Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite
Richtige und erbauliche Erklärung Cap. 2. v. 1. 2. 3.
Das Andere Capitel,
Darinn
Der Apostel die im ersten gesetzten Lehren von dem Grun-
de unsers Heyls also ferner erläutert/ daß er noch mit mehrern zeiget/ wie
sie nach allen äusserlichen Ständen in der Heyls-Ordnung/ sonderlich bey
der würdigen Nachfolge Christi/ zur Heiligung müssen ange-
wendet werden.
[Spaltenumbruch]
V. 1. 2. 3.

SO leget nun (da ihr aus dem un-
vergänglichen Samen des Evan-
gelii wiedergeboren seyd zu einer
lebendigen Hoffnung von eurer
Seligkeit) ab alle Bosheit und
allen Betrug und Heucheley,
und Neid und Afterreden: Und seyd be-
gierig nach der vernünftigen lautern
Milch, als die itzt gebornen Kindlein, auf
daß ihr durch dieselbe zunehmet: so ihr
anders geschmecket habet, daß der HERR

(JEsus CHristus, unser Heyland v. 4.) freund-
lich ist.

Anmerckungen.

1. Damit man den Nachdruck dieses Tex-
tes so viel besser erkenne, so ist es dienlich, daß
er in seine unterschiedene Glieder zertheilet, und
nach denselben insonderheit betrachtet werde.
Wir finden darinnen folgende Stücke: 1. eine
Abmahnung vom Bösen: 2. eine Anmah-
nung zum Guten
mit dem Zwecke: 3. den
gedoppelten Grund, der einen zu beyden be-
wegen soll.

2. Bey der Abmahnung ist folgendes in-
sonderheit zu betrachten:

a. Mit dem Wörtlein oun siehet der Apostel zu-
rück auf das, was er vorher c. 1, 22. von der
Wiedergeburt gesaget hat, und setzet diese
zum Grunde der Ablegung aller Untugenden.
Und damit giebet er allen Lehrern eine nöthi-
ge Erinnerung, auf welche Art sie den usum
epanorthoticum
treiben sollen, nemlich
zwar nach dem Gesetze, aber aus einem Ev-
angelischen Grunde: als daraus man zur
wahren Unterlassung des Bösen alle Kraft
hernehmen muß. Und eben dieses haben
auch alle Zuhörer wohl zu bedencken, nemlich
daß, wenn sie hie und davon abgemahnet, o-
der hie und dazu angemahnet werden, sie da-
bey immer auf die rechte Quelle der Gnaden
zurücke gehen, um daraus die geistlichen Kräf-
te beydes zum Wollen und zum Vollbringen
zu schöpfen. Auf welche Art Lehrer und Zu-
hörer dem leider sehr gemeinen Pelagiani-
smo
entgehen.
b. Das Wort kakia heißt alhier nicht eigent-
lich Bosheit; als welches teutsche Wort
sonst von den Griechen mit dem Worte po-
neria gegeben wird; wie man unter andern
[Spaltenumbruch] sehen kan aus 1 Cor. 5, 8. da kakia von der
poneria unterschieden, aber auch keines von
beyden eigentlich genug übersetzet ist. Denn
da poneria eigentlich auf eine solche Bosheit
gehet, welche mit Vorsatz geschiehet, und über
den Menschen herrschet: so ist kakia dasjenige
Sünden-Ubel, welches auch bey den Wie-
dergebornen, davon der Apostel alhier re-
det, noch übrig ist, und überhaupt in solchen
Ausbrüchen der Erb-Sünde, oder wirckli-
chen Sünden bestehet, welche aus einer sol-
chen Schwachheit herkommen, die da immer
mehr abgeleget werden soll, und dagegen man
sich immer mehr bestreben muß, zur rechten
Stärcke des Geistes zu kommen.
c. Und diese gemeinere Bedeutung dieses Worts,
daß es nemlich auf keine besondere Sünde al-
leine gehet, zeiget der Apostel auch damit an,
wenn er das Wort pasan, alle dazu setzet.
