Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Cap. 1, v. 9. an die Galater. [Spaltenumbruch]
zwar in einigen Stücken beybehalten, aber da-bey doch in seinen Haupt-Stücken durch Ab- nahme, oder Zusatz, oder allerhand falsche Aus- legung also verändert und verkehret wird, daß es nicht mehr rein und zur Seligkeit kräftig bleibet. 2. Und eben also war das andere, oder veränderte Evangelium der damals sonderlich von den Juden ausgehenden falschen Lehrer be- schaffen. Denn sie haben Christum nicht gar verleugnet; sintemal sie auf solche Art wol nie- manden würden verwirret haben. Wie es denn auch an keinem Orte an einer grossen Men- ge der Juden und Heyden fehlete, welche Chri- stum nicht annahmen: davon aber die Gläubi- gen keine solche Gefahr der Lehre wegen hatten: als welche ihn zwar für den wahren Meßiam hielten, auch verkündigten, aber weder nach sei- ner Person, noch nach seinem Mittler-Amte recht erkannten, und die Seelen daher von der grünen Weide des Evangelii in eine dürre Wü- ste der aus dem Gesetze zu suchenden eignen Ge- rechtigkeit führeten, und sich mit Vorgebung besonderer Weisheit dabey aufbleheten und Pau- lum, als sey er kein rechter Apostel, der ihnen auch kein rechtes Evangelium verkündigte, ver- achteten. 3. Es geschiehet leider noch heute zu Tage in der Christenheit, daß ein anders oder verän- dertes und entkräftetes Evangelium verkündiget wird, und zwar nicht allein in den Kirchen un- richtiger und unlauterer Confessionen, sondern auch gar mitten in der Evangelischen Kirche: wenn man eines theils die Lehre von der Erlö- sung und Genugthuung Christi, und von der daher entstehenden Rechtfertigung nicht in ih- rer gehörigen Lauterkeit, Fülle und Kraft vor- träget, noch Christum den Seelen recht an- preiset, sondern sie dagegen in der Dürre und in der Wüsten gleichsam verschmachten lässet: an- dern Theils aber bey diesem Heils-Grunde von Christo die rechte Heils-Ordnung vergisset, die Natur und rechte Art des wahren lebendi- gen Glaubens nicht recht beschreibet, noch darauf, wie auch auf die wahre innere Hertzens-Verän- derung, Verläugnung seiner selbst, und der Welt, genugsam dringet, sondern Christum also prediget, daß sich auch ein ieder Unbekehr- ter, der nur den Stand der groben Sicherheit und des rohen sündlichen Wesens verlässet, und sich in einige Form äusserlicher Ehrbarkeit ein- giebet, seiner getrösten kan. Darüber man denn in seinem ungeänderten Sinn und geistli- chen Tode so hin lebet, und endlich darinnen stirbet, und ewig verlohren gehet, so wol als die, welche unter den Galatern auf eine andere Art sich verleiten, und von Paulo etwa nicht wieder zurechtbringen liessen. Wie von einigen wol zu besorgen ist. 4. Daß ein Engel vom Himmel solte ein anders Evangelium predigen, das war zwar un- möglich: allein der Apostel gebrauchet doch die- se Vorstellung deßwegen, damit er die unwan- delbare Wahrheit des von ihm verkündigten Evangelii, damit so viel nachdrücklicher bezeu- [Spaltenumbruch] gen möchte; zumal, da die falschen Lehrer einen grossen Schein des Rechten mögen angenom- men, und sich, wie ehemals der Satan im Pa- radise, in Engel des Lichts und in Prediger der wahren Gerechtigkeit verstellet haben, wie sie unter den Corinthiern gethan 2 Cor. 11, 13-15. Siehe dergleichen Redens-Arten von unmögli- chen Dingen Joh. 8, 55. 