[Spaltenumbruch]
da war, da war es auch GOttes Wille nicht, daß ein Wunder geschehen solte. Hätten die Wun- der-Kräfte nur allein in der freyen Macht der Apostel bestanden, so würde Paulus Trophimum zu Mileto nicht kranck gelassen haben. 2 Tim. 4, v. 20.
8. Es ist ein offenbarer Mißbrauch dieses Orts, wenn sich die Römische Kirche bey dem er- tichteten besondern Sacramente der letztern Oelung darauf beziehet. Denn in der Aposto- lischen Kirche war die äusserliche Salbung ein blosses Zeichen der wunderthätigen Kraft, und ging eigentlich auf die Gesundmachung des Lei- bes: aber bey dem Mißbrauche soll sie eine geistli- che Kraft an sich selbst haben, und diese bey dem, zu dessen längern Leben alle Hoffnung aus ist, auf das ewige Leben gehen.
V. 16.
Bekenne einer dem andern seine Sün- de und betet für einander, daß ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
Anmerckungen.
1. Der Apostel redet alhier nicht mehr von dem vorhin gedachten Gebete des herzugerufnen Lehrers, sondern von dem gemeinschaftlichen Gebete der Gläubigen unter einander und für einander, welches sonderlich bey Besuchung der Krancken geschehen solte und konte. Denn diß siehet man aus den Worten: einer dem an- dern, für einander.
2. Weil der Apostel wohl wuste, daß die wunderthätige Gabe der Gesundmachung nicht allezeit statt funde, auch wol vorher sahe, daß sie in der Kirche nicht beständig seyn würde, so thut er zu der vorigen Erinnerung diese hinzu, um bey dem ausserordentlichen auch das ordentliche Mit- tel anzuweisen, oder zur thätigen Ubung dessen, was man dißfals schon wuste, zu erwecken.
3. Die alhier geforderte gemeinschaftliche Bekenntniß gehet eigentlich auf solche Sünden, die man wider den, gegen welchem man jene able- get, begangen hatte: da denn der andere sich auch zu prüfen hatte, ob er dem bekennenden nicht auch worinn sey anstößig gewesen: welches, wenn er es funden, er auch nicht zu verschweigen hatte. Und also ging diese Bekenntniß auf eine brüderli- che Versöhnung, welche auch bey gesunden Ta- gen geschehen soll, sonderlich aber auf dem Kran- cken-Bette. Hatte auch einer sonst ein gewisses Anliegen auf dem Hertzen, das ihn drückete, so konte es dem andern, zu dem man ein gutes Ver- trauen hatte, auch wol entdecket, und durch des- selben Fürbitte und Zusprache, eine Befreyung, oder Erleichterung davon gesuchet und erhalten werden. Es ist demnach alhier keines weges die Römische Ohren-Beichte, da man schuldig seyn soll, dem Beicht-Vater alle heimliche Sün- den zu bekennen, gegründet.
4. Man siehet hieraus, wie wohl das öf- fentliche Lehr-Amt mit dem geistlichen Priesterthum, oder mit der Erbauungs-Pflicht gläubiger Christen zusammen stehe, und beydes [Spaltenumbruch]
in einer wohl übereinstimmenden Ubung sich fin- den soll und könne. Denn v. 14. 15. siehet der Apostel auf jenes, v. 16. auf dieses.
5. Da der Bekenntniß der Sünden, an welchen der Mensch der Seelen nach kranck ist, gedacht wird, so gehet die durch das Gebet zu er- langende Gesundheit, ausser der leiblichen, auch mit auf die geistliche an der Seele.
6. Jn dem Satze: Das Gebet des Ge- rechten, wenn es ernstlich ist, vermag viel, kömmt es sonderlich auf die erstern Worte an. Denn das Vielvermögendependiret davon, daß ein Gebet sey eines Gerechten und dazu ernstlich.
7. Der Gerechte ist ein solcher, der in Christo die Glaubens-Gerechtigkeit hat, und sie in den innerlichen und äusserlichen Früchten seines Lebens vor GOtt und Menschen beweiset. Denn ist einer nicht ein solcher Gerechter; so fehlet es ihm am Glauben, ohne welches kein Ge- bet erhörlich ist Jac. 1, 6. u. f. auch am guten Ge- wissen, bey dessen Widerspruch niemand erhör- lich beten kan. Denn GOtt höret die Sünder nicht, sondern so iemand gottfürchtig ist, und thut seinen Willen, den höret er Joh. 9, 31. dar- um Johannes 1 Ep. c 3, 21. 22. spricht: Jhr Lieben, so uns unser Hertz nicht verdammet, so haben wir eine Freudigkeit zu GOTT: und was wir bitten, werden wir von ihm nehmen. Denn wir halten seine Gebote, und thun, was vor ihm gefällig ist. Siehe auch Sprüchw. 15, 29.