Welches denn dabey diesen Nachdruck hat,
daß man ja die Erb-Sünde in allen ihren
Theilen recht angreifen und kein eintziges
unbestritten und ungetödtet in sich lassen
müsse: wie es leider bey manchen wol zu ge-
schehen pfleget, daß sie diese und jene Schoß-
und Busem-Sünde, zu welcher sie, theils
nach ihrem natürlichen Temperamente
und Erziehung, theils auch nach ihrer äusser-
lichen Lebens-Art und vieler Veranlassung
vor andern geneiget sind, diese und jene sünd-
liche Unart noch immer gerne an sich behalten
wollen, und also keinen rechten Ernst in der
Heiligung beweisen. Womit sie auch leicht-
lich verursachen, daß sie nicht allein zum öf-
tern davon übereilet, sondern auch wol gar
wieder beherrschet werden, gut Gewissen von
sich stossen und am Glauben Schiffbruch lei-
den. 1 Tim. 1, 19.
d. Und weil sich kakia, die natürliche und sünd-
liche Unart insonderheit, wie itzo gedacht, da-
durch zu äussern pfleget, daß man nicht allem
mit gleicher Verleugnung absaget, sondern
sich bey dem rechtschafnen Christenthum im-
mer diß und das noch vorbehält, und solcher-
gestalt mit dem Gemüthe in einer Unlauter-
keit stehen bleibet, so wird diese mit dem Wor-
te dolos, Betrug bezeichnet, und fodert der A-
postel die Ablegung alles solchen Selbstbetru-
ges: welchen Paulus Hebr. 3, 13. apaten tes
amartias, den Betrug der Sünden nennet:
Da man erstlich von der Sünde selbst unter
dem
Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 2. v. 1. 2. 3.
Das Andere Capitel,
Darinn
Der Apoſtel die im erſten geſetzten Lehren von dem Grun-
de unſers Heyls alſo ferner erlaͤutert/ daß er noch mit mehrern zeiget/ wie
ſie nach allen aͤuſſerlichen Staͤnden in der Heyls-Ordnung/ ſonderlich bey
der wuͤrdigen Nachfolge Chriſti/ zur Heiligung muͤſſen ange-
wendet werden.
[Spaltenumbruch]
V. 1. 2. 3.

SO leget nun (da ihr aus dem un-
vergaͤnglichen Samen des Evan-
gelii wiedergeboren ſeyd zu einer
lebendigen Hoffnung von eurer
Seligkeit) ab alle Bosheit und
allen Betrug und Heucheley,
und Neid und Afterreden: Und ſeyd be-
gierig nach der vernuͤnftigen lautern
Milch, als die itzt gebornen Kindlein, auf
daß ihr durch dieſelbe zunehmet: ſo ihr
anders geſchmecket habet, daß der HERR

(JEſus CHriſtus, unſer Heyland v. 4.) freund-
lich iſt.

Anmerckungen.

1. Damit man den Nachdruck dieſes Tex-
tes ſo viel beſſer erkenne, ſo iſt es dienlich, daß
er in ſeine unterſchiedene Glieder zertheilet, und
nach denſelben inſonderheit betrachtet werde.
Wir finden darinnen folgende Stuͤcke: 1. eine
Abmahnung vom Boͤſen: 2. eine Anmah-
nung zum Guten
mit dem Zwecke: 3. den
gedoppelten Grund, der einen zu beyden be-
wegen ſoll.

2. Bey der Abmahnung iſt folgendes in-
ſonderheit zu betrachten:

a. Mit dem Woͤrtlein οὖν ſiehet der Apoſtel zu-
ruͤck auf das, was er vorher c. 1, 22. von der
Wiedergeburt geſaget hat, und ſetzet dieſe
zum Grunde der Ablegung aller Untugenden.
