Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.Cap. 1. v. 4-7. des andern Briefes Petri. [Spaltenumbruch]
kan, wenn solches nicht vorhergehet: undiemehr man darinnen wächset, ie genauer, in- niger und reiner wird auch die Vereinigung mit GOTT. Daher der Apostel von dem Entfliehen also redet, daß es schon geschehen seyn, aber doch auch noch immer sortgesetzet werden soll. f. Es sind beyde Stücke also beschaffen, daß ei- nes das andere befordert. Denn gleichwie die Verleugnung der weltlichen Lüste die Hinderungen, welche der innigern Vereini- gung mit GOTT im Wege stehen, immer mehr hinwegnimmt, und dadurch den Zufluß der lautern Gnade vermehret: also machet auch diese, wo sie recht empfunden wird, die Verleugnung alles sündlichen Wesens im- mer williger. Denn wer erst etwas bessers hat, der läßt das schlimmere gerne fahren. Man siehet demnach, wie GOtt die Treue, welche man, um seiner recht zu geniessen, be- weiset, so reichlich belohnet, auch schon in dieser Welt: als darinn man bereits aller- dinge zu einem recht, obgleich noch nicht voll- kommen, seligen Zustand gelanget. Viel ein mehrers findet der Leser über diese bey- den nachdrücklichen Verse, den 4ten und 5ten, im Lateinischen Commentario von p. 565. bis p. 583. V. 5. 6. 7. So wendet nun allen euren Fleiß dar- Anmerckungen. 1. Der Verbindung nach, in welcher die- 2. Und eben hierinnen äussert sich ein rechter 3. Bey den Worten auto touto muß gleich- 4. Uberhaupt ist von diesen drey Versiculn, 5. Vor der Benennung solcher Glieder a. Spoude bedeutet eine solche Beschäfftigung, da man das, was man vorhat, nicht allein mit Fleiß und Ernst, sondern auch bald, oder oh- ne Aufschub und ungesäumet, thut, auch hur- tig damit sortfähret. Und da das erstere von diesem Worte bekannt ist, so siehet man das letztere sonderlich aus dem Orte Luc. 1, 39. da es von Maria heißt: Sie stund auf in den Tagen und ging auf das Gebirge meta spoudes, endelich, (das ist, mit aller Geschwin- digkeit, oder also, daß sie gern bald zu Ende kommen wolte) zu der Stadt Juda. b. Und dieser natürliche Nachdruck des Worts wird durch den Beysatz des Worts pasan, allen vermehret. Denn damit werden die Gläubigen angewiesen, alle Treue bey ihrem Fleisse zu beweisen: sintemal es leichtlich ge- schehen kan, daß man zwar fleißig ist, aber doch dazu noch nicht alle empfangene Gna- den-Kräfte getreulich genug anwendet. Und weil der Apostel nicht nur einer und der an- dern Pflicht gedencken wolte, sondern ihrer vieler hintereinander, davon eine iegliche einen besondern Fleiß erfodert, so setzete er das Wort alle dazu. Jn leiblichen Dingen ist es oft unnöthig, daß man alle seine Kräfte anstrecke, da einige wenige zu dieser und jener Handlung hinlänglich sind; obwol auch alle zuweilen erfodert werden: aber im geistlichen ist die Beschäftigung wenn sie auf die Ausü- bung so vieler, ja aller pflichten gehet, so wich- tig, daß man dazu aller Kräfte benöthigt ist. c. Und mit dem Worte pareispherein, anwen- den, siehet der Apostel auf das empfangene Gnaden-Geschenck solcher geistlichen Kräfte; und
Cap. 1. v. 4-7. des andern Briefes Petri. [Spaltenumbruch]