8. Es ist aber nicht genug, daß das Gebet sey ein Gebet eines Gerechten, sondern es muß dazu auch ernstlich seyn, das ist es muß mit rechter gläubiger Hertzens-Andacht und im Na- men Christi geschehen. Denn es kan einer zwar ein Gerechter seyn; aber es kan geschehen, daß er dieses und jenes Gebet nicht thut in rechter Glau- bens-Kraft, als ein Gerechter, sondern als einer, der mit seinem Gemüthe in grosser Zerstreuung stehet, dem es auch an der wahren Andacht und noch vielmehr an dem anhaltenden Ernste fehlet: als welche Schwachheit einem wahren Gerechten oft begegnen kan; dagegen er sich demnach wohl zu verwahren, und, wenn er darein gerathen ist, sich wieder durchzukämpfen hat, um zu einer gläubigen und stillen Fassung des Gemüths, wor- innen man erhörlich beten kan, zu kommen.
9. Man muß aber auch den Ernst des Ge- bets nicht eigentlich in einer solchen Brünstig- keit setzen, welche man in den äusserlichen Sin- nen fühlet. Denn bey dieser kan sich gar leicht viele Natur-Kraft eines erregten Geblüts und eines etwas hitzigern Temperaments mit ein- finden, also daß die Andacht zwar nicht ohne Gnade, aber doch nicht aus lauter Gnade ist. Es kan demnach ein Gebet ernstlich, und auch in seinem Theile brünstig seyn, wenn schon kein heftiger Affect, oder Trieb sich dabey befindet, sondern es, gleich einem stillen, aber doch schnell- fliessenden, Wasser-Strome gleich, im stillen Sabbate der Seelen mit gläubiger Gelassenheit und vielem Anhalten, oder öftern Wiederholen zu unterschiedlichen Zeiten geschiehet, und das
Hertz
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Cap. 5. v. 14-16. Erklaͤrung des Briefes Jacobi.
[Spaltenumbruch]
da war, da war es auch GOttes Wille nicht, daß ein Wunder geſchehen ſolte. Haͤtten die Wun- der-Kraͤfte nur allein in der freyen Macht der Apoſtel beſtanden, ſo wuͤrde Paulus Trophimum zu Mileto nicht kranck gelaſſen haben. 2 Tim. 4, v. 20.
8. Es iſt ein offenbarer Mißbrauch dieſes Orts, wenn ſich die Roͤmiſche Kirche bey dem er- tichteten beſondern Sacramente der letztern Oelung darauf beziehet. Denn in der Apoſto- liſchen Kirche war die aͤuſſerliche Salbung ein bloſſes Zeichen der wunderthaͤtigen Kraft, und ging eigentlich auf die Geſundmachung des Lei- bes: aber bey dem Mißbrauche ſoll ſie eine geiſtli- che Kraft an ſich ſelbſt haben, und dieſe bey dem, zu deſſen laͤngern Leben alle Hoffnung aus iſt, auf das ewige Leben gehen.
V. 16.
Bekenne einer dem andern ſeine Suͤn- de und betet fuͤr einander, daß ihr geſund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernſtlich iſt.
Anmerckungen.
1. Der Apoſtel redet alhier nicht mehr von dem vorhin gedachten Gebete des herzugerufnen Lehrers, ſondern von dem gemeinſchaftlichen Gebete der Glaͤubigen unter einander und fuͤr einander, welches ſonderlich bey Beſuchung der Krancken geſchehen ſolte und konte. Denn diß ſiehet man aus den Worten: einer dem an- dern, fuͤr einander.
2. Weil der Apoſtel wohl wuſte, daß die wunderthaͤtige Gabe der Geſundmachung nicht allezeit ſtatt funde, auch wol vorher ſahe, daß ſie in der Kirche nicht beſtaͤndig ſeyn wuͤrde, ſo thut er zu der vorigen Erinnerung dieſe hinzu, um bey dem auſſerordentlichen auch das ordentliche Mit- tel anzuweiſen, oder zur thaͤtigen Ubung deſſen, was man dißfals ſchon wuſte, zu erwecken.