Und damit giebet er allen Lehrern eine noͤthi-
ge Erinnerung, auf welche Art ſie den uſum
epanorthoticum
treiben ſollen, nemlich
zwar nach dem Geſetze, aber aus einem Ev-
angeliſchen Grunde: als daraus man zur
wahren Unterlaſſung des Boͤſen alle Kraft
hernehmen muß. Und eben dieſes haben
auch alle Zuhoͤrer wohl zu bedencken, nemlich
daß, wenn ſie hie und davon abgemahnet, o-
der hie und dazu angemahnet werden, ſie da-
bey immer auf die rechte Quelle der Gnaden
zuruͤcke gehen, um daraus die geiſtlichen Kraͤf-
te beydes zum Wollen und zum Vollbringen
zu ſchoͤpfen. Auf welche Art Lehrer und Zu-
hoͤrer dem leider ſehr gemeinen Pelagiani-
smo
entgehen.
b. Das Wort κακία heißt alhier nicht eigent-
lich Bosheit; als welches teutſche Wort
ſonſt von den Griechen mit dem Worte πο-
νηρία gegeben wird; wie man unter andern
[Spaltenumbruch] ſehen kan aus 1 Cor. 5, 8. da κακία von der
πονηρία unterſchieden, aber auch keines von
beyden eigentlich genug uͤberſetzet iſt. Denn
da πονηρία eigentlich auf eine ſolche Bosheit
gehet, welche mit Vorſatz geſchiehet, und uͤber
den Menſchen herrſchet: ſo iſt κακία dasjenige
Suͤnden-Ubel, welches auch bey den Wie-
dergebornen, davon der Apoſtel alhier re-
det, noch uͤbrig iſt, und uͤberhaupt in ſolchen
Ausbruͤchen der Erb-Suͤnde, oder wirckli-
chen Suͤnden beſtehet, welche aus einer ſol-
chen Schwachheit herkommen, die da immer
mehr abgeleget werden ſoll, und dagegen man
ſich immer mehr beſtreben muß, zur rechten
Staͤrcke des Geiſtes zu kommen.
c. Und dieſe gemeinere Bedeutung dieſes Worts,
daß es nemlich auf keine beſondere Suͤnde al-
leine gehet, zeiget der Apoſtel auch damit an,
wenn er das Wort πᾶσαν, alle dazu ſetzet.
Welches denn dabey dieſen Nachdruck hat,
daß man ja die Erb-Suͤnde in allen ihren
Theilen recht angreifen und kein eintziges
unbeſtritten und ungetoͤdtet in ſich laſſen
muͤſſe: wie es leider bey manchen wol zu ge-
ſchehen pfleget, daß ſie dieſe und jene Schoß-
und Buſem-Suͤnde, zu welcher ſie, theils
nach ihrem natuͤrlichen Temperamente
und Erziehung, theils auch nach ihrer aͤuſſer-
lichen Lebens-Art und vieler Veranlaſſung
vor andern geneiget ſind, dieſe und jene ſuͤnd-
liche Unart noch immer gerne an ſich behalten
wollen, und alſo keinen rechten Ernſt in der
Heiligung beweiſen. Womit ſie auch leicht-
lich verurſachen, daß ſie nicht allein zum oͤf-
tern davon uͤbereilet, ſondern auch wol gar
wieder beherrſchet werden, gut Gewiſſen von
ſich ſtoſſen und am Glauben Schiffbruch lei-
den. 1 Tim. 1, 19.