1 Cor. 13, 2. auch in diesem Briefe selbst, da es heißt c. 4, 15. Jch bin euer Zeuge, daß, wenn es möglich ge- wesen wäre, ihr hättet eure Augen ausge- rissen, und mir gegeben. Es wird demnach damit versichert, daß keine Creatur weder im Himmel, noch auf Erden, Macht und Recht habe, vor sich an der Lehre des Evangelii etwas zu ändern. 5. Was aber Paulus, ausser dem Cre- ditiv seiner innerlichen Salbung und äusserli- chen Macht, sein Wort mit Wundern zu be- stätigen, den Gemeinen, sonderlich denen aus den Juden, für einen Probier-Stein seiner Leh- re gegeben, und selbst unter ihnen gebrauchet ha- be, bezeuget er in seiner Schutz-Rede Ap. Ges. 26, 22. wenn er spricht: Jch sage nichts aus- ser dem, das die Propheten gesaget haben, daß es geschehen solte, und Moses. Und also hat es Paulus in allen seinen mündlichen Predigten gehalten, daß er allewege auf das to gegraptai, es stehet geschrieben, nach dem Exempel Christi, sich bezogen hat: wie man auch in seinen Briefen siehet. 6. Es fället demnach dahin die papisti- sche falsche Lehre von solchen Menschen-Satzun- gen, wodurch das lautere Evangelium von Christo, wie wir es in der Schriften der Pro- pheten und Apostel finden, verfälschet, und zur Seligkeit gantz unkräftig wird. 7. Gleichwie der aus dem Evangelio kom- mende Segen der allerwichtigste und herrlichste ist: so ist leichtlich zu erachten, daß derjenige Fluch, der auf die durch Verfälschung des Ev- angelii geschehene Verhinderung des Segens gesetzet ist, der allergrösseste sey, der auf ewig über Leib und Seele bleibet. 8. Es ist aber wohl zu mercken, daß dieser auf den Vortrag einer so sehr verderbten Lehre gesetzte Fluch auch die trifft, die solche verführi- sche Lehre wider die Warnung Christi und sei- ner Apostel und wider die in der H. Schrift ih- nen vor Augen liegenden Vorschrift annehmen, und sich dadurch verkehren lassen. 9. Bringet aber der Vortrag und die An- nehmung einer also verfälschten Lehre einen sol- chen Fluch: was wird man nicht für einen gros- sen Fluch dadurch über sich ziehen, wenn man den Rath GOttes von unserer Seligkeit in al- ler Lauterkeit lieset und höret, ihn aber entwe- der gar nicht, oder doch auf eine sehr verkehrte Art annimmt, also, daß man selbst sein eigner falscher Prophet ist, und den Sinn der theure- sten Wahrheiten nach dem verkehrten Sinne seines Fleisches deutet, und die Gnade des Ev- angelii auf Muthwillen ziehet? 10. Jm übrigen hat man zur Erläuterung dieses verdoppelten apostolischen Ausspruchs fol- Q q q 2
Cap. 1, v. 9. an die Galater. [Spaltenumbruch]
zwar in einigen Stuͤcken beybehalten, aber da-bey doch in ſeinen Haupt-Stuͤcken durch Ab- nahme, oder Zuſatz, oder allerhand falſche Aus- legung alſo veraͤndert und verkehret wird, daß es nicht mehr rein und zur Seligkeit kraͤftig bleibet. 