7. Aber eben darinnen erweiset sich auch mit das Geheimniß des Creutzes, daß die letzte- re Erlösung, oder Errettung, auf keine gäntzliche Verschonung gehet, sondern nur in einer Mäßi- gung bestehet, da GOtt die Versuchung läßt ein solches Ende gewinnen, daß wir es können ertragen 1 Cor. 10, 13. Eine solche ekbasin, ei- nen solchen Ausgang funde Paulus allenthalben, und endlich im Martyr-Tode selbst.
8. Von der auch anderwärtig erfahrnen und gepriesenen Errettung schreibet er sehr nach- drücklich 2 Cor. 1, 10. GOtt hat uns von sol- chem Tode erlöset, und erlöset noch täglich, und wir hoffen auf ihn, er werde uns auch noch künftig erlösen. Siehe auch 2 Tim. 4, 17. 18. Und also wird erfüllet, was David saget: Der Gerechte muß viel leiden; aber der HERR hilft ihm aus dem allen. Ps. 34, 20.
V. 12.
Und alle, die gottselig leben wollen in Christo JEsu (also, daß sie ihren guten Wil- len in der Gemeinschaft mit Christo durch die Gnade GOttes auch zur That bringen) die müs- sen Verfolgung leiden (diokhthesontas, werden oder pflegen verfolget zu werden, der eine auf die- se, der andere auf eine andere Art; der eine schwe- rer, der andere gelinder.)
Anmerckungen.
1. Zu einem wahrhaftig gottseligen Le- ben gehören diese zwey Haupt-Stücke: erstlich die Veränderung des Hertzens, oder wahre Be- kehrung, da ein Mensch aus GOTT geboren und nach GOTT gesinnet wird: dabey es denn hauptsächlich auf den wahren Glauben an GOtt, als auf das geistliche Leben und geistliche Licht der Seele, ankömmt; und denn dieses geistli- chen Lebens und Lichts Erweis in dem gantzen Wandel, da man eines theils die Welt, wel- cher man in der Bekehrung schon innerlich abge- storben ist, verleugnet und sich ihr nicht mehr gleich stellet: andern theils aber aus der ge- schenckten Gnaden-Kraft nach dem erkannten Willen GOttes lebet, und seinen Glauben durch die Liebe in allen Pflichten gegen GOtt, uns selbst, und den Nechsten thätig erweiset. Pau- lus setzet beydes zusammen, wenn er Gal. 5, 15. spricht: So wir im Geiste leben, so lasset uns auch im Geiste wandeln.
2. Es stehen demnach die Worte, gottse- lig leben, alhier in ihrer rechten Weite und Brei- te, da sie hingegen Tit. 2, 12. eigentlich nur auf die Pflichten gegen GOTT nach der ersten Ta- fel des Gesetzes gehen, wenn Paulus der übrigen Pflichten mit andern Worten dabey gedencket und spricht: die heilsame Gnade GOttes züchtiget uns, daß wir verleugnen das un- göttliche Wesen, und züchtig gerecht und gottselig leben in dieser Welt.
3. Es liegt aber ein grosser Nachdruck in den nach Pauli idiotismo dabey gesetzten Wor- ten en khristo, gottselig leben in Christo. Denn da- mit wird angezeiget, daß, so bald die wahre Gottseligkeit durch die Wiedergeburt sich inner- [Spaltenumbruch]
lich anhebet, sich mit derselben, da sie zuvor- derst im Glauben an Christum bestehet, die selige Vereinigung und Gemeinschaft mit Christo an- fänget; also daß ein gläubiger so dann auch aus der Kraft des in ihm wohnenden Heylandes gott- selig lebet. Denn da ist er an Christo, als dem himmlischen Weinstock, ein lebendiger und fruchtbarer Rebe worden. Davon unser Hey- land Joh. 15, 2. selbst saget: Bleibet in mir, und ich in euch. Gleich wie der Rebe kan keine Frucht bringen; er bleibe denn am Weinstock: also auch ihr nicht, ihr bleibet denn an mir, en emoi in mir: Jch bin der Weinstock, ihr seyd die Reben. Wer in mir bleibet, und ich in ihm, der bringet viel Frucht. Denn ohne mich könnet ihr nichts thun.