3. Die alhier geforderte gemeinſchaftliche Bekenntniß gehet eigentlich auf ſolche Suͤnden, die man wider den, gegen welchem man jene able- get, begangen hatte: da denn der andere ſich auch zu pruͤfen hatte, ob er dem bekennenden nicht auch worinn ſey anſtoͤßig geweſen: welches, wenn er es funden, er auch nicht zu verſchweigen hatte. Und alſo ging dieſe Bekenntniß auf eine bruͤderli- che Verſoͤhnung, welche auch bey geſunden Ta- gen geſchehen ſoll, ſonderlich aber auf dem Kran- cken-Bette. Hatte auch einer ſonſt ein gewiſſes Anliegen auf dem Hertzen, das ihn druͤckete, ſo konte es dem andern, zu dem man ein gutes Ver- trauen hatte, auch wol entdecket, und durch deſ- ſelben Fuͤrbitte und Zuſprache, eine Befreyung, oder Erleichterung davon geſuchet und erhalten werden. Es iſt demnach alhier keines weges die Roͤmiſche Ohren-Beichte, da man ſchuldig ſeyn ſoll, dem Beicht-Vater alle heimliche Suͤn- den zu bekennen, gegruͤndet.
4. Man ſiehet hieraus, wie wohl das oͤf- fentliche Lehr-Amt mit dem geiſtlichen Prieſterthum, oder mit der Erbauungs-Pflicht glaͤubiger Chriſten zuſammen ſtehe, und beydes [Spaltenumbruch]
in einer wohl uͤbereinſtimmenden Ubung ſich fin- den ſoll und koͤnne. Denn v. 14. 15. ſiehet der Apoſtel auf jenes, v. 16. auf dieſes.
5. Da der Bekenntniß der Suͤnden, an welchen der Menſch der Seelen nach kranck iſt, gedacht wird, ſo gehet die durch das Gebet zu er- langende Geſundheit, auſſer der leiblichen, auch mit auf die geiſtliche an der Seele.
6. Jn dem Satze: Das Gebet des Ge- rechten, wenn es ernſtlich iſt, vermag viel, koͤmmt es ſonderlich auf die erſtern Worte an. Denn das Vielvermoͤgendependiret davon, daß ein Gebet ſey eines Gerechten und dazu ernſtlich.
7. Der Gerechte iſt ein ſolcher, der in Chriſto die Glaubens-Gerechtigkeit hat, und ſie in den innerlichen und aͤuſſerlichen Fruͤchten ſeines Lebens vor GOtt und Menſchen beweiſet. Denn iſt einer nicht ein ſolcher Gerechter; ſo fehlet es ihm am Glauben, ohne welches kein Ge- bet erhoͤrlich iſt Jac. 1, 6. u. f. auch am guten Ge- wiſſen, bey deſſen Widerſpruch niemand erhoͤr- lich beten kan. Denn GOtt hoͤret die Suͤnder nicht, ſondern ſo iemand gottfuͤrchtig iſt, und thut ſeinen Willen, den hoͤret er Joh. 9, 31. dar- um Johannes 1 Ep. c 3, 21. 22. ſpricht: Jhr Lieben, ſo uns unſer Hertz nicht verdammet, ſo haben wir eine Freudigkeit zu GOTT: und was wir bitten, werden wir von ihm nehmen. Denn wir halten ſeine Gebote, und thun, was vor ihm gefaͤllig iſt. Siehe auch Spruͤchw. 15, 29.
8. Es iſt aber nicht genug, daß das Gebet ſey ein Gebet eines Gerechten, ſondern es muß dazu auch ernſtlich ſeyn, das iſt es muß mit rechter glaͤubiger Hertzens-Andacht und im Na- men Chriſti geſchehen. Denn es kan einer zwar ein Gerechter ſeyn; aber es kan geſchehen, daß er dieſes und jenes Gebet nicht thut in rechter Glau- bens-Kraft, als ein Gerechter, ſondern als einer, der mit ſeinem Gemuͤthe in groſſer Zerſtreuung ſtehet, dem es auch an der wahren Andacht und noch vielmehr an dem anhaltenden Ernſte fehlet: als welche Schwachheit einem wahren Gerechten oft begegnen kan; dagegen er ſich demnach wohl zu verwahren, und, wenn er darein gerathen iſt, ſich wieder durchzukaͤmpfen hat, um zu einer glaͤubigen und ſtillen Faſſung des Gemuͤths, wor- innen man erhoͤrlich beten kan, zu kommen.