2. Und eben alſo war das andere, oder veraͤnderte Evangelium der damals ſonderlich von den Juden ausgehenden falſchen Lehrer be- ſchaffen. Denn ſie haben Chriſtum nicht gar verleugnet; ſintemal ſie auf ſolche Art wol nie- manden wuͤrden verwirret haben. Wie es denn auch an keinem Orte an einer groſſen Men- ge der Juden und Heyden fehlete, welche Chri- ſtum nicht annahmen: davon aber die Glaͤubi- gen keine ſolche Gefahr der Lehre wegen hatten: als welche ihn zwar fuͤr den wahren Meßiam hielten, auch verkuͤndigten, aber weder nach ſei- ner Perſon, noch nach ſeinem Mittler-Amte recht erkannten, und die Seelen daher von der gruͤnen Weide des Evangelii in eine duͤrre Wuͤ- ſte der aus dem Geſetze zu ſuchenden eignen Ge- rechtigkeit fuͤhreten, und ſich mit Vorgebung beſonderer Weisheit dabey aufbleheten und Pau- lum, als ſey er kein rechter Apoſtel, der ihnen auch kein rechtes Evangelium verkuͤndigte, ver- achteten. 3. Es geſchiehet leider noch heute zu Tage in der Chriſtenheit, daß ein anders oder veraͤn- dertes und entkraͤftetes Evangelium verkuͤndiget wird, und zwar nicht allein in den Kirchen un- richtiger und unlauterer Confeſſionen, ſondern auch gar mitten in der Evangeliſchen Kirche: wenn man eines theils die Lehre von der Erloͤ- ſung und Genugthuung Chriſti, und von der daher entſtehenden Rechtfertigung nicht in ih- rer gehoͤrigen Lauterkeit, Fuͤlle und Kraft vor- traͤget, noch Chriſtum den Seelen recht an- preiſet, ſondern ſie dagegen in der Duͤrre und in der Wuͤſten gleichſam verſchmachten laͤſſet: an- dern Theils aber bey dieſem Heils-Grunde von Chriſto die rechte Heils-Ordnung vergiſſet, die Natur und rechte Art des wahren lebendi- gen Glaubens nicht recht beſchreibet, noch darauf, wie auch auf die wahre innere Hertzens-Veraͤn- derung, Verlaͤugnung ſeiner ſelbſt, und der Welt, genugſam dringet, ſondern Chriſtum alſo prediget, daß ſich auch ein ieder Unbekehr- ter, der nur den Stand der groben Sicherheit und des rohen ſuͤndlichen Weſens verlaͤſſet, und ſich in einige Form aͤuſſerlicher Ehrbarkeit ein- giebet, ſeiner getroͤſten kan. Daruͤber man denn in ſeinem ungeaͤnderten Sinn und geiſtli- chen Tode ſo hin lebet, und endlich darinnen ſtirbet, und ewig verlohren gehet, ſo wol als die, welche unter den Galatern auf eine andere Art ſich verleiten, und von Paulo etwa nicht wieder zurechtbringen lieſſen. Wie von einigen wol zu beſorgen iſt. 4. Daß ein Engel vom Himmel ſolte ein anders Evangelium predigen, das war zwar un- moͤglich: allein der Apoſtel gebrauchet doch die- ſe Vorſtellung deßwegen, damit er die unwan- delbare Wahrheit des von ihm verkuͤndigten Evangelii, damit ſo viel nachdruͤcklicher bezeu- [Spaltenumbruch] gen moͤchte; zumal, da die falſchen Lehrer einen groſſen Schein des Rechten moͤgen angenom- men, und ſich, wie ehemals der Satan im Pa- radiſe, in Engel des Lichts und in Prediger der wahren Gerechtigkeit verſtellet haben, wie ſie unter den Corinthiern gethan 2 Cor. 11, 13-15. Siehe dergleichen Redens-Arten von unmoͤgli- chen Dingen Joh. 8, 55. 1 Cor. 13, 2. auch in dieſem Briefe ſelbſt, da es heißt c. 4, 15. Jch bin euer Zeuge, daß, wenn es moͤglich ge- weſen waͤre, ihr haͤttet eure Augen ausge- riſſen, und mir gegeben. Es wird demnach damit verſichert, daß keine Creatur weder im Himmel, noch auf Erden, Macht und Recht habe, vor ſich an der Lehre des Evangelii etwas zu aͤndern. 