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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Cap. 3. v. 7-11. an die Hebräer.
[Spaltenumbruch] hören. - - Jch will ihnen einen Prophe-
ten, wie du bist, erwecken aus ihren Brü-
dern, und meine Worte in seinen Mund
geben, der soll zu ihnen reden alles was ich
ihm gebieten werde. Und wer meine
Worte nicht hören wird, die er in mei-
nem Namen reden wird, von dem will
ichs fordern.

9. Da nun diese Stimme des Meßiä erst-
lich von ihm selbst, und denn von seinen Aposteln
erhoben war, und insonderheit auch durch das
schriftliche Zeugniß Pauli in diesem gantzen Brie-
fe und in den übrigen allen erhoben wurde; so
schallet sie noch bis auf den heutigen Tag durch
sein gelesenes, gepredigtes und betrachtetes
Wort.

10. Es kömmt demnach bey dem Worte
auf das rechte hören, und annehmen an.
Und da das Wort GOttes ein Mittel der Gna-
den ist, dadurch uns GOtt mit seiner Gnade
zur Bekehrung zuvorkömmt; so wird zum rech-
ten Gehör erfodert eine durch die vorlaufende
Gnade erweckte Ehrerbietung gegen dasselbe,
nebst dem Vorsatze zur gehorsamen Folge, und
eine daher entstehende wahre Andacht und heilige
Aufmercksamkeit mit der willigen Aufnahme und
getreuen Anwendung. Und ie getreuer diese ist,
ie fruchtbarer und leichter ist das Gehör und das
Verstandniß; wie unser Heyland selbst spricht:
Wer von GOTT ist, der höret GOttes
Wort,
Joh. 8, 47. Denn den also von GOtt
Gelehrten ist gut predigen.
Diese sind das
gute Land, die das Wort hören und behalten in
einem seinen guten Hertzen, und bringen Frucht
in Geduld, oder in der Beharrung. Luc. 8, 15.
Diese hören wie die Lydia, welcher der HERR
das Hertz aufthat, und sie es aufthun ließ, dar-
auf acht zu haben, was von Paulo geredet ward.
Ap. Gesch. 16, 14.

11. Durch das Hertz, welches nicht ver-
stocket werden soll, werden die Haupt-Kräfte
der Seele
verstanden, nemlich der Verstand
und der Wille, sonderlich der Wille. Ver-
stocken
heißt verhärten, das ist, sich gegen das
anzuhörende, oder auch schon angehörete, Wort,
durch den Mißbrauch seiner Freyheit derge-
stalt setzen, daß man dagegen sich gleichsam ver-
schliesset und verriegelt, die empfangene Uber-
zeugung, weil sie einem obwol heylsam, doch nicht
angenehm ist, ausschläget und fahren läßt, und
durch solche Fahrläßigkeit und Unterdruckung
verhindert, daß sie nicht zu Kräften kömmt, und
die Oberhand nimmt, und also das Gute bey
sich ersticket: wodurch denn, wenn solches zur
rechten Gewohnheit wird, der Mensch nach und
nach gleichsam recht fühlloß gemachet wird; vor
welcher Verhärtung man sich wohl zu hüten hat:
sintemal sie grosse Straf-Gerichte GOttes nach
sich ziehet, ein Mensch auch darinnen vom zeitli-
chen Tode übereilet und hingeraffet werden kan.
Und da die Verstockung ihre Stufen hat; so fin-
det sich zwar bey den ersten Stufen eine Möglich-
keit zur Erweckung und Bekehrung; aber bey
dem äussersten Grad nicht: wie wir unter andern
[Spaltenumbruch] sonderlich an dem Könige Pharaone, und an den
Juden zur Zeit der Verstörung Jerusalems
sehen.

12. Es wird zwar die Verstockung auch
GOtt zugeschrieben: allein nur in dem Verstän-
de, daß er dabey handelt wie ein gerechter Rich-
ter, und um der vorhergegangenen übermachten
Sünden willen zur gerechten Strafe seine bey
dem Menschen nur vergeblich arbeitende Gnade
demselben entziehet, und ihn darüber, aus seiner
eigenen vorsetzlichen Schuld, noch immer tiefer
und ärger verfallen läßt. Denn daß die Ver-
stockung, so fern sie nicht als eine Strafe, son-
dern als eine Schuld und Sünden-Ubel angese-
hen wird, nicht von GOTT, sondern von dem
Menschen selbst komme, das wird alhie deutlich
genug bezeuget, wenn es heißt: Verstocket eu-
re Hertzen nicht.

