Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Cap. 5, v. 5. 6. an die Galater. [Spaltenumbruch]
siehet; als womit eigentlich das hoffen und dasin Hoffnung auswarten angezeiget wird. Jn welchem Verstande es auch Tit. 1, 13. heißt, auf die selige Hoffnung warten. 6. Und also ist die Hoffnung der Gerech- tigkeit die gehoffete Seligkeit, welche die ge- schenckte Glaubens-Gerechtigkeit mit sich führet, und in ihren vollen Früchten nach sich ziehet: nach den Worten unsers Catechismi: wo aber Vergebung der Sünden, nemlich Vermöge der Gerechtigkeit, ist, da ist Leben und Selig- keit. Paulus nennet es die Crone der Ge- rechtigkeit, die ihm beygeleget sey und die er erwarte 2 Tim. 4, 8. Siehe auch Rom. 5, 1. seqq. 8, 30. und 1 Pet. 1, 3. 4. 5. da die leben- dige Hoffnung erkläret wird von dem herrli- chen Erbe im Himmel. 7. Das Wort, apekdekhesthai, warten, auswarten, ist gar nachdrücklich, und fasset un- terschiedliches in sich, als: a. eine gläubige Ver- sicherung von gewisser Erlangung der gehoffe- ten Sache: b. eine Hochachtung derselben: c. ein beständiges Andencken an dasselbe: d. ein sehnliches Verlangen darnach: e. eine Freu- de über die Vorstellung des künftigen Genusses: f. ein geduldiges Ausharren Rom. 8, 25. da- bey sich auch g. befindet eine Enthaltung von allem dem, was der Lauterkeit und Vestigkeit solcher Hoffnung entgegen stehet. V. 6. Denn (um zu bestärcken, was da gesaget, Anmerckungen. 1. Glaube und Liebe sind allezeit bey ein- ander, u. aufs genaueste mit einander verwandt, so unterschieden sie auch von einander sind. Der Glaube ist gleichsam die Mutter, die Liebe die Tochter. Der Glaube der Baum, die Liebe die Frucht. Der Glaube die Quell, die Liebe der Bach, der daraus herquillet. Der Glaube das Feuer, die Liebe dessen Hitze und Licht. Und ist es demnach so unmöglich die Liebe vom Glauben zu scheiden, so unmöglich die Hitze und das Licht vom Feuer, oder die Nässe vom Wasser [Spaltenumbruch] mag geschieden werden. Es ist aber viel ein an- ders scheiden, und unterscheiden. 2. Glaube ohne Liebe ist Einbildung, ein Selbst-Betrug, und ein schnöder Mißbrauch des Evangelii: gleichwie Liebe ohne Glauben ist ein Leib ohne Seele, und wie ein unlauteres, al- so auch ein ängstliches, Wircken aus eignen Kräften. 3. Es ist aber auch ein grosser Unterscheid unter den Sätzen: der Glaube, der durch die Liebe thätig ist, der gilt in CHristo: und der Glaube, so fern er durch die Liebe thätig ist, gilt in CHristo. Das erste ist wahr. Das letztere nicht: wenn es nemlich den Ver- stand haben solte, daß der Glaube gerecht und selig mache, nicht so wol so fern er CHristum er- greifet, als so fern er selbst sich in der Liebe, als ein gutes Werck erweiset, und durch die Liebe erst seine rechte Form bekömmt. 4. Dieses Letztere giebt man vom Glauben vor im Papstthum, und erkläret deßwegen das Wort energoumene passive, daß es vom Glauben so viel heissen soll, als durch die Liebe gewircket seyn, oder alle sein Leben und seine Kraft von der Liebe haben, und folglich um der Liebe willen se- lig machen. Auf welche Art das Evangelium in das Gesetz verwandelt wird. Welcher Bedeutung widerspricht nicht allein die Sache selbst oder das gantze eigentliche Evangelium, dabey sich der Glau- be nicht anders als eine ergreifende Hand eines Supplicirendenverhält, sondern auch der Gebrauch des Worts energoumene: sintemal solche vox me- dia auch sonst allemal im neuen Testament acti- ve gebrauchet wird, als Rom. 7, 5. 