5. Was aber Paulus, auſſer dem Cre- ditiv ſeiner innerlichen Salbung und aͤuſſerli- chen Macht, ſein Wort mit Wundern zu be- ſtaͤtigen, den Gemeinen, ſonderlich denen aus den Juden, fuͤr einen Probier-Stein ſeiner Leh- re gegeben, und ſelbſt unter ihnen gebrauchet ha- be, bezeuget er in ſeiner Schutz-Rede Ap. Geſ. 26, 22. wenn er ſpricht: Jch ſage nichts auſ- ſer dem, das die Propheten geſaget haben, daß es geſchehen ſolte, und Moſes. Und alſo hat es Paulus in allen ſeinen muͤndlichen Predigten gehalten, daß er allewege auf das τὸ γέγραπται, es ſtehet geſchrieben, nach dem Exempel Chriſti, ſich bezogen hat: wie man auch in ſeinen Briefen ſiehet. 6. Es faͤllet demnach dahin die papiſti- ſche falſche Lehre von ſolchen Menſchen-Satzun- gen, wodurch das lautere Evangelium von Chriſto, wie wir es in der Schriften der Pro- pheten und Apoſtel finden, verfaͤlſchet, und zur Seligkeit gantz unkraͤftig wird. 7. Gleichwie der aus dem Evangelio kom- mende Segen der allerwichtigſte und herrlichſte iſt: ſo iſt leichtlich zu erachten, daß derjenige Fluch, der auf die durch Verfaͤlſchung des Ev- angelii geſchehene Verhinderung des Segens geſetzet iſt, der allergroͤſſeſte ſey, der auf ewig uͤber Leib und Seele bleibet. 8. Es iſt aber wohl zu mercken, daß dieſer auf den Vortrag einer ſo ſehr verderbten Lehre geſetzte Fluch auch die trifft, die ſolche verfuͤhri- ſche Lehre wider die Warnung Chriſti und ſei- ner Apoſtel und wider die in der H. Schrift ih- nen vor Augen liegenden Vorſchrift annehmen, und ſich dadurch verkehren laſſen. 9. Bringet aber der Vortrag und die An- nehmung einer alſo verfaͤlſchten Lehre einen ſol- chen Fluch: was wird man nicht fuͤr einen groſ- ſen Fluch dadurch uͤber ſich ziehen, wenn man den Rath GOttes von unſerer Seligkeit in al- ler Lauterkeit lieſet und hoͤret, ihn aber entwe- der gar nicht, oder doch auf eine ſehr verkehrte Art annimmt, alſo, daß man ſelbſt ſein eigner falſcher Prophet iſt, und den Sinn der theure- ſten Wahrheiten nach dem verkehrten Sinne ſeines Fleiſches deutet, und die Gnade des Ev- angelii auf Muthwillen ziehet? 10. Jm uͤbrigen hat man zur Erlaͤuterung dieſes verdoppelten apoſtoliſchen Ausſpruchs fol- Q q q 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <list> <item><pb facs="#f0519" n="491"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 1, v. 9. an die Galater.</hi></fw><lb/><cb/> zwar in einigen Stuͤcken beybehalten, aber da-<lb/> bey doch in ſeinen Haupt-Stuͤcken durch Ab-<lb/> nahme, oder Zuſatz, oder allerhand falſche Aus-<lb/> legung alſo veraͤndert und verkehret wird, daß es<lb/> nicht mehr rein und zur Seligkeit kraͤftig<lb/> bleibet.</item><lb/> <item>2. Und eben alſo war das andere, oder<lb/> veraͤnderte Evangelium der damals ſonderlich<lb/> von den Juden ausgehenden falſchen Lehrer be-<lb/> ſchaffen. Denn ſie haben Chriſtum nicht gar<lb/> verleugnet; ſintemal ſie auf ſolche Art wol nie-<lb/> manden wuͤrden verwirret haben. Wie es<lb/> denn auch an keinem Orte an einer groſſen Men-<lb/> ge der Juden und Heyden fehlete, welche Chri-<lb/> ſtum nicht annahmen: davon aber die Glaͤubi-<lb/> gen keine ſolche Gefahr der Lehre wegen hatten:<lb/> als welche ihn zwar fuͤr den wahren Meßiam<lb/> hielten, auch verkuͤndigten, aber weder nach ſei-<lb/> ner Perſon, noch nach ſeinem Mittler-Amte<lb/> recht erkannten, und die Seelen daher von der<lb/> gruͤnen Weide des Evangelii in eine duͤrre Wuͤ-<lb/> ſte der aus dem Geſetze zu ſuchenden eignen Ge-<lb/> rechtigkeit fuͤhreten, und ſich mit Vorgebung<lb/> beſonderer Weisheit dabey aufbleheten und Pau-<lb/> lum, als ſey er kein rechter Apoſtel, der ihnen<lb/> auch kein rechtes Evangelium verkuͤndigte, ver-<lb/> achteten.