Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.
Erklärung des Briefs Pauli Cap. 5, v. 10. 11. [Spaltenumbruch]
den. Da diese mit dem gantzen menschlichen Ge-schlechte erlöset sind, jene aber nicht. 5. Man wird auch wenig Exempel finden, daß verführische Lehrer sich rechtschaffen zu GOtt bekehren: wie denn Paulus von denen, von welchen er hier redet, sich gar keine Hoffnung gemachet zu haben scheinet: zumal wenn man erweget, was v. 12. folget. Es trift hier auch ein, was unser Heiland spricht: Luc. 17, 1. 2. Wehe deme, durch welchen Aergernisse kommen. 6. Es pfleget aber gemeiniglich zu gesche- hen, daß diejenigen, welche, wie mit ihrem und der ihrigen weltförmigen Leben, also auch mit ihrer losen Lehre, die meiste Zerrüttung in der Kirche GOttes anrichten, solches am aller- wenigsten erkennen, sondern viel mehr recht- schaffne Knechte GOTTes, die CHristi und auch Pauli Nachfolger, der Verführung be- schuldigen: wie es Paulo und CHristo selbst von den Pharisäern ergangen ist. Und daher kömmt es eben, daß es mit ihrer Bekehrung so hart hält. V. 11. Jch aber, lieben Brüder, (dafür ich Anmerckungen. 1. Die Apostel und übrige ersten Christen haben keine ärgere Feinde gehabt, als die blin- den Juden; als von welchen sie bey den Hei- den aufs greulichste verlästert wurden, als die abscheulichsten Ubelthäter. Da nun die Chri- sten zum theil Juden gewesen waren, und für eine Jüdische neue Secte gehalten wurden: so funden sie mit ihren so feindseligen Beschuldi- gungen bey den Heiden Eingang: sintemal die- se dafür hielten, es würden die Juden Leute von ihrer eigenen Religion nicht so hassen und verfolgen, wo sie nicht genugsame Ursache da- zu hätten. 2. Es konten aber die Juden an den Apo- steln nichts weniger leiden, als daß sie von Chri- sto also predigten, daß durch seinen Tod die Beschneidung mit der Nothwendigkeit, die Seligkeit aus dem gesetzlichen Gehorsam zu su- chen, aufgehoben sey. Denn damit ging die gantze Oeconomie ihrer Kirche und Religion, in so fern sie typisch war und in Vorbildern bestunde, über einen Haufen. Welches aber auch geschehen solte und muste nach den so vielen Verheissungen, welche von der Person und dem Amte des Meßiä gegeben waren. Hätten die Apostel CHristum nur bloß als einen grossen Propheten und heiligen Wunderthäter beschrie- ben, und dabey die Jüdische Kirche in ihrer Form stehen lassen, auch den Heiden dieselbe mit angepriesen, und sie zur Annehmung der Beschneidung zu bringen gesuchet: so würden sie ungekräncket geblieben seyn: da die Juden solches so viel eher würden gelitten haben, so viel mehr sie von der Unschuld JEsu überzeuget waren. Jene wären aber auf diese Art nicht CHristi, sondern falsche Apostel gewesen. 3. Man siehet aber auch wol aus den Worten Pauli, daß er selbst beschuldiget seyn muß, als hielte er selbst vest auf die Beschnei- dung: als wozu die falschen Lehrer wol werden sonderlich das Exempel gemißbrauchet haben, daß er Timotheum beschneiden lassen Act. 16, 3. welches doch aber in der Christlichen Freyheit und ohne Absicht auf die Seligkeit, gewisser Um- stände wegen, sonderlich den schwachen Juden zu gefallen, geschehen war. Daß er aber sonst nicht auf die Beschneidung gegangen, beweiset er mit seinen den Galatern gar bekanten Ver- folgungen: als der er grossen theils überhoben seyn können, wo er die Beschneidung als eine zur Seligkeit nothwendige Sache hätte beybe- halten wollen. 