachten, daß
das ptaiein straucheln, alhier nicht von den Sün-
den der Schwachheit, welche aus der noch übri-
gen Erb-Sünde kommen, zu verstehen ist;
als davon niemand gantz frey bleibet, wenn
er es auch in der Heiligung noch so weit bringet.
Es gehet demnach auf solche Abweichungen, da
man entweder gantz aus dem Stande der Gna-
den verfällt, oder doch allerley mercklichen An-
stoß giebet, und auf den wegen GOttes als ein
Lahmer und Hinckender einhergehet: welches,
wenn man zur rechten Stärcke des Geistes
kömmt, und seiner wohl wahrnimmt, wohl kan
vermieden werden, und auch billig zu vermeiden
ist. Mit einem Worte: nicht straucheln,
heißt alhier so viel, als unsträflich, ja nicht allein
unanstößig, sondern auch hingegen andern viel-
mehr erbaulich seyn. Siehe Gal. 6, 1. da das
straucheln heißt mit einem Fehl, oder Falle,
übereilet werden.

V. 11.

Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 1. v. 9. 10.
[Spaltenumbruch] Gemeinſchaft mit einander, daß eine ohne die
andere weder gebeſſert, noch verderbet werden
kan.

3. Wenn der Apoſtel das blind ſeyn durch
das Wort μυωπάζειν erlaͤutert, dieſes aber ei-
gentlich von den bloͤden Augen gebrauchet
wird; welche nur in der Naͤhe ſehen, nicht aber
in der Ferne: ſo zeiget er damit an, daß ſolche
Blinden GOTT und himmliſche Dinge gleich-
ſam aus ihren Augen verlieren; hingegen aber
nur allein irdiſche, die ſie allein vor und um ſich
haben, darinnen behalten.

4. Die Unreinigkeit der Suͤnden lieget
theils in der zur Strafe fuͤhrenden Schuld,
theils in der Einwohnung und Herrſchaft. Und
daher beſtehet die Reinigung ſo wol in der
Rechtfertigung, da die Schuld ſamt der Stra-
fe von uns genommen wird; als in der Bekeh-
rung
und in der Erneuerung, da wir von der
Herrſchaft und mehrern Anklebung immer mehr
befreyet werden.

5. Beyderley Reinigung hatten die Glaͤu-
bigen empfangen, aber einige wider verlohren,
da ſie eine ſo theure Gnaden-Gabe und Beylage
nicht bewahret hatten. Und dieſes nennet der
Apoſtel alhier vergeſſen haben. Womit an-
gezeiget wird, was nach dem Stylo der heiligen
Schrift ſey vergeſſen, und nicht vergeſſen,
nemlich nicht achten und verſaͤumen; und hinge-
gen hoch halten, wohl in acht nehmen, getreulich
anlegen und bewahren.

6. Man erkennet hieraus, wie noͤthig es
ſey, daß man die von GOtt empfangene Gna-
de wohl anwende und ſolchergeſtalt bewahre
und in ſich vermehren laſſe; da man leichtlich
darum kommen kan: imgleichen daß, wenn man
nach dem Willen von der Treue abgehet, man
auch das goͤttliche Licht im Verſtande wieder
verliere.

7. Was der Apoſtel alhier von der Un-
treue und von dem Ruͤckfall aus dem Stande
der Gnaden ſaget, das erlaͤutert er hernach c. 2,
19. u. f. mit mehrern, und zeiget dabey an, wo-
durch der Ruͤckfall geſchehe, nemlich unter an-
dern durch Mißbrauch der Chriſtlichen Freyheit,
und wie gefaͤhrlich, auch ſchaͤndlich er ſey. Er
ermahnet demnach die Glaͤubigen noch ferner
davon, wenn er alſo fortfaͤhret:

V. 10.

Darum, lieben Bruͤder, thut deſto
mehr Fleiß, euren Beruf und Erwehlung
veſt zu machen. Denn wo ihr ſolches thut,
werdet ihr nicht ſtraucheln.

Anmerckungen.

1. Die Woͤrter, berufen, Berufung,
werden an den allermeiſten Orten mit ſolchem
Nachdrucke geſetzet, daß der kraͤftigſte und ge-
treue Erfolg dadurch zugleich bedeutet wird:
nemlich die von der Berufung dependirende
wirckliche Bekehrung mit der dazu billig zu
rechnenden Rechtfertigung. Jn ſolchem
Verſtande heißt es Ep. 1. c. 2, 9. berufen ſeyn
von der Finſterniß zu dem wunderbaren
[Spaltenumbruch] Lichte GOttes:
deßgleichen in dieſem andern
Briefe vorher v. 3. berufen ſeyn durch die
Herrlichkeit und Tugend GOttes.
Wel-
ches einem ieden, der da berufen wird, dazu
dienen ſoll, daß er der berufenden Gnade gehor-
ſame Folge leiſte.

