Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Cap. 1, v. 10. 11. an die Philipper. [Spaltenumbruch]
kommenden Dinge anstellen, und denn davondas wahre und gute, oder das beste erwählen. Welches letztere Paulus besonders ausdrucket, wenn er saget: Prüfet alles, und das Gute behaltet. 1 Thess. 5, 21. 3. Zur Prüfung aber gehöret sonderlich zweyerley: erstlich ein Prüfe-Stein, oder eine Richt-Schnur, darnach die Prüfung muß angestellet werden; und denn peritia probandi, die Wissenschaft, wie die Prüfung darnach einzurichten sey. Die Richt-Schnur ist GOt- tes Wort. Aber so hinlänglich diese an sich selbst ist, so ist es doch damit ohne die eigentli- che Wissenschaft der Prüfung so wenig ausge- richtet, als wenn ein Gold-Schmidt iemanden alle seine Probier-Steine nebst den darauf zu streichenden mancherley Arten des Metalles da- hin legte, er wüßte sie aber nicht zu gebrauchen. Was nun in natürlichen Dingen ist die Wissen- schaft, wie die Prüfung anzustellen sey, das ist in göttlichen Dingen die vorher beschriebene Er- fahrung. 4. Hieraus kan man nun aufs neue erken- nen, wie daß kein Unbekehrter, weil es ihm an der Erfahrung fehlet, aus sich selbst und bey sich selbst von practischen Dingen eine richtige Er- käntniß hat. Was er davon saget, das erken- net er nur bloß buchstäblich und oben hin, und spricht darinnen andern nach, was er davon ge- lesen, oder gehöret hat, oder selbst aus natürli- chen Kräften begreifet. 5. Die Lauterkeit bestehet in der Richtig- keit des Zwecks, oder der Absicht, wie auch der Handlung, die man innerlich oder äusserlich bey sich vornimmt und verrichtet. Und also gehöret sonderlich dazu die sonst hin und wieder, sonder- lich 2 Cor. 11, 3. von Paulo und auch von CHri- sto selbst Matth. 6, 22. 23. angepriesene Einfalt, oder das einfältige Auge des Leibes. Davon das Gegentheil ist das Schalcks-Auge, oder die Unrichtigkeit der Absichten, welche sonst auch die Heucheley genennet wird. Von dieser Lau- terkeit, zu welcher eine beständige Selbst-Prü- fung gehöret, sehe man 1 Cor. 5, 8. 2 Cor. 1, 12. 2, 17. 2 Pet. 2, 1. 6. Was die geforderte Unanstößigkeit betrifft, so ist sie von gedoppelter Art, da man an- dern keinen Anstoß giebet, auch nicht wor- innen nimmt. Einen Anstoß geben findet sich bey einem unlautern und unrichtigen Wan- del; einen Anstoß nehmen findet sich bey der Schwachheit, da man nicht vieles tragen kan. Zwar siehet Paulus wol eigentlich, wie es der Context anzeiget, darauf, daß man niemanden einen Anstoß geben und daher sich aller Lauter- keit und Richtigkeit des Wandels befleißigen soll. Wo denn dieses ist, so kömmt der Mensch zur rechten Stärcke des Geistes, und folglich nimmt er so leicht keinen Anstoß, sondern er kan vieles tragen, doch daß er es deßwegen nicht eben gut heisset. Man sehe von solcher Unanstößig- keit auch Ap. Gesch. 24, 16. 1 Cor. 10, 32. Deß- gleichen Matth. 18, 7. 8. 1 Joh. 2, 11. Von den Worten: bis auf den Tag CHristi, siehe vor- her v. 6. 7. Gleichwie der Apostel im vorhergehen- [Spaltenumbruch] den Verse beydes mit einander genau verbunden hatte, nemlich den Wachsthum in der Liebe am Willen, und in der Erkäntniß am Verstande: also füget er beydes auch alhier unzertrennlich zusammen. Denn diese Prüfung gehet auf den Verstand, und die unanstößige Lauterkeit auf den Willen und auf das gantze Leben. 8. Es zeiget auch der Zusammenhang bey- der Verse an, wie eines das andere befördere. Denn v. 9. hat der Apostel Wunsches-weise be- zeuget, wie die Liebe soll wachsen durch die Er- käntniß und Erfahrung. Dieser Wachsthum soll zur rechten Prüfung dienen (daß ihr prü- fen möget, heißt es:) und diese Prüfung, als ein Geschäfte des geheiligten und erleuchteten Verstandes, soll denn der Lauterkeit des Wil- lens und der Richtigkeit des gantzen Lebens zu statten kommen. Denn sie sollen prüfen, auf daß sie lauter und unanstößig seyn möchten. 