Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.Richtige und erbauliche Cap. 1. v. 14-15. [Spaltenumbruch]
allen Menschen, thut sich aber mit ihrer Herr-schaft also hervor, daß die gedachten drey Haupt-Sünden alle übrige in sich halten und aus sich gebären. e. Es ist aber wohl zu mercken, daß mit dieser den Willen des Menschen verunreinigenden und beherrschenden bösen Lust auch die Finsterniß des Verstandes verknüpfet ist, und mit zu der Erb-Sünde und bösen Lust gehöret; obgleich ihrer alhier nicht ausdrücklich gedacht wird: gleichwie es hingegen Eph. 5, 8. von den unbe- kehrten sonderlich in Ansehung der Erb-Sünde heisset: ihr waret weiland Finsterniß, ohne der Lust dabey ausdrücklich zu geden- cken. 3. Nun haben wir von dem, wie sich die a. Die innerliche böse Lust thut sich hervor durch eine innerliche Reitzung, durch welche man, nach der eigentlichen Bedeutung des Worts exelkein, von innern ausser sich selbst gezogen und vom rechten Wege abgebracht wird. b. Diese ziehende und verführende Reitzung wird durch das dazu gesetzte Wort deleazomenos er- läutert welches so viel heißt, als dergestat an- locken, wie ein Fisch zum Angel, der Vogel zum Sprenckel, eine Maus zur Falle durch eine ge- wisse Lockspeise gereitzet wird. Man lieset es im gleichen Verstande 2 Pet. 2, 14, 18. Und daher ist das Lateinische Sprichwort gekommen: voluptas esca malorum, die Lust reitzet zu vielen Sünden. c. Es hat zwar das Ansehen, als wenn die Din- ge, auf welche die Lust fällt, eigentlich eine an- ziehende Kraft in sich hätten: allein die Schuld lieget nicht in dem Objecto, oder einer solchen Sache, sondern an der Lust selbst, denn weil der Mensch durch die Erb-Sünde mit seiner Begierde von GOtt abgetreten ist, und sie doch gleichwol etwas suchen wollen, darinnen sie ih- re vergnügliche Ruhe haben, so suchen sie solche ausser GOtt in solchen Dingen, darinn sie gar nicht zu finden ist, sondern dadurch die unselige Unruhe nur noch immer mehr vermehret wird. d. Der grösseste Betrug lieget bey der Lust da- rinn, daß sie einem die Sünde, oder die böse Handlung, zu welcher man gereitzet wird, als etwas gutes vorstellet. Und da ist theils der Verstand so verdüstert, daß er durch den Schein des guten nicht hindurch siehet, oder, wenn er auch solches einiger massen thut, so ist doch der Schmack des Willens so verwehnet, daß ihm das, wovor ihm grauen solte, so ange- nehm ist. Daher leichtlich zu erachten ist, was für eine grosse Veränderung bey dem Menschen vorgehen müsse. e. Die Reitzungen und Lockungen selbst sind die ersten Bewegungen, welche aus dem bö- sen Grunde der Seele aufsteigen; ob nun gleich der Mensch dieselbe würcklich empfindet und sie in so fern auch zu den wircklichen Sünden gerechnet werden könten: so gehören sie doch eigentlich noch zur Erb-Sünde, nemlich in so fern die Einwilligung noch nicht dazu kömmt. 4. Was die würckliche Sünde betrift so 5. Von dem Texte selbst haben wir noch 6. Die erste Stufe bestehet in der Em- 7. Die andere Stufe bestehet in der Ge- 8. Die dritte Stufe der würcklichen bey
Richtige und erbauliche Cap. 1. v. 14-15. [Spaltenumbruch]