13. Kein besser Mittel wider die Ver-
stockung, zumal eine solche, welche im Anfange
stehet, und in einer wissentlichen Versäumung
der Gnade GOttes bestehet, und auch schon
sehr gefährlich ist, findet sich, als dieses, daß
man seiner wohl wahrnehme durch eine öftere
Selbst-Prüfung, und durch eine gehörige
Treue, der Uberzeugung, welche man in der
Untersuchung seiner selbst empfangen hat, nach
zu kommen. Denn dadurch wird das Gewissen
des Menschen in einem zarten Gefühle erhalten,
und vor aller Verhärtung verwahret. Jst
man aber schon dahin verfallen, so hat man
durch die lockende Stimme GOttes sich noch
bey Zeiten herum hohlen zu lassen, und dahin zu
sehen, daß das Gewissen so zart seyn und blei-
ben möge, wie das Auge. Welcher Zustand
des Hertzens das alleredelste Kleinod ist, das
man in geistlichen Dingen haben kan: sintemal
dadurch die einwohnende Gnade GOttes; und
GOtt selbst, in uns behalten wird.

14. Da der Meßias, als der unerschafne
Engel des HErrn, die Kinder Jsrael aus Ae-
gypten durch die Wüsten in das gelobte Land
geführet hat; so ist leichtlich zu erachten, daß die
Sünden, die sie wider den Dreyeinigen GOTT
begangen haben, auf eine besondere Art wider
den Meßiam gegangen sind. Daher Paulus
spricht 1 Cor. 10, 19. Lasset uns auch Chri-
stum nicht versuchen, wie etliche von jenen

(den Jsraeliten) ihn versuchten, und wurden
von den Schlangen umgebracht.

15. GOtt versuchen ist, nach seinem ei-
gnen Willen sodern, daß GOtt auf diese und
jene ihm gleichsam vorgeschriebene Art seine Gü-
te und Allmacht, oder auch Gerechtigkeit, er-
weisen solle, und wenn er das nicht thun wolle,
daher ihn verleugnen, oder doch seine Eigen-
schaften und Verheissungen in zweifel ziehen, und
wider ihn murren. So machten es die Jsrae-
liten.

16. Und diese ihre Sünde war so viel schwe-
rer und grösser, ie mehrere und herrlichere Pro-
ben sie von der besondern Führung und Vorsor-
ge GOTTes bereits zur Zeit ihres ersten Mur-
rens gehabt hatten, auch noch nachhero empfin-
gen.

17. Mit

Cap. 3. v. 7-11. an die Hebraͤer.
[Spaltenumbruch] hoͤren. ‒ ‒ Jch will ihnen einen Prophe-
ten, wie du biſt, erwecken aus ihren Bruͤ-
dern, und meine Worte in ſeinen Mund
geben, der ſoll zu ihnen reden alles was ich
ihm gebieten werde. Und wer meine
Worte nicht hoͤren wird, die er in mei-
nem Namen reden wird, von dem will
ichs fordern.

9. Da nun dieſe Stimme des Meßiaͤ erſt-
lich von ihm ſelbſt, und denn von ſeinen Apoſteln
erhoben war, und inſonderheit auch durch das
ſchriftliche Zeugniß Pauli in dieſem gantzen Brie-
fe und in den uͤbrigen allen erhoben wurde; ſo
ſchallet ſie noch bis auf den heutigen Tag durch
ſein geleſenes, gepredigtes und betrachtetes
Wort.

10. Es koͤmmt demnach bey dem Worte
auf das rechte hoͤren, und annehmen an.
Und da das Wort GOttes ein Mittel der Gna-
den iſt, dadurch uns GOtt mit ſeiner Gnade
zur Bekehrung zuvorkoͤmmt; ſo wird zum rech-
ten Gehoͤr erfodert eine durch die vorlaufende
Gnade erweckte Ehrerbietung gegen daſſelbe,
nebſt dem Vorſatze zur gehorſamen Folge, und
eine daher entſtehende wahre Andacht und heilige
Aufmerckſamkeit mit der willigen Aufnahme und
getreuen Anwendung. Und ie getreuer dieſe iſt,
ie fruchtbarer und leichter iſt das Gehoͤr und das
Verſtandniß; wie unſer Heyland ſelbſt ſpricht:
Wer von GOTT iſt, der hoͤret GOttes
Wort,
Joh. 8, 47. Denn den alſo von GOtt
Gelehrten iſt gut predigen.
Dieſe ſind das
gute Land, die das Wort hoͤren und behalten in
einem ſeinen guten Hertzen, und bringen Frucht
in Geduld, oder in der Beharrung. Luc. 8, 15.
Dieſe hoͤren wie die Lydia, welcher der HERR
das Hertz aufthat, und ſie es aufthun ließ, dar-
auf acht zu haben, was von Paulo geredet ward.
Ap. Geſch. 16, 14.