4. Wenn man noch also prediget, daß man bey der unbekehrten und sonderlich der Pharisäischen Welt noch immer ohne Verfol- gung bleibet, so ist es eine Anzeigung, daß man den Rath GOttes nicht in seiner rechten Lau- terkeit vorträget, sondern nur redet, wie es die Leute gerne hören wollen. 5. CHristi Creutzes-Tod war der Jüdi- schen Nation nicht eben an sich selbst ärgerlich; sintemal ihn die allermeisten, in gewissen Stü- cken, nach der geheimen Uberzeugung ihres Ge- wissens für unschuldig hielten, sie auch bey ih- ren Vorfahren an den wahren Propheten der- gleichen Exempel hatten, solche deßwegen doch lieb und wehrt hielten, also, daß sie auch ihre Gräber schmückten Matth. 23, 29. Das aber war ihnen am Creutze CHristi so gar ärgerlich, daß sie durch seinen Tod solten erlöset seyn und nun weder der Beschneidung, noch der Opfer, an welche sie so sehr gewehnet waren, mehr be- nöthiget seyn, auch nicht nöthig haben, aus einem dem Moral-Gesetze zu leistenden, aber in der gehörigen Vollkommenheit unmöglichen, Gehorsam die Seligkeit zu suchen. Und sol- chen Leuten accommodiren sich die falschen Leh- rer, damit sie ohne Verfolgung bleiben möch- ten:
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 5, v. 10. 11. [Spaltenumbruch]
den. Da dieſe mit dem gantzen menſchlichen Ge-ſchlechte erloͤſet ſind, jene aber nicht. 5. Man wird auch wenig Exempel finden, daß verfuͤhriſche Lehrer ſich rechtſchaffen zu GOtt bekehren: wie denn Paulus von denen, von welchen er hier redet, ſich gar keine Hoffnung gemachet zu haben ſcheinet: zumal wenn man erweget, was v. 12. folget. Es trift hier auch ein, was unſer Heiland ſpricht: Luc. 17, 1. 2. Wehe deme, durch welchen Aergerniſſe kommen. 6. Es pfleget aber gemeiniglich zu geſche- hen, daß diejenigen, welche, wie mit ihrem und der ihrigen weltfoͤrmigen Leben, alſo auch mit ihrer loſen Lehre, die meiſte Zerruͤttung in der Kirche GOttes anrichten, ſolches am aller- wenigſten erkennen, ſondern viel mehr recht- ſchaffne Knechte GOTTes, die CHriſti und auch Pauli Nachfolger, der Verfuͤhrung be- ſchuldigen: wie es Paulo und CHriſto ſelbſt von den Phariſaͤern ergangen iſt. Und daher koͤmmt es eben, daß es mit ihrer Bekehrung ſo hart haͤlt. V. 11. Jch aber, lieben Bruͤder, (dafuͤr ich Anmerckungen. 1. Die Apoſtel und uͤbrige erſten Chriſten haben keine aͤrgere Feinde gehabt, als die blin- den Juden; als von welchen ſie bey den Hei- den aufs greulichſte verlaͤſtert wurden, als die abſcheulichſten Ubelthaͤter. Da nun die Chri- ſten zum theil Juden geweſen waren, und fuͤr eine Juͤdiſche neue Secte gehalten wurden: ſo funden ſie mit ihren ſo feindſeligen Beſchuldi- gungen bey den Heiden Eingang: ſintemal die- ſe dafuͤr hielten, es wuͤrden die Juden Leute von ihrer eigenen Religion nicht ſo haſſen und verfolgen, wo ſie nicht genugſame Urſache da- zu haͤtten. 2. Es konten aber die Juden an den Apo- ſteln nichts weniger leiden, als daß ſie von Chri- ſto alſo predigten, daß durch ſeinen Tod die Beſchneidung mit der Nothwendigkeit, die Seligkeit aus dem geſetzlichen Gehorſam zu ſu- chen, aufgehoben ſey. Denn damit ging die gantze Oeconomie ihrer Kirche und Religion, in ſo