2 Cor. 4, 12. Eph. 3, 20. Col. 1, 29. 1 Thess. 2, 13. 2 Thess. 2, 7. Jac. 5, 16. 5. Und wenn es vom Glauben heißt, daß er alles gilt, iskhuei, so ist diß so viel als vermag, ausrichtet, zu wege bringet. Und zeiget dem- nach der Apostel damit an, daß es auf Seiten des Menschen nur auf den Glauben ankomme; als nach welchem, da er in der Wiedergeburt ange- zündet wird, der Mensch sich in der rechten Heils- Ordnung finden lässet, und damit er CHristum ergreifet, und sich die von ihm erworbene Selig- keit zueignet. 6. Es gilt aber der Glaube dergestalt alles in CHristo, daß er es auch allein gilt: sintemal weder die Beschneidung, noch die Vorhaut, noch sonst etwas das geringste dazu beyträget. Und also ist auch alhier der Satz der Evangelischen Kirche wohlgegründet, wenn wir sagen: Sola fides justificat, der Glaube allein machet ge- recht. 7. Daß aber fides sola justificans, der allein gerecht machende Glaube, nicht sey solitaria, ein so einsamer, oder von aller Liebe entblösseter Glaube, wie ihn sich die blossen Nam-Christen unter den Evangelischen einbilden, das zeiget Paulus damit an, daß er von keinem andern Glauben wissen will, als von dem, der durch die Liebe sich thätig erweiset. 8. Es ist demnach die organische Thätig- keit des Glaubens von der effectiva wohl zu un- terscheiden. Organice ist der Glaube thätig, wenn er CHristum ergreifet und sich zueignet: effecti- ve A a a a 2
Cap. 5, v. 5. 6. an die Galater. [Spaltenumbruch]
ſiehet; als womit eigentlich das hoffen und dasin Hoffnung auswarten angezeiget wird. Jn welchem Verſtande es auch Tit. 1, 13. heißt, auf die ſelige Hoffnung warten. 6. Und alſo iſt die Hoffnung der Gerech- tigkeit die gehoffete Seligkeit, welche die ge- ſchenckte Glaubens-Gerechtigkeit mit ſich fuͤhret, und in ihren vollen Fruͤchten nach ſich ziehet: nach den Worten unſers Catechismi: wo aber Vergebung der Suͤnden, nemlich Veꝛmoͤge der Gerechtigkeit, iſt, da iſt Leben und Selig- keit. Paulus nennet es die Crone der Ge- rechtigkeit, die ihm beygeleget ſey und die er erwarte 2 Tim. 4, 8. Siehe auch Rom. 5, 1. ſeqq. 8, 30. und 1 Pet. 1, 3. 4. 5. da die leben- dige Hoffnung erklaͤret wird von dem herrli- chen Erbe im Himmel. 7. Das Wort, ἀπεκδέχεσϑαι, warten, auswarten, iſt gar nachdruͤcklich, und faſſet un- terſchiedliches in ſich, als: a. eine glaͤubige Ver- ſicherung von gewiſſer Erlangung der gehoffe- ten Sache: b. eine Hochachtung derſelben: c. ein beſtaͤndiges Andencken an daſſelbe: d. ein ſehnliches Verlangen darnach: e. eine Freu- de uͤber die Vorſtellung des kuͤnftigen Genuſſes: f. ein geduldiges Ausharren Rom. 8, 25. da- bey ſich auch g. befindet eine Enthaltung von allem dem, was der Lauterkeit und Veſtigkeit ſolcher Hoffnung entgegen ſtehet. V. 6. Denn (um zu beſtaͤrcken, was da geſaget, Anmerckungen. 