kan, wenn ſolches nicht vorhergehet: undiemehr man darinnen waͤchſet, ie genauer, in- niger und reiner wird auch die Vereinigung mit GOTT. Daher der Apoſtel von dem Entfliehen alſo redet, daß es ſchon geſchehen ſeyn, aber doch auch noch immer ſortgeſetzet werden ſoll. f. Es ſind beyde Stuͤcke alſo beſchaffen, daß ei- nes das andere befordert. Denn gleichwie die Verleugnung der weltlichen Luͤſte die Hinderungen, welche der innigern Vereini- gung mit GOTT im Wege ſtehen, immer mehr hinwegnimmt, und dadurch den Zufluß der lautern Gnade vermehret: alſo machet auch dieſe, wo ſie recht empfunden wird, die Verleugnung alles ſuͤndlichen Weſens im- mer williger. Denn wer erſt etwas beſſers hat, der laͤßt das ſchlimmere gerne fahren. Man ſiehet demnach, wie GOtt die Treue, welche man, um ſeiner recht zu genieſſen, be- weiſet, ſo reichlich belohnet, auch ſchon in dieſer Welt: als darinn man bereits aller- dinge zu einem recht, obgleich noch nicht voll- kommen, ſeligen Zuſtand gelanget. Viel ein mehrers findet der Leſer uͤber dieſe bey- den nachdruͤcklichen Verſe, den 4ten und 5ten, im Lateiniſchen Commentario von p. 565. bis p. 583. V. 5. 6. 7. So wendet nun allen euren Fleiß dar- Anmerckungen. 1. Der Verbindung nach, in welcher die- 2. Und eben hierinnen aͤuſſert ſich ein rechter 3. Bey den Worten ἀυτὸ τοῦτο muß gleich- 4. Uberhaupt iſt von dieſen drey Verſiculn, 5. Vor der Benennung ſolcher Glieder a. Σπουδὴ bedeutet eine ſolche Beſchaͤfftigung, da man das, was man vorhat, nicht allein mit Fleiß und Ernſt, ſondern auch bald, oder oh- ne Aufſchub und ungeſaͤumet, thut, auch hur- tig damit ſortfaͤhret. Und da das erſtere von dieſem Worte bekannt iſt, ſo ſiehet man das letztere ſonderlich aus dem Orte Luc. 1, 39. da es von Maria heißt: Sie ſtund auf in den Tagen und ging auf das Gebirge μετά σπουδῆς, endelich, (das iſt, mit aller Geſchwin- digkeit, oder alſo, daß ſie gern bald zu Ende kommen wolte) zu der Stadt Juda. b. Und dieſer natuͤrliche Nachdruck des Worts wird durch den Beyſatz des Worts ϖᾶσαν, allen vermehret. Denn damit werden die Glaͤubigen angewieſen, alle Treue bey ihrem Fleiſſe zu beweiſen: ſintemal es leichtlich ge- ſchehen kan, daß man zwar fleißig iſt, aber doch dazu noch nicht alle empfangene Gna- den-Kraͤfte getreulich genug anwendet. Und weil der Apoſtel nicht nur einer und der an- dern Pflicht gedencken wolte, ſondern ihrer vieler hintereinander, davon eine iegliche einen beſondern Fleiß erfodert, ſo ſetzete er das Wort alle dazu. Jn leiblichen Dingen iſt es oft unnoͤthig, daß man alle ſeine Kraͤfte anſtrecke, da einige wenige zu dieſer und jener Handlung hinlaͤnglich ſind; obwol auch alle zuweilen erfodert werden: aber im geiſtlichen iſt die Beſchaͤftigung wenn ſie auf die Ausuͤ- bung ſo vieler, ja aller pflichten gehet, ſo wich- tig, daß man dazu aller Kraͤfte benoͤthigt iſt. c. Und mit dem Worte παρεισφέρειν, anwen- den, ſiehet der Apoſtel auf das empfangene Gnaden-Geſchenck ſolcher geiſtlichen Kraͤfte; und
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Denn wer erſt etwas beſſers<lb/> hat, der laͤßt das ſchlimmere gerne fahren.<lb/> Man ſiehet demnach, wie GOtt die Treue,<lb/> welche man, um ſeiner recht zu genieſſen, be-<lb/> weiſet, ſo reichlich belohnet, auch ſchon in<lb/> dieſer Welt: als darinn man bereits aller-<lb/> dinge zu einem recht, obgleich noch nicht voll-<lb/> kommen, ſeligen Zuſtand gelanget. 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Nur muͤſſen die Woͤrter<lb/> γνῶσις, ἐγκράτεια, und ὑπομονή, um ſolche natuͤrli-<lb/> che Verbindung deſto eigentlicher zu erkennen, et-<lb/> was fuͤglicher uͤberſetzet worden.</p><lb/> <p>5. Vor der <hi rendition="#fr">Benennung</hi> ſolcher Glieder<lb/> gehet her die <hi rendition="#fr">Erweckung</hi> zur Anwendung alles<lb/> Fleiſſes. Dabey folgendes zubemercken iſt:</p><lb/> <list> <item><hi rendition="#aq">a.