</item><lb/> <item>3. Es geſchiehet leider noch heute zu Tage<lb/> in der Chriſtenheit, daß ein anders oder veraͤn-<lb/> dertes und entkraͤftetes Evangelium verkuͤndiget<lb/> wird, und zwar nicht allein in den Kirchen un-<lb/> richtiger und unlauterer <hi rendition="#aq">Confeſſion</hi>en, ſondern<lb/> auch gar mitten in der Evangeliſchen Kirche:<lb/> wenn man eines theils die Lehre von der <hi rendition="#fr">Erloͤ-<lb/> ſung</hi> und Genugthuung Chriſti, und von der<lb/> daher entſtehenden <hi rendition="#fr">Rechtfertigung</hi> nicht in ih-<lb/> rer gehoͤrigen <hi rendition="#fr">Lauterkeit,</hi> Fuͤlle und Kraft vor-<lb/> traͤget, noch Chriſtum den Seelen recht an-<lb/> preiſet, ſondern ſie dagegen in der Duͤrre und in<lb/> der Wuͤſten gleichſam verſchmachten laͤſſet: an-<lb/> dern Theils aber bey dieſem Heils-Grunde von<lb/> Chriſto die rechte <hi rendition="#fr">Heils-Ordnung</hi> vergiſſet,<lb/> die Natur und rechte Art des wahren lebendi-<lb/> gen Glaubens nicht recht beſchreibet, noch darauf,<lb/> wie auch auf die wahre innere Hertzens-Veraͤn-<lb/> derung, Verlaͤugnung ſeiner ſelbſt, und der<lb/> Welt, genugſam dringet, ſondern Chriſtum<lb/> alſo prediget, daß ſich auch ein ieder Unbekehr-<lb/> ter, der nur den Stand der groben Sicherheit<lb/> und des rohen ſuͤndlichen Weſens verlaͤſſet, und<lb/> ſich in einige Form aͤuſſerlicher Ehrbarkeit ein-<lb/> giebet, ſeiner getroͤſten kan. Daruͤber man<lb/> denn in ſeinem ungeaͤnderten Sinn und geiſtli-<lb/> chen Tode ſo hin lebet, und endlich darinnen<lb/> ſtirbet, und ewig verlohren gehet, ſo wol als<lb/> die, welche unter den Galatern auf eine andere<lb/> Art ſich verleiten, und von Paulo etwa nicht<lb/> wieder zurechtbringen lieſſen. Wie von einigen<lb/> wol zu beſorgen iſt.</item><lb/> <item>4. Daß ein Engel vom Himmel ſolte ein<lb/> anders Evangelium predigen, das war zwar un-<lb/> moͤglich: allein der Apoſtel gebrauchet doch die-<lb/> ſe Vorſtellung deßwegen, damit er die unwan-<lb/> delbare Wahrheit des von ihm verkuͤndigten<lb/> Evangelii, damit ſo viel nachdruͤcklicher bezeu-<lb/><cb/> gen moͤchte; zumal, da die falſchen Lehrer einen<lb/> groſſen Schein des Rechten moͤgen angenom-<lb/> men, und ſich, wie ehemals der Satan im Pa-<lb/> radiſe, in Engel des Lichts und in Prediger der<lb/> wahren Gerechtigkeit verſtellet haben, wie ſie<lb/> unter den Corinthiern gethan 2 Cor. 11, 13-15.<lb/> Siehe dergleichen Redens-Arten von unmoͤgli-<lb/> chen Dingen Joh. 8, 55. 1 Cor. 13, 2. auch in<lb/> dieſem Briefe ſelbſt, da es heißt c. 4, 15. <hi rendition="#fr">Jch<lb/> bin euer Zeuge, daß, wenn es moͤglich ge-<lb/> weſen waͤre, ihr haͤttet eure Augen ausge-<lb/> riſſen, und mir gegeben.