1. Glaube und Liebe ſind allezeit bey ein- ander, u. aufs genaueſte mit einander verwandt, ſo unterſchieden ſie auch von einander ſind. Der Glaube iſt gleichſam die Mutter, die Liebe die Tochter. Der Glaube der Baum, die Liebe die Frucht. Der Glaube die Quell, die Liebe der Bach, der daraus herquillet. Der Glaube das Feuer, die Liebe deſſen Hitze und Licht. Und iſt es demnach ſo unmoͤglich die Liebe vom Glauben zu ſcheiden, ſo unmoͤglich die Hitze und das Licht vom Feuer, oder die Naͤſſe vom Waſſer [Spaltenumbruch] mag geſchieden werden. Es iſt aber viel ein an- ders ſcheiden, und unterſcheiden. 2. Glaube ohne Liebe iſt Einbildung, ein Selbſt-Betrug, und ein ſchnoͤder Mißbrauch des Evangelii: gleichwie Liebe ohne Glauben iſt ein Leib ohne Seele, und wie ein unlauteres, al- ſo auch ein aͤngſtliches, Wircken aus eignen Kraͤften. 3. Es iſt aber auch ein groſſer Unterſcheid unter den Saͤtzen: der Glaube, der durch die Liebe thaͤtig iſt, der gilt in CHriſto: und der Glaube, ſo fern er durch die Liebe thaͤtig iſt, gilt in CHriſto. Das erſte iſt wahr. Das letztere nicht: wenn es nemlich den Ver- ſtand haben ſolte, daß der Glaube gerecht und ſelig mache, nicht ſo wol ſo fern er CHriſtum er- greifet, als ſo fern er ſelbſt ſich in der Liebe, als ein gutes Werck erweiſet, und durch die Liebe erſt ſeine rechte Form bekoͤmmt. 4. Dieſes Letztere giebt man vom Glauben vor im Papſtthum, und erklaͤret deßwegen das Wort ἐνεργουμένη paſſive, daß es vom Glauben ſo viel heiſſen ſoll, als durch die Liebe gewircket ſeyn, oder alle ſein Leben und ſeine Kraft von der Liebe haben, und folglich um der Liebe willen ſe- lig machen. Auf welche Art das Evangelium in das Geſetz verwandelt wird. Welcher Bedeutung widerſpricht nicht allein die Sache ſelbſt oder das gantze eigentliche Evangelium, dabey ſich deꝛ Glau- be nicht anders als eine ergreifende Hand eines Supplicirendenverhaͤlt, ſondern auch der Gebrauch des Worts ἐνεργουμένη: ſintemal ſolche vox me- dia auch ſonſt allemal im neuen Teſtament acti- ve gebrauchet wird, als Rom. 7, 5. 2 Cor. 4, 12. Eph. 3, 20. Col. 1, 29. 1 Theſſ. 2, 13. 2 Theſſ. 2, 7. Jac. 5, 16. 5. Und wenn es vom Glauben heißt, daß er alles gilt, ἰσχύει, ſo iſt diß ſo viel als vermag, ausrichtet, zu wege bringet. Und zeiget dem- nach der Apoſtel damit an, daß es auf Seiten des Menſchen nur auf den Glauben ankomme; als nach welchem, da er in der Wiedergeburt ange- zuͤndet wird, der Menſch ſich in der rechten Heils- Ordnung finden laͤſſet, und damit er CHriſtum ergreifet, und ſich die von ihm erworbene Selig- keit zueignet. 6. Es gilt aber der Glaube dergeſtalt alles in CHriſto, daß er es auch allein gilt: ſintemal weder die Beſchneidung, noch die Vorhaut, noch ſonſt etwas das geringſte dazu beytraͤget. Und alſo iſt auch alhier der Satz der Evangeliſchen Kirche wohlgegruͤndet, wenn wir ſagen: Sola fides juſtificat, der Glaube allein machet ge- recht. 7. Daß aber fides ſola juſtificans, der allein gerecht machende Glaube, nicht ſey ſolitaria, ein ſo einſamer, oder von aller Liebe entbloͤſſeter Glaube, wie ihn ſich die bloſſen Nam-Chriſten unter den Evangeliſchen einbilden, das zeiget Paulus damit an, daß er von keinem andern Glauben wiſſen will, als von dem, der durch die Liebe ſich thaͤtig erweiſet. 8. Es iſt demnach die organiſche Thaͤtig- keit des Glaubens von der effectiva wohl zu un- terſcheiden. Organice iſt der Glaube thaͤtig, wenn er CHriſtum ergreifet und ſich zueignet: effecti- ve A a a a 2
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Cap. 5, v. 5. 6. an die Galater.