2. Es iſt demnach der Beruf alhier nichts
anders, als der Gnaden-Stand; und den Be-
ruf veſte machen ſo viel, als die empfangene
Gnade alſo gebrauchen, daß man darinnen
gleichſam immer tiefer unter ſich wurtzele, und
zu einem recht maͤnnlichen Alter komme, nach
Eph. 4, 13. u. f. Denn obgleich alle Beveſtigung
von GOtt koͤmmt; ſo gehoͤret doch unſere glaͤu-
bige Annehmung und getreue Anwendung dazu.
Jn welchem Verſtande denn von dem Menſchen
geſaget wird, daß er ſich ſelbſt beveſtiget.

3. Die Erwehlung iſt auf Seiten GOttes
ſo veſte, daß ſie nicht veſter, oder gewiſſer kan
gemachet werden; ſintemal ſie ſich auf die Vor-
herſehung GOttes gruͤndet. Denn wen GOtt
nach derſelben, vermoͤge ſeiner Allwiſſenheit, in
der Heyls-Ordnung beharrlich gefunden hat,
von dem hat er auch den gnaͤdigen und veſten
Schluß gemachet, daß ihm inſonderheit ange-
deyen ſoll, was die allgemeine Regel mit ſich
bringet, da es heißt: Wer da glaͤubet, der ſoll
ſelig werden.
Und alſo ſoll er ſelig werden,
und ſolchergeſtalt iſt er erwehlet.

4. Auf Seiten des Menſchen aber wird
die Erwehlung veſt gemachet, wenn er im Stan-
de der Gnaden zu einer immer mehrern Verſi-
cherung koͤmmt von ſeiner Kindſchaft und kuͤnf-
tigen Erbſchaft bey GOtt. Welches Paulus
2 Cor. 1, 21. Die Beveſtigung und Verſiege-
lung
nennet: die zwar GOttes Werck iſt, aber
durch treue Anwendung der Gnade auch unſer
eigen wird.

5. Den Nutzen von ſolcher Veſtmachung
der Berufung und Erwehlung ſetzet der Apoſtel
in der Befreyung von allem Straucheln.
Welches im Griechiſchen alſo ausgedrucket
wird, daß es heißt: nimmer nicht, oder keines
weges,
nemlich werdet ihr ſtraucheln.

6. Es iſt aber leichtlich zu erachten, daß
das πταίειν ſtraucheln, alhier nicht von den Suͤn-
den der Schwachheit, welche aus der noch uͤbri-
gen Erb-Suͤnde kommen, zu verſtehen iſt;
als davon niemand gantz frey bleibet, wenn
er es auch in der Heiligung noch ſo weit bringet.
Es gehet demnach auf ſolche Abweichungen, da
man entweder gantz aus dem Stande der Gna-
den verfaͤllt, oder doch allerley mercklichen An-
ſtoß giebet, und auf den wegen GOttes als ein
Lahmer und Hinckender einhergehet: welches,
wenn man zur rechten Staͤrcke des Geiſtes
koͤmmt, und ſeiner wohl wahrnimmt, wohl kan
vermieden werden, und auch billig zu vermeiden
iſt. Mit einem Worte: nicht ſtraucheln,
heißt alhier ſo viel, als unſtraͤflich, ja nicht allein
unanſtoͤßig, ſondern auch hingegen andern viel-
mehr erbaulich ſeyn. Siehe Gal. 6, 1. da das
ſtraucheln heißt mit einem Fehl, oder Falle,
uͤbereilet werden.