fern ſie typiſch war und in Vorbildern beſtunde, uͤber einen Haufen. Welches aber auch geſchehen ſolte und muſte nach den ſo vielen Verheiſſungen, welche von der Perſon und dem Amte des Meßiaͤ gegeben waren. Haͤtten die Apoſtel CHriſtum nur bloß als einen groſſen Propheten und heiligen Wunderthaͤter beſchrie- ben, und dabey die Juͤdiſche Kirche in ihrer Form ſtehen laſſen, auch den Heiden dieſelbe mit angeprieſen, und ſie zur Annehmung der Beſchneidung zu bringen geſuchet: ſo wuͤrden ſie ungekraͤncket geblieben ſeyn: da die Juden ſolches ſo viel eher wuͤrden gelitten haben, ſo viel mehr ſie von der Unſchuld JEſu uͤberzeuget waren. Jene waͤren aber auf dieſe Art nicht CHriſti, ſondern falſche Apoſtel geweſen. 3. Man ſiehet aber auch wol aus den Worten Pauli, daß er ſelbſt beſchuldiget ſeyn muß, als hielte er ſelbſt veſt auf die Beſchnei- dung: als wozu die falſchen Lehrer wol werden ſonderlich das Exempel gemißbrauchet haben, daß er Timotheum beſchneiden laſſen Act. 16, 3. welches doch aber in der Chriſtlichen Freyheit und ohne Abſicht auf die Seligkeit, gewiſſer Um- ſtaͤnde wegen, ſonderlich den ſchwachen Juden zu gefallen, geſchehen war. Daß er aber ſonſt nicht auf die Beſchneidung gegangen, beweiſet er mit ſeinen den Galatern gar bekanten Ver- folgungen: als der er groſſen theils uͤberhoben ſeyn koͤnnen, wo er die Beſchneidung als eine zur Seligkeit nothwendige Sache haͤtte beybe- halten wollen. 4. Wenn man noch alſo prediget, daß man bey der unbekehrten und ſonderlich der Phariſaͤiſchen Welt noch immer ohne Verfol- gung bleibet, ſo iſt es eine Anzeigung, daß man den Rath GOttes nicht in ſeiner rechten Lau- terkeit vortraͤget, ſondern nur redet, wie es die Leute gerne hoͤren wollen. 5. CHriſti Creutzes-Tod war der Juͤdi- ſchen Nation nicht eben an ſich ſelbſt aͤrgerlich; ſintemal ihn die allermeiſten, in gewiſſen Stuͤ- cken, nach der geheimen Uberzeugung ihres Ge- wiſſens fuͤr unſchuldig hielten, ſie auch bey ih- ren Vorfahren an den wahren Propheten der- gleichen Exempel hatten, ſolche deßwegen doch lieb und wehrt hielten, alſo, daß ſie auch ihre Graͤber ſchmuͤckten Matth. 23, 29. Das aber war ihnen am Creutze CHriſti ſo gar aͤrgerlich, daß ſie durch ſeinen Tod ſolten erloͤſet ſeyn und nun weder der Beſchneidung, noch der Opfer, an welche ſie ſo ſehr gewehnet waren, mehr be- noͤthiget ſeyn, auch nicht noͤthig haben, aus einem dem Moral-Geſetze zu leiſtenden, aber in der gehoͤrigen Vollkommenheit unmoͤglichen, Gehorſam die Seligkeit zu ſuchen. Und ſol- chen Leuten accommodiren ſich die falſchen Leh- rer, damit ſie ohne Verfolgung bleiben moͤch- ten:
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <list> <item><pb facs="#f0586" n="558"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erklaͤrung des Briefs Pauli <hi rendition="#et">Cap. 5, v. 10. 11.</hi></hi></fw><lb/><cb/> den. Da dieſe mit dem gantzen menſchlichen Ge-<lb/> ſchlechte erloͤſet ſind, jene aber nicht.</item><lb/> <item>5. Man wird auch wenig Exempel finden,<lb/> daß verfuͤhriſche Lehrer ſich rechtſchaffen zu GOtt<lb/> bekehren: wie denn Paulus von denen, von<lb/> welchen er hier redet, ſich gar keine Hoffnung<lb/> gemachet zu haben ſcheinet: zumal wenn man<lb/> erweget, was v. 12. folget. Es trift hier auch<lb/> ein, was unſer Heiland ſpricht: Luc. 17, 1. 2.<lb/><hi rendition="#fr">Wehe deme, durch welchen Aergerniſſe<lb/> kommen.</hi></item><lb/> <item>6. Es pfleget aber gemeiniglich zu geſche-<lb/> hen, daß diejenigen, welche, wie mit ihrem<lb/> und der ihrigen weltfoͤrmigen Leben, alſo auch<lb/> mit ihrer loſen Lehre, die meiſte Zerruͤttung in<lb/> der Kirche GOttes anrichten, ſolches am aller-<lb/> wenigſten erkennen, ſondern viel mehr recht-<lb/> ſchaffne Knechte GOTTes, die CHriſti und<lb/> auch Pauli Nachfolger, der Verfuͤhrung be-<lb/> ſchuldigen: wie es Paulo und CHriſto ſelbſt<lb/> von den Phariſaͤern ergangen iſt. Und daher<lb/> koͤmmt es eben, daß es mit ihrer Bekehrung ſo<lb/> hart haͤlt.</item> </list> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head>V. 11.</head><lb/> <p><hi rendition="#fr">Jch aber, lieben Bruͤder,</hi> (dafuͤr ich<lb/> euch zum theil, als noch nicht zerruͤttet, halte, zum<lb/> theil auch hoffe, durch dieſen Brief, als ver-<lb/> renckte Glieder, wieder eingerichtet zu haben,<lb/> und euch daher nicht allein mit einer treuen und<lb/> Apoſtoliſchen Hirten-Liebe, ſondern auch mit<lb/> einer recht innigen Bruder-Liebe umfaſſe,) <hi rendition="#fr">ſo<lb/> ich die Beſchneidung noch</hi> (ietzo, wie ehe-<lb/> mals im Judenthum) <hi rendition="#fr">predige,</hi> (nemlich als<lb/> eine auch bey der neuen <hi rendition="#aq">Oeconomi</hi>e des Evange-<lb/> lii zur Seligkeit noͤthige Sache; wie ich von<lb/> den verfuͤhriſchen Lehrern beſchuldiget werde,)<lb/><hi rendition="#fr">warum leide ich denn Verfolgung,</hi> (nem-<lb/> lich am allermeiſten von den unglaubigen Ju-<lb/> den; als welche denn auch aller Orten die Hei-<lb/> den mit ihren Laͤſterungen dazu aufbringen:<lb/> vor denen ich aber guten Friede haben wuͤrde,<lb/> wofern ich nur einen ſolchen CHriſtum predig-<lb/> te, der die gantze bisherige <hi rendition="#aq">Oeconomi</hi>e ihrer<lb/> Kirche in dem vorigen Stande ſtehen lieſſe:)<lb/><hi rendition="#fr">So haͤtte das Aergerniß des Creutzes auf-<lb/> gehoͤret,</hi> (daß man an ſtatt der Beſchneidung<lb/> durch den Creutzes-Tod CHriſti die Seligkeit<lb/> erlangen ſoll: welches den Juden ſo aͤrgerlich<lb/> war. 1 Cor. 1, 23.</p><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/> <list> <item>1. Die Apoſtel und uͤbrige erſten Chriſten<lb/> haben keine aͤrgere Feinde gehabt, als die blin-<lb/> den Juden; als von welchen ſie bey den Hei-<lb/> den aufs greulichſte verlaͤſtert wurden, als die<lb/> abſcheulichſten Ubelthaͤter. Da nun die Chri-<lb/> ſten zum theil Juden geweſen waren, und fuͤr<lb/> eine Juͤdiſche neue Secte gehalten wurden: ſo<lb/> funden ſie mit ihren ſo feindſeligen Beſchuldi-<lb/> gungen bey den Heiden Eingang: ſintemal die-<lb/> ſe dafuͤr hielten, es wuͤrden die Juden Leute<lb/> von ihrer eigenen Religion nicht ſo haſſen und<lb/> verfolgen, wo ſie nicht genugſame Urſache da-<lb/> zu haͤtten.