ſiehet; als womit eigentlich das hoffen und das
in Hoffnung auswarten angezeiget wird. Jn
welchem Verſtande es auch Tit. 1, 13. heißt, auf
die ſelige Hoffnung warten.
6. Und alſo iſt die Hoffnung der Gerech-
tigkeit die gehoffete Seligkeit, welche die ge-
ſchenckte Glaubens-Gerechtigkeit mit ſich fuͤhret,
und in ihren vollen Fruͤchten nach ſich ziehet:
nach den Worten unſers Catechismi: wo aber
Vergebung der Suͤnden, nemlich Veꝛmoͤge der
Gerechtigkeit, iſt, da iſt Leben und Selig-
keit. Paulus nennet es die Crone der Ge-
rechtigkeit, die ihm beygeleget ſey und die er
erwarte 2 Tim. 4, 8. Siehe auch Rom. 5, 1.
ſeqq. 8, 30. und 1 Pet. 1, 3. 4. 5. da die leben-
dige Hoffnung erklaͤret wird von dem herrli-
chen Erbe im Himmel.
7. Das Wort, ἀπεκδέχεσϑαι, warten,
auswarten, iſt gar nachdruͤcklich, und faſſet un-
terſchiedliches in ſich, als: a. eine glaͤubige Ver-
ſicherung von gewiſſer Erlangung der gehoffe-
ten Sache: b. eine Hochachtung derſelben:
c. ein beſtaͤndiges Andencken an daſſelbe: d. ein
ſehnliches Verlangen darnach: e. eine Freu-
de uͤber die Vorſtellung des kuͤnftigen Genuſſes:
f. ein geduldiges Ausharren Rom. 8, 25. da-
bey ſich auch g. befindet eine Enthaltung von
allem dem, was der Lauterkeit und Veſtigkeit
ſolcher Hoffnung entgegen ſtehet.
V. 6.
Denn (um zu beſtaͤrcken, was da geſaget,
daß es bey der neuen Oeconomie des Gnaden-
Bundes zur Seligkeit nicht auf unſern geſetzli-
chen Gehorſam, als eine Urſache, ſondern auf
CHriſtum, und auf den Glauben an ihn ankom-
me) in CHriſto JEſu (in der Gemeinſchaft mit
ihm nach dem Gnaden-Bunde zur Erlangung
der Seligkeit) gilt weder Beſchneidung noch
Vorhaut etwas (hat weder der Jude, noch
der Heide fuͤr ſich ſelbſt einigen Vorzug, oder
hat etwas an und in ſich, welches vor GOtt als
eine Urſache unſerer Seligkeit koͤnte und muͤſte
angeſehen werden:) ſondern der Glaube (an
CHriſtum, welcher im Gegenſatze auf den geſetz-
lichen und verdienſtlichen Gehorſam c. 2, 16. c.
3, 11. 12. die Gerechtigkeit CHriſti ergreifet, und
auch die Mutter der ausharrenden Hoffnung iſt)
der durch die Liebe (gegen GOtt, uns ſelbſt
und den Naͤchſten) thaͤtig iſt (alſo daß dieſe in
ihren innerlichen kraͤftigen Wirckungen ſich auch
aͤuſſerlich in allen thaͤtigen Pflichten der Liebe
hervor thut.)
Anmerckungen.
1. Glaube und Liebe ſind allezeit bey ein-
ander, u. aufs genaueſte mit einander verwandt,
ſo unterſchieden ſie auch von einander ſind. Der
Glaube iſt gleichſam die Mutter, die Liebe die
Tochter. Der Glaube der Baum, die Liebe
die Frucht. Der Glaube die Quell, die Liebe
der Bach, der daraus herquillet. Der Glaube
das Feuer, die Liebe deſſen Hitze und Licht.
Und iſt es demnach ſo unmoͤglich die Liebe vom
Glauben zu ſcheiden, ſo unmoͤglich die Hitze und
das Licht vom Feuer, oder die Naͤſſe vom Waſſer
mag geſchieden werden. Es iſt aber viel ein an-
ders ſcheiden, und unterſcheiden.