d. Und weil ſich κακία, die natuͤrliche und ſuͤnd-
liche Unart inſonderheit, wie itzo gedacht, da-
durch zu aͤuſſern pfleget, daß man nicht allem
mit gleicher Verleugnung abſaget, ſondern
ſich bey dem rechtſchafnen Chriſtenthum im-
mer diß und das noch vorbehaͤlt, und ſolcher-
geſtalt mit dem Gemuͤthe in einer Unlauter-
keit ſtehen bleibet, ſo wird dieſe mit dem Wor-
te δόλος, Betrug bezeichnet, und fodert der A-
poſtel die Ablegung alles ſolchen Selbſtbetru-
ges: welchen Paulus Hebr. 3, 13. ἀπάτην τῆς
ἁμαρτίας, den Betrug der Suͤnden nennet:
Da man erſtlich von der Suͤnde ſelbſt unter
dem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0530" n="528"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Richtige und erbauliche Erkla&#x0364;rung Cap. 2. v. 1. 2. 3.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Das Andere Capitel,</hi><lb/>
Darinn<lb/>
Der Apo&#x017F;tel die im er&#x017F;ten ge&#x017F;etzten Lehren von dem Grun-<lb/>
de un&#x017F;ers Heyls al&#x017F;o ferner erla&#x0364;utert/ daß er noch mit mehrern zeiget/ wie<lb/>
&#x017F;ie nach allen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Sta&#x0364;nden in der Heyls-Ordnung/ &#x017F;onderlich bey<lb/>
der wu&#x0364;rdigen Nachfolge Chri&#x017F;ti/ zur Heiligung mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ange-<lb/>
wendet werden.</hi> </head><lb/>
          <cb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">V. 1. 2. 3.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">S</hi><hi rendition="#fr">O leget nun</hi> (da ihr aus dem un-<lb/>
verga&#x0364;nglichen Samen des Evan-<lb/>
gelii wiedergeboren &#x017F;eyd zu einer<lb/>
lebendigen Hoffnung von eurer<lb/>
Seligkeit) <hi rendition="#fr">ab alle Bosheit und<lb/>
allen Betrug und Heucheley,<lb/>
und Neid und Afterreden: Und &#x017F;eyd be-<lb/>
gierig nach der vernu&#x0364;nftigen lautern<lb/>
Milch, als die itzt gebornen Kindlein, auf<lb/>
daß ihr durch die&#x017F;elbe zunehmet: &#x017F;o ihr<lb/>
anders ge&#x017F;chmecket habet, daß der HERR</hi><lb/>
(JE&#x017F;us CHri&#x017F;tus, un&#x017F;er Heyland v. 4.) <hi rendition="#fr">freund-<lb/>
lich i&#x017F;t.</hi></p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/>
              <p>1. Damit man den Nachdruck die&#x017F;es Tex-<lb/>
tes &#x017F;o viel be&#x017F;&#x017F;er erkenne, &#x017F;o i&#x017F;t es dienlich, daß<lb/>
er in &#x017F;eine unter&#x017F;chiedene Glieder zertheilet, und<lb/>
nach den&#x017F;elben in&#x017F;onderheit betrachtet werde.<lb/>
Wir finden darinnen folgende Stu&#x0364;cke: 1. <hi rendition="#fr">eine<lb/>
Abmahnung vom Bo&#x0364;&#x017F;en: 2. eine Anmah-<lb/>
nung zum Guten</hi> mit dem <hi rendition="#fr">Zwecke:</hi> 3. den<lb/><hi rendition="#fr">gedoppelten Grund,</hi> der einen zu beyden be-<lb/>
wegen &#x017F;oll.</p><lb/>
              <p>2. Bey der Abmahnung i&#x017F;t folgendes in-<lb/>
&#x017F;onderheit zu betrachten:</p><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#aq">a.</hi> Mit dem Wo&#x0364;rtlein &#x03BF;&#x1F56;&#x03BD; &#x017F;iehet der Apo&#x017F;tel zu-<lb/>
ru&#x0364;ck auf das, was er vorher c. 1, 22. von der<lb/>
Wiedergeburt ge&#x017F;aget hat, und &#x017F;etzet die&#x017F;e<lb/>
zum Grunde der Ablegung aller Untugenden.<lb/>
Und damit giebet er allen Lehrern eine no&#x0364;thi-<lb/>
ge Erinnerung, auf welche Art &#x017F;ie den <hi rendition="#aq">u&#x017F;um<lb/>