allen Menſchen, thut ſich aber mit ihrer Herr-ſchaft alſo hervor, daß die gedachten drey Haupt-Suͤnden alle uͤbrige in ſich halten und aus ſich gebaͤren. e. Es iſt aber wohl zu mercken, daß mit dieſer den Willen des Menſchen verunreinigenden und beherrſchenden boͤſen Luſt auch die Finſterniß des Verſtandes verknuͤpfet iſt, und mit zu der Erb-Suͤnde und boͤſen Luſt gehoͤret; obgleich ihrer alhier nicht ausdruͤcklich gedacht wird: gleichwie es hingegen Eph. 5, 8. von den unbe- kehrten ſonderlich in Anſehung der Erb-Suͤnde heiſſet: ihr waret weiland Finſterniß, ohne der Luſt dabey ausdruͤcklich zu geden- cken. 3. Nun haben wir von dem, wie ſich die a. Die innerliche boͤſe Luſt thut ſich hervor durch eine innerliche Reitzung, durch welche man, nach der eigentlichen Bedeutung des Worts ἐξέλκειν, von innern auſſer ſich ſelbſt gezogen und vom rechten Wege abgebracht wird. b. Dieſe ziehende und verfuͤhrende Reitzung wird durch das dazu geſetzte Wort δελεαζόμενος er- laͤutert welches ſo viel heißt, als dergeſtat an- locken, wie ein Fiſch zum Angel, der Vogel zum Sprenckel, eine Maus zur Falle durch eine ge- wiſſe Lockſpeiſe gereitzet wird. Man lieſet es im gleichen Verſtande 2 Pet. 2, 14, 18. Und daher iſt das Lateiniſche Sprichwort gekommen: voluptas eſca malorum, die Luſt reitzet zu vielen Suͤnden. c. Es hat zwar das Anſehen, als wenn die Din- ge, auf welche die Luſt faͤllt, eigentlich eine an- ziehende Kraft in ſich haͤtten: allein die Schuld lieget nicht in dem Objecto, oder einer ſolchen Sache, ſondern an der Luſt ſelbſt, denn weil der Menſch durch die Erb-Suͤnde mit ſeiner Begierde von GOtt abgetreten iſt, und ſie doch gleichwol etwas ſuchen wollen, darinnen ſie ih- re vergnuͤgliche Ruhe haben, ſo ſuchen ſie ſolche auſſer GOtt in ſolchen Dingen, darinn ſie gar nicht zu finden iſt, ſondern dadurch die unſelige Unruhe nur noch immer mehr vermehret wird. d. Der groͤſſeſte Betrug lieget bey der Luſt da- rinn, daß ſie einem die Suͤnde, oder die boͤſe Handlung, zu welcher man gereitzet wird, als etwas gutes vorſtellet. Und da iſt theils der Verſtand ſo verduͤſtert, daß er durch den Schein des guten nicht hindurch ſiehet, oder, wenn er auch ſolches einiger maſſen thut, ſo iſt doch der Schmack des Willens ſo verwehnet, daß ihm das, wovor ihm grauen ſolte, ſo ange- nehm iſt. Daher leichtlich zu erachten iſt, was fuͤr eine groſſe Veraͤnderung bey dem Menſchen vorgehen muͤſſe. e. Die Reitzungen und Lockungen ſelbſt ſind die erſten Bewegungen, welche aus dem boͤ- ſen Grunde der Seele aufſteigen; ob nun gleich der Menſch dieſelbe wuͤrcklich empfindet und ſie in ſo fern auch zu den wircklichen Suͤnden gerechnet werden koͤnten: ſo gehoͤren ſie doch eigentlich noch zur Erb-Suͤnde, nemlich in ſo fern die Einwilligung noch nicht dazu koͤmmt. 4. Was die wuͤrckliche Suͤnde betrift ſo 5. Von dem Texte ſelbſt haben wir noch 6. Die erſte Stufe beſtehet in der Em- 7. Die andere Stufe beſtehet in der Ge- 8. Die dritte Stufe der wuͤrcklichen bey
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Richtige und erbauliche Cap. 1. v. 14-15.
allen Menſchen, thut ſich aber mit ihrer Herr-
ſchaft alſo hervor, daß die gedachten drey
Haupt-Suͤnden alle uͤbrige in ſich halten und
aus ſich gebaͤren.
