1. Zuvorderst ist die Verbindung dieser Verse mit den vorhergehenden wohl zu mercken. Der Apostel ziehet alhier aus dem vorhergehenden Context einen Schluß von dem, oder auf das, was er im Briefe sonderlich abhandeln wolle. Dieser Schluß und Vorsatz ist: ich will zur Voll- kommenheit fahren, die schwerern Materien abhandeln, und die leichtern itzo bey Seite setzen. Nun aber fräget sich, wie dieser Schluß aus dem vorhergehenden Texte folge, also daß er die parti- culdarum habe gebrauchen können. Da ist es nun wol am füglichsten, den letzten Vers des fünften Capitels also anzunehmen, daß er nicht allein einen Gegensatz von den Vollkommnen auf die Anfänger, sondern auch zugleich einen Satz von jenen in der Absicht auf viele Vollkommene unter den Hebräern in sich halte. Zwar hat der Apo- stel vorher von den Hebräern das Gegentheil be- zeuget, nemlich daß sie unverständig und träge und den jungen Kindern gleich wären: allein daß er dieses nicht von allen verstanden habe, das brin- get nicht allein die Sache mit sich; sintemal es nicht zu vermuthen ist, daß alle gläubige Hebrä- er solche gewesen sind: sondern er bezeuget es auch damit deutlich genug, daß er würcklich solche Leh- ren, welche eine starcke Speise waren, und nicht für die Anfänger gehöreten, vorträget, von ihnen auch c. 10, 32. 33. 34. solche Proben anführet, wel- che gewißlich ein recht männliches Alter im Chri- stenthum anzeigten. So ist auch nichts gemei- ners in den Apostolischen Briefen, als daß darin- nen gewisse Stellen vorkommen, welche, ob sie gleich an sich selbst eines generalen Verstandes sind, dennoch dem übrigen Context nach nicht von allen insgemein, sondern nur von einer gewissen Art Leute in der Gemeine zu verstehen sind. Wenn wir nun dieses voraus setzen, daß unter den gläu- bigen Hebräern, ausser den Schwächern, auch viele Stärckere, oder Vollkommene gewesen sind, und der Apostel dieses wie anderwärtig im Briefe selbst, nemlich c. 6, 10. c. 10, 32. 33. 34. also auch mit den letztern Worten des fünften Capitels an- zeiget: so ist die Connexion richtig, nemlich diese, daß weil unter den Hebräern auch viele Voll- kommene wären, so wolle er in Ansehung dersel- ben zur Vollkommenheit fahren, hingegen aber die zum Anfange gehörende Lehren itzo zurück se- tzen.
2. Die Teutschen Worte die Lehre vom Anfange Christliches Lebens, lauten im Grie- chischen nicht also: sondern sie reden vom An- fange der Lehre Christi. Da denn durch die Lehre Christi verstanden wird die Lehre von Christo und der Christlichen Religion: und der Anfang davon gehet auf diejenigen Stücke, welche man den Anfängern pflegte zu erst vorzu- tragen; welche der Apostel auch gleich darauf zum theil benennet, und das Wort Anfang da- bey von dem Grunde erkläret, da er bezeuget, daß er den Grund nicht erst aufs neue wie- der legen wolle.
3. Durch die Vollkommenheit verstehet [Spaltenumbruch]
er alhier nach dem Contexte einen solchen Vor- trag von dem Geheimniß Christi und seines Reichs, welcher sich als eine starcke Speise für die Vollkommenen schicke. Und zu dieser will der Apostel pheresthai, fahren, das ist mit einem be- sondern Triebe in aller Hertzens-Lust dazu schrei- ten. Welches er denn nicht allein in der Zahl der Vielheit sondern auch Wunsches Weise, phero- metha, lasset uns fahren, außspricht, und damit die Hebräer nebst sich ermahnet, daß, wie er im Lehren, sie auch im lernen, und beyderseits in würcklicher Ubung, sich die Vollkommenheit, oder den Wachsthum, möchten recht angelegen seyn lassen.
4. Aus dem, was der Apostel von dem fah- ren zur Vollkommenheit und der Grundle- gung schreibet, sehen wir die Apostolische Lehr- Art, wie sie sich nicht nach ihren hohen Gaben, sondern nach der Beschaffenheit der Zuhörer ge- richtet, und sich mit jenen zu diesen herunter gelas- sen haben. Da sie denn erstlich, gleichsam durch catechisiren, den Grund geleget mit den leichte- sten und solchen Lehren, darauf alles andere nach und nach füglich konnte gebauet werden. Wel- ches sie also gethan, daß sie nichts zurück gelassen von dem gantzen Rathe GOttes, nach Ap. Gesch. 20, 27. Darinnen ihnen billig alle recht- schaffene Lehrer nach folgen; nicht weniger auch die Zuhörer, daß sie sich nicht allein gründen, son- dern auch zu mehrer Vollkommenheit führen las- sen. Welches auch so viel gesegneter geschehen wird, soviel mehr an dem Lehrer selbst die rechte Evangelische Lauterkeit und Vollkommenheit in der Lehre und im Leben offenbar ist.
