Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Cap. 7, 9-8. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
sondern aus einem freyen und geneigten Willen;der doch aber auch darunter seine Schuldigkeit vor GOtt erkante. Wie man denn auf solche Art andern zu dienen schuldig, und auch nicht schuldig seyn kan: schuldig nach der allgemeinen Verbindung der Liebe: nicht schuldig, nach ei- ner besondern Obligation. Von beyder Schul- digkeit saget Paulus Rom. 13, 8. Seyd nie- mand nichts schuldig, denn daß ihr euch unter einander liebet. V. 7. Aber wie ihr in allen Stücken reich Anmerckungen. 1. Je reicher einer ist an geistlichen Gütern, ie reichlicher und williger theilet er von seinen leiblichen Gütern, wenn er einige hat, den Dürf- tigen mit, sonderlich den geistlichen Gliedern CHristi. Gleichwie es hingegen eine unfehl- bare Probe ist der grossen Armuth an geistlichen Heils-Schätzen, wo man zeitliche Güter hat, und doch das Hertz gegen seinen Nachsten zu- schliesset. Denn wie bleibet da die Liebe GOt- tes bey ihm? 1 Joh. 3, 17. 2. Glaube und Wort gehören zusammen, als Speise und Gesundheit mit gesunden Lei- bes-Kräften. Denn gleichwie der Glaube durchs Wort entstehet Rom. 10, 17 also hilft das Wort ohne Glauben nichts, wo es nicht durch den Glauben recht in uns digeriret und gleichsam zur andern und neuen Natur wird. Hebr. 4, 2. 3. Keine Erkäntniß GOttes und göttli- cher Dinge ist rechter Art, es sey denn, daß sie nach der alhie gegebnen Paulinischen Anweisung habe das Wort GOttes zur Richtschnur, den Glauben zum Grunde, und den Fleiß der thä- tigen Liebe zum rechten Erweise. Denn es ist lange nicht genug, sich bey seiner Erkäntniß auf GOttes Wort berufen, daß man daraus, und der demselben gemässen mündlichen oder schrift- lichen Anführung vieles gefasset habe: sintemal, wo sie nicht den Glauben zum Grunde, und die Liebe zum Erweise hat, sie nur bloß buchstäblich und mit bloß natürlichen Kräften aus dem gött- lichen Wort, in so fern dieses seine buchstäbliche Deutlichkeit hat, geschöpfet ist. 4. Das Wort spoude, Fleiß, gehet seiner eigentlichen Bedeutung nach, auf zweyerley in der Thätigkeit: nemlich auf die Geschwin- digkeit und auf den Ernst, daß man, was man thut, bald, aber recht thue mit gehörigem Ernst. Daher unser teutsches Wort, spu- den, sich spuden, nicht säumen, kömmt. Wie denn von Maria stehet Luc. 1, 39. daß sie von Nazareth auf das Gebirge Juda zu der Elisabeth gegangen meta spoudes, ende- lich, das ist, geschwinde, da sie mit der Reise bald wolte zu Ende kommen. V. 8. Nicht sage ich, daß ich etwas gebie- Anmerckungen. 1. Es kan kein Reicher, und dabey Geitzi- ger, gedencken, als sey die Gutthätigkeit gegen die Armen nicht geboten, sondern eine solche Sa- che, welche er bloß in seiner Freyheit habe, und daher wie thun, also auch unterlassen könne. Denn etwas freywillig thun, und dabey doch auch seine Schuldigkeit erkennen, stehet gar wohl bey einander. Freywillig sollen wir alles thun, weil wir solche Geschöpfe GOttes sind, welche GOtt mit dem freyen Willen begabet, und unsere Natur recht damit geadelt hat, auch, nach den verlohrnen geistlichen Kräften, die ge- hörigen Kräfte dazu wieder darreichet. Diese Freywilligkeit aber hebt die Schuldigkeit kei- nesweges auf. Denn weil sie die Freyheit wie zu thun, also auch nicht zu thun zum Grunde hat; so machet die Schuldigkeit, nach welcher man sich, ohne Zwang und ohne fatale Nothwendig- keit, im Gewissen wozu verbunden erkennet, daß man das, was man thun, aber auch lassen kan, nicht lasse, wenn es aufs Gute gehet; und daß man im Bösen, was man thun, aber auch lassen kan, nicht thue. 2. Daß aber die Gutthätigkeit gegen die Armen eine Schuldigkeit, oder schuldige Pflicht sey, ist auch schon damit deutlich genug angezeiget, wenn Paulus saget, er wolle versu- chen, ob sich auch ihre Liebe dadurch in ihrer rech- ten Art erweisen würde. Jst aber die Liebe nicht geboten? Jst aber die Liebe uns anbefohlen, so ist uns auch ihre rechte Art anbefohlen; als ohne wel- H h h