4. Es ist demnach ein sehr grosser Unter- scheid unter dieser also beschafnen wahren Gott- seligkeit, und unter dem blossen Schein des gott- seligen Wesens, dabey die Kraft verleugnet wird 2 Tim. 3, 5. nach dem Pharisaismo und Pelagia- nismo, da man, ausser einer leeren Einbildung von der Bekehrung und vom Glauben und ausser dem äusserlichen Ceremoniel des öffentlichen, und, wenn es hoch kömmt, auch des häuslichen Gottesdienstes, sonst nichts hat, und nur ein über- tünchtes Grab ist.
5. Die Ursach der Verfolgung lieget in dem gantz unterschiedenen und contrairen Sinn der Kinder GOttes und der Welt-Kinder. Da- her diesen jene unleidlich sind; sintemal sie von ihnen immer bestrafet werden, wo nicht mit Worten, doch in der That, und mit Wercken, und mit ihrem gantzen Wandel. Da sie sich nun solches zu ihrer Besserung solten dienen las- sen, so lassen sie sich von ihrem fleischlichen Sinn, der ihnen viel angenehmer ist, zum Haß und zur Verfolgung gegen jene aufbringen. Darum Johannes Ep. 1. c. 3, 12. spricht: Cain war von dem argen und erwürgete seinen Bru- der. Und warum erwürgete er ihn? daß seine Wercke böse waren, und seines Bru- ders gerecht.
6. Daß aber alle, welche gottselig leben, Verfolgung leiden, scheinet wider die Erfah- rung zu streiten; sintemal mancher Gottseliger sein Leben ausser der äusserlichen Verfolgung in Ruhe zubringet. Allein man hat zwar frey- lich die Zeiten zu unterscheiden. Denn zuwei- len gönnet GOtt seiner Kirche, oder auch dar- innen diesen und jenen gottseligen Seelen, eine äusserliche Ruhe: wie denn das Gebet der gläu- bigen dahin gehen soll, daß sie unter der hohen Obrigkeit mögen ein geruhiges und stilles Leben führen, in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit 1 Tim. 2, 1. 2. So stehet auch von den ersten Christlichen Gemeinen Ap. Ges. 9, 31. So hat- te nun die Gemeine Friede durch gantz Ju- däa, und Galiläa und Samaria, und baue- te sich, und wandelte in der Furcht des HErrn, und ward erfüllet mit Trost des heiligen Geistes. Denn es lässet GOTT die Gottlosen manchmal innerlich mit solcher Furcht befallen, theils auch äusserlich durch diese und
jene
Y 3
C. 3. v. 11. 12. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch]
7. Aber eben darinnen erweiſet ſich auch mit das Geheimniß des Creutzes, daß die letzte- re Erloͤſung, oder Errettung, auf keine gaͤntzliche Verſchonung gehet, ſondern nur in einer Maͤßi- gung beſtehet, da GOtt die Verſuchung laͤßt ein ſolches Ende gewinnen, daß wir es koͤnnen ertragen 1 Cor. 10, 13. Eine ſolche ἔκβασιν, ei- nen ſolchen Ausgang funde Paulus allenthalben, und endlich im Martyr-Tode ſelbſt.
8. Von der auch anderwaͤrtig erfahrnen und geprieſenen Errettung ſchreibet er ſehr nach- druͤcklich 2 Cor. 1, 10. GOtt hat uns von ſol- chem Tode erloͤſet, und erloͤſet noch taͤglich, und wir hoffen auf ihn, er werde uns auch noch kuͤnftig erloͤſen. Siehe auch 2 Tim. 4, 17. 18. Und alſo wird erfuͤllet, was David ſaget: Der Gerechte muß viel leiden; aber der HERR hilft ihm aus dem allen. Pſ. 34, 20.
V. 12.
Und alle, die gottſelig leben wollen in Chriſto JEſu (alſo, daß ſie ihren guten Wil- len in der Gemeinſchaft mit Chriſto durch die Gnade GOttes auch zur That bringen) die muͤſ- ſen Verfolgung leiden (διωχθήσοντας, werden oder pflegen verfolget zu werden, der eine auf die- ſe, der andere auf eine andere Art; der eine ſchwe- rer, der andere gelinder.)