9. Gleichwie der Apostel alhier die Prü- fung aus der Erfahrung und aus dem Wachs- thum in der Liebe, und also aus der Erneuerung herführet, so ist im übrigen von dieser Ordnung der Parallel-Ort Rom. 12, 2. wohl zu mercken; als woselbst er die Prüfung des göttlichen Wil- lens gleichfalls aus solcher Quelle herleitet, wenn er spricht: Jch ermahne euch, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer - - und stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Verneuerung eures Sinnes, eis to dokimazein umas, auf daß ihr prüfen möget, was da sey der gute, der wohlgefällige, und der vollkommene GOt- tes-Wille. 10. Es hat demnach kein Gottloser, er sey Lehrer oder Zuhörer, die Gabe der geistlichen Prüfung, weil es an der Erneuerung, und an dem allen fehlet, welches Paulus in dem bisher erläuterten Texte dazu erfordert. 11. Es ist aber im übrigen wohl zu mercken, daß die geistliche Prüfung theils eine besondere Gnaden-Gabe GOttes und also nicht allen ge- mein sey; theils aber allen Christen zukomme, gleichwie der Apostel sie alhier allen gläubigen Philippern zueignet. Als eine besondere, doch nicht eben ausserordentliche, Gnaden-Gabe fin- det sie sich bey denen, welche von Natur schon ein grösseres Maß eines wohlgesetzten Verstandes haben, und bey welchen dasselbe durch die Gna- de recht geheiliget ist. Und da ist es eine nöthige Gabe eines öffentlichen Lehrers; die man doch auch nicht bey allen antrifft. Es müssen doch aber alle übrige Lehrer und gläubige Christen davon so viel haben, als ihnen zur richtigen Führung ih- res Amts und ihres Christenthums nöthig ist. V. 11. Erfüllet mit Früchten der Gerechtig- Anmerckungen. 1. Wir finden älhier eine schöne Beschrei- bung der wahren guten Wercke; nemlich sie sind
Cap. 1, v. 10. 11. an die Philipper. [Spaltenumbruch]
kommenden Dinge anſtellen, und denn davondas wahre und gute, oder das beſte erwaͤhlen. Welches letztere Paulus beſonders ausdrucket, wenn er ſaget: Pruͤfet alles, und das Gute behaltet. 1 Theſſ. 5, 21. 3. Zur Pruͤfung aber gehoͤret ſonderlich zweyerley: erſtlich ein Pruͤfe-Stein, oder eine Richt-Schnur, darnach die Pruͤfung muß angeſtellet werden; und denn peritia probandi, die Wiſſenſchaft, wie die Pruͤfung darnach einzurichten ſey. Die Richt-Schnur iſt GOt- tes Wort. Aber ſo hinlaͤnglich dieſe an ſich ſelbſt iſt, ſo iſt es doch damit ohne die eigentli- che Wiſſenſchaft der Pruͤfung ſo wenig ausge- richtet, als wenn ein Gold-Schmidt iemanden alle ſeine Probier-Steine nebſt den darauf zu ſtreichenden mancherley Arten des Metalles da- hin legte, er wuͤßte ſie aber nicht zu gebrauchen. Was nun in natuͤrlichen Dingen iſt die Wiſſen- ſchaft, wie die Pruͤfung anzuſtellen ſey, das iſt in goͤttlichen Dingen die vorher beſchriebene Er- fahrung. 4. Hieraus kan man nun aufs neue erken- nen, wie daß kein Unbekehrter, weil es ihm an der Erfahrung fehlet, aus ſich ſelbſt und bey ſich ſelbſt von practiſchen Dingen eine richtige Er- kaͤntniß hat. Was er davon ſaget, das erken- net er nur bloß buchſtaͤblich und oben hin, und ſpricht darinnen andern nach, was er davon ge- leſen, oder gehoͤret hat, oder ſelbſt aus natuͤrli- chen Kraͤften begreifet. 5. Die Lauterkeit beſtehet in der Richtig- keit des Zwecks, oder der Abſicht, wie auch der Handlung, die man innerlich oder aͤuſſerlich bey ſich vornimmt und verrichtet. Und alſo gehoͤret ſonderlich dazu die ſonſt hin und wieder, ſonder- lich 2 Cor. 11, 3. von Paulo und auch von CHri- ſto ſelbſt Matth. 6, 22. 23. angeprieſene Einfalt, oder das einfaͤltige Auge des Leibes. Davon das Gegentheil iſt das Schalcks-Auge, oder die Unrichtigkeit der Abſichten, welche ſonſt auch die Heucheley genennet wird. Von dieſer Lau- terkeit, zu welcher eine beſtaͤndige Selbſt-Pruͤ- fung gehoͤret, ſehe man 1 Cor. 5, 8. 