</hi> Σπουδὴ bedeutet eine ſolche Beſchaͤfftigung, da<lb/> man das, was man vorhat, nicht allein mit<lb/> Fleiß und Ernſt, ſondern auch bald, oder oh-<lb/> ne Aufſchub und ungeſaͤumet, thut, auch hur-<lb/> tig damit ſortfaͤhret. Und da das erſtere von<lb/> dieſem Worte bekannt iſt, ſo ſiehet man das<lb/> letztere ſonderlich aus dem Orte Luc. 1, 39. da<lb/> es von Maria heißt: <hi rendition="#fr">Sie ſtund auf in den<lb/> Tagen und ging auf das Gebirge</hi> μετά<lb/> σπουδῆς, <hi rendition="#fr">endelich,</hi> (das iſt, mit aller Geſchwin-<lb/> digkeit, oder alſo, daß ſie gern bald zu Ende<lb/> kommen wolte) <hi rendition="#fr">zu der Stadt Juda.</hi></item><lb/> <item><hi rendition="#aq">b.</hi> Und dieſer natuͤrliche Nachdruck des Worts<lb/> wird durch den Beyſatz des Worts ϖᾶσαν,<lb/><hi rendition="#fr">allen</hi> vermehret. Denn damit werden die<lb/> Glaͤubigen angewieſen, alle Treue bey ihrem<lb/> Fleiſſe zu beweiſen: ſintemal es leichtlich ge-<lb/> ſchehen kan, daß man zwar <hi rendition="#fr">fleißig</hi> iſt, aber<lb/> doch dazu noch nicht <hi rendition="#fr">alle</hi> empfangene Gna-<lb/> den-Kraͤfte getreulich genug anwendet. 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Cap. 1. v. 4-7. des andern Briefes Petri.
kan, wenn ſolches nicht vorhergehet: und
iemehr man darinnen waͤchſet, ie genauer, in-
niger und reiner wird auch die Vereinigung
mit GOTT. Daher der Apoſtel von dem
Entfliehen alſo redet, daß es ſchon geſchehen
ſeyn, aber doch auch noch immer ſortgeſetzet
werden ſoll.
f. Es ſind beyde Stuͤcke alſo beſchaffen, daß ei-
nes das andere befordert. Denn gleichwie
die Verleugnung der weltlichen Luͤſte die
Hinderungen, welche der innigern Vereini-
gung mit GOTT im Wege ſtehen, immer
mehr hinwegnimmt, und dadurch den Zufluß
der lautern Gnade vermehret: alſo machet
auch dieſe, wo ſie recht empfunden wird, die
Verleugnung alles ſuͤndlichen Weſens im-
mer williger. Denn wer erſt etwas beſſers
hat, der laͤßt das ſchlimmere gerne fahren.
Man ſiehet demnach, wie GOtt die Treue,
welche man, um ſeiner recht zu genieſſen, be-
weiſet, ſo reichlich belohnet, auch ſchon in
dieſer Welt: als darinn man bereits aller-
dinge zu einem recht, obgleich noch nicht voll-
kommen, ſeligen Zuſtand gelanget. Viel
ein mehrers findet der Leſer uͤber dieſe bey-
den nachdruͤcklichen Verſe, den 4ten und 5ten,
im Lateiniſchen Commentario von p. 565.
bis p. 583.
V. 5. 6. 7.
So wendet nun allen euren Fleiß dar-
an, und reichet dar in eurem Glauben
Tugend, und in der Tugend Beſcheiden-
heit (Erkenntniß) und in der Beſcheiden-
heit (Erkenntniß) Maͤßigkeit (Enthaltung)
und in der Maͤßigkeit (Enthaltung) Ge-
duld (Beharrung) und in der Geduld (Be-
harrung) Gottſeligkeit; und in der Gott-
ſeligkeit bruͤderliche Liebe; und in der
bruͤderlichen Liebe gemeine Liebe.
Anmerckungen.
1. Der Verbindung nach, in welcher die-
ſe Verſe mit den vorhergehenden ſtehen, iſt zu
mercken, daß man im Anfange das Wort ου῞τως,
im Sinne verſtehen muͤſſe, als waͤre es ausdruͤck-
lich geſetzet: da denn die Conſtruction von
dem dritten Verſe her alſo gehet: Nachdem,
oder gleichwie, allerley ſeiner goͤttlichen
Kraft uns geſchencket iſt ‒ ‒ ‒ Dannen-
hero, oder alſo wendet allen euren Fleiß
an: wie denn auch der ſel. Lutherus dieſer Con-
ſtruction wegen das Woͤrtlein ſo, welches ſo
viel iſt, als daher, darum, dazu geſetzet hat.