11. Durch das Hertz, welches nicht ver-
ſtocket werden ſoll, werden die Haupt-Kraͤfte
der Seele
verſtanden, nemlich der Verſtand
und der Wille, ſonderlich der Wille. Ver-
ſtocken
heißt verhaͤrten, das iſt, ſich gegen das
anzuhoͤrende, oder auch ſchon angehoͤrete, Wort,
durch den Mißbrauch ſeiner Freyheit derge-
ſtalt ſetzen, daß man dagegen ſich gleichſam ver-
ſchlieſſet und verriegelt, die empfangene Uber-
zeugung, weil ſie einem obwol heylſam, doch nicht
angenehm iſt, ausſchlaͤget und fahren laͤßt, und
durch ſolche Fahrlaͤßigkeit und Unterdruckung
verhindert, daß ſie nicht zu Kraͤften koͤmmt, und
die Oberhand nimmt, und alſo das Gute bey
ſich erſticket: wodurch denn, wenn ſolches zur
rechten Gewohnheit wird, der Menſch nach und
nach gleichſam recht fuͤhlloß gemachet wird; vor
welcher Verhaͤrtung man ſich wohl zu huͤten hat:
ſintemal ſie groſſe Straf-Gerichte GOttes nach
ſich ziehet, ein Menſch auch darinnen vom zeitli-
chen Tode uͤbereilet und hingeraffet werden kan.
Und da die Verſtockung ihre Stufen hat; ſo fin-
det ſich zwar bey den erſten Stufen eine Moͤglich-
keit zur Erweckung und Bekehrung; aber bey
dem aͤuſſerſten Grad nicht: wie wir unter andern
[Spaltenumbruch] ſonderlich an dem Koͤnige Pharaone, und an den
Juden zur Zeit der Verſtoͤrung Jeruſalems
ſehen.

12. Es wird zwar die Verſtockung auch
GOtt zugeſchrieben: allein nur in dem Verſtaͤn-
de, daß er dabey handelt wie ein gerechter Rich-
ter, und um der vorhergegangenen uͤbermachten
Suͤnden willen zur gerechten Strafe ſeine bey
dem Menſchen nur vergeblich arbeitende Gnade
demſelben entziehet, und ihn daruͤber, aus ſeiner
eigenen vorſetzlichen Schuld, noch immer tiefer
und aͤrger verfallen laͤßt. Denn daß die Ver-
ſtockung, ſo fern ſie nicht als eine Strafe, ſon-
dern als eine Schuld und Suͤnden-Ubel angeſe-
hen wird, nicht von GOTT, ſondern von dem
Menſchen ſelbſt komme, das wird alhie deutlich
genug bezeuget, wenn es heißt: Verſtocket eu-
re Hertzen nicht.

13. Kein beſſer Mittel wider die Ver-
ſtockung, zumal eine ſolche, welche im Anfange
ſtehet, und in einer wiſſentlichen Verſaͤumung
der Gnade GOttes beſtehet, und auch ſchon
ſehr gefaͤhrlich iſt, findet ſich, als dieſes, daß
man ſeiner wohl wahrnehme durch eine oͤftere
Selbſt-Pruͤfung, und durch eine gehoͤrige
Treue, der Uberzeugung, welche man in der
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zu kommen. Denn dadurch wird das Gewiſſen
des Menſchen in einem zarten Gefuͤhle erhalten,
und vor aller Verhaͤrtung verwahret. Jſt
man aber ſchon dahin verfallen, ſo hat man
durch die lockende Stimme GOttes ſich noch
bey Zeiten herum hohlen zu laſſen, und dahin zu
ſehen, daß das Gewiſſen ſo zart ſeyn und blei-
ben moͤge, wie das Auge. Welcher Zuſtand
des Hertzens das alleredelſte Kleinod iſt, das
man in geiſtlichen Dingen haben kan: ſintemal
dadurch die einwohnende Gnade GOttes; und
GOtt ſelbſt, in uns behalten wird.