2 Cor. 1, 12. 2, 17. 2 Pet. 2, 1. 6. Was die geforderte Unanſtoͤßigkeit betrifft, ſo iſt ſie von gedoppelter Art, da man an- dern keinen Anſtoß giebet, auch nicht wor- innen nimmt. Einen Anſtoß geben findet ſich bey einem unlautern und unrichtigen Wan- del; einen Anſtoß nehmen findet ſich bey der Schwachheit, da man nicht vieles tragen kan. Zwar ſiehet Paulus wol eigentlich, wie es der Context anzeiget, darauf, daß man niemanden einen Anſtoß geben und daher ſich aller Lauter- keit und Richtigkeit des Wandels befleißigen ſoll. Wo denn dieſes iſt, ſo koͤmmt der Menſch zur rechten Staͤrcke des Geiſtes, und folglich nimmt er ſo leicht keinen Anſtoß, ſondern er kan vieles tragen, doch daß er es deßwegen nicht eben gut heiſſet. Man ſehe von ſolcher Unanſtoͤßig- keit auch Ap. Geſch. 24, 16. 1 Cor. 10, 32. Deß- gleichen Matth. 18, 7. 8. 1 Joh. 2, 11. Von den Worten: bis auf den Tag CHriſti, ſiehe vor- her v. 6. 7. Gleichwie der Apoſtel im vorhergehen- [Spaltenumbruch] den Verſe beydes mit einander genau verbunden hatte, nemlich den Wachsthum in der Liebe am Willen, und in der Erkaͤntniß am Verſtande: alſo fuͤget er beydes auch alhier unzertrennlich zuſammen. Denn dieſe Pruͤfung gehet auf den Verſtand, und die unanſtoͤßige Lauterkeit auf den Willen und auf das gantze Leben. 8. Es zeiget auch der Zuſammenhang bey- der Verſe an, wie eines das andere befoͤrdere. Denn v. 9. hat der Apoſtel Wunſches-weiſe be- zeuget, wie die Liebe ſoll wachſen durch die Er- kaͤntniß und Erfahrung. Dieſer Wachsthum ſoll zur rechten Pruͤfung dienen (daß ihr pruͤ- fen moͤget, heißt es:) und dieſe Pruͤfung, als ein Geſchaͤfte des geheiligten und erleuchteten Verſtandes, ſoll denn der Lauterkeit des Wil- lens und der Richtigkeit des gantzen Lebens zu ſtatten kommen. Denn ſie ſollen pruͤfen, auf daß ſie lauter und unanſtoͤßig ſeyn moͤchten. 9. Gleichwie der Apoſtel alhier die Pruͤ- fung aus der Erfahrung und aus dem Wachs- thum in der Liebe, und alſo aus der Erneuerung herfuͤhret, ſo iſt im uͤbrigen von dieſer Ordnung der Parallel-Ort Rom. 12, 2. wohl zu mercken; als woſelbſt er die Pruͤfung des goͤttlichen Wil- lens gleichfalls aus ſolcher Quelle herleitet, wenn er ſpricht: Jch ermahne euch, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer ‒ ‒ und ſtellet euch nicht dieſer Welt gleich, ſondern veraͤndert euch durch Verneuerung eures Sinnes, εἰς τὸ δοκιμάζειν ὑμᾶς, auf daß ihr pruͤfen moͤget, was da ſey der gute, der wohlgefaͤllige, und der vollkommene GOt- tes-Wille. 10. Es hat demnach kein Gottloſer, er ſey Lehrer oder Zuhoͤrer, die Gabe der geiſtlichen Pruͤfung, weil es an der Erneuerung, und an dem allen fehlet, welches Paulus in dem bisher erlaͤuterten Texte dazu erfordert. 11. Es iſt aber im uͤbrigen wohl zu mercken, daß die geiſtliche Pruͤfung theils eine beſondere Gnaden-Gabe GOttes und alſo nicht allen ge- mein ſey; theils aber allen Chriſten zukomme, gleichwie der Apoſtel ſie alhier allen glaͤubigen Philippern zueignet. Als eine beſondere, doch nicht eben auſſerordentliche, Gnaden-Gabe fin- det ſie ſich bey denen, welche von Natur ſchon ein groͤſſeres Maß eines wohlgeſetzten Verſtandes haben, und bey welchen daſſelbe durch die Gna- de recht geheiliget iſt. Und da iſt es eine noͤthige Gabe eines oͤffentlichen Lehrers; die man doch auch nicht bey allen antrifft. Es muͤſſen doch aber alle uͤbrige Lehrer und glaͤubige Chriſten davon ſo viel haben, als ihnen zur richtigen Fuͤhrung ih- res Amts und ihres Chriſtenthums noͤthig iſt. V. 11. Erfuͤllet mit Fruͤchten der Gerechtig- Anmerckungen. 1. Wir finden aͤlhier eine ſchoͤne Beſchrei- bung der wahren guten Wercke; nemlich ſie ſind
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Cap. 1, v. 10. 11. an die Philipper.