V. 11.
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[594/0596] Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 1. v. 9. 10. Gemeinſchaft mit einander, daß eine ohne die andere weder gebeſſert, noch verderbet werden kan. 3. Wenn der Apoſtel das blind ſeyn durch das Wort μυωπάζειν erlaͤutert, dieſes aber ei- gentlich von den bloͤden Augen gebrauchet wird; welche nur in der Naͤhe ſehen, nicht aber in der Ferne: ſo zeiget er damit an, daß ſolche Blinden GOTT und himmliſche Dinge gleich- ſam aus ihren Augen verlieren; hingegen aber nur allein irdiſche, die ſie allein vor und um ſich haben, darinnen behalten. 4. Die Unreinigkeit der Suͤnden lieget theils in der zur Strafe fuͤhrenden Schuld, theils in der Einwohnung und Herrſchaft. Und daher beſtehet die Reinigung ſo wol in der Rechtfertigung, da die Schuld ſamt der Stra- fe von uns genommen wird; als in der Bekeh- rung und in der Erneuerung, da wir von der Herrſchaft und mehrern Anklebung immer mehr befreyet werden. 5. Beyderley Reinigung hatten die Glaͤu- bigen empfangen, aber einige wider verlohren, da ſie eine ſo theure Gnaden-Gabe und Beylage nicht bewahret hatten. Und dieſes nennet der Apoſtel alhier vergeſſen haben. Womit an- gezeiget wird, was nach dem Stylo der heiligen Schrift ſey vergeſſen, und nicht vergeſſen, nemlich nicht achten und verſaͤumen; und hinge- gen hoch halten, wohl in acht nehmen, getreulich anlegen und bewahren. 6. Man erkennet hieraus, wie noͤthig es ſey, daß man die von GOtt empfangene Gna- de wohl anwende und ſolchergeſtalt bewahre und in ſich vermehren laſſe; da man leichtlich darum kommen kan: imgleichen daß, wenn man nach dem Willen von der Treue abgehet, man auch das goͤttliche Licht im Verſtande wieder verliere. 7. Was der Apoſtel alhier von der Un- treue und von dem Ruͤckfall aus dem Stande der Gnaden ſaget, das erlaͤutert er hernach c. 2, 19. u. f. mit mehrern, und zeiget dabey an, wo- durch der Ruͤckfall geſchehe, nemlich unter an- dern durch Mißbrauch der Chriſtlichen Freyheit, und wie gefaͤhrlich, auch ſchaͤndlich er ſey. Er ermahnet demnach die Glaͤubigen noch ferner davon, wenn er alſo fortfaͤhret: V. 10. Darum, lieben Bruͤder, thut deſto mehr Fleiß, euren Beruf und Erwehlung veſt zu machen. Denn wo ihr ſolches thut, werdet ihr nicht ſtraucheln. Anmerckungen. 1. Die Woͤrter, berufen, Berufung, werden an den allermeiſten Orten mit ſolchem Nachdrucke geſetzet, daß der kraͤftigſte und ge- treue Erfolg dadurch zugleich bedeutet wird: nemlich die von der Berufung dependirende wirckliche Bekehrung mit der dazu billig zu rechnenden Rechtfertigung. Jn ſolchem Verſtande heißt es Ep. 1. c. 2, 9. berufen ſeyn von der Finſterniß zu dem wunderbaren Lichte GOttes: deßgleichen in dieſem andern Briefe vorher v. 3. berufen ſeyn durch die Herrlichkeit und Tugend GOttes. Wel- ches einem ieden, der da berufen wird, dazu dienen ſoll, daß er der berufenden Gnade gehor- ſame Folge leiſte. 2. Es iſt demnach der Beruf alhier nichts anders, als der Gnaden-Stand; und den Be- ruf veſte machen ſo viel, als die empfangene Gnade alſo gebrauchen, daß man darinnen gleichſam immer tiefer unter ſich wurtzele, und zu einem recht maͤnnlichen Alter komme, nach Eph. 4, 13. u. f. Denn obgleich alle Beveſtigung von GOtt koͤmmt; ſo gehoͤret doch unſere glaͤu- bige Annehmung und getreue Anwendung dazu. Jn welchem Verſtande denn von dem Menſchen geſaget wird, daß er ſich ſelbſt beveſtiget. 3. Die Erwehlung iſt auf Seiten GOttes ſo veſte, daß ſie nicht veſter, oder gewiſſer kan gemachet werden; ſintemal ſie ſich auf die Vor- herſehung GOttes gruͤndet. Denn wen GOtt nach derſelben, vermoͤge ſeiner Allwiſſenheit, in der Heyls-Ordnung beharrlich gefunden hat, von dem hat er auch den gnaͤdigen und veſten Schluß gemachet, daß ihm inſonderheit ange- deyen ſoll, was die allgemeine Regel mit ſich bringet, da es heißt: Wer da glaͤubet, der ſoll ſelig werden. Und alſo ſoll er ſelig werden, und ſolchergeſtalt iſt er erwehlet. 4. Auf Seiten des Menſchen aber wird die Erwehlung veſt gemachet, wenn er im Stan- de der Gnaden zu einer immer mehrern Verſi- cherung koͤmmt von ſeiner Kindſchaft und kuͤnf- tigen Erbſchaft bey GOtt. Welches Paulus 2 Cor. 1, 21. Die Beveſtigung und Verſiege- lung nennet: die zwar GOttes Werck iſt, aber durch treue Anwendung der Gnade auch unſer eigen wird. 5. Den Nutzen von ſolcher Veſtmachung der Berufung und Erwehlung ſetzet der Apoſtel in der Befreyung von allem Straucheln. Welches im Griechiſchen alſo ausgedrucket wird, daß es heißt: nimmer nicht, oder keines weges, nemlich werdet ihr ſtraucheln. 6. Es iſt aber leichtlich zu erachten, daß das πταίειν ſtraucheln, alhier nicht von den Suͤn- den der Schwachheit, welche aus der noch uͤbri- gen Erb-Suͤnde kommen, zu verſtehen iſt; als davon niemand gantz frey bleibet, wenn er es auch in der Heiligung noch ſo weit bringet. Es gehet demnach auf ſolche Abweichungen, da man entweder gantz aus dem Stande der Gna- den verfaͤllt, oder doch allerley mercklichen An- ſtoß giebet, und auf den wegen GOttes als ein Lahmer und Hinckender einhergehet: welches, wenn man zur rechten Staͤrcke des Geiſtes koͤmmt, und ſeiner wohl wahrnimmt, wohl kan vermieden werden, und auch billig zu vermeiden iſt. Mit einem Worte: nicht ſtraucheln, heißt alhier ſo viel, als unſtraͤflich, ja nicht allein unanſtoͤßig, ſondern auch hingegen andern viel- mehr erbaulich ſeyn. Siehe Gal. 6, 1. da das ſtraucheln heißt mit einem Fehl, oder Falle, uͤbereilet werden. V. 11.

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/596>, abgerufen am 22.11.2024.