epanorthoticum</hi> treiben &#x017F;ollen, nemlich<lb/>
zwar nach dem Ge&#x017F;etze, aber aus einem Ev-<lb/>
angeli&#x017F;chen Grunde: als daraus man zur<lb/>
wahren Unterla&#x017F;&#x017F;ung des Bo&#x0364;&#x017F;en alle Kraft<lb/>
hernehmen muß. Und eben die&#x017F;es haben<lb/>
auch alle Zuho&#x0364;rer wohl zu bedencken, nemlich<lb/>
daß, wenn &#x017F;ie hie und davon abgemahnet, o-<lb/>
der hie und dazu angemahnet werden, &#x017F;ie da-<lb/>
bey immer auf die rechte Quelle der Gnaden<lb/>
zuru&#x0364;cke gehen, um daraus die gei&#x017F;tlichen Kra&#x0364;f-<lb/>
te beydes zum Wollen und zum Vollbringen<lb/>
zu &#x017F;cho&#x0364;pfen. Auf welche Art Lehrer und Zu-<lb/>
ho&#x0364;rer dem leider &#x017F;ehr gemeinen <hi rendition="#aq">Pelagiani-<lb/>
smo</hi> entgehen.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">b.</hi> Das Wort &#x03BA;&#x03B1;&#x03BA;&#x03AF;&#x03B1; heißt alhier nicht eigent-<lb/>
lich <hi rendition="#fr">Bosheit;</hi> als welches teut&#x017F;che Wort<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t von den Griechen mit dem Worte &#x03C0;&#x03BF;-<lb/>
&#x03BD;&#x03B7;&#x03C1;&#x03AF;&#x03B1; gegeben wird; wie man unter andern<lb/><cb/>
&#x017F;ehen kan aus 1 Cor. 5, 8. da &#x03BA;&#x03B1;&#x03BA;&#x03AF;&#x03B1; von der<lb/>
&#x03C0;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B7;&#x03C1;&#x03AF;&#x03B1; unter&#x017F;chieden, aber auch keines von<lb/>
beyden eigentlich genug u&#x0364;ber&#x017F;etzet i&#x017F;t. Denn<lb/>
da &#x03C0;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B7;&#x03C1;&#x03AF;&#x03B1; eigentlich auf eine &#x017F;olche <hi rendition="#fr">Bosheit</hi><lb/>
gehet, welche mit Vor&#x017F;atz ge&#x017F;chiehet, und u&#x0364;ber<lb/>
den Men&#x017F;chen herr&#x017F;chet: &#x017F;o i&#x017F;t &#x03BA;&#x03B1;&#x03BA;&#x03AF;&#x03B1; dasjenige<lb/>
Su&#x0364;nden-Ubel, welches auch bey den Wie-<lb/>
dergebornen, davon der Apo&#x017F;tel alhier re-<lb/>
det, noch u&#x0364;brig i&#x017F;t, und u&#x0364;berhaupt in &#x017F;olchen<lb/>
Ausbru&#x0364;chen der Erb-Su&#x0364;nde, oder wirckli-<lb/>
chen Su&#x0364;nden be&#x017F;tehet, welche aus einer &#x017F;ol-<lb/>
chen Schwachheit herkommen, die da immer<lb/>
mehr abgeleget werden &#x017F;oll, und dagegen man<lb/>
&#x017F;ich immer mehr be&#x017F;treben muß, zur rechten<lb/>
Sta&#x0364;rcke des Gei&#x017F;tes zu kommen.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">c.</hi> Und die&#x017F;e gemeinere Bedeutung die&#x017F;es Worts,<lb/>
daß es nemlich auf keine be&#x017F;ondere Su&#x0364;nde al-<lb/>
leine gehet, zeiget der Apo&#x017F;tel auch damit an,<lb/>
wenn er das Wort &#x03C0;&#x1FB6;&#x03C3;&#x03B1;&#x03BD;, <hi rendition="#fr">alle</hi> dazu &#x017F;etzet.<lb/>
Welches denn dabey die&#x017F;en Nachdruck hat,<lb/>
daß man ja die Erb-Su&#x0364;nde in allen ihren<lb/>
Theilen recht angreifen und kein eintziges<lb/>
unbe&#x017F;tritten und ungeto&#x0364;dtet in &#x017F;ich la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e: wie es leider bey manchen wol zu ge-<lb/>
&#x017F;chehen pfleget, daß &#x017F;ie die&#x017F;e und jene Schoß-<lb/>
und Bu&#x017F;em-Su&#x0364;nde, zu welcher &#x017F;ie, theils<lb/>
nach ihrem natu&#x0364;rlichen <hi rendition="#aq">Temperamen</hi>te<lb/>
und Erziehung, theils auch nach ihrer a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