kommenden Dinge anſtellen, und denn davon
das wahre und gute, oder das beſte erwaͤhlen.
Welches letztere Paulus beſonders ausdrucket,
wenn er ſaget: Pruͤfet alles, und das Gute
behaltet. 1 Theſſ. 5, 21.
3. Zur Pruͤfung aber gehoͤret ſonderlich
zweyerley: erſtlich ein Pruͤfe-Stein, oder eine
Richt-Schnur, darnach die Pruͤfung muß
angeſtellet werden; und denn peritia probandi,
die Wiſſenſchaft, wie die Pruͤfung darnach
einzurichten ſey. Die Richt-Schnur iſt GOt-
tes Wort. Aber ſo hinlaͤnglich dieſe an ſich
ſelbſt iſt, ſo iſt es doch damit ohne die eigentli-
che Wiſſenſchaft der Pruͤfung ſo wenig ausge-
richtet, als wenn ein Gold-Schmidt iemanden
alle ſeine Probier-Steine nebſt den darauf zu
ſtreichenden mancherley Arten des Metalles da-
hin legte, er wuͤßte ſie aber nicht zu gebrauchen.
Was nun in natuͤrlichen Dingen iſt die Wiſſen-
ſchaft, wie die Pruͤfung anzuſtellen ſey, das iſt
in goͤttlichen Dingen die vorher beſchriebene Er-
fahrung.
4. Hieraus kan man nun aufs neue erken-
nen, wie daß kein Unbekehrter, weil es ihm an
der Erfahrung fehlet, aus ſich ſelbſt und bey ſich
ſelbſt von practiſchen Dingen eine richtige Er-
kaͤntniß hat. Was er davon ſaget, das erken-
net er nur bloß buchſtaͤblich und oben hin, und
ſpricht darinnen andern nach, was er davon ge-
leſen, oder gehoͤret hat, oder ſelbſt aus natuͤrli-
chen Kraͤften begreifet.
5. Die Lauterkeit beſtehet in der Richtig-
keit des Zwecks, oder der Abſicht, wie auch der
Handlung, die man innerlich oder aͤuſſerlich bey
ſich vornimmt und verrichtet. Und alſo gehoͤret
ſonderlich dazu die ſonſt hin und wieder, ſonder-
lich 2 Cor. 11, 3. von Paulo und auch von CHri-
ſto ſelbſt Matth. 6, 22. 23. angeprieſene Einfalt,
oder das einfaͤltige Auge des Leibes. Davon
das Gegentheil iſt das Schalcks-Auge, oder die
Unrichtigkeit der Abſichten, welche ſonſt auch
die Heucheley genennet wird. Von dieſer Lau-
terkeit, zu welcher eine beſtaͤndige Selbſt-Pruͤ-
fung gehoͤret, ſehe man 1 Cor. 5, 8. 2 Cor. 1,
12. 2, 17. 2 Pet. 2, 1.
6. Was die geforderte Unanſtoͤßigkeit
betrifft, ſo iſt ſie von gedoppelter Art, da man an-
dern keinen Anſtoß giebet, auch nicht wor-
innen nimmt. Einen Anſtoß geben findet
ſich bey einem unlautern und unrichtigen Wan-
del; einen Anſtoß nehmen findet ſich bey der
Schwachheit, da man nicht vieles tragen kan.