e. Es iſt aber wohl zu mercken, daß mit dieſer den
Willen des Menſchen verunreinigenden und
beherrſchenden boͤſen Luſt auch die Finſterniß
des Verſtandes verknuͤpfet iſt, und mit zu der
Erb-Suͤnde und boͤſen Luſt gehoͤret; obgleich
ihrer alhier nicht ausdruͤcklich gedacht wird:
gleichwie es hingegen Eph. 5, 8. von den unbe-
kehrten ſonderlich in Anſehung der Erb-Suͤnde
heiſſet: ihr waret weiland Finſterniß,
ohne der Luſt dabey ausdruͤcklich zu geden-
cken.
3. Nun haben wir von dem, wie ſich die
Erb-Suͤnde zuerſt aͤuſſere folgendes zu mercken:
a. Die innerliche boͤſe Luſt thut ſich hervor durch
eine innerliche Reitzung, durch welche man,
nach der eigentlichen Bedeutung des Worts
ἐξέλκειν, von innern auſſer ſich ſelbſt gezogen
und vom rechten Wege abgebracht wird.
b. Dieſe ziehende und verfuͤhrende Reitzung wird
durch das dazu geſetzte Wort δελεαζόμενος er-
laͤutert welches ſo viel heißt, als dergeſtat an-
locken, wie ein Fiſch zum Angel, der Vogel zum
Sprenckel, eine Maus zur Falle durch eine ge-
wiſſe Lockſpeiſe gereitzet wird. Man lieſet es im
gleichen Verſtande 2 Pet. 2, 14, 18. Und daher
iſt das Lateiniſche Sprichwort gekommen:
voluptas eſca malorum, die Luſt reitzet
zu vielen Suͤnden.
c. Es hat zwar das Anſehen, als wenn die Din-
ge, auf welche die Luſt faͤllt, eigentlich eine an-
ziehende Kraft in ſich haͤtten: allein die Schuld
lieget nicht in dem Objecto, oder einer ſolchen
Sache, ſondern an der Luſt ſelbſt, denn weil
der Menſch durch die Erb-Suͤnde mit ſeiner
Begierde von GOtt abgetreten iſt, und ſie doch
gleichwol etwas ſuchen wollen, darinnen ſie ih-
re vergnuͤgliche Ruhe haben, ſo ſuchen ſie ſolche
auſſer GOtt in ſolchen Dingen, darinn ſie gar
nicht zu finden iſt, ſondern dadurch die unſelige
Unruhe nur noch immer mehr vermehret wird.
d. Der groͤſſeſte Betrug lieget bey der Luſt da-
rinn, daß ſie einem die Suͤnde, oder die boͤſe
Handlung, zu welcher man gereitzet wird, als
etwas gutes vorſtellet. Und da iſt theils der
Verſtand ſo verduͤſtert, daß er durch den
Schein des guten nicht hindurch ſiehet, oder,
wenn er auch ſolches einiger maſſen thut, ſo iſt
doch der Schmack des Willens ſo verwehnet,
daß ihm das, wovor ihm grauen ſolte, ſo ange-
nehm iſt. Daher leichtlich zu erachten iſt, was
fuͤr eine groſſe Veraͤnderung bey dem Menſchen
vorgehen muͤſſe.
e. Die Reitzungen und Lockungen ſelbſt ſind
die erſten Bewegungen, welche aus dem boͤ-
ſen Grunde der Seele aufſteigen; ob nun gleich
der Menſch dieſelbe wuͤrcklich empfindet und
ſie in ſo fern auch zu den wircklichen Suͤnden
gerechnet werden koͤnten: ſo gehoͤren ſie doch
eigentlich noch zur Erb-Suͤnde, nemlich in ſo
fern die Einwilligung noch nicht dazu koͤmmt.