lichen Lebens-Art und vieler Veranla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
vor andern geneiget &#x017F;ind, die&#x017F;e und jene &#x017F;u&#x0364;nd-<lb/>
liche Unart noch immer gerne an &#x017F;ich behalten<lb/>
wollen, und al&#x017F;o keinen rechten Ern&#x017F;t in der<lb/>
Heiligung bewei&#x017F;en. Womit &#x017F;ie auch leicht-<lb/>
lich verur&#x017F;achen, daß &#x017F;ie nicht allein zum o&#x0364;f-<lb/>
tern davon u&#x0364;bereilet, &#x017F;ondern auch wol gar<lb/>
wieder beherr&#x017F;chet werden, gut Gewi&#x017F;&#x017F;en von<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;to&#x017F;&#x017F;en und am Glauben Schiffbruch lei-<lb/>
den. 1 Tim. 1, 19.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">d.</hi> Und weil &#x017F;ich &#x03BA;&#x03B1;&#x03BA;&#x03AF;&#x03B1;, die natu&#x0364;rliche und &#x017F;u&#x0364;nd-<lb/>
liche Unart in&#x017F;onderheit, wie itzo gedacht, da-<lb/>
durch zu a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern pfleget, daß man nicht allem<lb/>
mit gleicher Verleugnung ab&#x017F;aget, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;ich bey dem recht&#x017F;chafnen Chri&#x017F;tenthum im-<lb/>
mer diß und das noch vorbeha&#x0364;lt, und &#x017F;olcher-<lb/>
ge&#x017F;talt mit dem Gemu&#x0364;the in einer Unlauter-<lb/>
keit &#x017F;tehen bleibet, &#x017F;o wird die&#x017F;e mit dem Wor-<lb/>
te &#x03B4;&#x03CC;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C2;, <hi rendition="#fr">Betrug</hi> bezeichnet, und fodert der A-<lb/>
po&#x017F;tel die <hi rendition="#fr">Ablegung</hi> alles &#x017F;olchen Selb&#x017F;tbetru-<lb/>
ges: welchen Paulus Hebr. 3, 13. &#x1F00;&#x03C0;&#x03AC;&#x03C4;&#x03B7;&#x03BD; &#x03C4;&#x1FC6;&#x03C2;<lb/>
&#x1F01;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C1;&#x03C4;&#x03AF;&#x03B1;&#x03C2;, den Betrug der Su&#x0364;nden nennet:<lb/>
Da man er&#x017F;tlich von der Su&#x0364;nde &#x017F;elb&#x017F;t unter<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[528/0530] Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 2. v. 1. 2. 3. Das Andere Capitel, Darinn Der Apoſtel die im erſten geſetzten Lehren von dem Grun- de unſers Heyls alſo ferner erlaͤutert/ daß er noch mit mehrern zeiget/ wie ſie nach allen aͤuſſerlichen Staͤnden in der Heyls-Ordnung/ ſonderlich bey der wuͤrdigen Nachfolge Chriſti/ zur Heiligung muͤſſen ange- wendet werden. V. 1. 2. 3. SO leget nun (da ihr aus dem un- vergaͤnglichen Samen des Evan- gelii wiedergeboren ſeyd zu einer lebendigen Hoffnung von eurer Seligkeit) ab alle Bosheit und allen Betrug und Heucheley, und Neid und Afterreden: Und ſeyd be- gierig nach der vernuͤnftigen lautern Milch, als die itzt gebornen Kindlein, auf daß ihr durch dieſelbe zunehmet: ſo ihr anders geſchmecket habet, daß der HERR (JEſus CHriſtus, unſer Heyland v. 4.) freund- lich iſt. Anmerckungen. 