5. Derer Stücke, welche der Apostel zu dem Anfange rechnet, benennet er sechse, nem- lich 1. Die Busse von den todten Wercken. 2. Den Glauben an GOtt. 3. Die Lehre von den Taufen. 4. Die Auflegung der Hände. 5. Die Auferstehung von den Tod- ten. 6. das ewige Gericht. Von welchen sechs Stücken erstlich überhaupt zweyerley zu mercken ist: erstlich daß der Apostel damit dasje- nige, was noch sonst zum Anfange gehöret, nicht ausgeschlossen habe: zum andern, daß er einen ieden von diesen sechs Puncten ohne Zweifel, nebst der Anweisung zur würdigen Application,ehe- mals also abgehandelt habe, als es ihre Weite und Breite, doch nach der Beschaffenheit der Zuhörer, erfodert hat. Daß er aber bey den Juden noch nöthig gefunden, diese Grundlehren zu treiben, das ist eine Anzeigung von dem grossen Verfall der Judischen Kirche, daß sie in eine gros- se Blindheit in geistlichen Dingen bey dem äusserlichen Levitischen GOttes-Dienst gerathen sind. Dergleichen Unwissenheit man leider noch heute zu Tage in der Christenheit findet; und zwar nicht allein im abergläubischen Pabstthum, sondern auch bey sehr vielen in der der öffentlichen Confession nach aufgeklärten Evangelischen Kirche. Nun muß ein ieder Punct von diesen sechsen insonderheit erläutert werden.
6. Was das erste Stück, die Busse von todten Wercken, betrift, könte es zwar das
Anse-
Erklaͤrung des Briefes Pauli Cap. 6. v. 1-3.
[Spaltenumbruch]
Anmerckungen.
1. Zuvorderſt iſt die Verbindung dieſer Verſe mit den vorhergehenden wohl zu mercken. Der Apoſtel ziehet alhier aus dem vorhergehenden Context einen Schluß von dem, oder auf das, was er im Briefe ſonderlich abhandeln wolle. Dieſer Schluß und Vorſatz iſt: ich will zur Voll- kommenheit fahren, die ſchwerern Materien abhandeln, und die leichtern itzo bey Seite ſetzen. Nun aber fraͤget ſich, wie dieſer Schluß aus dem vorhergehenden Texte folge, alſo daß er die parti- culdarum habe gebrauchen koͤnnen. Da iſt es nun wol am fuͤglichſten, den letzten Vers des fuͤnften Capitels alſo anzunehmen, daß er nicht allein einen Gegenſatz von den Vollkommnen auf die Anfaͤnger, ſondeꝛn auch zugleich einen Satz von jenen in der Abſicht auf viele Vollkommene unter den Hebraͤern in ſich halte. Zwar hat der Apo- ſtel vorher von den Hebraͤern das Gegentheil be- zeuget, nemlich daß ſie unverſtaͤndig und traͤge und den jungen Kindern gleich waͤren: allein daß er dieſes nicht von allen verſtanden habe, das brin- get nicht allein die Sache mit ſich; ſintemal es nicht zu vermuthen iſt, daß alle glaͤubige Hebraͤ- er ſolche geweſen ſind: ſondern er bezeuget es auch damit deutlich genug, daß er wuͤrcklich ſolche Leh- ren, welche eine ſtarcke Speiſe waren, und nicht fuͤr die Anfaͤnger gehoͤreten, vortraͤget, von ihnen auch c. 10, 32. 33. 34. ſolche Proben anfuͤhret, wel- che gewißlich ein recht maͤnnliches Alter im Chri- ſtenthum anzeigten. So iſt auch nichts gemei- ners in den Apoſtoliſchen Briefen, als daß darin- nen gewiſſe Stellen vorkommen, welche, ob ſie gleich an ſich ſelbſt eines generalen Verſtandes ſind, dennoch dem uͤbrigen Context nach nicht von allen insgemein, ſondern nur von einer gewiſſen Art Leute in der Gemeine zu verſtehen ſind. Wenn wir nun dieſes voraus ſetzen, daß unter den glaͤu- bigen Hebraͤern, auſſer den Schwaͤchern, auch viele Staͤrckere, oder Vollkommene geweſen ſind, und der Apoſtel dieſes wie anderwaͤrtig im Briefe ſelbſt, nemlich c. 6, 10. c. 10, 32. 33. 34. alſo auch mit den letztern Worten des fuͤnften Capitels an- zeiget: ſo iſt die Connexion richtig, nemlich dieſe, daß weil unter den Hebraͤern auch viele Voll- kommene waͤren, ſo wolle er in Anſehung derſel- ben zur Vollkommenheit fahren, hingegen aber die zum Anfange gehoͤrende Lehren itzo zuruͤck ſe- tzen.