</hi> Es wird demnach<lb/> damit verſichert, daß keine Creatur weder im<lb/> Himmel, noch auf Erden, Macht und Recht<lb/> habe, vor ſich an der Lehre des Evangelii etwas<lb/> zu aͤndern.</item><lb/> <item>5. Was aber Paulus, auſſer dem <hi rendition="#aq">Cre-<lb/> ditiv</hi> ſeiner innerlichen Salbung und aͤuſſerli-<lb/> chen Macht, ſein Wort mit Wundern zu be-<lb/> ſtaͤtigen, den Gemeinen, ſonderlich denen aus<lb/> den Juden, fuͤr einen Probier-Stein ſeiner Leh-<lb/> re gegeben, und ſelbſt unter ihnen gebrauchet ha-<lb/> be, bezeuget er in ſeiner Schutz-Rede Ap. Geſ.<lb/> 26, 22. wenn er ſpricht: <hi rendition="#fr">Jch ſage nichts auſ-<lb/> ſer dem, das die Propheten geſaget haben,<lb/> daß es geſchehen ſolte, und Moſes.</hi> Und<lb/> alſo hat es Paulus in allen ſeinen muͤndlichen<lb/> Predigten gehalten, daß er allewege auf das τὸ<lb/> γέγραπται, <hi rendition="#fr">es ſtehet geſchrieben,</hi> nach dem<lb/> Exempel Chriſti, ſich bezogen hat: wie man auch<lb/> in ſeinen Briefen ſiehet.</item><lb/> <item>6. Es faͤllet demnach dahin die papiſti-<lb/> ſche falſche Lehre von ſolchen Menſchen-Satzun-<lb/> gen, wodurch das lautere Evangelium von<lb/> Chriſto, wie wir es in der Schriften der Pro-<lb/> pheten und Apoſtel finden, verfaͤlſchet, und zur<lb/> Seligkeit gantz unkraͤftig wird.</item><lb/> <item>7. Gleichwie der aus dem Evangelio kom-<lb/> mende <hi rendition="#fr">Segen</hi> der allerwichtigſte und herrlichſte<lb/> iſt: ſo iſt leichtlich zu erachten, daß derjenige<lb/><hi rendition="#fr">Fluch,</hi> der auf die durch Verfaͤlſchung des Ev-<lb/> angelii geſchehene Verhinderung des Segens<lb/> geſetzet iſt, der allergroͤſſeſte ſey, der auf ewig<lb/> uͤber Leib und Seele bleibet.</item><lb/> <item>8. Es iſt aber wohl zu mercken, daß dieſer<lb/> auf den Vortrag einer ſo ſehr verderbten Lehre<lb/> geſetzte Fluch auch die trifft, die ſolche verfuͤhri-<lb/> ſche Lehre wider die Warnung Chriſti und ſei-<lb/> ner Apoſtel und wider die in der H. Schrift ih-<lb/> nen vor Augen liegenden Vorſchrift <hi rendition="#fr">annehmen,</hi><lb/> und ſich dadurch verkehren laſſen.</item><lb/> <item>9. Bringet aber der Vortrag und die An-<lb/> nehmung einer alſo verfaͤlſchten Lehre einen ſol-<lb/> chen Fluch: was wird man nicht fuͤr einen groſ-<lb/> ſen Fluch dadurch uͤber ſich ziehen, wenn man<lb/> den Rath GOttes von unſerer Seligkeit in al-<lb/> ler Lauterkeit lieſet und hoͤret, ihn aber entwe-<lb/> der gar nicht, oder doch auf eine ſehr verkehrte<lb/> Art annimmt, alſo, daß man ſelbſt ſein eigner<lb/> falſcher Prophet iſt, und den Sinn der theure-<lb/> ſten Wahrheiten nach dem verkehrten Sinne<lb/> ſeines Fleiſches deutet, und die Gnade des Ev-<lb/> angelii auf Muthwillen ziehet?</item><lb/> <item>10. Jm uͤbrigen hat man zur Erlaͤuterung<lb/> dieſes verdoppelten apoſtoliſchen Ausſpruchs<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Q q q 2</fw><fw place="bottom" type="catch">fol-</fw><lb/></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [491/0519]
Cap. 1, v. 9. an die Galater.
zwar in einigen Stuͤcken beybehalten, aber da-
bey doch in ſeinen Haupt-Stuͤcken durch Ab-
nahme, oder Zuſatz, oder allerhand falſche Aus-
legung alſo veraͤndert und verkehret wird, daß es
nicht mehr rein und zur Seligkeit kraͤftig
bleibet.