Cap. 7, 9-8. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
ſondern aus einem freyen und geneigten Willen;der doch aber auch darunter ſeine Schuldigkeit vor GOtt erkante. Wie man denn auf ſolche Art andern zu dienen ſchuldig, und auch nicht ſchuldig ſeyn kan: ſchuldig nach der allgemeinen Verbindung der Liebe: nicht ſchuldig, nach ei- ner beſondern Obligation. Von beyder Schul- digkeit ſaget Paulus Rom. 13, 8. Seyd nie- mand nichts ſchuldig, denn daß ihr euch unter einander liebet. V. 7. Aber wie ihr in allen Stuͤcken reich Anmerckungen. 1. Je reicher einer iſt an geiſtlichen Guͤtern, ie reichlicher und williger theilet er von ſeinen leiblichen Guͤtern, wenn er einige hat, den Duͤrf- tigen mit, ſonderlich den geiſtlichen Gliedern CHriſti. Gleichwie es hingegen eine unfehl- bare Probe iſt der groſſen Armuth an geiſtlichen Heils-Schaͤtzen, wo man zeitliche Guͤter hat, und doch das Hertz gegen ſeinen Nachſten zu- ſchlieſſet. Denn wie bleibet da die Liebe GOt- tes bey ihm? 1 Joh. 3, 17. 2. Glaube und Wort gehoͤren zuſammen, als Speiſe und Geſundheit mit geſunden Lei- bes-Kraͤften. Denn gleichwie der Glaube durchs Wort entſtehet Rom. 10, 17 alſo hilft das Wort ohne Glauben nichts, wo es nicht durch den Glauben recht in uns digeriret und gleichſam zur andern und neuen Natur wird. Hebr. 4, 2. 3. Keine Erkaͤntniß GOttes und goͤttli- cher Dinge iſt rechter Art, es ſey denn, daß ſie nach der alhie gegebnen Pauliniſchen Anweiſung habe das Wort GOttes zur Richtſchnur, den Glauben zum Grunde, und den Fleiß der thaͤ- tigen Liebe zum rechten Erweiſe. Denn es iſt lange nicht genug, ſich bey ſeiner Erkaͤntniß auf GOttes Wort berufen, daß man daraus, und der demſelben gemaͤſſen muͤndlichen oder ſchrift- lichen Anfuͤhrung vieles gefaſſet habe: ſintemal, wo ſie nicht den Glauben zum Grunde, und die Liebe zum Erweiſe hat, ſie nur bloß buchſtaͤblich und mit bloß natuͤrlichen Kraͤften aus dem goͤtt- lichen Wort, in ſo fern dieſes ſeine buchſtaͤbliche Deutlichkeit hat, geſchoͤpfet iſt. 4. Das Wort σπουδὴ, Fleiß, gehet ſeiner eigentlichen Bedeutung nach, auf zweyerley in der Thaͤtigkeit: nemlich auf die Geſchwin- digkeit und auf den Ernſt, daß man, was man thut, bald, aber recht thue mit gehoͤrigem Ernſt. Daher unſer teutſches Wort, ſpu- den, ſich ſpuden, nicht ſaͤumen, koͤmmt. Wie denn von Maria ſtehet Luc. 1, 39. daß ſie von Nazareth auf das Gebirge Juda zu der Eliſabeth gegangen μετὰ σπουδῆς, ende- lich, das iſt, geſchwinde, da ſie mit der Reiſe bald wolte zu Ende kommen. V. 8. Nicht ſage ich, daß ich etwas gebie- Anmerckungen. 1. Es kan kein Reicher, und dabey Geitzi- ger, gedencken, als ſey die Gutthaͤtigkeit gegen die Armen nicht geboten, ſondern eine ſolche Sa- che, welche er bloß in ſeiner Freyheit habe, und daher wie thun, alſo auch unterlaſſen koͤnne. Denn etwas freywillig thun, und dabey doch auch ſeine Schuldigkeit erkennen, ſtehet gar wohl bey einander. Freywillig ſollen wir alles thun, weil wir ſolche Geſchoͤpfe GOttes ſind, welche GOtt mit dem freyen Willen begabet, und unſere Natur recht damit geadelt hat, auch, nach den verlohrnen geiſtlichen Kraͤften, die ge- hoͤrigen Kraͤfte dazu wieder darreichet. Dieſe Freywilligkeit aber hebt die Schuldigkeit kei- nesweges auf. Denn weil ſie die Freyheit wie zu thun, alſo auch nicht zu thun zum Grunde hat; ſo machet die Schuldigkeit, nach welcher man ſich, ohne Zwang und ohne fatale Nothwendig- keit, im Gewiſſen wozu verbunden erkennet, daß man das, was man thun, aber auch laſſen kan, nicht laſſe, wenn es aufs Gute gehet; und daß man im Boͤſen, was man thun, aber auch laſſen kan, nicht thue. 2. Daß aber die Gutthaͤtigkeit gegen die Armen eine Schuldigkeit, oder ſchuldige Pflicht ſey, iſt auch ſchon damit deutlich genug angezeiget, wenn Paulus ſaget, er wolle verſu- chen, ob ſich auch ihre Liebe dadurch in ihrer rech- ten Art erweiſen wuͤrde. Jſt aber die Liebe nicht geboten? Jſt aber die Liebe uns anbefohlen, ſo iſt uns auch ihre rechte Art anbefohlen; als ohne wel- H h h
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Cap. 7, 9-8. an die Corinthier.