</item> </list><lb/> <cb/> <list> <item>2. Es konten aber die Juden an den Apo-<lb/> ſteln nichts weniger leiden, als daß ſie von Chri-<lb/> ſto alſo predigten, daß durch ſeinen Tod die<lb/> Beſchneidung mit der Nothwendigkeit, die<lb/> Seligkeit aus dem geſetzlichen Gehorſam zu ſu-<lb/> chen, aufgehoben ſey. Denn damit ging die<lb/> gantze <hi rendition="#aq">Oeconomi</hi>e ihrer Kirche und Religion,<lb/> in ſo fern ſie <hi rendition="#aq">typi</hi>ſch war und in Vorbildern<lb/> beſtunde, uͤber einen Haufen. Welches aber<lb/> auch geſchehen ſolte und muſte nach den ſo vielen<lb/> Verheiſſungen, welche von der Perſon und dem<lb/> Amte des Meßiaͤ gegeben waren. Haͤtten die<lb/> Apoſtel CHriſtum nur bloß als einen groſſen<lb/> Propheten und heiligen Wunderthaͤter beſchrie-<lb/> ben, und dabey die Juͤdiſche Kirche in ihrer<lb/> Form ſtehen laſſen, auch den Heiden dieſelbe<lb/> mit angeprieſen, und ſie zur Annehmung der<lb/> Beſchneidung zu bringen geſuchet: ſo wuͤrden<lb/> ſie ungekraͤncket geblieben ſeyn: da die Juden<lb/> ſolches ſo viel eher wuͤrden gelitten haben, ſo<lb/> viel mehr ſie von der Unſchuld JEſu uͤberzeuget<lb/> waren. Jene waͤren aber auf dieſe Art nicht<lb/> CHriſti, ſondern falſche Apoſtel geweſen.</item><lb/> <item>3. Man ſiehet aber auch wol aus den<lb/> Worten Pauli, daß er ſelbſt beſchuldiget ſeyn<lb/> muß, als hielte er ſelbſt veſt auf die Beſchnei-<lb/> dung: als wozu die falſchen Lehrer wol werden<lb/> ſonderlich das Exempel gemißbrauchet haben,<lb/> daß er Timotheum beſchneiden laſſen Act. 16, 3.<lb/> welches doch aber in der Chriſtlichen Freyheit<lb/> und ohne Abſicht auf die Seligkeit, gewiſſer Um-<lb/> ſtaͤnde wegen, ſonderlich den ſchwachen Juden<lb/> zu gefallen, geſchehen war. Daß er aber ſonſt<lb/> nicht auf die Beſchneidung gegangen, beweiſet<lb/> er mit ſeinen den Galatern gar bekanten Ver-<lb/> folgungen: als der er groſſen theils uͤberhoben<lb/> ſeyn koͤnnen, wo er die Beſchneidung als eine<lb/> zur Seligkeit nothwendige Sache haͤtte beybe-<lb/> halten wollen.</item><lb/> <item>4. Wenn man noch alſo prediget, daß<lb/> man bey der unbekehrten und ſonderlich der<lb/> Phariſaͤiſchen Welt noch immer ohne Verfol-<lb/> gung bleibet, ſo iſt es eine Anzeigung, daß man<lb/> den Rath GOttes nicht in ſeiner rechten Lau-<lb/> terkeit vortraͤget, ſondern nur redet, wie es die<lb/> Leute gerne hoͤren wollen.</item><lb/> <item>5. CHriſti Creutzes-Tod war der Juͤdi-<lb/> ſchen Nation nicht eben an ſich ſelbſt aͤrgerlich;<lb/> ſintemal ihn die allermeiſten, in gewiſſen Stuͤ-<lb/> cken, nach der geheimen Uberzeugung ihres Ge-<lb/> wiſſens fuͤr unſchuldig hielten, ſie auch bey ih-<lb/> ren Vorfahren an den wahren Propheten der-<lb/> gleichen Exempel hatten, ſolche deßwegen doch<lb/> lieb und wehrt hielten, alſo, daß ſie auch ihre<lb/> Graͤber ſchmuͤckten Matth. 23, 29. Das aber<lb/> war ihnen am Creutze CHriſti ſo gar aͤrgerlich,<lb/> daß ſie durch ſeinen Tod ſolten erloͤſet ſeyn und<lb/> nun weder der Beſchneidung, noch der Opfer,<lb/> an welche ſie ſo ſehr gewehnet waren, mehr be-<lb/> noͤthiget ſeyn, auch nicht noͤthig haben, aus<lb/> einem dem Moral-Geſetze zu leiſtenden, aber<lb/> in der gehoͤrigen Vollkommenheit unmoͤglichen,<lb/> Gehorſam die Seligkeit zu ſuchen. Und ſol-<lb/> chen Leuten <hi rendition="#aq">accommodir</hi>en ſich die falſchen Leh-<lb/> rer, damit ſie ohne Verfolgung bleiben moͤch-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ten:</fw><lb/></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [558/0586]
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 5, v. 10. 11.
den. Da dieſe mit dem gantzen menſchlichen Ge-
ſchlechte erloͤſet ſind, jene aber nicht.