2. Die Teutſchen Worte die Lehre vom Anfange Chriſtliches Lebens, lauten im Grie- chiſchen nicht alſo: ſondern ſie reden vom An- fange der Lehre Chriſti. Da denn durch die Lehre Chriſti verſtanden wird die Lehre von Chriſto und der Chriſtlichen Religion: und der Anfang davon gehet auf diejenigen Stuͤcke, welche man den Anfaͤngern pflegte zu erſt vorzu- tragen; welche der Apoſtel auch gleich darauf zum theil benennet, und das Wort Anfang da- bey von dem Grunde erklaͤret, da er bezeuget, daß er den Grund nicht erſt aufs neue wie- der legen wolle.
3. Durch die Vollkommenheit verſtehet [Spaltenumbruch]
er alhier nach dem Contexte einen ſolchen Vor- trag von dem Geheimniß Chriſti und ſeines Reichs, welcher ſich als eine ſtarcke Speiſe fuͤr die Vollkommenen ſchicke. Und zu dieſer will der Apoſtel φέρεσϑαι, fahren, das iſt mit einem be- ſondern Triebe in aller Hertzens-Luſt dazu ſchrei- ten. Welches er denn nicht allein in der Zahl der Vielheit ſondern auch Wunſches Weiſe, φερώ- μεθα, laſſet uns fahren, außſpricht, und damit die Hebraͤer nebſt ſich ermahnet, daß, wie er im Lehren, ſie auch im lernen, und beyderſeits in wuͤrcklicher Ubung, ſich die Vollkommenheit, oder den Wachsthum, moͤchten recht angelegen ſeyn laſſen.
4. Aus dem, was der Apoſtel von dem fah- ren zur Vollkommenheit und der Grundle- gung ſchreibet, ſehen wir die Apoſtoliſche Lehr- Art, wie ſie ſich nicht nach ihren hohen Gaben, ſondern nach der Beſchaffenheit der Zuhoͤrer ge- richtet, und ſich mit jenen zu dieſen herunter gelaſ- ſen haben. Da ſie denn erſtlich, gleichſam durch catechiſiren, den Grund geleget mit den leichte- ſten und ſolchen Lehren, darauf alles andere nach und nach fuͤglich konnte gebauet werden. Wel- ches ſie alſo gethan, daß ſie nichts zuruͤck gelaſſen von dem gantzen Rathe GOttes, nach Ap. Geſch. 20, 27. Darinnen ihnen billig alle recht- ſchaffene Lehrer nach folgen; nicht weniger auch die Zuhoͤrer, daß ſie ſich nicht allein gruͤnden, ſon- dern auch zu mehrer Vollkommenheit fuͤhren laſ- ſen. Welches auch ſo viel geſegneter geſchehen wird, ſoviel mehr an dem Lehrer ſelbſt die rechte Evangeliſche Lauterkeit und Vollkommenheit in der Lehre und im Leben offenbar iſt.
5. Derer Stuͤcke, welche der Apoſtel zu dem Anfange rechnet, benennet er ſechſe, nem- lich 1. Die Buſſe von den todten Wercken. 2. Den Glauben an GOtt. 3. Die Lehre von den Taufen. 4. Die Auflegung der Haͤnde. 5. Die Auferſtehung von den Tod- ten. 6. das ewige Gericht. Von welchen ſechs Stuͤcken erſtlich uͤberhaupt zweyerley zu mercken iſt: erſtlich daß der Apoſtel damit dasje- nige, was noch ſonſt zum Anfange gehoͤret, nicht ausgeſchloſſen habe: zum andern, daß er einen ieden von dieſen ſechs Puncten ohne Zweifel, nebſt der Anweiſung zur wuͤrdigen Application,ehe- mals alſo abgehandelt habe, als es ihre Weite und Breite, doch nach der Beſchaffenheit der Zuhoͤrer, erfodert hat. Daß er aber bey den Juden noch noͤthig gefunden, dieſe Grundlehren zu treiben, das iſt eine Anzeigung von dem groſſen Verfall der Judiſchen Kirche, daß ſie in eine groſ- ſe Blindheit in geiſtlichen Dingen bey dem aͤuſſerlichen Levitiſchen GOttes-Dienſt gerathen ſind. Dergleichen Unwiſſenheit man leider noch heute zu Tage in der Chriſtenheit findet; und zwar nicht allein im aberglaͤubiſchen Pabſtthum, ſondern auch bey ſehr vielen in der der oͤffentlichen Confeſſion nach aufgeklaͤrten Evangeliſchen Kirche. Nun muß ein ieder Punct von dieſen ſechſen inſonderheit erlaͤutert werden.