Anmerckungen.
1. Zu einem wahrhaftig gottſeligen Le- ben gehoͤren dieſe zwey Haupt-Stuͤcke: erſtlich die Veraͤnderung des Hertzens, oder wahre Be- kehrung, da ein Menſch aus GOTT geboren und nach GOTT geſinnet wird: dabey es denn hauptſaͤchlich auf den wahren Glauben an GOtt, als auf das geiſtliche Leben und geiſtliche Licht der Seele, ankoͤmmt; und denn dieſes geiſtli- chen Lebens und Lichts Erweis in dem gantzen Wandel, da man eines theils die Welt, wel- cher man in der Bekehrung ſchon innerlich abge- ſtorben iſt, verleugnet und ſich ihr nicht mehr gleich ſtellet: andern theils aber aus der ge- ſchenckten Gnaden-Kraft nach dem erkannten Willen GOttes lebet, und ſeinen Glauben durch die Liebe in allen Pflichten gegen GOtt, uns ſelbſt, und den Nechſten thaͤtig erweiſet. Pau- lus ſetzet beydes zuſammen, wenn er Gal. 5, 15. ſpricht: So wir im Geiſte leben, ſo laſſet uns auch im Geiſte wandeln.
2. Es ſtehen demnach die Worte, gottſe- lig leben, alhier in ihrer rechten Weite und Brei- te, da ſie hingegen Tit. 2, 12. eigentlich nur auf die Pflichten gegen GOTT nach der erſten Ta- fel des Geſetzes gehen, wenn Paulus der uͤbrigen Pflichten mit andern Worten dabey gedencket und ſpricht: die heilſame Gnade GOttes zuͤchtiget uns, daß wir verleugnen das un- goͤttliche Weſen, und zuͤchtig gerecht und gottſelig leben in dieſer Welt.
3. Es liegt aber ein groſſer Nachdruck in den nach Pauli idiotismo dabey geſetzten Wor- ten ἐν χριστῷ, gottſelig leben in Chriſto. Denn da- mit wird angezeiget, daß, ſo bald die wahre Gottſeligkeit durch die Wiedergeburt ſich inner- [Spaltenumbruch]
lich anhebet, ſich mit derſelben, da ſie zuvor- derſt im Glauben an Chriſtum beſtehet, die ſelige Vereinigung und Gemeinſchaft mit Chriſto an- faͤnget; alſo daß ein glaͤubiger ſo dann auch aus der Kraft des in ihm wohnenden Heylandes gott- ſelig lebet. Denn da iſt er an Chriſto, als dem himmliſchen Weinſtock, ein lebendiger und fruchtbarer Rebe worden. Davon unſer Hey- land Joh. 15, 2. ſelbſt ſaget: Bleibet in mir, und ich in euch. Gleich wie der Rebe kan keine Frucht bringen; er bleibe denn am Weinſtock: alſo auch ihr nicht, ihr bleibet denn an mir, ἐν ἐμοὶ in mir: Jch bin der Weinſtock, ihr ſeyd die Reben. Wer in mir bleibet, und ich in ihm, der bringet viel Frucht. Denn ohne mich koͤnnet ihr nichts thun.
4. Es iſt demnach ein ſehr groſſer Unter- ſcheid unter dieſer alſo beſchafnen wahren Gott- ſeligkeit, und unter dem bloſſen Schein des gott- ſeligen Weſens, dabey die Kraft verleugnet wird 2 Tim. 3, 5. nach dem Phariſaismo und Pelagia- niſmo, da man, auſſer einer leeren Einbildung von der Bekehrung und vom Glauben und auſſer dem aͤuſſerlichen Ceremoniel des oͤffentlichen, und, wenn es hoch koͤmmt, auch des haͤuslichen Gottesdienſtes, ſonſt nichts hat, und nur ein uͤber- tuͤnchtes Grab iſt.