5. Man wird auch wenig Exempel finden,
daß verfuͤhriſche Lehrer ſich rechtſchaffen zu GOtt
bekehren: wie denn Paulus von denen, von
welchen er hier redet, ſich gar keine Hoffnung
gemachet zu haben ſcheinet: zumal wenn man
erweget, was v. 12. folget. Es trift hier auch
ein, was unſer Heiland ſpricht: Luc. 17, 1. 2.
Wehe deme, durch welchen Aergerniſſe
kommen.
6. Es pfleget aber gemeiniglich zu geſche-
hen, daß diejenigen, welche, wie mit ihrem
und der ihrigen weltfoͤrmigen Leben, alſo auch
mit ihrer loſen Lehre, die meiſte Zerruͤttung in
der Kirche GOttes anrichten, ſolches am aller-
wenigſten erkennen, ſondern viel mehr recht-
ſchaffne Knechte GOTTes, die CHriſti und
auch Pauli Nachfolger, der Verfuͤhrung be-
ſchuldigen: wie es Paulo und CHriſto ſelbſt
von den Phariſaͤern ergangen iſt. Und daher
koͤmmt es eben, daß es mit ihrer Bekehrung ſo
hart haͤlt.
V. 11.
Jch aber, lieben Bruͤder, (dafuͤr ich
euch zum theil, als noch nicht zerruͤttet, halte, zum
theil auch hoffe, durch dieſen Brief, als ver-
renckte Glieder, wieder eingerichtet zu haben,
und euch daher nicht allein mit einer treuen und
Apoſtoliſchen Hirten-Liebe, ſondern auch mit
einer recht innigen Bruder-Liebe umfaſſe,) ſo
ich die Beſchneidung noch (ietzo, wie ehe-
mals im Judenthum) predige, (nemlich als
eine auch bey der neuen Oeconomie des Evange-
lii zur Seligkeit noͤthige Sache; wie ich von
den verfuͤhriſchen Lehrern beſchuldiget werde,)
warum leide ich denn Verfolgung, (nem-
lich am allermeiſten von den unglaubigen Ju-
den; als welche denn auch aller Orten die Hei-
den mit ihren Laͤſterungen dazu aufbringen:
vor denen ich aber guten Friede haben wuͤrde,
wofern ich nur einen ſolchen CHriſtum predig-
te, der die gantze bisherige Oeconomie ihrer
Kirche in dem vorigen Stande ſtehen lieſſe:)
So haͤtte das Aergerniß des Creutzes auf-
gehoͤret, (daß man an ſtatt der Beſchneidung
durch den Creutzes-Tod CHriſti die Seligkeit
erlangen ſoll: welches den Juden ſo aͤrgerlich
war. 1 Cor. 1, 23.
Anmerckungen.
1. Die Apoſtel und uͤbrige erſten Chriſten
haben keine aͤrgere Feinde gehabt, als die blin-
den Juden; als von welchen ſie bey den Hei-
den aufs greulichſte verlaͤſtert wurden, als die
abſcheulichſten Ubelthaͤter. Da nun die Chri-
ſten zum theil Juden geweſen waren, und fuͤr
eine Juͤdiſche neue Secte gehalten wurden: ſo
funden ſie mit ihren ſo feindſeligen Beſchuldi-
gungen bey den Heiden Eingang: ſintemal die-
ſe dafuͤr hielten, es wuͤrden die Juden Leute
von ihrer eigenen Religion nicht ſo haſſen und
verfolgen, wo ſie nicht genugſame Urſache da-
zu haͤtten.