1. Damit man den Nachdruck dieſes Tex- tes ſo viel beſſer erkenne, ſo iſt es dienlich, daß er in ſeine unterſchiedene Glieder zertheilet, und nach denſelben inſonderheit betrachtet werde. Wir finden darinnen folgende Stuͤcke: 1. eine Abmahnung vom Boͤſen: 2. eine Anmah- nung zum Guten mit dem Zwecke: 3. den gedoppelten Grund, der einen zu beyden be- wegen ſoll. 2. Bey der Abmahnung iſt folgendes in- ſonderheit zu betrachten: a. Mit dem Woͤrtlein οὖν ſiehet der Apoſtel zu- ruͤck auf das, was er vorher c. 1, 22. von der Wiedergeburt geſaget hat, und ſetzet dieſe zum Grunde der Ablegung aller Untugenden. Und damit giebet er allen Lehrern eine noͤthi- ge Erinnerung, auf welche Art ſie den uſum epanorthoticum treiben ſollen, nemlich zwar nach dem Geſetze, aber aus einem Ev- angeliſchen Grunde: als daraus man zur wahren Unterlaſſung des Boͤſen alle Kraft hernehmen muß. Und eben dieſes haben auch alle Zuhoͤrer wohl zu bedencken, nemlich daß, wenn ſie hie und davon abgemahnet, o- der hie und dazu angemahnet werden, ſie da- bey immer auf die rechte Quelle der Gnaden zuruͤcke gehen, um daraus die geiſtlichen Kraͤf- te beydes zum Wollen und zum Vollbringen zu ſchoͤpfen. Auf welche Art Lehrer und Zu- hoͤrer dem leider ſehr gemeinen Pelagiani- smo entgehen. b. Das Wort κακία heißt alhier nicht eigent- lich Bosheit; als welches teutſche Wort ſonſt von den Griechen mit dem Worte πο- νηρία gegeben wird; wie man unter andern ſehen kan aus 1 Cor. 5, 8. da κακία von der πονηρία unterſchieden, aber auch keines von beyden eigentlich genug uͤberſetzet iſt. Denn da πονηρία eigentlich auf eine ſolche Bosheit gehet, welche mit Vorſatz geſchiehet, und uͤber den Menſchen herrſchet: ſo iſt κακία dasjenige Suͤnden-Ubel, welches auch bey den Wie- dergebornen, davon der Apoſtel alhier re- det, noch uͤbrig iſt, und uͤberhaupt in ſolchen Ausbruͤchen der Erb-Suͤnde, oder wirckli- chen Suͤnden beſtehet, welche aus einer ſol- chen Schwachheit herkommen, die da immer mehr abgeleget werden ſoll, und dagegen man ſich immer mehr beſtreben muß, zur rechten Staͤrcke des Geiſtes zu kommen. c. Und dieſe gemeinere Bedeutung dieſes Worts, daß es nemlich auf keine beſondere Suͤnde al- leine gehet, zeiget der Apoſtel auch damit an, wenn er das Wort πᾶσαν, alle dazu ſetzet. Welches denn dabey dieſen Nachdruck hat, daß man ja die Erb-Suͤnde in allen ihren Theilen recht angreifen und kein eintziges unbeſtritten und ungetoͤdtet in ſich laſſen muͤſſe: wie es leider bey manchen wol zu ge- ſchehen pfleget, daß ſie dieſe und jene Schoß- und Buſem-Suͤnde, zu welcher ſie, theils nach ihrem natuͤrlichen Temperamente und Erziehung, theils auch nach ihrer aͤuſſer- lichen Lebens-Art und vieler Veranlaſſung vor andern geneiget ſind, dieſe und jene ſuͤnd- liche Unart noch immer gerne an ſich behalten wollen, und alſo keinen rechten Ernſt in der Heiligung beweiſen. Womit ſie auch leicht- lich verurſachen, daß ſie nicht allein zum oͤf- tern davon uͤbereilet, ſondern auch wol gar wieder beherrſchet werden, gut Gewiſſen von ſich ſtoſſen und am Glauben Schiffbruch lei- den. 1 Tim. 1, 19. d. Und weil ſich κακία, die natuͤrliche und ſuͤnd- liche Unart inſonderheit, wie itzo gedacht, da- durch zu aͤuſſern pfleget, daß man nicht allem mit gleicher Verleugnung abſaget, ſondern ſich bey dem rechtſchafnen Chriſtenthum im- mer diß und das noch vorbehaͤlt, und ſolcher- geſtalt mit dem Gemuͤthe in einer Unlauter- keit ſtehen bleibet, ſo wird dieſe mit dem Wor- te δόλος, Betrug bezeichnet, und fodert der A- poſtel die Ablegung alles ſolchen Selbſtbetru- ges: welchen Paulus Hebr. 3, 13. ἀπάτην τῆς ἁμαρτίας, den Betrug der Suͤnden nennet: Da man erſtlich von der Suͤnde ſelbſt unter dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/530
Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/530>, abgerufen am 22.11.2024.