2. Glaube ohne Liebe iſt Einbildung, ein
Selbſt-Betrug, und ein ſchnoͤder Mißbrauch des
Evangelii: gleichwie Liebe ohne Glauben iſt
ein Leib ohne Seele, und wie ein unlauteres, al-
ſo auch ein aͤngſtliches, Wircken aus eignen
Kraͤften.
3. Es iſt aber auch ein groſſer Unterſcheid
unter den Saͤtzen: der Glaube, der durch
die Liebe thaͤtig iſt, der gilt in CHriſto:
und der Glaube, ſo fern er durch die Liebe
thaͤtig iſt, gilt in CHriſto. Das erſte iſt wahr.
Das letztere nicht: wenn es nemlich den Ver-
ſtand haben ſolte, daß der Glaube gerecht und
ſelig mache, nicht ſo wol ſo fern er CHriſtum er-
greifet, als ſo fern er ſelbſt ſich in der Liebe, als
ein gutes Werck erweiſet, und durch die Liebe erſt
ſeine rechte Form bekoͤmmt.
4. Dieſes Letztere giebt man vom Glauben
vor im Papſtthum, und erklaͤret deßwegen das
Wort ἐνεργουμένη paſſive, daß es vom Glauben
ſo viel heiſſen ſoll, als durch die Liebe gewircket
ſeyn, oder alle ſein Leben und ſeine Kraft von der
Liebe haben, und folglich um der Liebe willen ſe-
lig machen. Auf welche Art das Evangelium in
das Geſetz verwandelt wird. Welcher Bedeutung
widerſpricht nicht allein die Sache ſelbſt oder das
gantze eigentliche Evangelium, dabey ſich deꝛ Glau-
be nicht anders als eine ergreifende Hand eines
Supplicirendenverhaͤlt, ſondern auch der Gebrauch
des Worts ἐνεργουμένη: ſintemal ſolche vox me-
dia auch ſonſt allemal im neuen Teſtament acti-
ve gebrauchet wird, als Rom. 7, 5. 2 Cor. 4, 12.
Eph. 3, 20. Col. 1, 29. 1 Theſſ. 2, 13. 2 Theſſ.
2, 7. Jac. 5, 16.
5. Und wenn es vom Glauben heißt, daß
er alles gilt, ἰσχύει, ſo iſt diß ſo viel als vermag,
ausrichtet, zu wege bringet. Und zeiget dem-
nach der Apoſtel damit an, daß es auf Seiten des
Menſchen nur auf den Glauben ankomme; als
nach welchem, da er in der Wiedergeburt ange-
zuͤndet wird, der Menſch ſich in der rechten Heils-
Ordnung finden laͤſſet, und damit er CHriſtum
ergreifet, und ſich die von ihm erworbene Selig-
keit zueignet.
6. Es gilt aber der Glaube dergeſtalt alles
in CHriſto, daß er es auch allein gilt: ſintemal
weder die Beſchneidung, noch die Vorhaut, noch
ſonſt etwas das geringſte dazu beytraͤget. Und
alſo iſt auch alhier der Satz der Evangeliſchen
Kirche wohlgegruͤndet, wenn wir ſagen: Sola
fides juſtificat, der Glaube allein machet ge-
recht.
7. Daß aber fides ſola juſtificans, der allein
gerecht machende Glaube, nicht ſey ſolitaria, ein
ſo einſamer, oder von aller Liebe entbloͤſſeter
Glaube, wie ihn ſich die bloſſen Nam-Chriſten
unter den Evangeliſchen einbilden, das zeiget
Paulus damit an, daß er von keinem andern
Glauben wiſſen will, als von dem, der durch die
Liebe ſich thaͤtig erweiſet.
8. Es iſt demnach die organiſche Thaͤtig-
keit des Glaubens von der effectiva wohl zu un-
terſcheiden. Organice iſt der Glaube thaͤtig, wenn
er CHriſtum ergreifet und ſich zueignet: effecti-
ve
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