ſondern aus einem freyen und geneigten Willen;
der doch aber auch darunter ſeine Schuldigkeit
vor GOtt erkante. Wie man denn auf ſolche
Art andern zu dienen ſchuldig, und auch nicht
ſchuldig ſeyn kan: ſchuldig nach der allgemeinen
Verbindung der Liebe: nicht ſchuldig, nach ei-
ner beſondern Obligation. Von beyder Schul-
digkeit ſaget Paulus Rom. 13, 8. Seyd nie-
mand nichts ſchuldig, denn daß ihr euch
unter einander liebet.
V. 7.
Aber wie ihr in allen Stuͤcken reich
ſeyd (an geiſtlichen Guͤtern, durch uns Apoſtel
gemacht; die wir ſind, als die Armen, die doch
aber viele reich machen c. 6, 10. inſonderheit
aber) im Glauben (als dem Hauptſtuͤcke des
Chriſtenthums und des geiſtlichen Reichthums;
ſintemal er der Glaube, eine ſolche theure Bey-
lage iſt, dadurch CHriſtus ſelbſt mit aller Selig-
keit unſer eigen wird, und dadurch wir auch zu
den uͤbrigen Heils-Schaͤtzen gelangen) und im
Worte (am reichlichen Vortrage des Evange-
lii von CHriſto und des gantzen Raths GOttes
von dem Grunde und von der Ordnung des
Heils; wodurch der Glaube Anfangs erwecket
worden, und nun beſtaͤndig genaͤhret und unter-
halten wird, da ihr es noch beſtaͤndig und reich-
lich unter euch wohnen laſſet: wie den Coloſſern
anbefohlen wird Col. 3, 16.) und in der (leben-
digen, thaͤtigen und ſeligmachenden) Erkaͤnt-
niß (welche aus der rechten Annehmung und
innerlichen Digeſtion des Worts entſtehet,
und vermoͤge des Glaubens ſo viel mehr rechter
Art iſt) und allerley (auch allem, nicht allein
von mancherley Art, oder in mancherley Stuͤ-
cken, ſondern auch recht ernſtlichen) Fleiſſe (als
einem mit der That geleiſteten wuͤrcklichen Be-
weiſe der Erkaͤntniß) und in eurer Liebe zu
uns (καὶ τῇ ἐξ ὑμῶν ἐν ἡμῖν ἀγάπῃ und an der
Liebe, die von euch ausgehet, und gegen uns al-
ſo gerichtet iſt, daß ſie ſich mit einem rechten
Wohlgefallen an uns hervor thut) alſo ſchaf-
fet, daß ihr auch in dieſer Wohlthat reich
ſeyd (περισσευητ_ , als die gefuͤlleten Gefaͤſſe der
Gnade in der Liebe uͤberflieſſet. Siehe auch
1 Cor. 1, 5. c. 12, 8.)
Anmerckungen.
1. Je reicher einer iſt an geiſtlichen Guͤtern,
ie reichlicher und williger theilet er von ſeinen
leiblichen Guͤtern, wenn er einige hat, den Duͤrf-
tigen mit, ſonderlich den geiſtlichen Gliedern
CHriſti. Gleichwie es hingegen eine unfehl-
bare Probe iſt der groſſen Armuth an geiſtlichen
Heils-Schaͤtzen, wo man zeitliche Guͤter hat,
und doch das Hertz gegen ſeinen Nachſten zu-
ſchlieſſet. Denn wie bleibet da die Liebe GOt-
tes bey ihm? 1 Joh. 3, 17.
2. Glaube und Wort gehoͤren zuſammen,
als Speiſe und Geſundheit mit geſunden Lei-
bes-Kraͤften. Denn gleichwie der Glaube
durchs Wort entſtehet Rom. 10, 17 alſo hilft
das Wort ohne Glauben nichts, wo es nicht
durch den Glauben recht in uns digeriret und
gleichſam zur andern und neuen Natur wird.
Hebr. 4, 2.
3. Keine Erkaͤntniß GOttes und goͤttli-
cher Dinge iſt rechter Art, es ſey denn, daß ſie
nach der alhie gegebnen Pauliniſchen Anweiſung
habe das Wort GOttes zur Richtſchnur, den
Glauben zum Grunde, und den Fleiß der thaͤ-
tigen Liebe zum rechten Erweiſe. Denn es iſt
lange nicht genug, ſich bey ſeiner Erkaͤntniß auf
GOttes Wort berufen, daß man daraus, und
der demſelben gemaͤſſen muͤndlichen oder ſchrift-
lichen Anfuͤhrung vieles gefaſſet habe: ſintemal,
wo ſie nicht den Glauben zum Grunde, und die
Liebe zum Erweiſe hat, ſie nur bloß buchſtaͤblich
und mit bloß natuͤrlichen Kraͤften aus dem goͤtt-
lichen Wort, in ſo fern dieſes ſeine buchſtaͤbliche
Deutlichkeit hat, geſchoͤpfet iſt.
4. Das Wort σπουδὴ, Fleiß, gehet ſeiner
eigentlichen Bedeutung nach, auf zweyerley
in der Thaͤtigkeit: nemlich auf die Geſchwin-
digkeit und auf den Ernſt, daß man, was
man thut, bald, aber recht thue mit gehoͤrigem
Ernſt. Daher unſer teutſches Wort, ſpu-
den, ſich ſpuden, nicht ſaͤumen, koͤmmt. Wie
denn von Maria ſtehet Luc. 1, 39. daß ſie von
Nazareth auf das Gebirge Juda zu der
Eliſabeth gegangen μετὰ σπουδῆς, ende-
lich, das iſt, geſchwinde, da ſie mit der Reiſe
bald wolte zu Ende kommen.
V. 8.
Nicht ſage ich, daß ich etwas gebie-
te, ſondern dieweil andere ſo fleißig ſind,
verſuche ich auch eure Liebe, ob ſie rechter
Art ſey.
Anmerckungen.
1. Es kan kein Reicher, und dabey Geitzi-
ger, gedencken, als ſey die Gutthaͤtigkeit gegen
die Armen nicht geboten, ſondern eine ſolche Sa-
che, welche er bloß in ſeiner Freyheit habe, und
daher wie thun, alſo auch unterlaſſen koͤnne.
Denn etwas freywillig thun, und dabey doch
auch ſeine Schuldigkeit erkennen, ſtehet gar
wohl bey einander. Freywillig ſollen wir alles
thun, weil wir ſolche Geſchoͤpfe GOttes ſind,
welche GOtt mit dem freyen Willen begabet,
und unſere Natur recht damit geadelt hat, auch,
nach den verlohrnen geiſtlichen Kraͤften, die ge-
hoͤrigen Kraͤfte dazu wieder darreichet. Dieſe
Freywilligkeit aber hebt die Schuldigkeit kei-
nesweges auf. Denn weil ſie die Freyheit wie
zu thun, alſo auch nicht zu thun zum Grunde hat;
ſo machet die Schuldigkeit, nach welcher man
ſich, ohne Zwang und ohne fatale Nothwendig-
keit, im Gewiſſen wozu verbunden erkennet, daß
man das, was man thun, aber auch laſſen kan,
nicht laſſe, wenn es aufs Gute gehet; und daß
man im Boͤſen, was man thun, aber auch laſſen
kan, nicht thue.
2. Daß aber die Gutthaͤtigkeit gegen die
Armen eine Schuldigkeit, oder ſchuldige
Pflicht ſey, iſt auch ſchon damit deutlich genug
angezeiget, wenn Paulus ſaget, er wolle verſu-
chen, ob ſich auch ihre Liebe dadurch in ihrer rech-
ten Art erweiſen wuͤrde. Jſt aber die Liebe nicht
geboten? Jſt aber die Liebe uns anbefohlen, ſo
iſt uns auch ihre rechte Art anbefohlen; als ohne
wel-
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