4. Was die wuͤrckliche Suͤnde betrift ſo
haben wir davon, nach dem gegenwaͤrtigen Texte,
zuvorderſt dieſes zu mercken, daß der Apoſtel al-
hier in ſo fern, als ſie von den Wiedergebornen
begangen wird, oder doch wenn ſie ſich nicht huͤten,
begangen werden kan, davon gehandelt. Wel-
ches man daraus ſiehet, daß er des Todes geden-
cket, darein man durch die vollendete Suͤnde ver-
falle. Denn da die unbekehrten Menſchen ſchon
im geiſtlichen Tode liegen und durch ihre Suͤn-
den der geiſtliche Tod eigentlich nur fortgeſetzet,
oder an den Tag geleget wird, ſo kan jenes, nem-
lich ſich erſt den Tod zuziehen, von ihnen nicht ge-
ſaget werden. Es will demnach Jacobus alhier
ſoviel ſagen, als Paulus, wenn er Roͤm. 8, 13 von
den Glaͤubigen welche das geiſtliche Leben in ſich
hatten, ſpricht: Wo ihr nach dem Fleiſche
lebet, ſo werdet ihr ſterben. Siehe auch c. 4,
23. von dem Tode, als der Suͤnden Sold.
5. Von dem Texte ſelbſt haben wir noch
zweyerley zu betrachten: erſtlich die Stufen
der wuͤrcklichen Suͤnde: und denn die unſeli-
ge Frucht des Todes, die daraus entſtehet.
Der Stufen ſind drey: erſtlich die Empfaͤng-
niß, hernach die Geburt der Suͤnde, und denn
derſelben Vollendung. Da denn die Redens-
Arten von der leiblichen Geburt hergenommen
ſind.
6. Die erſte Stufe beſtehet in der Em-
pfaͤngniß, wodurch der Beyfall und die Ein-
willigung zu verſtehen iſt. Denn was die Em-
pfaͤngniß des Samens iſt zu der Leibes-Frucht
und der Geburt ſelbſt, das iſt die Einwilligung
bey der boͤſen reitzenden Luſt, als dem Samen al-
ler wuͤrcklichen Suͤnden. Es beſtehet demnach
die Einwilligung darinnen, daß wenn der Menſch
ſich durch die Luſt hierzu und darzu gereitzet findet,
er derſelben nicht widerſtehet, und ſie durch die
ihm beywohnende Gnaden-Kraft nicht in ſich
daͤmpfet, ſondern ſie in ſich heget, und ſeinen
Wohlgefallen daran hat. Dadurch geſchiehet
die Empfaͤngniß der Suͤnde.
7. Die andere Stufe beſtehet in der Ge-
burt der Suͤnde, das iſt in einer ſolchen innerli-
chen Gemuͤths-Beſchaffenheit, da die Suͤnde
zwar innerlich ſchon wuͤrcklich begangen wird,
aber doch von dem noch uͤbrigen, obwol durch die
Empfaͤngniß ſchon ſehr geſchwaͤchten, geiſtlichen
Leben noch ſoviel Widerſtand findet, daß die Ein-
willigung noch nicht recht voͤllig iſt und noch nicht
zur gaͤntzlichen Herrſchaft koͤmmt. Wie es denn
alſo bey dem Ruͤckfall zu gehen pfleget, daß er nicht
auf einmal geſchiehet, ſondern der Menſch durch
Unlauterkeit und Untreue dazu immer naͤher
koͤmmt. Unter deſſen herrſchet doch die Suͤnde
ſchon im Hertzen, und der heilige Geiſt, da ſeine
geheime Zuͤchtigungen nicht geachtet werden, wird
betruͤbet, wie Paulus ſpricht und dagegen warnet
E h 4, 30.
8. Die dritte Stufe der wuͤrcklichen
Suͤnde iſt die Vollendung, oder Vollbrin-
gung der durch die Empfaͤngniß entſtandenen
Suͤnde. Dieſe Vollendung geſchiehet nun nicht
allein aͤuſſerlich durch die Vollbringung der
wuͤrcklichen That, ſondern auch innerlich, und
beſtehet in einem ſolchen Grund der Einwilligung
bey
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