Zwar ſiehet Paulus wol eigentlich, wie es der
Context anzeiget, darauf, daß man niemanden
einen Anſtoß geben und daher ſich aller Lauter-
keit und Richtigkeit des Wandels befleißigen
ſoll. Wo denn dieſes iſt, ſo koͤmmt der Menſch
zur rechten Staͤrcke des Geiſtes, und folglich
nimmt er ſo leicht keinen Anſtoß, ſondern er kan
vieles tragen, doch daß er es deßwegen nicht eben
gut heiſſet. Man ſehe von ſolcher Unanſtoͤßig-
keit auch Ap. Geſch. 24, 16. 1 Cor. 10, 32. Deß-
gleichen Matth. 18, 7. 8. 1 Joh. 2, 11. Von den
Worten: bis auf den Tag CHriſti, ſiehe vor-
her v. 6.
7. Gleichwie der Apoſtel im vorhergehen-
den Verſe beydes mit einander genau verbunden
hatte, nemlich den Wachsthum in der Liebe am
Willen, und in der Erkaͤntniß am Verſtande:
alſo fuͤget er beydes auch alhier unzertrennlich
zuſammen. Denn dieſe Pruͤfung gehet auf den
Verſtand, und die unanſtoͤßige Lauterkeit auf
den Willen und auf das gantze Leben.
8. Es zeiget auch der Zuſammenhang bey-
der Verſe an, wie eines das andere befoͤrdere.
Denn v. 9. hat der Apoſtel Wunſches-weiſe be-
zeuget, wie die Liebe ſoll wachſen durch die Er-
kaͤntniß und Erfahrung. Dieſer Wachsthum
ſoll zur rechten Pruͤfung dienen (daß ihr pruͤ-
fen moͤget, heißt es:) und dieſe Pruͤfung, als
ein Geſchaͤfte des geheiligten und erleuchteten
Verſtandes, ſoll denn der Lauterkeit des Wil-
lens und der Richtigkeit des gantzen Lebens zu
ſtatten kommen. Denn ſie ſollen pruͤfen, auf
daß ſie lauter und unanſtoͤßig ſeyn moͤchten.
9. Gleichwie der Apoſtel alhier die Pruͤ-
fung aus der Erfahrung und aus dem Wachs-
thum in der Liebe, und alſo aus der Erneuerung
herfuͤhret, ſo iſt im uͤbrigen von dieſer Ordnung
der Parallel-Ort Rom. 12, 2. wohl zu mercken;
als woſelbſt er die Pruͤfung des goͤttlichen Wil-
lens gleichfalls aus ſolcher Quelle herleitet, wenn
er ſpricht: Jch ermahne euch, daß ihr eure
Leiber begebet zum Opfer ‒ ‒ und ſtellet
euch nicht dieſer Welt gleich, ſondern
veraͤndert euch durch Verneuerung eures
Sinnes, εἰς τὸ δοκιμάζειν ὑμᾶς, auf daß ihr
pruͤfen moͤget, was da ſey der gute, der
wohlgefaͤllige, und der vollkommene GOt-
tes-Wille.
10. Es hat demnach kein Gottloſer, er ſey
Lehrer oder Zuhoͤrer, die Gabe der geiſtlichen
Pruͤfung, weil es an der Erneuerung, und an
dem allen fehlet, welches Paulus in dem bisher
erlaͤuterten Texte dazu erfordert.
11. Es iſt aber im uͤbrigen wohl zu mercken,
daß die geiſtliche Pruͤfung theils eine beſondere
Gnaden-Gabe GOttes und alſo nicht allen ge-
mein ſey; theils aber allen Chriſten zukomme,
gleichwie der Apoſtel ſie alhier allen glaͤubigen
Philippern zueignet. Als eine beſondere, doch
nicht eben auſſerordentliche, Gnaden-Gabe fin-
det ſie ſich bey denen, welche von Natur ſchon ein
groͤſſeres Maß eines wohlgeſetzten Verſtandes
haben, und bey welchen daſſelbe durch die Gna-
de recht geheiliget iſt. Und da iſt es eine noͤthige
Gabe eines oͤffentlichen Lehrers; die man doch
auch nicht bey allen antrifft. Es muͤſſen doch aber
alle uͤbrige Lehrer und glaͤubige Chriſten davon ſo
viel haben, als ihnen zur richtigen Fuͤhrung ih-
res Amts und ihres Chriſtenthums noͤthig
iſt.
V. 11.
Erfuͤllet mit Fruͤchten der Gerechtig-
keit, die durch JESUM CHriſtum ge-
ſchehen in euch zur Ehre und Lobe GOt-
tes.
Anmerckungen.
1. Wir finden aͤlhier eine ſchoͤne Beſchrei-
bung der wahren guten Wercke; nemlich ſie
ſind
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