6. Was das erſte Stuͤck, die Buſſe von todten Wercken, betrift, koͤnte es zwar das
Anſe-
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[306/0308]
Erklaͤrung des Briefes Pauli Cap. 6. v. 1-3.
Anmerckungen.
1. Zuvorderſt iſt die Verbindung dieſer
Verſe mit den vorhergehenden wohl zu mercken.
Der Apoſtel ziehet alhier aus dem vorhergehenden
Context einen Schluß von dem, oder auf das, was
er im Briefe ſonderlich abhandeln wolle. Dieſer
Schluß und Vorſatz iſt: ich will zur Voll-
kommenheit fahren, die ſchwerern Materien
abhandeln, und die leichtern itzo bey Seite ſetzen.
Nun aber fraͤget ſich, wie dieſer Schluß aus dem
vorhergehenden Texte folge, alſo daß er die parti-
cul darum habe gebrauchen koͤnnen. Da iſt
es nun wol am fuͤglichſten, den letzten Vers des
fuͤnften Capitels alſo anzunehmen, daß er nicht
allein einen Gegenſatz von den Vollkommnen auf
die Anfaͤnger, ſondeꝛn auch zugleich einen Satz von
jenen in der Abſicht auf viele Vollkommene unter
den Hebraͤern in ſich halte. Zwar hat der Apo-
ſtel vorher von den Hebraͤern das Gegentheil be-
zeuget, nemlich daß ſie unverſtaͤndig und traͤge
und den jungen Kindern gleich waͤren: allein daß
er dieſes nicht von allen verſtanden habe, das brin-
get nicht allein die Sache mit ſich; ſintemal es
nicht zu vermuthen iſt, daß alle glaͤubige Hebraͤ-
er ſolche geweſen ſind: ſondern er bezeuget es auch
damit deutlich genug, daß er wuͤrcklich ſolche Leh-
ren, welche eine ſtarcke Speiſe waren, und nicht
fuͤr die Anfaͤnger gehoͤreten, vortraͤget, von ihnen
auch c. 10, 32. 33. 34. ſolche Proben anfuͤhret, wel-
che gewißlich ein recht maͤnnliches Alter im Chri-
ſtenthum anzeigten. So iſt auch nichts gemei-
ners in den Apoſtoliſchen Briefen, als daß darin-
nen gewiſſe Stellen vorkommen, welche, ob ſie
gleich an ſich ſelbſt eines generalen Verſtandes
ſind, dennoch dem uͤbrigen Context nach nicht von
allen insgemein, ſondern nur von einer gewiſſen
Art Leute in der Gemeine zu verſtehen ſind. Wenn
wir nun dieſes voraus ſetzen, daß unter den glaͤu-
bigen Hebraͤern, auſſer den Schwaͤchern, auch
viele Staͤrckere, oder Vollkommene geweſen ſind,
und der Apoſtel dieſes wie anderwaͤrtig im Briefe
ſelbſt, nemlich c. 6, 10. c. 10, 32. 33. 34. alſo auch
mit den letztern Worten des fuͤnften Capitels an-
zeiget: ſo iſt die Connexion richtig, nemlich
dieſe, daß weil unter den Hebraͤern auch viele Voll-
kommene waͤren, ſo wolle er in Anſehung derſel-
ben zur Vollkommenheit fahren, hingegen aber
die zum Anfange gehoͤrende Lehren itzo zuruͤck ſe-
tzen.
2. Die Teutſchen Worte die Lehre vom
Anfange Chriſtliches Lebens, lauten im Grie-
chiſchen nicht alſo: ſondern ſie reden vom An-
fange der Lehre Chriſti. Da denn durch die
Lehre Chriſti verſtanden wird die Lehre von
Chriſto und der Chriſtlichen Religion: und
der Anfang davon gehet auf diejenigen Stuͤcke,
welche man den Anfaͤngern pflegte zu erſt vorzu-
tragen; welche der Apoſtel auch gleich darauf
zum theil benennet, und das Wort Anfang da-
bey von dem Grunde erklaͤret, da er bezeuget,
daß er den Grund nicht erſt aufs neue wie-
der legen wolle.