9. Man muß aber auch den Ernſt des Ge- bets nicht eigentlich in einer ſolchen Bruͤnſtig- keit ſetzen, welche man in den aͤuſſerlichen Sin- nen fuͤhlet. Denn bey dieſer kan ſich gar leicht viele Natur-Kraft eines erregten Gebluͤts und eines etwas hitzigern Temperaments mit ein- finden, alſo daß die Andacht zwar nicht ohne Gnade, aber doch nicht aus lauter Gnade iſt. Es kan demnach ein Gebet ernſtlich, und auch in ſeinem Theile bruͤnſtig ſeyn, wenn ſchon kein heftiger Affect, oder Trieb ſich dabey befindet, ſondern es, gleich einem ſtillen, aber doch ſchnell- flieſſenden, Waſſer-Strome gleich, im ſtillen Sabbate der Seelen mit glaͤubiger Gelaſſenheit und vielem Anhalten, oder oͤftern Wiederholen zu unterſchiedlichen Zeiten geſchiehet, und das
Hertz
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Cap. 5. v. 14-16. Erklaͤrung des Briefes Jacobi.
da war, da war es auch GOttes Wille nicht, daß
ein Wunder geſchehen ſolte. Haͤtten die Wun-
der-Kraͤfte nur allein in der freyen Macht der
Apoſtel beſtanden, ſo wuͤrde Paulus Trophimum
zu Mileto nicht kranck gelaſſen haben. 2 Tim. 4,
v. 20.
8. Es iſt ein offenbarer Mißbrauch dieſes
Orts, wenn ſich die Roͤmiſche Kirche bey dem er-
tichteten beſondern Sacramente der letztern
Oelung darauf beziehet. Denn in der Apoſto-
liſchen Kirche war die aͤuſſerliche Salbung ein
bloſſes Zeichen der wunderthaͤtigen Kraft, und
ging eigentlich auf die Geſundmachung des Lei-
bes: aber bey dem Mißbrauche ſoll ſie eine geiſtli-
che Kraft an ſich ſelbſt haben, und dieſe bey dem,
zu deſſen laͤngern Leben alle Hoffnung aus iſt, auf
das ewige Leben gehen.
V. 16.
Bekenne einer dem andern ſeine Suͤn-
de und betet fuͤr einander, daß ihr geſund
werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel,
wenn es ernſtlich iſt.
Anmerckungen.
1. Der Apoſtel redet alhier nicht mehr von
dem vorhin gedachten Gebete des herzugerufnen
Lehrers, ſondern von dem gemeinſchaftlichen
Gebete der Glaͤubigen unter einander und fuͤr
einander, welches ſonderlich bey Beſuchung der
Krancken geſchehen ſolte und konte. Denn diß
ſiehet man aus den Worten: einer dem an-
dern, fuͤr einander.
2. Weil der Apoſtel wohl wuſte, daß die
wunderthaͤtige Gabe der Geſundmachung nicht
allezeit ſtatt funde, auch wol vorher ſahe, daß ſie
in der Kirche nicht beſtaͤndig ſeyn wuͤrde, ſo thut
er zu der vorigen Erinnerung dieſe hinzu, um bey
dem auſſerordentlichen auch das ordentliche Mit-
tel anzuweiſen, oder zur thaͤtigen Ubung deſſen,
was man dißfals ſchon wuſte, zu erwecken.
3. Die alhier geforderte gemeinſchaftliche
Bekenntniß gehet eigentlich auf ſolche Suͤnden,
die man wider den, gegen welchem man jene able-
get, begangen hatte: da denn der andere ſich auch
zu pruͤfen hatte, ob er dem bekennenden nicht auch
worinn ſey anſtoͤßig geweſen: welches, wenn er
es funden, er auch nicht zu verſchweigen hatte.
Und alſo ging dieſe Bekenntniß auf eine bruͤderli-
che Verſoͤhnung, welche auch bey geſunden Ta-
gen geſchehen ſoll, ſonderlich aber auf dem Kran-
cken-Bette. Hatte auch einer ſonſt ein gewiſſes
Anliegen auf dem Hertzen, das ihn druͤckete, ſo
konte es dem andern, zu dem man ein gutes Ver-
trauen hatte, auch wol entdecket, und durch deſ-
ſelben Fuͤrbitte und Zuſprache, eine Befreyung,
oder Erleichterung davon geſuchet und erhalten
werden. Es iſt demnach alhier keines weges die
Roͤmiſche Ohren-Beichte, da man ſchuldig
ſeyn ſoll, dem Beicht-Vater alle heimliche Suͤn-
den zu bekennen, gegruͤndet.