Denn der Apoſtel ziehet mit dieſen Worten den
Schluß, als das conſequens aus dem ante-
cedenti, oder der Urſache. Und da dieſe beſte-
het in den evangeliſchen Gaben und Heyls-Guͤ-
tern; ſo ſetzet er den Schluß in der ſchuldigen
Pflicht, wie man nach dem Geſetze alle empfan-
gene Gnaden-Kraͤfte zum Dienſte GOttes und
des Naͤchſten getreulich anwenden ſoll.
2. Und eben hierinnen aͤuſſert ſich ein rechter
character eines evangeliſchen Lehrers; daß er
nemlich das gantze Werck der Heiligung aus der
rechten Gnaden-Qvelle herleitet, und ſolcher ge-
ſtalt dem ſo ſehr gemeinen und hoͤchſtſchaͤdlichen
Pelagianiſmo, da man alles auf ſeine verderbte
Natur-Kraͤfte ankommen laͤßt, und daher zu
nichts rechts gelanget, entgegen gehet.
3. Bey den Worten ἀυτὸ τοῦτο muß gleich-
fals ein Woͤrtlein im Sinne verſtanden werden,
nemlich κατὰ, oder πρὸς, oder ἐις, oder auch διὰ,
dazu, oder darum. Und daher wuͤrden die erſten
Worte alſo zu uͤberſetzen ſeyn: alſo wendet
nun eben hierauf, oder eben deßwegen
(nemlich daß ihr ſo viel Gnade empfangen habet)
allen euren Fleiß an. Die particula δέ die-
net mit zur illation und laͤßt ſich daher fuͤglich
durch nun uͤberſetzen.
4. Uberhaupt iſt von dieſen drey Verſiculn,
zu mercken, daß darinnen gleichſam eine rechte
Kette der Tugenden von 8 Gliedern, oder ſo
vielen Pflichten, an einander gehenget wird.
Denn gleichwie ſie der Apoſtel der Conſtructi-
on nach zuſammen gefuͤget hat; alſo hangen ſie
auch natuͤrlicher Weiſe an einander, und bietet
gleichſam eine der andern, die vorhergehende der
folgenden, die Hand. Nur muͤſſen die Woͤrter
γνῶσις, ἐγκράτεια, und ὑπομονή, um ſolche natuͤrli-
che Verbindung deſto eigentlicher zu erkennen, et-
was fuͤglicher uͤberſetzet worden.
5. Vor der Benennung ſolcher Glieder
gehet her die Erweckung zur Anwendung alles
Fleiſſes. Dabey folgendes zubemercken iſt:
a. Σπουδὴ bedeutet eine ſolche Beſchaͤfftigung, da
man das, was man vorhat, nicht allein mit
Fleiß und Ernſt, ſondern auch bald, oder oh-
ne Aufſchub und ungeſaͤumet, thut, auch hur-
tig damit ſortfaͤhret. Und da das erſtere von
dieſem Worte bekannt iſt, ſo ſiehet man das
letztere ſonderlich aus dem Orte Luc. 1, 39. da
es von Maria heißt: Sie ſtund auf in den
Tagen und ging auf das Gebirge μετά
σπουδῆς, endelich, (das iſt, mit aller Geſchwin-
digkeit, oder alſo, daß ſie gern bald zu Ende
kommen wolte) zu der Stadt Juda.
b. Und dieſer natuͤrliche Nachdruck des Worts
wird durch den Beyſatz des Worts ϖᾶσαν,
allen vermehret. Denn damit werden die
Glaͤubigen angewieſen, alle Treue bey ihrem
Fleiſſe zu beweiſen: ſintemal es leichtlich ge-
ſchehen kan, daß man zwar fleißig iſt, aber
doch dazu noch nicht alle empfangene Gna-
den-Kraͤfte getreulich genug anwendet. Und
weil der Apoſtel nicht nur einer und der an-
dern Pflicht gedencken wolte, ſondern ihrer
vieler hintereinander, davon eine iegliche einen
beſondern Fleiß erfodert, ſo ſetzete er das
Wort alle dazu. Jn leiblichen Dingen
iſt es oft unnoͤthig, daß man alle ſeine Kraͤfte
anſtrecke, da einige wenige zu dieſer und jener
Handlung hinlaͤnglich ſind; obwol auch alle
zuweilen erfodert werden: aber im geiſtlichen
iſt die Beſchaͤftigung wenn ſie auf die Ausuͤ-
bung ſo vieler, ja aller pflichten gehet, ſo wich-
tig, daß man dazu aller Kraͤfte benoͤthigt iſt.
c. Und mit dem Worte παρεισφέρειν, anwen-
den, ſiehet der Apoſtel auf das empfangene
Gnaden-Geſchenck ſolcher geiſtlichen Kraͤfte;
und
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