3. Durch die Vollkommenheit verſtehet
er alhier nach dem Contexte einen ſolchen Vor-
trag von dem Geheimniß Chriſti und ſeines
Reichs, welcher ſich als eine ſtarcke Speiſe fuͤr
die Vollkommenen ſchicke. Und zu dieſer will der
Apoſtel φέρεσϑαι, fahren, das iſt mit einem be-
ſondern Triebe in aller Hertzens-Luſt dazu ſchrei-
ten. Welches er denn nicht allein in der Zahl der
Vielheit ſondern auch Wunſches Weiſe, φερώ-
μεθα, laſſet uns fahren, außſpricht, und
damit die Hebraͤer nebſt ſich ermahnet, daß, wie er
im Lehren, ſie auch im lernen, und beyderſeits in
wuͤrcklicher Ubung, ſich die Vollkommenheit, oder
den Wachsthum, moͤchten recht angelegen ſeyn
laſſen.
4. Aus dem, was der Apoſtel von dem fah-
ren zur Vollkommenheit und der Grundle-
gung ſchreibet, ſehen wir die Apoſtoliſche Lehr-
Art, wie ſie ſich nicht nach ihren hohen Gaben,
ſondern nach der Beſchaffenheit der Zuhoͤrer ge-
richtet, und ſich mit jenen zu dieſen herunter gelaſ-
ſen haben. Da ſie denn erſtlich, gleichſam durch
catechiſiren, den Grund geleget mit den leichte-
ſten und ſolchen Lehren, darauf alles andere nach
und nach fuͤglich konnte gebauet werden. Wel-
ches ſie alſo gethan, daß ſie nichts zuruͤck gelaſſen
von dem gantzen Rathe GOttes, nach Ap.
Geſch. 20, 27. Darinnen ihnen billig alle recht-
ſchaffene Lehrer nach folgen; nicht weniger auch
die Zuhoͤrer, daß ſie ſich nicht allein gruͤnden, ſon-
dern auch zu mehrer Vollkommenheit fuͤhren laſ-
ſen. Welches auch ſo viel geſegneter geſchehen
wird, ſoviel mehr an dem Lehrer ſelbſt die rechte
Evangeliſche Lauterkeit und Vollkommenheit in
der Lehre und im Leben offenbar iſt.
5. Derer Stuͤcke, welche der Apoſtel zu
dem Anfange rechnet, benennet er ſechſe, nem-
lich 1. Die Buſſe von den todten Wercken.
2. Den Glauben an GOtt. 3. Die Lehre
von den Taufen. 4. Die Auflegung der
Haͤnde. 5. Die Auferſtehung von den Tod-
ten. 6. das ewige Gericht. Von welchen
ſechs Stuͤcken erſtlich uͤberhaupt zweyerley zu
mercken iſt: erſtlich daß der Apoſtel damit dasje-
nige, was noch ſonſt zum Anfange gehoͤret, nicht
ausgeſchloſſen habe: zum andern, daß er einen
ieden von dieſen ſechs Puncten ohne Zweifel, nebſt
der Anweiſung zur wuͤrdigen Application, ehe-
mals alſo abgehandelt habe, als es ihre
Weite und Breite, doch nach der Beſchaffenheit
der Zuhoͤrer, erfodert hat. Daß er aber bey den
Juden noch noͤthig gefunden, dieſe Grundlehren
zu treiben, das iſt eine Anzeigung von dem groſſen
Verfall der Judiſchen Kirche, daß ſie in eine groſ-
ſe Blindheit in geiſtlichen Dingen bey dem
aͤuſſerlichen Levitiſchen GOttes-Dienſt gerathen
ſind. Dergleichen Unwiſſenheit man leider noch
heute zu Tage in der Chriſtenheit findet; und
zwar nicht allein im aberglaͤubiſchen Pabſtthum,
ſondern auch bey ſehr vielen in der der oͤffentlichen
Confeſſion nach aufgeklaͤrten Evangeliſchen
Kirche. Nun muß ein ieder Punct von dieſen
ſechſen inſonderheit erlaͤutert werden.
6. Was das erſte Stuͤck, die Buſſe von
todten Wercken, betrift, koͤnte es zwar das
Anſe-
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/308>, abgerufen am 23.11.2024.
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