14. Da der Meßias, als der unerſchafne
Engel des HErrn, die Kinder Jſrael aus Ae-
gypten durch die Wuͤſten in das gelobte Land
gefuͤhret hat; ſo iſt leichtlich zu erachten, daß die
Suͤnden, die ſie wider den Dreyeinigen GOTT
begangen haben, auf eine beſondere Art wider
den Meßiam gegangen ſind. Daher Paulus
ſpricht 1 Cor. 10, 19. Laſſet uns auch Chri-
ſtum nicht verſuchen, wie etliche von jenen

(den Jſraeliten) ihn verſuchten, und wurden
von den Schlangen umgebracht.

15. GOtt verſuchen iſt, nach ſeinem ei-
gnen Willen ſodern, daß GOtt auf dieſe und
jene ihm gleichſam vorgeſchriebene Art ſeine Guͤ-
te und Allmacht, oder auch Gerechtigkeit, er-
weiſen ſolle, und wenn er das nicht thun wolle,
daher ihn verleugnen, oder doch ſeine Eigen-
ſchaften und Verheiſſungen in zweifel ziehen, und
wider ihn murren. So machten es die Jſrae-
liten.

16. Und dieſe ihre Suͤnde war ſo viel ſchwe-
rer und groͤſſer, ie mehrere und herrlichere Pro-
ben ſie von der beſondern Fuͤhrung und Vorſor-
ge GOTTes bereits zur Zeit ihres erſten Mur-
rens gehabt hatten, auch noch nachhero empfin-
gen.