5. Die Urſach der Verfolgung lieget in dem gantz unterſchiedenen und contrairen Sinn der Kinder GOttes und der Welt-Kinder. Da- her dieſen jene unleidlich ſind; ſintemal ſie von ihnen immer beſtrafet werden, wo nicht mit Worten, doch in der That, und mit Wercken, und mit ihrem gantzen Wandel. Da ſie ſich nun ſolches zu ihrer Beſſerung ſolten dienen laſ- ſen, ſo laſſen ſie ſich von ihrem fleiſchlichen Sinn, der ihnen viel angenehmer iſt, zum Haß und zur Verfolgung gegen jene aufbringen. Darum Johannes Ep. 1. c. 3, 12. ſpricht: Cain war von dem argen und erwuͤrgete ſeinen Bru- der. Und warum erwuͤrgete er ihn? daß ſeine Wercke boͤſe waren, und ſeines Bru- ders gerecht.
6. Daß aber alle, welche gottſelig leben, Verfolgung leiden, ſcheinet wider die Erfah- rung zu ſtreiten; ſintemal mancher Gottſeliger ſein Leben auſſer der aͤuſſerlichen Verfolgung in Ruhe zubringet. Allein man hat zwar frey- lich die Zeiten zu unterſcheiden. Denn zuwei- len goͤnnet GOtt ſeiner Kirche, oder auch dar- innen dieſen und jenen gottſeligen Seelen, eine aͤuſſerliche Ruhe: wie denn das Gebet der glaͤu- bigen dahin gehen ſoll, daß ſie unter der hohen Obrigkeit moͤgen ein geruhiges und ſtilles Leben fuͤhren, in aller Gottſeligkeit und Ehrbarkeit 1 Tim. 2, 1. 2. So ſtehet auch von den erſten Chriſtlichen Gemeinen Ap. Geſ. 9, 31. So hat- te nun die Gemeine Friede durch gantz Ju- daͤa, und Galilaͤa und Samaria, und baue- te ſich, und wandelte in der Furcht des HErrn, und ward erfuͤllet mit Troſt des heiligen Geiſtes. Denn es laͤſſet GOTT die Gottloſen manchmal innerlich mit ſolcher Furcht befallen, theils auch aͤuſſerlich durch dieſe und
jene
Y 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0175"n="173"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">C. 3. v. 11. 12. an den Timotheum.</hi></fw><lb/><cb/><p>7. Aber eben darinnen erweiſet ſich auch<lb/>
mit das Geheimniß des Creutzes, daß die letzte-<lb/>
re Erloͤſung, oder Errettung, auf keine gaͤntzliche<lb/>
Verſchonung gehet, ſondern nur in einer Maͤßi-<lb/>
gung beſtehet, da GOtt die Verſuchung laͤßt<lb/>
ein ſolches Ende gewinnen, daß wir es koͤnnen<lb/>
ertragen 1 Cor. 10, 13. Eine ſolche ἔκβασιν, ei-<lb/>
nen ſolchen Ausgang funde Paulus allenthalben,<lb/>
und endlich im Martyr-Tode ſelbſt.</p><lb/><p>8. Von der auch anderwaͤrtig erfahrnen<lb/>
und geprieſenen Errettung ſchreibet er ſehr nach-<lb/>
druͤcklich 2 Cor. 1, 10. <hirendition="#fr">GOtt hat uns von ſol-<lb/>
chem Tode erloͤſet, und erloͤſet noch taͤglich,<lb/>
und wir hoffen auf ihn, er werde uns auch<lb/>
noch kuͤnftig erloͤſen.</hi> Siehe auch 2 Tim. 4,<lb/>
17. 18. Und alſo wird erfuͤllet, was David ſaget:<lb/><hirendition="#fr">Der Gerechte muß viel leiden; aber der<lb/><hirendition="#g">HERR</hi> hilft ihm aus dem allen.</hi> Pſ.<lb/>
34, 20.</p></div></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">V. 12.</hi></head><lb/><p><hirendition="#fr">Und alle, die gottſelig leben wollen in<lb/>
Chriſto JEſu</hi> (alſo, daß ſie ihren guten Wil-<lb/>
len in der Gemeinſchaft mit Chriſto durch die<lb/>
Gnade GOttes auch zur That bringen) <hirendition="#fr">die muͤſ-<lb/>ſen Verfolgung leiden</hi> (διωχθήσοντας, werden<lb/>
oder pflegen verfolget zu werden, der eine auf die-<lb/>ſe, der andere auf eine andere Art; der eine ſchwe-<lb/>
rer, der andere gelinder.)</p><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">Anmerckungen.</hi></head><lb/><p>1. Zu einem wahrhaftig <hirendition="#fr">gottſeligen Le-<lb/>
ben</hi> gehoͤren dieſe zwey Haupt-Stuͤcke: erſtlich<lb/>
die Veraͤnderung des Hertzens, oder wahre Be-<lb/>
kehrung, da ein Menſch aus GOTT geboren<lb/>
und nach GOTT geſinnet wird: dabey es denn<lb/>
hauptſaͤchlich auf den wahren Glauben an GOtt,<lb/>
als auf das geiſtliche Leben und geiſtliche Licht<lb/>
der Seele, ankoͤmmt; und denn dieſes geiſtli-<lb/>
chen Lebens und Lichts Erweis in dem gantzen<lb/>
Wandel, da man eines theils die Welt, wel-<lb/>
cher man in der Bekehrung ſchon innerlich abge-<lb/>ſtorben iſt, verleugnet und ſich ihr nicht mehr<lb/>
gleich ſtellet: andern theils aber aus der ge-<lb/>ſchenckten Gnaden-Kraft nach dem erkannten<lb/>
Willen GOttes lebet, und ſeinen Glauben<lb/>
durch die Liebe in allen Pflichten gegen GOtt,<lb/>
uns ſelbſt, und den Nechſten thaͤtig erweiſet. Pau-<lb/>
lus ſetzet beydes zuſammen, wenn er Gal. 5, 15.<lb/>ſpricht: <hirendition="#fr">So wir im Geiſte leben, ſo laſſet<lb/>
uns auch im Geiſte wandeln.</hi></p><lb/><p>2. Es ſtehen demnach die Worte, <hirendition="#fr">gottſe-<lb/>
lig leben,</hi> alhier in ihrer rechten Weite und Brei-<lb/>
te, da ſie hingegen Tit. 2, 12. eigentlich nur auf<lb/>
die Pflichten gegen GOTT nach der erſten Ta-<lb/>
fel des Geſetzes gehen, wenn Paulus der uͤbrigen<lb/>
Pflichten mit andern Worten dabey gedencket<lb/>
und ſpricht: <hirendition="#fr">die heilſame Gnade GOttes<lb/>
zuͤchtiget uns, daß wir verleugnen das un-<lb/>
goͤttliche Weſen, und zuͤchtig gerecht und<lb/>
gottſelig leben in dieſer Welt.</hi></p><lb/><p>3. Es liegt aber ein groſſer Nachdruck in<lb/>
den nach Pauli <hirendition="#aq">idiotismo</hi> dabey geſetzten Wor-<lb/>
ten ἐνχριστῷ, gottſelig leben in Chriſto. Denn da-<lb/>
mit wird angezeiget, daß, ſo bald die wahre<lb/>
Gottſeligkeit durch die Wiedergeburt ſich inner-<lb/><cb/>
lich anhebet, ſich mit derſelben, da ſie zuvor-<lb/>
derſt im Glauben an Chriſtum beſtehet, die ſelige<lb/>
Vereinigung und Gemeinſchaft mit Chriſto an-<lb/>
faͤnget; alſo daß ein glaͤubiger ſo dann auch aus<lb/>
der Kraft des in ihm wohnenden Heylandes gott-<lb/>ſelig lebet. Denn da iſt er an Chriſto, als dem<lb/>
himmliſchen Weinſtock, ein lebendiger und<lb/>
fruchtbarer Rebe worden. Davon unſer Hey-<lb/>
land Joh. 15, 2. ſelbſt ſaget: <hirendition="#fr">Bleibet in mir,<lb/>
und ich in euch. Gleich wie der Rebe kan<lb/>
keine Frucht bringen; er bleibe denn am<lb/>
Weinſtock: alſo auch ihr nicht, ihr bleibet<lb/>
denn an mir,</hi>ἐνἐμοὶ<hirendition="#fr">in mir: Jch bin der<lb/>
Weinſtock, ihr ſeyd die Reben. Wer<lb/>
in mir bleibet, und ich in ihm, der bringet<lb/>
viel Frucht. Denn ohne mich koͤnnet ihr<lb/>
nichts thun.</hi></p><lb/><p>4. Es iſt demnach ein ſehr groſſer Unter-<lb/>ſcheid unter dieſer alſo beſchafnen wahren Gott-<lb/>ſeligkeit, und unter dem bloſſen Schein des gott-<lb/>ſeligen Weſens, dabey die Kraft verleugnet wird<lb/>
2 Tim. 3, 5. nach dem <hirendition="#aq">Phariſaismo</hi> und <hirendition="#aq">Pelagia-<lb/>
niſmo,</hi> da man, auſſer einer leeren Einbildung<lb/>
von der Bekehrung und vom Glauben und auſſer<lb/>
dem aͤuſſerlichen <hirendition="#aq">Ceremoniel</hi> des oͤffentlichen,<lb/>
und, wenn es hoch koͤmmt, auch des haͤuslichen<lb/>
Gottesdienſtes, ſonſt nichts hat, und nur ein uͤber-<lb/>
tuͤnchtes Grab iſt.</p><lb/><p>5. Die Urſach der Verfolgung lieget in<lb/>
dem gantz unterſchiedenen und <hirendition="#aq">contrair</hi>en Sinn<lb/>
der Kinder GOttes und der Welt-Kinder. Da-<lb/>
her dieſen jene unleidlich ſind; ſintemal ſie von<lb/>
ihnen immer beſtrafet werden, wo nicht mit<lb/>
Worten, doch in der That, und mit Wercken,<lb/>
und mit ihrem gantzen Wandel. Da ſie ſich<lb/>
nun ſolches zu ihrer Beſſerung ſolten dienen laſ-<lb/>ſen, ſo laſſen ſie ſich von ihrem fleiſchlichen Sinn,<lb/>
der ihnen viel angenehmer iſt, zum Haß und zur<lb/>
Verfolgung gegen jene aufbringen. Darum<lb/>
Johannes Ep. 1. c. 3, 12. ſpricht: <hirendition="#fr">Cain war<lb/>
von dem argen und erwuͤrgete ſeinen Bru-<lb/>
der. Und warum erwuͤrgete er ihn? daß<lb/>ſeine Wercke boͤſe waren, und ſeines Bru-<lb/>
ders gerecht.</hi></p><lb/><p>6. Daß aber alle, welche gottſelig leben,<lb/>
Verfolgung leiden, ſcheinet wider die Erfah-<lb/>
rung zu ſtreiten; ſintemal mancher Gottſeliger<lb/>ſein Leben auſſer der aͤuſſerlichen Verfolgung<lb/>
in Ruhe zubringet. Allein man hat zwar frey-<lb/>
lich die Zeiten zu unterſcheiden. Denn zuwei-<lb/>
len goͤnnet GOtt ſeiner Kirche, oder auch dar-<lb/>
innen dieſen und jenen gottſeligen Seelen, eine<lb/>
aͤuſſerliche Ruhe: wie denn das Gebet der glaͤu-<lb/>
bigen dahin gehen ſoll, daß ſie unter der hohen<lb/>
Obrigkeit moͤgen ein geruhiges und ſtilles Leben<lb/>
fuͤhren, in aller Gottſeligkeit und Ehrbarkeit<lb/>
1 Tim. 2, 1. 2. So ſtehet auch von den erſten<lb/>
Chriſtlichen Gemeinen Ap. Geſ. 9, 31. <hirendition="#fr">So hat-<lb/>
te nun die Gemeine Friede durch gantz Ju-<lb/>
daͤa, und Galilaͤa und Samaria, und baue-<lb/>
te ſich, und wandelte in der Furcht des<lb/>
HErrn, und ward erfuͤllet mit Troſt des<lb/>
heiligen Geiſtes.</hi> Denn es laͤſſet GOTT die<lb/>
Gottloſen manchmal innerlich mit ſolcher Furcht<lb/>
befallen, theils auch aͤuſſerlich durch dieſe und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">jene</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[173/0175]
C. 3. v. 11. 12. an den Timotheum.
7. Aber eben darinnen erweiſet ſich auch
mit das Geheimniß des Creutzes, daß die letzte-
re Erloͤſung, oder Errettung, auf keine gaͤntzliche
Verſchonung gehet, ſondern nur in einer Maͤßi-
gung beſtehet, da GOtt die Verſuchung laͤßt
ein ſolches Ende gewinnen, daß wir es koͤnnen
ertragen 1 Cor. 10, 13. Eine ſolche ἔκβασιν, ei-
nen ſolchen Ausgang funde Paulus allenthalben,
und endlich im Martyr-Tode ſelbſt.
8. Von der auch anderwaͤrtig erfahrnen
und geprieſenen Errettung ſchreibet er ſehr nach-
druͤcklich 2 Cor. 1, 10. GOtt hat uns von ſol-
chem Tode erloͤſet, und erloͤſet noch taͤglich,
und wir hoffen auf ihn, er werde uns auch
noch kuͤnftig erloͤſen. Siehe auch 2 Tim. 4,
17. 18. Und alſo wird erfuͤllet, was David ſaget:
Der Gerechte muß viel leiden; aber der
HERR hilft ihm aus dem allen. Pſ.
34, 20.
V. 12.
Und alle, die gottſelig leben wollen in
Chriſto JEſu (alſo, daß ſie ihren guten Wil-
len in der Gemeinſchaft mit Chriſto durch die
Gnade GOttes auch zur That bringen) die muͤſ-
ſen Verfolgung leiden (διωχθήσοντας, werden
oder pflegen verfolget zu werden, der eine auf die-
ſe, der andere auf eine andere Art; der eine ſchwe-
rer, der andere gelinder.)
Anmerckungen.
1. Zu einem wahrhaftig gottſeligen Le-
ben gehoͤren dieſe zwey Haupt-Stuͤcke: erſtlich
die Veraͤnderung des Hertzens, oder wahre Be-
kehrung, da ein Menſch aus GOTT geboren
und nach GOTT geſinnet wird: dabey es denn
hauptſaͤchlich auf den wahren Glauben an GOtt,
als auf das geiſtliche Leben und geiſtliche Licht
der Seele, ankoͤmmt; und denn dieſes geiſtli-
chen Lebens und Lichts Erweis in dem gantzen
Wandel, da man eines theils die Welt, wel-
cher man in der Bekehrung ſchon innerlich abge-
ſtorben iſt, verleugnet und ſich ihr nicht mehr
gleich ſtellet: andern theils aber aus der ge-
ſchenckten Gnaden-Kraft nach dem erkannten
Willen GOttes lebet, und ſeinen Glauben
durch die Liebe in allen Pflichten gegen GOtt,
uns ſelbſt, und den Nechſten thaͤtig erweiſet. Pau-
lus ſetzet beydes zuſammen, wenn er Gal. 5, 15.
ſpricht: So wir im Geiſte leben, ſo laſſet
uns auch im Geiſte wandeln.
2. Es ſtehen demnach die Worte, gottſe-
lig leben, alhier in ihrer rechten Weite und Brei-
te, da ſie hingegen Tit. 2, 12. eigentlich nur auf
die Pflichten gegen GOTT nach der erſten Ta-
fel des Geſetzes gehen, wenn Paulus der uͤbrigen
Pflichten mit andern Worten dabey gedencket
und ſpricht: die heilſame Gnade GOttes
zuͤchtiget uns, daß wir verleugnen das un-
goͤttliche Weſen, und zuͤchtig gerecht und
gottſelig leben in dieſer Welt.
3. Es liegt aber ein groſſer Nachdruck in
den nach Pauli idiotismo dabey geſetzten Wor-
ten ἐν χριστῷ, gottſelig leben in Chriſto. Denn da-
mit wird angezeiget, daß, ſo bald die wahre
Gottſeligkeit durch die Wiedergeburt ſich inner-
lich anhebet, ſich mit derſelben, da ſie zuvor-
derſt im Glauben an Chriſtum beſtehet, die ſelige
Vereinigung und Gemeinſchaft mit Chriſto an-
faͤnget; alſo daß ein glaͤubiger ſo dann auch aus
der Kraft des in ihm wohnenden Heylandes gott-
ſelig lebet. Denn da iſt er an Chriſto, als dem
himmliſchen Weinſtock, ein lebendiger und
fruchtbarer Rebe worden. Davon unſer Hey-
land Joh. 15, 2. ſelbſt ſaget: Bleibet in mir,
und ich in euch. Gleich wie der Rebe kan
keine Frucht bringen; er bleibe denn am
Weinſtock: alſo auch ihr nicht, ihr bleibet
denn an mir, ἐν ἐμοὶ in mir: Jch bin der
Weinſtock, ihr ſeyd die Reben. Wer
in mir bleibet, und ich in ihm, der bringet
viel Frucht. Denn ohne mich koͤnnet ihr
nichts thun.
4. Es iſt demnach ein ſehr groſſer Unter-
ſcheid unter dieſer alſo beſchafnen wahren Gott-
ſeligkeit, und unter dem bloſſen Schein des gott-
ſeligen Weſens, dabey die Kraft verleugnet wird
2 Tim. 3, 5. nach dem Phariſaismo und Pelagia-
niſmo, da man, auſſer einer leeren Einbildung
von der Bekehrung und vom Glauben und auſſer
dem aͤuſſerlichen Ceremoniel des oͤffentlichen,
und, wenn es hoch koͤmmt, auch des haͤuslichen
Gottesdienſtes, ſonſt nichts hat, und nur ein uͤber-
tuͤnchtes Grab iſt.
5. Die Urſach der Verfolgung lieget in
dem gantz unterſchiedenen und contrairen Sinn
der Kinder GOttes und der Welt-Kinder. Da-
her dieſen jene unleidlich ſind; ſintemal ſie von
ihnen immer beſtrafet werden, wo nicht mit
Worten, doch in der That, und mit Wercken,
und mit ihrem gantzen Wandel. Da ſie ſich
nun ſolches zu ihrer Beſſerung ſolten dienen laſ-
ſen, ſo laſſen ſie ſich von ihrem fleiſchlichen Sinn,
der ihnen viel angenehmer iſt, zum Haß und zur
Verfolgung gegen jene aufbringen. Darum
Johannes Ep. 1. c. 3, 12. ſpricht: Cain war
von dem argen und erwuͤrgete ſeinen Bru-
der. Und warum erwuͤrgete er ihn? daß
ſeine Wercke boͤſe waren, und ſeines Bru-
ders gerecht.
6. Daß aber alle, welche gottſelig leben,
Verfolgung leiden, ſcheinet wider die Erfah-
rung zu ſtreiten; ſintemal mancher Gottſeliger
ſein Leben auſſer der aͤuſſerlichen Verfolgung
in Ruhe zubringet. Allein man hat zwar frey-
lich die Zeiten zu unterſcheiden. Denn zuwei-
len goͤnnet GOtt ſeiner Kirche, oder auch dar-
innen dieſen und jenen gottſeligen Seelen, eine
aͤuſſerliche Ruhe: wie denn das Gebet der glaͤu-
bigen dahin gehen ſoll, daß ſie unter der hohen
Obrigkeit moͤgen ein geruhiges und ſtilles Leben
fuͤhren, in aller Gottſeligkeit und Ehrbarkeit
1 Tim. 2, 1. 2. So ſtehet auch von den erſten
Chriſtlichen Gemeinen Ap. Geſ. 9, 31. So hat-
te nun die Gemeine Friede durch gantz Ju-
daͤa, und Galilaͤa und Samaria, und baue-
te ſich, und wandelte in der Furcht des
HErrn, und ward erfuͤllet mit Troſt des
heiligen Geiſtes. Denn es laͤſſet GOTT die
Gottloſen manchmal innerlich mit ſolcher Furcht
befallen, theils auch aͤuſſerlich durch dieſe und
jene
Y 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/175>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.