2. Es konten aber die Juden an den Apo-
ſteln nichts weniger leiden, als daß ſie von Chri-
ſto alſo predigten, daß durch ſeinen Tod die
Beſchneidung mit der Nothwendigkeit, die
Seligkeit aus dem geſetzlichen Gehorſam zu ſu-
chen, aufgehoben ſey. Denn damit ging die
gantze Oeconomie ihrer Kirche und Religion,
in ſo fern ſie typiſch war und in Vorbildern
beſtunde, uͤber einen Haufen. Welches aber
auch geſchehen ſolte und muſte nach den ſo vielen
Verheiſſungen, welche von der Perſon und dem
Amte des Meßiaͤ gegeben waren. Haͤtten die
Apoſtel CHriſtum nur bloß als einen groſſen
Propheten und heiligen Wunderthaͤter beſchrie-
ben, und dabey die Juͤdiſche Kirche in ihrer
Form ſtehen laſſen, auch den Heiden dieſelbe
mit angeprieſen, und ſie zur Annehmung der
Beſchneidung zu bringen geſuchet: ſo wuͤrden
ſie ungekraͤncket geblieben ſeyn: da die Juden
ſolches ſo viel eher wuͤrden gelitten haben, ſo
viel mehr ſie von der Unſchuld JEſu uͤberzeuget
waren. Jene waͤren aber auf dieſe Art nicht
CHriſti, ſondern falſche Apoſtel geweſen.
3. Man ſiehet aber auch wol aus den
Worten Pauli, daß er ſelbſt beſchuldiget ſeyn
muß, als hielte er ſelbſt veſt auf die Beſchnei-
dung: als wozu die falſchen Lehrer wol werden
ſonderlich das Exempel gemißbrauchet haben,
daß er Timotheum beſchneiden laſſen Act. 16, 3.
welches doch aber in der Chriſtlichen Freyheit
und ohne Abſicht auf die Seligkeit, gewiſſer Um-
ſtaͤnde wegen, ſonderlich den ſchwachen Juden
zu gefallen, geſchehen war. Daß er aber ſonſt
nicht auf die Beſchneidung gegangen, beweiſet
er mit ſeinen den Galatern gar bekanten Ver-
folgungen: als der er groſſen theils uͤberhoben
ſeyn koͤnnen, wo er die Beſchneidung als eine
zur Seligkeit nothwendige Sache haͤtte beybe-
halten wollen.
4. Wenn man noch alſo prediget, daß
man bey der unbekehrten und ſonderlich der
Phariſaͤiſchen Welt noch immer ohne Verfol-
gung bleibet, ſo iſt es eine Anzeigung, daß man
den Rath GOttes nicht in ſeiner rechten Lau-
terkeit vortraͤget, ſondern nur redet, wie es die
Leute gerne hoͤren wollen.
5. CHriſti Creutzes-Tod war der Juͤdi-
ſchen Nation nicht eben an ſich ſelbſt aͤrgerlich;
ſintemal ihn die allermeiſten, in gewiſſen Stuͤ-
cken, nach der geheimen Uberzeugung ihres Ge-
wiſſens fuͤr unſchuldig hielten, ſie auch bey ih-
ren Vorfahren an den wahren Propheten der-
gleichen Exempel hatten, ſolche deßwegen doch
lieb und wehrt hielten, alſo, daß ſie auch ihre
Graͤber ſchmuͤckten Matth. 23, 29. Das aber
war ihnen am Creutze CHriſti ſo gar aͤrgerlich,
daß ſie durch ſeinen Tod ſolten erloͤſet ſeyn und
nun weder der Beſchneidung, noch der Opfer,
an welche ſie ſo ſehr gewehnet waren, mehr be-
noͤthiget ſeyn, auch nicht noͤthig haben, aus
einem dem Moral-Geſetze zu leiſtenden, aber
in der gehoͤrigen Vollkommenheit unmoͤglichen,
Gehorſam die Seligkeit zu ſuchen. Und ſol-
chen Leuten accommodiren ſich die falſchen Leh-
rer, damit ſie ohne Verfolgung bleiben moͤch-
ten:
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/586 |
| Zitationshilfe: | Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/586>, abgerufen am 17.07.2024. |