4. Man ſiehet hieraus, wie wohl das oͤf-
fentliche Lehr-Amt mit dem geiſtlichen
Prieſterthum, oder mit der Erbauungs-Pflicht
glaͤubiger Chriſten zuſammen ſtehe, und beydes
in einer wohl uͤbereinſtimmenden Ubung ſich fin-
den ſoll und koͤnne. Denn v. 14. 15. ſiehet der
Apoſtel auf jenes, v. 16. auf dieſes.
5. Da der Bekenntniß der Suͤnden, an
welchen der Menſch der Seelen nach kranck iſt,
gedacht wird, ſo gehet die durch das Gebet zu er-
langende Geſundheit, auſſer der leiblichen, auch
mit auf die geiſtliche an der Seele.
6. Jn dem Satze: Das Gebet des Ge-
rechten, wenn es ernſtlich iſt, vermag viel,
koͤmmt es ſonderlich auf die erſtern Worte an.
Denn das Vielvermoͤgen dependiret davon,
daß ein Gebet ſey eines Gerechten und dazu
ernſtlich.
7. Der Gerechte iſt ein ſolcher, der in
Chriſto die Glaubens-Gerechtigkeit hat, und
ſie in den innerlichen und aͤuſſerlichen Fruͤchten
ſeines Lebens vor GOtt und Menſchen beweiſet.
Denn iſt einer nicht ein ſolcher Gerechter; ſo
fehlet es ihm am Glauben, ohne welches kein Ge-
bet erhoͤrlich iſt Jac. 1, 6. u. f. auch am guten Ge-
wiſſen, bey deſſen Widerſpruch niemand erhoͤr-
lich beten kan. Denn GOtt hoͤret die Suͤnder
nicht, ſondern ſo iemand gottfuͤrchtig iſt, und
thut ſeinen Willen, den hoͤret er Joh. 9, 31. dar-
um Johannes 1 Ep. c 3, 21. 22. ſpricht: Jhr
Lieben, ſo uns unſer Hertz nicht verdammet,
ſo haben wir eine Freudigkeit zu GOTT:
und was wir bitten, werden wir von ihm
nehmen. Denn wir halten ſeine Gebote,
und thun, was vor ihm gefaͤllig iſt. Siehe
auch Spruͤchw. 15, 29.
8. Es iſt aber nicht genug, daß das Gebet
ſey ein Gebet eines Gerechten, ſondern es muß
dazu auch ernſtlich ſeyn, das iſt es muß mit
rechter glaͤubiger Hertzens-Andacht und im Na-
men Chriſti geſchehen. Denn es kan einer zwar
ein Gerechter ſeyn; aber es kan geſchehen, daß er
dieſes und jenes Gebet nicht thut in rechter Glau-
bens-Kraft, als ein Gerechter, ſondern als einer,
der mit ſeinem Gemuͤthe in groſſer Zerſtreuung
ſtehet, dem es auch an der wahren Andacht und
noch vielmehr an dem anhaltenden Ernſte fehlet:
als welche Schwachheit einem wahren Gerechten
oft begegnen kan; dagegen er ſich demnach wohl
zu verwahren, und, wenn er darein gerathen iſt,
ſich wieder durchzukaͤmpfen hat, um zu einer
glaͤubigen und ſtillen Faſſung des Gemuͤths, wor-
innen man erhoͤrlich beten kan, zu kommen.
9. Man muß aber auch den Ernſt des Ge-
bets nicht eigentlich in einer ſolchen Bruͤnſtig-
keit ſetzen, welche man in den aͤuſſerlichen Sin-
nen fuͤhlet. Denn bey dieſer kan ſich gar leicht
viele Natur-Kraft eines erregten Gebluͤts und
eines etwas hitzigern Temperaments mit ein-
finden, alſo daß die Andacht zwar nicht ohne
Gnade, aber doch nicht aus lauter Gnade iſt. Es
kan demnach ein Gebet ernſtlich, und auch in
ſeinem Theile bruͤnſtig ſeyn, wenn ſchon kein
heftiger Affect, oder Trieb ſich dabey befindet,
ſondern es, gleich einem ſtillen, aber doch ſchnell-
flieſſenden, Waſſer-Strome gleich, im ſtillen
Sabbate der Seelen mit glaͤubiger Gelaſſenheit
und vielem Anhalten, oder oͤftern Wiederholen
zu unterſchiedlichen Zeiten geſchiehet, und das
Hertz
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/491>, abgerufen am 13.06.2024.
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