2. Und eben alſo war das andere, oder
veraͤnderte Evangelium der damals ſonderlich
von den Juden ausgehenden falſchen Lehrer be-
ſchaffen. Denn ſie haben Chriſtum nicht gar
verleugnet; ſintemal ſie auf ſolche Art wol nie-
manden wuͤrden verwirret haben. Wie es
denn auch an keinem Orte an einer groſſen Men-
ge der Juden und Heyden fehlete, welche Chri-
ſtum nicht annahmen: davon aber die Glaͤubi-
gen keine ſolche Gefahr der Lehre wegen hatten:
als welche ihn zwar fuͤr den wahren Meßiam
hielten, auch verkuͤndigten, aber weder nach ſei-
ner Perſon, noch nach ſeinem Mittler-Amte
recht erkannten, und die Seelen daher von der
gruͤnen Weide des Evangelii in eine duͤrre Wuͤ-
ſte der aus dem Geſetze zu ſuchenden eignen Ge-
rechtigkeit fuͤhreten, und ſich mit Vorgebung
beſonderer Weisheit dabey aufbleheten und Pau-
lum, als ſey er kein rechter Apoſtel, der ihnen
auch kein rechtes Evangelium verkuͤndigte, ver-
achteten.
3. Es geſchiehet leider noch heute zu Tage
in der Chriſtenheit, daß ein anders oder veraͤn-
dertes und entkraͤftetes Evangelium verkuͤndiget
wird, und zwar nicht allein in den Kirchen un-
richtiger und unlauterer Confeſſionen, ſondern
auch gar mitten in der Evangeliſchen Kirche:
wenn man eines theils die Lehre von der Erloͤ-
ſung und Genugthuung Chriſti, und von der
daher entſtehenden Rechtfertigung nicht in ih-
rer gehoͤrigen Lauterkeit, Fuͤlle und Kraft vor-
traͤget, noch Chriſtum den Seelen recht an-
preiſet, ſondern ſie dagegen in der Duͤrre und in
der Wuͤſten gleichſam verſchmachten laͤſſet: an-
dern Theils aber bey dieſem Heils-Grunde von
Chriſto die rechte Heils-Ordnung vergiſſet,
die Natur und rechte Art des wahren lebendi-
gen Glaubens nicht recht beſchreibet, noch darauf,
wie auch auf die wahre innere Hertzens-Veraͤn-
derung, Verlaͤugnung ſeiner ſelbſt, und der
Welt, genugſam dringet, ſondern Chriſtum
alſo prediget, daß ſich auch ein ieder Unbekehr-
ter, der nur den Stand der groben Sicherheit
und des rohen ſuͤndlichen Weſens verlaͤſſet, und
ſich in einige Form aͤuſſerlicher Ehrbarkeit ein-
giebet, ſeiner getroͤſten kan. Daruͤber man
denn in ſeinem ungeaͤnderten Sinn und geiſtli-
chen Tode ſo hin lebet, und endlich darinnen
ſtirbet, und ewig verlohren gehet, ſo wol als
die, welche unter den Galatern auf eine andere
Art ſich verleiten, und von Paulo etwa nicht
wieder zurechtbringen lieſſen. Wie von einigen
wol zu beſorgen iſt.