17. Mit
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[279/0281] Cap. 3. v. 7-11. an die Hebraͤer. hoͤren. ‒ ‒ Jch will ihnen einen Prophe- ten, wie du biſt, erwecken aus ihren Bruͤ- dern, und meine Worte in ſeinen Mund geben, der ſoll zu ihnen reden alles was ich ihm gebieten werde. Und wer meine Worte nicht hoͤren wird, die er in mei- nem Namen reden wird, von dem will ichs fordern. 9. Da nun dieſe Stimme des Meßiaͤ erſt- lich von ihm ſelbſt, und denn von ſeinen Apoſteln erhoben war, und inſonderheit auch durch das ſchriftliche Zeugniß Pauli in dieſem gantzen Brie- fe und in den uͤbrigen allen erhoben wurde; ſo ſchallet ſie noch bis auf den heutigen Tag durch ſein geleſenes, gepredigtes und betrachtetes Wort. 10. Es koͤmmt demnach bey dem Worte auf das rechte hoͤren, und annehmen an. Und da das Wort GOttes ein Mittel der Gna- den iſt, dadurch uns GOtt mit ſeiner Gnade zur Bekehrung zuvorkoͤmmt; ſo wird zum rech- ten Gehoͤr erfodert eine durch die vorlaufende Gnade erweckte Ehrerbietung gegen daſſelbe, nebſt dem Vorſatze zur gehorſamen Folge, und eine daher entſtehende wahre Andacht und heilige Aufmerckſamkeit mit der willigen Aufnahme und getreuen Anwendung. Und ie getreuer dieſe iſt, ie fruchtbarer und leichter iſt das Gehoͤr und das Verſtandniß; wie unſer Heyland ſelbſt ſpricht: Wer von GOTT iſt, der hoͤret GOttes Wort, Joh. 8, 47. Denn den alſo von GOtt Gelehrten iſt gut predigen. Dieſe ſind das gute Land, die das Wort hoͤren und behalten in einem ſeinen guten Hertzen, und bringen Frucht in Geduld, oder in der Beharrung. Luc. 8, 15. Dieſe hoͤren wie die Lydia, welcher der HERR das Hertz aufthat, und ſie es aufthun ließ, dar- auf acht zu haben, was von Paulo geredet ward. Ap. Geſch. 16, 14. 11. Durch das Hertz, welches nicht ver- ſtocket werden ſoll, werden die Haupt-Kraͤfte der Seele verſtanden, nemlich der Verſtand und der Wille, ſonderlich der Wille. Ver- ſtocken heißt verhaͤrten, das iſt, ſich gegen das anzuhoͤrende, oder auch ſchon angehoͤrete, Wort, durch den Mißbrauch ſeiner Freyheit derge- ſtalt ſetzen, daß man dagegen ſich gleichſam ver- ſchlieſſet und verriegelt, die empfangene Uber- zeugung, weil ſie einem obwol heylſam, doch nicht angenehm iſt, ausſchlaͤget und fahren laͤßt, und durch ſolche Fahrlaͤßigkeit und Unterdruckung verhindert, daß ſie nicht zu Kraͤften koͤmmt, und die Oberhand nimmt, und alſo das Gute bey ſich erſticket: wodurch denn, wenn ſolches zur rechten Gewohnheit wird, der Menſch nach und nach gleichſam recht fuͤhlloß gemachet wird; vor welcher Verhaͤrtung man ſich wohl zu huͤten hat: ſintemal ſie groſſe Straf-Gerichte GOttes nach ſich ziehet, ein Menſch auch darinnen vom zeitli- chen Tode uͤbereilet und hingeraffet werden kan. Und da die Verſtockung ihre Stufen hat; ſo fin- det ſich zwar bey den erſten Stufen eine Moͤglich- keit zur Erweckung und Bekehrung; aber bey dem aͤuſſerſten Grad nicht: wie wir unter andern ſonderlich an dem Koͤnige Pharaone, und an den Juden zur Zeit der Verſtoͤrung Jeruſalems ſehen. 12. Es wird zwar die Verſtockung auch GOtt zugeſchrieben: allein nur in dem Verſtaͤn- de, daß er dabey handelt wie ein gerechter Rich- ter, und um der vorhergegangenen uͤbermachten Suͤnden willen zur gerechten Strafe ſeine bey dem Menſchen nur vergeblich arbeitende Gnade demſelben entziehet, und ihn daruͤber, aus ſeiner eigenen vorſetzlichen Schuld, noch immer tiefer und aͤrger verfallen laͤßt. Denn daß die Ver- ſtockung, ſo fern ſie nicht als eine Strafe, ſon- dern als eine Schuld und Suͤnden-Ubel angeſe- hen wird, nicht von GOTT, ſondern von dem Menſchen ſelbſt komme, das wird alhie deutlich genug bezeuget, wenn es heißt: Verſtocket eu- re Hertzen nicht. 13. Kein beſſer Mittel wider die Ver- ſtockung, zumal eine ſolche, welche im Anfange ſtehet, und in einer wiſſentlichen Verſaͤumung der Gnade GOttes beſtehet, und auch ſchon ſehr gefaͤhrlich iſt, findet ſich, als dieſes, daß man ſeiner wohl wahrnehme durch eine oͤftere Selbſt-Pruͤfung, und durch eine gehoͤrige Treue, der Uberzeugung, welche man in der Unterſuchung ſeiner ſelbſt empfangen hat, nach zu kommen. Denn dadurch wird das Gewiſſen des Menſchen in einem zarten Gefuͤhle erhalten, und vor aller Verhaͤrtung verwahret. Jſt man aber ſchon dahin verfallen, ſo hat man durch die lockende Stimme GOttes ſich noch bey Zeiten herum hohlen zu laſſen, und dahin zu ſehen, daß das Gewiſſen ſo zart ſeyn und blei- ben moͤge, wie das Auge. Welcher Zuſtand des Hertzens das alleredelſte Kleinod iſt, das man in geiſtlichen Dingen haben kan: ſintemal dadurch die einwohnende Gnade GOttes; und GOtt ſelbſt, in uns behalten wird. 14. Da der Meßias, als der unerſchafne Engel des HErrn, die Kinder Jſrael aus Ae- gypten durch die Wuͤſten in das gelobte Land gefuͤhret hat; ſo iſt leichtlich zu erachten, daß die Suͤnden, die ſie wider den Dreyeinigen GOTT begangen haben, auf eine beſondere Art wider den Meßiam gegangen ſind. Daher Paulus ſpricht 1 Cor. 10, 19. Laſſet uns auch Chri- ſtum nicht verſuchen, wie etliche von jenen (den Jſraeliten) ihn verſuchten, und wurden von den Schlangen umgebracht. 15. GOtt verſuchen iſt, nach ſeinem ei- gnen Willen ſodern, daß GOtt auf dieſe und jene ihm gleichſam vorgeſchriebene Art ſeine Guͤ- te und Allmacht, oder auch Gerechtigkeit, er- weiſen ſolle, und wenn er das nicht thun wolle, daher ihn verleugnen, oder doch ſeine Eigen- ſchaften und Verheiſſungen in zweifel ziehen, und wider ihn murren. So machten es die Jſrae- liten. 16. Und dieſe ihre Suͤnde war ſo viel ſchwe- rer und groͤſſer, ie mehrere und herrlichere Pro- ben ſie von der beſondern Fuͤhrung und Vorſor- ge GOTTes bereits zur Zeit ihres erſten Mur- rens gehabt hatten, auch noch nachhero empfin- gen. 17. Mit

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/281>, abgerufen am 23.11.2024.