4. Daß ein Engel vom Himmel ſolte ein
anders Evangelium predigen, das war zwar un-
moͤglich: allein der Apoſtel gebrauchet doch die-
ſe Vorſtellung deßwegen, damit er die unwan-
delbare Wahrheit des von ihm verkuͤndigten
Evangelii, damit ſo viel nachdruͤcklicher bezeu-
gen moͤchte; zumal, da die falſchen Lehrer einen
groſſen Schein des Rechten moͤgen angenom-
men, und ſich, wie ehemals der Satan im Pa-
radiſe, in Engel des Lichts und in Prediger der
wahren Gerechtigkeit verſtellet haben, wie ſie
unter den Corinthiern gethan 2 Cor. 11, 13-15.
Siehe dergleichen Redens-Arten von unmoͤgli-
chen Dingen Joh. 8, 55. 1 Cor. 13, 2. auch in
dieſem Briefe ſelbſt, da es heißt c. 4, 15. Jch
bin euer Zeuge, daß, wenn es moͤglich ge-
weſen waͤre, ihr haͤttet eure Augen ausge-
riſſen, und mir gegeben. Es wird demnach
damit verſichert, daß keine Creatur weder im
Himmel, noch auf Erden, Macht und Recht
habe, vor ſich an der Lehre des Evangelii etwas
zu aͤndern.
5. Was aber Paulus, auſſer dem Cre-
ditiv ſeiner innerlichen Salbung und aͤuſſerli-
chen Macht, ſein Wort mit Wundern zu be-
ſtaͤtigen, den Gemeinen, ſonderlich denen aus
den Juden, fuͤr einen Probier-Stein ſeiner Leh-
re gegeben, und ſelbſt unter ihnen gebrauchet ha-
be, bezeuget er in ſeiner Schutz-Rede Ap. Geſ.
26, 22. wenn er ſpricht: Jch ſage nichts auſ-
ſer dem, das die Propheten geſaget haben,
daß es geſchehen ſolte, und Moſes. Und
alſo hat es Paulus in allen ſeinen muͤndlichen
Predigten gehalten, daß er allewege auf das τὸ
γέγραπται, es ſtehet geſchrieben, nach dem
Exempel Chriſti, ſich bezogen hat: wie man auch
in ſeinen Briefen ſiehet.
6. Es faͤllet demnach dahin die papiſti-
ſche falſche Lehre von ſolchen Menſchen-Satzun-
gen, wodurch das lautere Evangelium von
Chriſto, wie wir es in der Schriften der Pro-
pheten und Apoſtel finden, verfaͤlſchet, und zur
Seligkeit gantz unkraͤftig wird.
7. Gleichwie der aus dem Evangelio kom-
mende Segen der allerwichtigſte und herrlichſte
iſt: ſo iſt leichtlich zu erachten, daß derjenige
Fluch, der auf die durch Verfaͤlſchung des Ev-
angelii geſchehene Verhinderung des Segens
geſetzet iſt, der allergroͤſſeſte ſey, der auf ewig
uͤber Leib und Seele bleibet.
8. Es iſt aber wohl zu mercken, daß dieſer
auf den Vortrag einer ſo ſehr verderbten Lehre
geſetzte Fluch auch die trifft, die ſolche verfuͤhri-
ſche Lehre wider die Warnung Chriſti und ſei-
ner Apoſtel und wider die in der H. Schrift ih-
nen vor Augen liegenden Vorſchrift annehmen,
und ſich dadurch verkehren laſſen.
9. Bringet aber der Vortrag und die An-
nehmung einer alſo verfaͤlſchten Lehre einen ſol-
chen Fluch: was wird man nicht fuͤr einen groſ-
ſen Fluch dadurch uͤber ſich ziehen, wenn man
den Rath GOttes von unſerer Seligkeit in al-
ler Lauterkeit lieſet und hoͤret, ihn aber entwe-
der gar nicht, oder doch auf eine ſehr verkehrte
Art annimmt, alſo, daß man ſelbſt ſein eigner
falſcher Prophet iſt, und den Sinn der theure-
ſten Wahrheiten nach dem verkehrten Sinne
ſeines Fleiſches deutet, und die Gnade des Ev-
angelii auf Muthwillen ziehet?
10. Jm uͤbrigen hat man zur Erlaͤuterung
dieſes verdoppelten apoſtoliſchen Ausſpruchs
fol-
Q q q 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |